Stellungnahme: 22-11


zu den Reformplänen im Familienrecht

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt die Ankündigung des Bundesjustizministers, das Abstammungsrecht für sogenannte Zwei-Mütter-Familien rasch zu reformieren. Bislang haben Kinder, die in eine Ehe zweier Frauen hineingeboren werden, qua Geburt nur einen rechtlichen Elternteil. Demgegenüber wird der Ehemann der Mutter auch dann automatisch Vater des Kindes, wenn das Kind mittels Samenspende eines Dritten gezeugt wurde. Auch die Möglichkeit zur Anerkennung der Elternschaft, wie sie für unverheiratete Väter vorgesehen ist, existiert nicht für unverheiratete Mütter.

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die geltende Rechtslage nicht nur Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften, sondern auch ihre Kinder massiv benachteiligt.[1] An der rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung hängen sämtliche Rechte und Absicherungen des Kindes: von der Staatsangehörigkeit und dem Namen bis zum Sorge-, Unterhalts- und Erbrecht. Insofern ist eine Reform des Abstammungsrechts dringend nötig.

Mini-Reform nur für „offizielle“ Samenspenden

Bundesjustizminister Marco Buschmann hat am 11. Mai 2022 in einer Regierungsbefragung skizziert, wie die Reform ablaufen soll. Demnach soll in einem ersten Schritt eine gesetzliche Elternschaft für Zwei-Mütter-Familien eingeführt werden – jedoch nur in Fällen, in denen das Kind im Rahmen einer reproduktionsmedizinischen Behandlung mittels Samenbank-Samenspende gezeugt wurde (sogenannte „offizielle“ Samenspende). Aus Sicht des djb wäre eine solche Mini-Reform rechtswidrig. Sie würde der Lebensrealität in Zwei-Mütter-Familien nicht gerecht und dient insbesondere nicht dem Kindeswohl. Da die Reform eine Sonderregelung für Zwei-Mütter-Familien schaffen würde, verstieße sie gegen das verfassungsrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot.

Es gibt bereits klare Regelungen bei Mutter-Vater-Familien – auch zur privaten Samenspende

Das geltende Abstammungsrecht unterscheidet zwischen der gesetzlichen Eltern-Kind-Zuordnung bei der Geburt (sogenannte Primärebene) und nachträglichen Korrekturmöglichkeiten (sogenannte Sekundärebene). Anders als landläufig angenommen, spielt es bei der primären Zuordnung bislang keine Rolle, von wem das Kind genetisch abstammt. Die gebärende Frau wird die Mutter. Vater wird ihr Ehemann, oder – wenn die Mutter nicht verheiratet ist – derjenige, der die Vaterschaft anerkannt hat. Die Zuordnung erfolgt anhand einfach feststellbarer Kriterien (Ehe oder Anerkennung), um sicherzustellen, dass das Kind möglichst unmittelbar mit der Geburt zwei rechtliche Eltern bekommt.

Im Hinblick auf die zweite Elternstelle (Vater) sieht das Abstammungsrecht nachträgliche Korrekturmöglichkeiten vor, wenn das Kind genetisch nicht vom rechtlichen Vater abstammt. Diese Korrekturmöglichkeiten sind aber begrenzt und nicht in jedem Fall trumpft die Genetik. So ist auch beachtlich, ob zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind bereits eine sozial-familiäre Beziehung besteht, die entsprechend schützenswert ist. Für den Fall, dass das Kind mittels Samenspende eines Dritten gezeugt wurde, sind die Korrekturmöglichkeiten noch eingeschränkter. So regelt § 1600d Abs. 4 BGB, dass der Samenbank-Samenspender unter keinen Umständen als rechtlicher Vater festgestellt werden kann. Auch der private Samenspender hat kaum eine Möglichkeit, rechtlicher Vater zu werden, da er eine bestehende Elternschaft des rechtlichen Vaters nicht anfechten kann.[2]Dabei ist der private Samenspender aber nicht schutzlos gestellt. Ihm steht unter dem Vorbehalt des Kindeswohls ein Auskunfts- und Umgangsrecht gemäß § 1686a BGB zu. Wenn die zweite Elternstelle frei ist, kann der private Samenspender gerichtlich als Vater festgestellt werden.

Die geltende Rechtslage bringt so die Interessen des Kindes, der rechtlichen Eltern und des Samenspenders in ein ausgewogenes Verhältnis.

Bestehende Ungleichbehandlung von Zwei-Mütter-Familien

Für Familien, in denen nicht Frau und Mann, sondern zwei Frauen zusammenleben und ggf. auch verheiratet sind, gibt es bislang keine automatische Elternschaft der zweiten Person. Die zweite Elternstelle bleibt frei – und dies dauerhaft, wenn die Familie nicht ein Stiefkindadoptionsverfahren durchläuft. Je nach Einzelfall ist dieses Verfahren mit einer detaillierten Prüfung der finanziellen, gesundheitlichen und erzieherischen Eignung der Eltern verbunden und dauert mehrere Monate, unter Umständen sogar Jahre. In all der Zeit ist das Kind nur unzureichend abgesichert. Trennen sich die intendierten Eltern vor Abschluss des Adoptionsverfahrens, bleibt die zweite Elternstelle dauerhaft unbesetzt.

Während der Samenbank-Samenspender auch hier gemäß § 1600 d Abs. 4 BGB von der rechtlichen Elternschaft ausgeschlossen ist, kann der private Samenspender seine rechtliche Vaterschaft jederzeit gemäß § 1592 Nr. 3 BGB feststellen lassen.[3] Die geltende Rechtslage diskriminiert so nicht nur Zwei-Mütter-Familien, sondern sie privilegiert auch den privaten Samenspender in diesen Konstellationen. Für das Kind fehlt die rechtliche Absicherung und es verbleibt in einer rechtlichen Unsicherheit, für die es keine Rechtfertigung gibt. Schlimmstenfalls – wie der Fall des OLG Stuttgart[4]verdeutlicht – wird eine rechtliche Elternschaft entgegen der alltäglich gelebten Familienbeziehungen erzwungen und festgeschrieben. Obwohl die zweite Mutter alltäglich die Elternverantwortung für das Kind übernimmt, gilt sie rechtlich dauerhaft als Fremde für das Kind.

An der Lebensrealität von Zwei-Mütter-Familien vorbei

Eine Mini-Reform im Abstammungsrecht, die nur Zwei-Mütter-Familien und die offizielle Samenspende regelt, belässt einen großen Teil der Familien in der Rechtsunsicherheit. Laut Erfahrungen von Familienberatungsstellen entscheiden sich etwa 40 Prozent der lesbischen Paare für eine private Samenspende.[5] Dafür können Kostenerwägungen sprechen, denn nicht alle Familien können sich die mehrere tausend Euro teure Kinderwunschbehandlung in einer Reproduktionsklinik leisten.[6]Zudem ist der Zugang zu Samenbanken in Deutschland nach wie vor nicht gesetzlich geregelt und insbesondere für Zwei-Mütter-Familien erschwert.[7] In vielen Fällen ist medizinische Assistenz bei lesbischen Paaren mit Kinderwunsch zudem überhaupt nicht erforderlich, weil keine medizinische Indikation vorliegt.

Auch mit Blick auf das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung bevorzugen manche Familien eine private Samenspende. Bei einer offiziellen Samenspende bleibt der Spender anonym. Das Kind hat gemäß § 10 Abs. 1 Samenspenderegistergesetz erst mit 16 Jahren einen Anspruch auf Auskunft über die Daten des Samenspenders. Ob die Person zu diesem Zeitpunkt noch auffindbar ist oder ein Kontakt entsteht, ist fraglich. Viele lesbische Paare wünschen sich hingegen, dass der Samenspender eine aktive Rolle im Leben des Kindes spielt, dem Kind zum Beispiel als „Onkel“ oder Familienfreund von Beginn an bekannt ist. Dennoch handelt es sich in diesen Konstellationen nicht zwingend um gleichberechtigte „Dreiecksverhältnisse“. Vielmehr ist klar, dass die beiden Mütter die verantwortlichen Eltern sind.  

Eine Reform, die die private Samenspende ausblendet, wird damit schon der Lebensrealität der Familien nicht gerecht.

Reformankündigung löst die Probleme nicht, schafft aber neue

Die angekündigte Schmalspurreform wäre mit der bestehenden Gesetzessystematik im Abstammungsrecht und mit den Grundrechten unvereinbar.

Das geltende Abstammungsrecht unterscheidet bei der gesetzlichen Primärzuordnung nicht nach der Zeugungsart. Der Ehemann der Mutter wird automatisch Vater – unabhängig davon, ob das Kind innerhalb der Ehe, in einer außerehelichen Beziehung, mit Hilfe eines privaten Samenspenders oder mittels Samenbank-Samenspende entstanden ist. Die Zeugungsart wird nicht ermittelt. Anknüpfungspunkt für die Zuordnung ist allein die Ehe mit der Mutter oder die Anerkennung.

Die private Samenspende ist wie aufgezeigt kein neues Phänomen in Zwei-Mütter-Familien, sondern im geltenden Recht durch die Regelegungen zur primären Zuordnung mit anschließender Korrekturmöglichkeit geregelt. Würde eine Reform nur bei Zwei-Mütter-Familien nach der Zeugungsart unterscheiden, bei heterosexuellen Paaren jedoch nicht, wäre dies eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts gem. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG und der sexuellen Orientierung gem. Art. 3 Abs. 1 GG. Diese ist nicht durch biologisch zwingende Gründe gerechtfertigt, da die gesetzliche Eltern-Kind-Zuordnung nicht an die genetische Abstammung anknüpft. Mit Blick auf die sexuelle Orientierung ist sie jedenfalls unverhältnismäßig.

Würde nur die offizielle Samenspende zur rechtlichen Absicherung von Kindern in Zwei-Mütter-Familien führen, müsste sie zukünftig „erkauft“ werden. Nur für queere Paare würde damit ein Bereich intimer Lebensgestaltung unnötig medikalisiert, staatlicher Kontrolle unterworfen – und von ihrer finanziellen Situation abhängig gemacht. Profitieren würden vor allem die kommerziellen Kinderwunschzentren.

Reform – gleich richtig.

Stattdessen kann die bestehende Ungleichbehandlung von Kindern in Zwei-Mütter-Familien schon jetzt einfach beseitigt werden, indem eine den §§ 1592 Nr. 1 und Nr. 2 BGB vergleichbare Regelung für Frauen bzw. unabhängig vom Geschlecht des Elternteils geschaffen wird, ohne zwischen der Art der Zeugung zu differenzieren.[8]Jetzt ist schnellstmöglich dafür zu sorgen, dass alle Kinder – unabhängig vom Geschlecht ihrer Eltern – qua Geburt rechtssicher zwei Eltern erhalten können und keine Elternstelle künstlich freibleibt.

 

Prof. Dr. Maria Wersig                    Dr. Anna Lena Göttsche
Präsidentin                                        Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht,
                                                                            Recht anderer Lebensgemeinschaften

 


[1]www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st20-27; www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st19-08.

[2] BGH, Urteil vom 15.5.2013 − XII ZR 49/11, Rn. 21-22.

[3] OLG Stuttgart, Beschluss vom 7.4.2022, 11 UF 39/22. 

[4] Ebda.

[5] Bundesinteressengemeinschaft Regenbogenfamilien (2019): Stellungnahme der BIG-Regenbogenfamilienfachkräfte zum Diskussionsteilentwurf zur Reform des Abstammungsrechts, online unter big-regenbogenfamilien.de/wp-content/uploads/BIG-RBFF_Stellungnahme_Abstammungsrechtsreform.pdf, S. 2.

[6] Die Kosten werden in der Regel nicht erstattet. Seit letztem Jahr bezuschussen einige Bundesländer aus eigenen Mitteln die Kinderwunschbehandlung lesbischer Paare, aber nur in geringem Umfang: In Rheinland-Pfalz etwa sind es 12,5 Prozent der Gesamtkosten.

[7] Bis heute sehen nur die Leitlinien der Ärztekammer Hamburg explizit die Behandlung von lesbischen Paaren vor. In vielen anderen Bundesländern muss die Behandlungspraxis einzeln erfragt werden.

[8] Eine solche abstammungsrechtliche Gleichstellung entspricht den Regelungsvorschlägen des Arbeitskreises Abstammungsrechts (Arbeitskreis Abstammungsrecht (2017): Abschlussbericht.) sowie des Diskussionsteilentwurfs (BMJV (2017): Diskussionsteilentwurf. Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Abstammungsrechts.), den das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2019 vorlegte.