zum Referentenentwurf des BMFSFJ „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1158 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates (Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz – VRUG)“
I. Rechte aus der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie
Die Richtlinie (EU) 2019/1158 setzt Mindeststandards für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Durch zeitliche und finanzielle Entlastungen von Arbeitnehmer*innen, die Eltern oder pflegende Angehörige sind, soll eine stärker am Grundsatz der Gleichberechtigung orientierte Verteilung von Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern gefördert werden.
Dafür normiert die Richtlinie individuelle Rechte (vgl. Artikel 1 RL (EU) 2019/1158):
a) Vaterschaftsurlaub, Elternurlaub und Urlaub für pflegende Angehörige;
b) flexible Arbeitsregelungen für Arbeitnehmer, die Eltern oder pflegende Angehörige sind.
II. Zum Referentenentwurf
Der Referentenentwurf beschränkt sich darauf, arbeitsrechtliche Regelungen in Bezug auf die Verringerung der Arbeitszeit während der Elternzeit oder Freistellungen nach dem Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz geringfügig zu verbessern. Dabei beinhaltet der Referentenentwurf insbesondere Vorschriften, die eine Begründung für den Fall vorsehen, dass die Verringerung der Arbeitszeit oder die Freistellung abgelehnt werden. Die Regelung ist wenig effektiv und sollte aus Beweiszwecken wenigstens dahin gehend konkretisiert werden, dass die Begründung schriftlich zu erteilen ist.
Darüber hinaus wird der Kündigungsschutz während Freistellungsphasen nach dem Pflegezeit- und Familienpflegezeitgesetz gestärkt. Der Kündigungsschutz bezieht sich jedoch nur auf die Zeit der Freistellung und umfasst keinen nachwirkenden Kündigungsschutz. Auch wurde bedauerlicherweise kein Kündigungsschutz nach der Rückkehr aus der Elternzeit vorgesehen. Ein solcher könnte 4 Monate entsprechend der Regelung zum Mutterschutzgesetz in § 17 Abs. 1 Nr. 3 MuSchuG umfassen.
Darüber hinaus wird die Antidiskriminierungsstelle für Fragen im Zusammenhang mit Diskriminierungen, die unter die Richtlinie (EU) 2019/1158 fallen, für zuständig erklärt. Die Zuständigkeit beschränkt sich, wie in der Richtlinie vorgesehen, auf Beschäftigt und auf die in Artikel 4 VRUG genannten Gegenstände. Dies stellt eine Minimallösung dar. Wünschenswert wäre eine Ausweitung von „Beschäftigte“ auf „Personen“ und eine Beratung bei Benachteiligungen aufgrund von Sorge- und Pflegearbeit.
III. Vorgaben aus der Richtlinie vollständig umsetzen
a. Vergüteter Freistellungsanspruch für das zweite Elternteil anlässlich der Geburt
Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) kritisiert die unzureichende und lückenhafte Umsetzung der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie, insbesondere weil der sog. „Vaterschaftsurlaub“ von 10 Tagen anlässlich der Geburt fehlt.
Artikel 4 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2019/1158 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten ergreifen die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Väter oder – soweit nach nationalem Recht anerkannt – gleichgestellte zweite Elternteile, Anspruch auf zehn Arbeitstage Vaterschaftsurlaub haben, der anlässlich der Geburt des Kindes des Arbeitnehmers genommen werden muss. Die Mitgliedstaaten können bestimmen, ob der Vaterschaftsurlaub auch teilweise vor der Geburt des Kindes oder ausschließlich danach genommen werden kann und ob er in flexibler Form genommen werden kann.“ (Hervorhebung durch den djb)
Gemäß Artikel 8 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2019/1158 ist der Vaterschaftsurlaub mindestens in Höhe des Krankengeldes zu vergüten.
Begründet wird der Vaterschaftsurlaub in Erwägungsgrund 19 sowohl mit einer gleichberechtigten Verteilung der Sorgearbeit als auch mit dem Aufbau einer engen Bindung an das neugeborene Kind.
Eine Regelung zu einer zwingenden Freistellung des zweiten Elternteils anlässlich der Geburt fehlt bisher im deutschen Recht. Zwar können Väter bzw. Partner*innen Elternzeit nach dem BEEG nehmen. Dies ist jedoch weder verpflichtend noch umfasst dieser zwingend den Zeitraum unmittelbar nach der Geburt. Daher ist das individuelle Recht auf vergütete Freistellung anlässlich der Geburt für das zweite Elternteil gem. Artikel 4 der Richtlinie (EU) 2019/1158 noch nicht im deutschen Recht umgesetzt. Bei der Umsetzung sollte der Begriff des „Urlaubs“ vermieden werden, weil es sich bei einer Freistellung anlässlich der Geburt um keinen Zeitraum handelt, der der persönlichen Erholung, sondern der Sorge- und Familienarbeit dient. Auch sollte nicht der geschlechtsspezifische Begriff des „Vaters“, sondern eine geschlechtsneutrale Formulierung verwendet werden, wie z.B. Partner*in oder zweites Elternteil.
Auf die Ausführungen in der Stellungnahme st21-13 vom 7. Juni 2021 wird ausdrücklich verwiesen.
Der djb fordert die Bundesregierung auf, das Recht gem. Artikel 4 der Richtlinie (EU) 2019/1158 im deutschen Recht bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist umzusetzen und eine vergütete Freistellung des zweiten Elternteils von zehn Tagen anlässlich der Geburt einzuführen. Die Bundesregierung hat die Einführung einer bezahlten Freistellung ausdrücklich im Koalitionsvertrag vereinbart: „Wir werden eine zweiwöchige vergütete Freistellung für die Partnerin oder den Partner nach der Geburt eines Kindes einführen“ (Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 99 f.).
b. Adressat*innenkreis
In der Richtlinie sind erstmals pflegende Angehörige berücksichtigt, während das PflegeZG den Kreis der Anspruchsberechtigten auf 'nahe Angehörige' einengt.
Nach Artikel 3 Abs. 1 d) der Richtlinie (EU) 2019/1158 sind mit „pflegende Angehörige“ diejenigen Arbeitnehmer*innen gemeint, „die einen Angehörigen oder eine im gleichen Haushalt wie der Arbeitnehmer lebende Person, der bzw. die aus schwerwiegenden medizinischen Gründen gemäß der Definition in jedem Mitgliedstaat, auf erhebliche Pflege oder Unterstützung angewiesen ist, pflegen oder unterstützen“.
Die jetzige Formulierung ist daher um die im gleichen Haushalt lebenden Personen zu ergänzen, um die Schutzlücken für diese Personen zu schließen.
Nach dem PflegeZG beschränkt sich der Pflegezeitanspruch derzeit auf Unternehmen mit mindestens 15 Arbeitsnehmenden. Diese Einschränkung ist in der Richtlinie ebenfalls nicht vorgesehen und sollte entsprechend angepasst werden. Gerade Frauen, die auf Grund der Pflegesituation ihren Beruf aufgeben, wenn ihnen kein gesetzlicher Anspruch auf Arbeitsfreistellung zukommt, sind oft in kleinen Betrieben beschäftigt. Zudem besteht über die zehn Tage hinaus nur ein Anspruch auf ein zinsloses Darlehen zur Abfederung der finanziellen Einbußen. Auch das begünstigt die Abwälzung der Pflegeaufgaben auf Frauen, da sie in der Familie häufig diejenigen mit dem geringeren Einkommen sind. Generell ist bei einer finanziellen Absicherung während der Pflegetätigkeit zu fordern, dass für die Unternehmen keine negativen Anreize in Bezug auf die Beschäftigung von Frauen entstehen. Deshalb bietet sich hier – wie bei Krankheits- oder Mutterschutzzeiten – eine Umlagefinanzierung an. Damit können nicht nur die bisherigen Beschränkungen für Kleinbetriebe entfallen, sondern auch die durch die Unterbrechung der Erwerbsbiografie gerade für Frauen entstehenden Lücken in der Alterssicherung abgemindert werden.
Der djb fordert die Bundesregierung außerdem auf, die Umsetzung der Richtlinie als Chance zu nutzen, um über deren Mindestanforderungen hinauszugehen und unter den EU-Mitgliedstaaten eine gleichstellungspolitische Vorreiterrolle einzunehmen. Der djb hat dafür bereits Vorschläge in seiner Stellungnahme vom 13. Juni 2019 zur EU-Vereinbarkeitsrichtlinie gemacht, auf die hier verwiesen wird.
Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin
Prof. Dr. Cara Röhner
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung,
Familienlastenausgleich