Stellungnahme: 22-12


Vereinbarkeitsrichtlinie endlich vollständig umsetzen

Stellungnahme vom

Die Umsetzungsfrist der Richtlinie (EU) 2019/1158 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige ist am 2. August 2022 abgelaufen, ohne dass diese im deutschen Recht vollständig umgesetzt wurde. Die Vereinbarkeitsrichtlinie soll die Chancengleichheit von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Gleichbehandlung fördern. Sie soll die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben für Arbeitnehmer*innen erleichtern. In der Richtlinie sind daher individuelle Rechte vorgesehen für den Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub und Urlaub für pflegende Angehörige sowie Rechte für flexible Arbeitsregelungen für Arbeitnehmer*innen, die Eltern oder pflegende Angehörige sind.

Die Bundesregierung hat zur Umsetzung der Richtlinie den Entwurf für ein Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz vorgelegt, der sich noch im Gesetzgebungsprozess befindet. Dieser Entwurf schafft jedoch kaum Verbesserungen und beseitigt die bestehenden Umsetzungsdefizite nicht (siehe Stellungnahme des djb vom 4. Mai 2022). Es besteht weiterhin Umsetzungsbedarf.

1. Vergüteter Freistellungsanspruch des zweiten Elternteils anlässlich der Geburt

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung wurde richtigerweise vereinbart, eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einzuführen (Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 101). Die Bundesregierung hat dafür ein zweites Gesetzgebungsvorhaben noch im Jahr 2022 angekündigt. Der djb fordert, dieses Gesetz zügig zu schaffen und damit die Vereinbarkeitsrichtlinie vollständig umzusetzen.

a) Freistellungsanspruch als Freistellungspflicht

Gemäß Artikel 4 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/1158 müssen Väter oder nach nationalem Recht gleichgestellte zweite Elternteile Anspruch auf zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub haben, der anlässlich der Geburt des Kindes des Arbeitnehmers genommen werden muss. Die Mitgliedstaaten können bestimmen, ob der Vaterschaftsurlaub auch teilweise vor der Geburt des Kindes oder ausschließlich danach oder in flexibler Form genommen werden kann.

Die deutschen Regelungen zum Elterngeld und zur Elternzeit im BEEG setzen diesen Anspruch nicht sinngemäß um, weil die Elternzeit auch bis zum achten Lebensjahr des Kindes genommen (§ 15 Abs. 2 S. 2 BEEG) und das Basiselterngeld auch bis zum 14. Lebensmonat (§ 4 Abs. 1. S. 2 BEEG) beansprucht werden können, also nicht zwingend im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Geburt stehen müssen. Die Unterscheidung zwischen Elternzeit/Elterngeld und der Freistellung anlässlich der Geburt entspricht auch der Systematik und dem Wortlaut der Vereinbarkeitsrichtlinie, die zwischen Vaterschaftsurlaub und Elternurlaub unterscheidet (vgl. § 3 Richtlinie (EU) 2019/1158) und mit diesen unterschiedliche Rechtsansprüche (vgl. Art. 4 und 5 Richtlinie (EU) 2019/1158) verknüpft. Der Freistellungsanspruch anlässlich der Geburt ist daher noch umzusetzen.

Mit der Freistellung anlässlich der Geburt soll das zweite Elternteil die Person, die das Kind geboren hat, von Hausarbeit entlasten und im gesundheitlichen Erholungsprozess unterstützen. Zugleich soll gewährleistet werden, dass auch das zweite Elternteil von Geburt an eine enge Bindung mit dem Kind befreit von der Erwerbsarbeit aufbauen und sich gleichberechtigt um die Sorgearbeit kümmern kann; dies baut Geschlechterstereotype ab und dient der Gleichstellung (siehe Erwägungsgründe Nr. 11 und 19).

Um diese Ziele des Freistellungsanspruchs anlässlich der Geburt zu realisieren, regt der djb an, den Freistellungsanspruch als Freistellungspflicht im Sinne eines Beschäftigungsverbots – parallel zum nachgeburtlichen Mutterschutz – ab dem Tag der Geburt auszugestalten. Ein solches Beschäftigungsverbot trägt nicht nur dazu bei, die Ziele der Richtlinie umzusetzen, sondern auch dazu, Einstellungsdiskriminierung abzubauen, weil nun Arbeitgeber*innen auch bei der Einstellung von männlichen Beschäftigten das Risiko haben, dass diese wegen der Geburt von Kindern für eine gewisse Zeit ausfallen.

b) Voraussetzungen parallel zum Elterngeld

Die Voraussetzungen für den Freistellungsanspruch sollten sich an den Voraussetzungen des Elterngeldes gem. § 1 Abs. 1 BEEG orientieren. Dabei ist eine Benachteiligung von Zwei-Müttern-Familien zu verhindern. Für eine Gleichbehandlung bezüglich des Freistellungsanspruchs muss der Elternstatus der zweiten Mutter bereits bei der Geburt feststehen. Dafür bedarf es einer zügigen und vom djb angemahnten Reform des Abstammungsrechts, insbesondere der Möglichkeit der zweiten Mutter die Elternschaft durch Anerkennung oder durch die Ehe zu begründen (siehe dazu die Stellungnahme des djb vom 17. Juni 2022).

c) Höhe der Vergütung entsprechend der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

Nach Artikel 8 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2019/1158 muss die zweiwöchige Freistellung anlässlich der Geburt vergütet werden. Die Vergütung muss mindestens der Höhe der Bezahlung oder Vergütung entsprechen, die der betreffende Arbeitnehmer im Fall einer Unterbrechung seiner Tätigkeit aus Gründen im Zusammenhang mit seinem Gesundheitszustand erhalten würde.

In Deutschland erhalten Arbeitnehmer*innen im Krankheitsfall Lohnfortzahlung für sechs Wochen von den Arbeitgeber*innen gem. § 4 EFZG sowie anschließend Krankengeld in Höhe von 70 Prozent des regelmäßigen Arbeitsentgeltes gem. §§ 44 ff. SGB V von den gesetzlichen Krankenkassen, sofern sie in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind.

Ziel der Vereinbarkeitsrichtlinie ist es, durch einen vergüteten Freistellungsanspruch finanzielle Anreize dafür zu setzen, dass auch vermehrt Männer Vaterschafts- und Elternurlaub nehmen (Erwägungsgründe 11, 29-30). Dies spricht dafür, die Höhe der Vergütung entsprechend der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 4 EFZG auszugestalten. Damit würde auch Erwägungsgrund 30 berücksichtigt, nach welchem die Mitgliedstaaten dazu angehalten sind, beim Vaterschaftsurlaub eine Bezahlung oder Vergütung in derselben Höhe wie die auf nationaler Ebene gewährte Bezahlung oder Vergütung während des Mutterschaftsurlaubs zu gewähren.

Um Einstellungsdiskriminierung abzubauen, sollte die Finanzierung der zweiwöchigen Freistellung an der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder am Mutterschaftsgeld orientiert werden.

Der Freistellungsanspruch sollte nicht als fiktiver Verbrauch des Elterngeldes betrachtet werden, weil ansonsten die finanzielle Anreizwirkung der sog. Partnermonate verloren ginge und dies dem Ziel der Richtlinie widerspräche, gerade finanzielle Anreize für solche Freistellungszeiten zu setzen.

c) Ausweitung auf Selbstständige und verbesserter Mutterschutz von Selbstständigen

Selbstständige Eltern sind nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst. Der djb regt jedoch an, die Umsetzung der Richtlinie zu nutzen, um die finanzielle Absicherung von selbstständigen Schwangeren und Selbstständigen, die ein Kind gebären, zu verbessern.[1]  Dafür sollte der Freistellungsanspruch anlässlich der Geburt auf selbstständige Elternteile ausgeweitet werden.

Darüber hinaus sollte während den Schutzfristen nach dem MuSchG eine ökonomische Absicherung über die 13 Euro pro Tag hinaus und damit eine Gleichstellung mit Arbeitnehmer*innen sichergestellt werden. Dafür sind verschiedene Modelle denkbar, z.B. eine Ausweitung der obligatorischen Leistungen der Krankenkassen während der gesetzlichen Schutzfristen.

2.  Freistellungsanspruch für pflegende Angehörige

Artikel 6 Richtlinie (EU) 2019/1158 sieht ein Recht für Arbeitnehmer*innen vor, fünf Arbeitstage pro Jahr Urlaub für die Pflege von Angehörigen zu nehmen. Die Mitgliedsstaaten können zusätzliche Einzelheiten für den Anwendungsbereich und die Voraussetzungen festlegen. Sie können zudem die Freistellung anhand eines Bezugszeitraumes, der nicht ein Jahr beträgt, für die jeweilige pflege- oder unterstützungsbedürftige Person oder pro Fall gewähren.

Die kurzzeitige Arbeitsverhinderung gem. § 2 PflegeZG geht grundsätzlich über die Anforderungen der Richtlinie hinaus, sodass die Anforderungen der Vereinbarkeitsrichtlinie umgesetzt sind. Der djb regt an, zu prüfen, ob im Sinne der Richtlinie auf den Akutbedarf als Voraussetzung des Anspruchs und die Notwendigkeit, die zwei Wochen zusammenhängend zu nehmen, verzichtet werden kann und stattdessen jedes Jahr das Recht für Arbeitnehmer*innen besteht, sich für zehn Arbeitstage – bei einer fünf Tagewoche – pflegebedingt vergütet freistellen zu lassen.

Die sonstigen Freistellungsansprüche nach dem PflegeZG (§ 3 Abs. 1 S. 2 PflegeZG) und FPfZG (§ 2 Abs. 1 S. 3 FPfZG) sind von der Betriebsgröße abhängig. Deswegen schlägt der djb vor, zu prüfen, ob eine Umlagefinanzierung eingeführt werden kann, damit die Beschränkung für kleine Betriebe entfallen kann.

Schließlich weist der djb erneut darauf hin, dass die Vereinbarkeitsrichtlinie den Urlaub für pflegende Angehörige auch auf im gleichen Haushalt lebende Personen bezieht (§ 3 Abs. 1 Buchstabe d Richtlinie (EU) 2019/1158), diese Personengruppe bisher jedoch im Entwurf für das Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz fehlt und ergänzt werden muss.

3.  Kündigungsschutz

Artikel 12 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/1158 umfasst ein Verbot der Kündigung und aller Vorbereitungen für eine Kündigung aufgrund der Beantragung oder der Inanspruchnahme des Vaterschaftsurlaubs, des Elternurlaubs und des Urlaubs für pflegende Angehörige sowie aufgrund der Inanspruchnahme der flexiblen Arbeitsregelungen.

Ein Verbot für Vorbereitungsmaßnahmen ist bereits in § 17 Abs. 1 S. 3 MuSchG enthalten, jedoch fehlt ein solches Verbot in § 18 BEEG und § 5 PflegeZG. Damit Eltern und pflegende Angehörige auch nach Beendigung ihrer Freistellungsphasen aufgrund von Eltern- und Pflegezeiten geschützt sind, sollte ein nachwirkender Kündigungsschutz eingeführt werden. Ein solcher könnte 4 Monate entsprechend der Regelung zum Mutterschutzgesetz in § 17 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG umfassen.

3.  Flexible Arbeitsregelungen

Artikel 9 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/1158 sieht ein Antragsrecht für flexible Arbeitsregelungen vor. Unter flexiblen Arbeitsregelungen wird in der Richtlinie die Möglichkeit für Arbeitnehmer vorgesehen, ihre Arbeitsmuster anzupassen, einschließlich durch Nutzung von Telearbeit oder flexiblen Arbeitsplänen oder der Reduzierung der Arbeitszeiten (Artikel 3 Abs. 1 Buchst. f Richtlinie (EU) 2019/1158).

Diese von der Richtlinie vorgesehene Flexibilität entspricht den Konzeptionen für ein Wahlarbeitszeitgesetz und ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft des djb.

Der Entwurf für ein Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz sieht ein Antragsrecht nicht für die Telearbeit vor. Die Telearbeit sollte noch ergänzt werden.

 


[1] Siehe dazu die Petition zum „Mutterschutzgesetz: Gleiche Rechte im Mutterschutz für selbstständige Schwangere“ vom 06.05.2022, https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2022/_05/_06/Petition_133680.nc.html.

Die Umsetzungsfrist der Richtlinie (EU) 2019/1158 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige ist am 2. August 2022 abgelaufen, ohne dass diese im deutschen Recht vollständig umgesetzt wurde. Die Vereinbarkeitsrichtlinie soll die Chancengleichheit von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und die Gleichbehandlung fördern. Sie soll die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben für Arbeitnehmer*innen erleichtern. In der Richtlinie sind daher individuelle Rechte vorgesehen für den Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub und Urlaub für pflegende Angehörige sowie Rechte für flexible Arbeitsregelungen für Arbeitnehmer*innen, die Eltern oder pflegende Angehörige sind.

Die Bundesregierung hat zur Umsetzung der Richtlinie den Entwurf für ein Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz vorgelegt, der sich noch im Gesetzgebungsprozess befindet. Dieser Entwurf schafft jedoch kaum Verbesserungen und beseitigt die bestehenden Umsetzungsdefizite nicht (siehe Stellungnahme des djb vom 4. Mai 2022). Es besteht weiterhin Umsetzungsbedarf.

1. Vergüteter Freistellungsanspruch des zweiten Elternteils anlässlich der Geburt

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung wurde richtigerweise vereinbart, eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einzuführen (Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 101). Die Bundesregierung hat dafür ein zweites Gesetzgebungsvorhaben noch im Jahr 2022 angekündigt. Der djb fordert, dieses Gesetz zügig zu schaffen und damit die Vereinbarkeitsrichtlinie vollständig umzusetzen.

a) Freistellungsanspruch als Freistellungspflicht

Gemäß Artikel 4 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/1158 müssen Väter oder nach nationalem Recht gleichgestellte zweite Elternteile Anspruch auf zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub haben, der anlässlich der Geburt des Kindes des Arbeitnehmers genommen werden muss. Die Mitgliedstaaten können bestimmen, ob der Vaterschaftsurlaub auch teilweise vor der Geburt des Kindes oder ausschließlich danach oder in flexibler Form genommen werden kann.

Die deutschen Regelungen zum Elterngeld und zur Elternzeit im BEEG setzen diesen Anspruch nicht sinngemäß um, weil die Elternzeit auch bis zum achten Lebensjahr des Kindes genommen (§ 15 Abs. 2 S. 2 BEEG) und das Basiselterngeld auch bis zum 14. Lebensmonat (§ 4 Abs. 1. S. 2 BEEG) beansprucht werden können, also nicht zwingend im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Geburt stehen müssen. Die Unterscheidung zwischen Elternzeit/Elterngeld und der Freistellung anlässlich der Geburt entspricht auch der Systematik und dem Wortlaut der Vereinbarkeitsrichtlinie, die zwischen Vaterschaftsurlaub und Elternurlaub unterscheidet (vgl. § 3 Richtlinie (EU) 2019/1158) und mit diesen unterschiedliche Rechtsansprüche (vgl. Art. 4 und 5 Richtlinie (EU) 2019/1158) verknüpft. Der Freistellungsanspruch anlässlich der Geburt ist daher noch umzusetzen.

Mit der Freistellung anlässlich der Geburt soll das zweite Elternteil die Person, die das Kind geboren hat, von Hausarbeit entlasten und im gesundheitlichen Erholungsprozess unterstützen. Zugleich soll gewährleistet werden, dass auch das zweite Elternteil von Geburt an eine enge Bindung mit dem Kind befreit von der Erwerbsarbeit aufbauen und sich gleichberechtigt um die Sorgearbeit kümmern kann; dies baut Geschlechterstereotype ab und dient der Gleichstellung (siehe Erwägungsgründe Nr. 11 und 19).

Um diese Ziele des Freistellungsanspruchs anlässlich der Geburt zu realisieren, regt der djb an, den Freistellungsanspruch als Freistellungspflicht im Sinne eines Beschäftigungsverbots – parallel zum nachgeburtlichen Mutterschutz – ab dem Tag der Geburt auszugestalten. Ein solches Beschäftigungsverbot trägt nicht nur dazu bei, die Ziele der Richtlinie umzusetzen, sondern auch dazu, Einstellungsdiskriminierung abzubauen, weil nun Arbeitgeber*innen auch bei der Einstellung von männlichen Beschäftigten das Risiko haben, dass diese wegen der Geburt von Kindern für eine gewisse Zeit ausfallen.

b) Voraussetzungen parallel zum Elterngeld

Die Voraussetzungen für den Freistellungsanspruch sollten sich an den Voraussetzungen des Elterngeldes gem. § 1 Abs. 1 BEEG orientieren. Dabei ist eine Benachteiligung von Zwei-Müttern-Familien zu verhindern. Für eine Gleichbehandlung bezüglich des Freistellungsanspruchs muss der Elternstatus der zweiten Mutter bereits bei der Geburt feststehen. Dafür bedarf es einer zügigen und vom djb angemahnten Reform des Abstammungsrechts, insbesondere der Möglichkeit der zweiten Mutter die Elternschaft durch Anerkennung oder durch die Ehe zu begründen (siehe dazu die Stellungnahme des djb vom 17. Juni 2022).

c) Höhe der Vergütung entsprechend der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

Nach Artikel 8 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2019/1158 muss die zweiwöchige Freistellung anlässlich der Geburt vergütet werden. Die Vergütung muss mindestens der Höhe der Bezahlung oder Vergütung entsprechen, die der betreffende Arbeitnehmer im Fall einer Unterbrechung seiner Tätigkeit aus Gründen im Zusammenhang mit seinem Gesundheitszustand erhalten würde.

In Deutschland erhalten Arbeitnehmer*innen im Krankheitsfall Lohnfortzahlung für sechs Wochen von den Arbeitgeber*innen gem. § 4 EFZG sowie anschließend Krankengeld in Höhe von 70 Prozent des regelmäßigen Arbeitsentgeltes gem. §§ 44 ff. SGB V von den gesetzlichen Krankenkassen, sofern sie in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind.

Ziel der Vereinbarkeitsrichtlinie ist es, durch einen vergüteten Freistellungsanspruch finanzielle Anreize dafür zu setzen, dass auch vermehrt Männer Vaterschafts- und Elternurlaub nehmen (Erwägungsgründe 11, 29-30). Dies spricht dafür, die Höhe der Vergütung entsprechend der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 4 EFZG auszugestalten. Damit würde auch Erwägungsgrund 30 berücksichtigt, nach welchem die Mitgliedstaaten dazu angehalten sind, beim Vaterschaftsurlaub eine Bezahlung oder Vergütung in derselben Höhe wie die auf nationaler Ebene gewährte Bezahlung oder Vergütung während des Mutterschaftsurlaubs zu gewähren.

Um Einstellungsdiskriminierung abzubauen, sollte die Finanzierung der zweiwöchigen Freistellung an der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder am Mutterschaftsgeld orientiert werden.

Der Freistellungsanspruch sollte nicht als fiktiver Verbrauch des Elterngeldes betrachtet werden, weil ansonsten die finanzielle Anreizwirkung der sog. Partnermonate verloren ginge und dies dem Ziel der Richtlinie widerspräche, gerade finanzielle Anreize für solche Freistellungszeiten zu setzen.

c) Ausweitung auf Selbstständige und verbesserter Mutterschutz von Selbstständigen

Selbstständige Eltern sind nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst. Der djb regt jedoch an, die Umsetzung der Richtlinie zu nutzen, um die finanzielle Absicherung von selbstständigen Schwangeren und Selbstständigen, die ein Kind gebären, zu verbessern.[1]  Dafür sollte der Freistellungsanspruch anlässlich der Geburt auf selbstständige Elternteile ausgeweitet werden.

Darüber hinaus sollte während den Schutzfristen nach dem MuSchG eine ökonomische Absicherung über die 13 Euro pro Tag hinaus und damit eine Gleichstellung mit Arbeitnehmer*innen sichergestellt werden. Dafür sind verschiedene Modelle denkbar, z.B. eine Ausweitung der obligatorischen Leistungen der Krankenkassen während der gesetzlichen Schutzfristen.

2.  Freistellungsanspruch für pflegende Angehörige

Artikel 6 Richtlinie (EU) 2019/1158 sieht ein Recht für Arbeitnehmer*innen vor, fünf Arbeitstage pro Jahr Urlaub für die Pflege von Angehörigen zu nehmen. Die Mitgliedsstaaten können zusätzliche Einzelheiten für den Anwendungsbereich und die Voraussetzungen festlegen. Sie können zudem die Freistellung anhand eines Bezugszeitraumes, der nicht ein Jahr beträgt, für die jeweilige pflege- oder unterstützungsbedürftige Person oder pro Fall gewähren.

Die kurzzeitige Arbeitsverhinderung gem. § 2 PflegeZG geht grundsätzlich über die Anforderungen der Richtlinie hinaus, sodass die Anforderungen der Vereinbarkeitsrichtlinie umgesetzt sind. Der djb regt an, zu prüfen, ob im Sinne der Richtlinie auf den Akutbedarf als Voraussetzung des Anspruchs und die Notwendigkeit, die zwei Wochen zusammenhängend zu nehmen, verzichtet werden kann und stattdessen jedes Jahr das Recht für Arbeitnehmer*innen besteht, sich für zehn Arbeitstage – bei einer fünf Tagewoche – pflegebedingt vergütet freistellen zu lassen.

Die sonstigen Freistellungsansprüche nach dem PflegeZG (§ 3 Abs. 1 S. 2 PflegeZG) und FPfZG (§ 2 Abs. 1 S. 3 FPfZG) sind von der Betriebsgröße abhängig. Deswegen schlägt der djb vor, zu prüfen, ob eine Umlagefinanzierung eingeführt werden kann, damit die Beschränkung für kleine Betriebe entfallen kann.

Schließlich weist der djb erneut darauf hin, dass die Vereinbarkeitsrichtlinie den Urlaub für pflegende Angehörige auch auf im gleichen Haushalt lebende Personen bezieht (§ 3 Abs. 1 Buchstabe d Richtlinie (EU) 2019/1158), diese Personengruppe bisher jedoch im Entwurf für das Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz fehlt und ergänzt werden muss.

3.  Kündigungsschutz

Artikel 12 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/1158 umfasst ein Verbot der Kündigung und aller Vorbereitungen für eine Kündigung aufgrund der Beantragung oder der Inanspruchnahme des Vaterschaftsurlaubs, des Elternurlaubs und des Urlaubs für pflegende Angehörige sowie aufgrund der Inanspruchnahme der flexiblen Arbeitsregelungen.

Ein Verbot für Vorbereitungsmaßnahmen ist bereits in § 17 Abs. 1 S. 3 MuSchG enthalten, jedoch fehlt ein solches Verbot in § 18 BEEG und § 5 PflegeZG. Damit Eltern und pflegende Angehörige auch nach Beendigung ihrer Freistellungsphasen aufgrund von Eltern- und Pflegezeiten geschützt sind, sollte ein nachwirkender Kündigungsschutz eingeführt werden. Ein solcher könnte 4 Monate entsprechend der Regelung zum Mutterschutzgesetz in § 17 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG umfassen.

3.  Flexible Arbeitsregelungen

Artikel 9 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/1158 sieht ein Antragsrecht für flexible Arbeitsregelungen vor. Unter flexiblen Arbeitsregelungen wird in der Richtlinie die Möglichkeit für Arbeitnehmer vorgesehen, ihre Arbeitsmuster anzupassen, einschließlich durch Nutzung von Telearbeit oder flexiblen Arbeitsplänen oder der Reduzierung der Arbeitszeiten (Artikel 3 Abs. 1 Buchst. f Richtlinie (EU) 2019/1158).

Diese von der Richtlinie vorgesehene Flexibilität entspricht den Konzeptionen für ein Wahlarbeitszeitgesetz und ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft des djb.

Der Entwurf für ein Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz sieht ein Antragsrecht nicht für die Telearbeit vor. Die Telearbeit sollte noch ergänzt werden.

 

Prof. Dr. Maria Wersig          
Präsidentin

 

Prof. Dr. Heide Pfarr
Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht

 

Prof. Dr. Cara Röhner
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich

 


[1] Siehe dazu die Petition zum „Mutterschutzgesetz: Gleiche Rechte im Mutterschutz für selbstständige Schwangere“ vom 06.05.2022, https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2022/_05/_06/Petition_133680.nc.html.