Stellungnahme: 23-33


zum Eckpunktepapier „Ein faires Unterhaltsrecht für Trennungsfamilien“ vom 24. August 2023

Stellungnahme vom

I. Einleitung

Der djb begrüßt die Initiative der Bundesregierung, das Unterhaltsrecht zu reformieren. Allerdings sind die bisher veröffentlichten Reformpläne nach Auffassung des djb lückenhaft und kaum umsetzbar. Eine „Insellösung“ für Teilbereiche des Kindesunterhaltsrechts erscheint nicht sinnvoll und ist rechtssystematisch widersprüchlich.

Laut Eckpunktepapier des Bundesjustizministeriums (BMJ) vom 24.08.2023 soll das Kindesunterhaltsrecht ausschließlich für die Betreuungsform des erweiterten Umgangs (dort „asymmetrisches Wechselmodell“ genannt) inhaltlich verändert werden, also wenn sich das Kind zwischen 30 und 49 Prozent der Übernachtungen im Haushalt des anderen Elternteils aufhält. Im Übrigen soll es bei dem „bewährten Konzept“ bleiben, das der Bundesgerichtshof (BGH) aus den Unterhaltsregeln des BGB für das sogenannte Residenzmodell und das sogenannte paritätische Wechselmodell entwickelt hat.

So, wie das Eckpunktepapier die neuen Regeln für den erweiterten Umgang formuliert, passen sie nicht in die Dogmatik des Kindesunterhalts im Residenzmodell und im Wechselmodell. Entweder sollte der Gesetzgeber das Unterhaltsrecht für alle Kindesunterhaltsansprüche neu bzw. überhaupt regeln, oder er muss den in den Blick genommenen Ausschnitt widerspruchsfrei zu dem bestehenden System ordnen. Beides gelingt hier nicht. Hinzu kommt: Vor allem bei engen finanziellen Verhältnissen dürfte unter Beibehaltung der derzeitigen Unterhaltstabellen kaum Raum sein für die beabsichtigte Privilegierung der Umgang ausübenden Elternteile – weit überwiegend Väter. Die Eckpunkte des BMJ nehmen schwerpunktmäßig höhere Einkommensbezieher*innen in den Blick. So geht das erste Rechenbeispiel des Eckpunktepapiers von elterlichen Einkommen von 4.000 Euro und 2.000 Euro aus. Im zweiten Rechenbeispiel (4.000 Euro und 1.000 Euro) besteht auf Seiten des hauptbetreuenden Elternteils – empirisch weit überwiegend Mütter – ein Mangel. Dieser Mangel wird an das Kind weitergeleitet, wenn die Mutter des Kindes zu einer weitergehenden Beteiligung an dem Unterhalt des Kindes verpflichtet wird, obwohl dafür bei ihr wegen fehlender Leistungsfähigkeit keinerlei finanzieller Spielraum besteht. Sie wird das Kind nicht entsprechend alimentieren können. Leitet sie den Mangel nicht weiter, dann akzeptiert sie faktisch, dass sie weniger als den ihr zustehenden Selbstbehalt verteidigen darf, und steht damit deutlich schlechter da als der Vater. Ist die Mutter so wenig leistungsfähig, dass sie gar nicht für das Kind aufkommen kann, dann können nur die durch Bürgergeld, Wohngeld etc. greifenden sozialen Netze die Mangellage beim Kind abfedern. Der djb fordert daher, den Kindesunterhalt bei nicht leistungsfähigen Elternteilen nicht zu kürzen. Denn so würden Kinder ohne Not auf einen unsicheren Anspruch gegen den Staat verwiesen, der das Sozialhilfeniveau nicht überschreiten kann.

Im Eckpunktepapier ist ein konkreter Rechenweg für die Ermittlung von Unterhaltsansprüchen vorgesehen. Dieser dürfte allerdings für die anwaltliche und gerichtliche Praxis kaum umsetzbar sein. Es wäre schon ein absolutes Novum, wenn seitens des Gesetzgebers Rechenwege beschrieben würden. Auch hier dürfte dann aber eine „Insellösung“ nur für ausgewählte Konstellationen erfolgen. Gravierender noch kommt hinzu, dass die Grundlage für die gewählte Rechenlösung sich dann zwingend im Gesetz wiederfinden müsste. Das ist aber schon deswegen nicht gewährleistet, weil die als Anknüpfungspunkt gewählte Düsseldorfer Tabelle nur im Ausgangspunkt (Mindestunterhalt, siehe die erste Stufe der Düsseldorfer Tabelle) auf einer Verordnung basiert. Alle anderen Elemente (Bemessung der Einkommensstufen, Bemessung der Unterhaltssteigerung je nach Einkommensstufe, Bezugsrahmen ein*e oder mehrere Unterhaltsberechtigte*r) sind nicht gesetzlich vorgegeben. Für diese Teile müsste der Gesetzgeber insgesamt Verantwortung übernehmen, und nicht nur für einen Minimalausschnitt, wie unter 3. für den notwendigen Selbstbehalt angekündigt.

Soweit das Eckpunktepapier eine Novelle des Unterhalts für den betreuenden nicht verheirateten Elternteil vorsieht, ist diese Initiative aus Sicht des djb überfällig und zu begrüßen. In der Absicht, den Unterhaltsanspruch der Höhe nach an den Unterhaltsanspruch verheirateter oder geschiedener Ehegatten anzugleichen, zeigen sich gute Ansätze. Die geplanten Änderungen werden jedoch an den bisherigen Unzulänglichkeiten der Unterhaltsansprüche wenig ändern, wenn nicht zusätzlich ein Altersvorsorgeunterhalt geregelt wird.

 

II. Der djb nimmt zu den vorgeschlagenen Änderungen im Detail wie folgt Stellung:

1. Beabsichtigte Neuregelung zum Kindesunterhalt

a) Das Eckpunktepapier geht davon aus, dass nur für die Familien eine Neuregelung erforderlich ist, die eine asymmetrische Kinderbetreuung im erweiterten Umgang organisieren. Im Blick des BMJ sind Familien, bei denen die Kinder zwischen 30 und 49 Prozent der Zeit bei dem einen Elternteil, und 51 bis 70 Prozent der Zeit bei dem anderen Elternteil verbringen. Diese Konstellation dürfte im Vergleich aller Betreuungsmodelle nach Trennung jedoch nur einen geringen Anteil ausmachen.[1] Da es sich – rein statistisch – bei dem Umgangselternteil ganz überwiegend um den Vater und beim hauptbetreuenden Elternteil ganz überwiegend um die Mutter der Kinder handelt, hat die beabsichtigte Regelung eine ganz erhebliche unterschiedliche Auswirkung auf Frauen und Männer.[2]

b) Aus Sicht des djb ist es – mit Blick auf das Ziel einer gleichberechtigteren Verteilung von Care-Arbeit – grundsätzlich sinnvoll, eine ausgedehnte Betreuung des Kindes im Haushalt des umgangsberechtigten Elternteiles finanziell zu berücksichtigen. Richtig ist, dass – so wie in dem Eckpunktepapier unterstellt – eine gewisse Schieflage zu Lasten der Väter mit erweitertem Umgang entstanden ist. Sie betrifft allerdings das Verhältnis von Barunterhaltspflichtigen, die erweiterten Umgang pflegen, und denjenigen, die keinen Umgang praktizieren. Zugleich besteht das größte Problem darin, dass nur etwa 25 Prozent aller Trennungskinder überhaupt den ihnen zustehenden Mindestunterhalt erhalten. Das heißt, die vom Gesetz als „Normalfall“ unterstellte Grundregel „eine(r) betreut, eine(r) bezahlt“ trifft in etwa 75 Prozent der Fälle tatsächlich gar nicht zu.[3] In diesen Konstellationen springt vielmehr - bei entsprechender Leistungsfähigkeit - der betreuende Elternteil (in der Regel die Mutter) faktisch für den Unterhalt ein, ohne Selbstbehaltssätze verteidigen zu können. Dieser Ausfall wird nur unvollständig durch staatliche Unterhaltsvorschussleistungen aufgefangen. Sie decken wegen des Vorwegabzuges des vollen Kindergeldes nach § 2 Abs. 2 UVG nicht einmal den an sich benötigten Mindestunterhalt des Kindes ab. Zudem sieht das Unterhaltsvorschussrecht bis heute bei Neuverheiratung der Mutter einen Wegfall dieser Ausfallzahlung vor (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG). Außerdem fallen beim erweiterten Umgang ab einem Drittel der Umgangszeiten nach den Richtlinien zum Vollzug des Unterhaltsvorschussgesetzes die Unterhaltsvorschussleistungen weg.[4]

c) Für Elternteile, die ihre Kinder nach der Trennung zu mehr als 30 Prozent der Zeit betreuen, werden in der Rechtsprechung aktuell im Wege einer Herabstufung in der Düsseldorfer Tabelle (DT) Abschläge vom eigentlichen Zahlbetrag gemacht. Das Eckpunktepapier geht davon aus, dass die Abzugsbeträge den Einsatz der unterhaltspflichtigen Elternteile nicht gerecht widerspiegeln würden. Es solle deshalb das Ziel verfolgt werden, die Abzugsbeträge zu erhöhen. Ein Blick in die aktuelle DT zeigt, dass die Herabstufungen tatsächlich zu eher geringen Einsparbeträgen auf der Seite der Unterhaltspflichtigen führen (bei einer Herabstufung um eine Stufe in der DT zwischen 22 und 47 Euro, je nach Einkommensklasse und Alter des Kindes). Allerdings, und das verkennt das Eckpunktepapier, ist der geringe Effekt einer Herabstufung vor allem die Folge eines deutlich zu geringen Anstiegs der Barunterhaltspflicht mit höheren Einkommen in der Tabelle.

Alternativ zu der nun vom BMJ vorgeschlagenen komplexen Berechnung wäre es nach Auffassung des djb jedenfalls naheliegender, schlicht eine Herabstufung um zwei Stufen vorzuschreiben – soweit dies unter Wahrung des Mindestbedarfs jeweils möglich ist. Damit würden einheitliche und durchaus spürbare Entlastungen bewirkt werden.[5] Sollte ein noch stärkerer Entlastungseffekt erreicht werden, müsste die Düsseldorfer Tabelle in ein Verordnungswerk oder eine gesetzliche Regelung überführt werden, die einen stärkeren Anstieg der Tabellenwerte bei höheren Einkommen vorsieht. Denn nur eine Düsseldorfer Tabelle in Verordnungsform könnte Anknüpfungspunkt für eine gesetzliche Regelung sein.

Eine weitere Alternative wäre es, durch eine Reform der Düsseldorfer Tabelle die Verpflichtung der Elternteile, die nur Barunterhalt zahlen und nicht mitbetreuen, angemessener zu gestalten. Wesentlich ist dabei generell eine Erhöhung des Mindestunterhalts, der bisher die Wohnkosten des Kindes pauschal unzureichend berücksichtigt. Ein stärkerer Anstieg der Unterhaltspflicht mit steigendem Einkommen des Barunterhaltspflichtigen erscheint im Hinblick auf die Annahme, dass dieser keinen Umgang mit dem Kind hat, angezeigt. Regelt man darauf aufbauend, dass bei einem Umgang etwa von 15 bis 29 Prozent regelmäßig eine Herabstufung um eine Stufe in der DT erfolgen soll und bei erweitertem Umgang von 30 bis 49 Prozent eine Herabstufung um zwei Stufen, wäre ein angemessener Ausgleich für den Umgang gewährleistet, ohne den Unterhalt von Kindern weiter zu gefährden. Bis auf die Ausgaben während des Umgangs bliebe die (Ausgaben-)Verantwortung für den (Natural-)Unterhalt insgesamt bei dem hauptbetreuenden Elternteil.

d) Die im Eckpunktepapier vorgeschlagene Ermittlung eines „Abschlags“ von der Barunterhaltszahlung um 15 Prozent ist nach Auffassung des djb nicht mit der bisherigen Dogmatik des Unterhaltsrechts vereinbar. Der djb lehnt diesen Abschlag daher ab.

Dieser Vorschlag folgt gerade nicht den durch die aktuelle Rechtsprechung des BGH definierten Regeln zu den anderen beiden Betreuungsformen. Es zeigen sich ganz erhebliche Widersprüche zu der Unterhaltsberechnung im Residenzmodell und zu derjenigen im symmetrischen Wechselmodell:

aa) Das Eckpunktepapier setzt im Berechnungsteil die aus Sicht des djb zutreffende Ansicht des BGH um, nach der sich der grundsätzliche Bedarf eines Kindes immer (das heißt, beim Zusammenleben der Familie, im Residenzmodell, bei erweiterten Umgängen und auch im paritätischen Wechselmodell) aus der Summe der Einkünfte der Eltern ergibt.[6] Der grundsätzliche Bedarf eines Kindes bleibt danach unabhängig von der konkreten Betreuungsform im Wesentlichen gleich. Er ist um die anfallenden Mehrkosten erhöht, wenn in mehreren Haushalten Räumlichkeiten und ggf. auch Kleidung für das Kind vorgehalten werden müssen.

Unschärfen schleichen sich aber ein, wenn das Eckpunktepapier unter Ziff. 1 (S. 2) behauptet, dass der umgangsberechtigte Elternteil im Residenzmodell allein für den Bedarf des Kindes aufkommen würde. Das ist nicht richtig. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH ergibt sich der Unterhaltsbetrag, den dieser Elternteil aufbringt, aus einer abgekürzten Berechnung, die aus Vereinfachungsgründen allein das Einkommen des nicht betreuenden Elternteils zugrunde legt.[7] Der eigentliche Bedarf des Kindes ist höher (s.o.) und entspricht dem aus den zusammengerechneten Einkünften der Eltern entsprechenden, aus der Düsseldorfer Tabelle abzulesenden, in der Regel deutlich höheren Betrag. Für den offenbleibenden Anteil am Bedarf kommt der hauptbetreuende Elternteil auf.

Es ist aus Sicht des djb irritierend, wenn sich diese – der BGH Rechtsprechung zum Kindesunterhalt seit Jahren zugrundeliegende – Erkenntnis im Eckpunktepapier nur teilweise wiederfindet und dadurch das unzutreffende Narrativ bedient wird, die nicht betreuenden Väter müssten allein für den Barbedarf der Kinder aufkommen. Gerade weil daran auch die These anknüpft, das geltende Unterhaltsrecht sei „ungerecht“, muss vielmehr in aller Deutlichkeit festgehalten werden, dass leistungsfähige Mütter seit jeher zu den Kosten des Unterhalts der in ihrem Haushalt lebenden Kinder beitragen.

Die künftige Konzeption eines widerspruchsfreien Unterhaltsrechts kann und muss auf der Feststellung fortgeschrieben werden, dass die zusammengerechneten Einkünfte beider Elternteile den Mindestbedarf des Kindes prägen.

bb) Es ist weder begründet noch nachvollziehbar, warum bei der Berechnung des Kindesbedarfs 15 Prozent in Abzug gebracht werden sollen, wenn zwischen dem unterhaltspflichtigen Elternteil und dem Kind Kontakte im Umfang von 30 bis 49 Prozent der Übernachtungen stattfinden. Wie schon der Deutsche Familiengerichtstag 2023 anlässlich der Vorstellung des Eckpunktepapieres kritisierte, kann es hier nicht um Ersparnisse und einen Minderbedarf des Kindes gehen. Allenfalls könnte man darüber nachdenken, ob eine durch ausgedehnte Umgänge entlastete Mutter sich weitergehend als bisher am Barunterhalt beteiligen sollte. Das scheidet jedoch bei mangelnder Leistungsfähigkeit aus.

cc) Die Kostenersparnis der Mutter durch erweiterte Umgänge des Kindes beim Vater beziffert das Eckpunktepapier mit 15 Prozent[8] - wohlgemerkt 15 Prozent des aus dem beiderseitigen Einkommen ermittelten Gesamtbedarfs eines Kindes. Nach Auffassung des djb ist dieser Betrag keinesfalls realistisch. Im Anhang sind für alle Einkommens-und Altersstufen die Beträge ausgewiesen, die sich bei dieser Einschätzung nach der aktuellen Düsseldorfer Tabelle ergeben. Ein Beispiel: Bei einem 10jährigen Kind ist – wenn die Eltern, die bereinigt zusammen 4.000 Euro verdienen – ein Gesamtbedarf von 683 Euro aufgerufen, 15 Prozent daraus sind 102,45 Euro. Es ist in keiner Weise plausibel, woraus sich eine solch hohe Kostenersparnis wegen eines 30 % umfassenden Umgangs des Vaters ergeben soll.

dd) Ein wesentlicher Widerspruch zu Unterhaltsregelungen in anderen Betreuungsmodellen ergibt sich daraus, dass der BGH im (symmetrischen) Wechselmodell gerade nicht von einer Ersparnis, sondern von einem erheblichen Mehrbedarf ausgeht. Dahinter steckt die zutreffende Erkenntnis, dass das Vorhalten eines eigenen Zimmers in zwei Haushalten mehr kostet. Denn die hauptsächlich betreuende Mutter spart einerseits keinen Cent Wohnkosten, nur weil das Kind öfter beim Vater übernachtet. Andererseits kostet auch das Kinderzimmer im Haushalt des Vaters Geld. Lediglich Verbrauchskosten für Nahrung fallen tatsächlich anteilig nicht mehr bei der Mutter an, sondern werden vom Vater gedeckt. Ein Kind hat also nicht weniger „Bedarf“, wenn es häufig vom Vater betreut wird, sondern der gleichbleibende Bedarf und der Mehrbedarf wird vom Vater durch die Gewährung von Naturalunterhalt gedeckt. Es ist davon auszugehen, dass bei den erweiterten Umgängen nur zum Teil echte Kostenersparnisse im Haushalt der Mutter entstehen. Da andererseits der längere Aufenthalt in zwei Haushalten auch Mehrkosten mit sich bringt, kann der Bedarf des Kindes nur steigen, nicht sinken.

Soweit hier das Eckpunktepapier die dogmatische Unterschiedlichkeit zwischen dem Bedarf des Kindes einerseits und dem Barunterhalt andererseits nicht konform zur Rechtsprechung des BGH und der Regelungen im BGB zugrunde legt, überzeugt das nicht. Die vorgestellten Rechenschritte leiden insgesamt unter der Gleichsetzung der Begriffe „Bedarf“ und „Unterhalt“ und hier schleichen sich – zulasten der hauptbetreuenden Elternteile – Widersprüchlichkeiten zum bestehenden System ein.

ee) Der Abzug von 15 Prozent stellt also keine Gerechtigkeit her, sondern eine ganz erhebliche Schieflage, die direkt in Kinderarmut mündet. Gerade bei hauptbetreuenden Elternteilen, die nicht leistungsfähig sind, kommt es nicht in Betracht, den Mindestunterhalt des Kindes (der in diesen Fällen dem Bedarf entspricht) wegen einer ausgedehnten Betreuung beim Vater zu kürzen, denn Betreuung kann das Kind nicht ernähren, nicht kleiden, nicht auf Klassenfahrt schicken und vieles mehr.

Aus diesen Gründen lehnt der djb jedwede Kürzung des „Bedarfs“ ab. Sollte wie vorgeschlagen eine Größenordnung von 15 Prozent in Abzug gebracht werden, würde für viele Kinder eine unerträgliche Unterdeckung entstehen.[9]

e) Soweit das Eckpunktepapier zusätzlich eine Bewertung der Betreuung des Kindes und daraus resultierende Kürzungen des geschuldeten Unterhalts vorschlägt, kann dem nicht gefolgt werden. Nach dem Reformvorschlag sollen Betreuungsanteile im Ergebnis zur Korrektur des nach Haftungsanteilen bemessenen Zahlbetrages eingesetzt werden. Auch das widerspricht eklatant der bisherigen – nach Auffassung des Eckpunktepapiers aber doch fortzuführenden – Rechtsprechung des BGH, dass die Betreuung eines Kindes nie Barunterhalt ersetzen oder Barbedarf decken kann.[10] Offenbar ist eigentlich gemeint, dass wegen der Betreuung des Umgangselternteils auch die hauptbetreuenden Person Unterhalt schulde. Eine solche Beteiligung könnte aber jedenfalls nicht im Rahmen einer „Insellösung“ nur für den hier gemeinten Unterhalt bei erweiterten Umgängen geregelt werden, sondern müsste dann auch für Unterhaltszahlungen im Residenzmodell geregelt werden.

Der djb steht einer noch stärkeren Beteiligung des betreuenden Elternteils an dem Barbedarf des Kindes skeptisch gegenüber. Jedenfalls müsste bei Umsetzung dieses Wunsches notwendig eine Anpassung an den Unterhalt in anderen Betreuungsformen hergestellt werden. Vor allem im Wechselmodell dürfte das schwierig werden, weil – anders als im Eckpunktepapier unterstellt – dogmatisch hier noch einiges streitig ist. Insbesondere erzeugt die vom BGH vertretene Auffassung in der Praxis erhebliche Probleme, wonach zwar die in zwei Haushalten entstehenden Wohnkosten zu einem Mehrbedarf führen, dieser Mehrbedarf jedoch nicht pauschaliert berechnet werden dürfe.[11] Die konkrete Berechnung betrifft nur einen Haushalt, während in dem Haushalt des anderen Elternteils die Wohnkosten letztlich aus dem im Mindestunterhalt enthaltenen pauschalierten Wohnkostenanteil entnommen werden. Es ist ungeklärt, warum hier unterschieden wird und auf wessen Haushalt die pauschalierte und auf wessen die konkrete Bemessungsmethode angewendet werden soll.

Auch weicht die im Eckpunktepapier (Berechnungsteil) vorgeschlagene Berechnung für die Kindergeldanrechnung von der gefestigten Rechtsprechung des BGH ab, wonach das Kindergeld hälftig noch vor der Ermittlung von Haftungsanteilen in Abzug zu bringen ist.[12] Hier müsste eine einheitliche Herangehensweise sichergestellt oder die Abweichung schlüssig begründet werden. Sonst ist zu befürchten, dass die als „Insellösung“ geplante Regelung zum Unterhaltsanspruch bei erweiterten Umgängen (unerwünschte) Auswirkungen auf die Unterhaltsberechnung im Residenzmodell und im Wechselmodell haben wird.

f) Dabei sollte das Hauptproblem bei beiderseitiger Haftung auf Unterhalt bei der gewählten Konzeption in jedem Fall geregelt werden: Die Frage, wer für die Anschaffungen für das Kind zuständig ist und sie auch tatsächlich erledigt. Aktuell kann kein Zweifel bestehen, dass eine hauptbetreuende Mutter, die den Barunterhalt für ihr Kind vom Vater bekommt, sämtliche nicht auf schlichten Verbrauch gerichtete Anschaffungen für das Kind tätigen soll. Was bei Unterhaltsflüssen im symmetrischen Wechselmodell bereits jetzt große Schwierigkeiten bereitet, würde nach der im Eckpunktepapier vorgeschlagenen Konzeption künftig auch Probleme im erweiterten Umgang erzeugen. Hier benötigt die Praxis ein Instrument der Verantwortungszuweisung. Deshalb wäre es wünschenswert, wenn die Familiengerichte einem Elternteil diese Aufgabe zuweisen und ihm im Rahmen der Unterhaltsbemessung die Empfangsbefugnis für den dafür benötigten Betrag zusprechen könnten.

g) Ergebnis

Das Unterhaltsrecht ist zuletzt im Jahre 2008 grundlegend reformiert worden. Bereits damals hat der djb kritisch angemahnt, dass Unterhaltsrechtsreformen nicht den Blick auf eine vermeintliche Modernität und eine wünschenswerte Verteilung von Cash- und Care Arbeit zwischen den Eltern verengen dürfen. Sie müssen vielmehr an dem aktuellen Lebensmodell von Trennungsfamilien erarbeitet werden.[13] Mit der Reform des Ehegattenunterhalts 2008 hat man einen gewünschten Zustand geregelt und sich daraus erhofft, dass die Lebenswelt sich ändern würde. Das ist auch 15 Jahre später nicht geschehen.[14] Leidtragende sind die Mütter, die wegen der Betreuung von Kindern beruflich zurückgesteckt haben. Auch wegen der Beibehaltung des Ehegattensplittings, das nach wie vor Fehlanreize für die Rollenverteilung in Haushalten mit Kindern setzt, entstehen durch die Teilung von Erwerbs- und Sorgearbeit während der Ehe Nachteile, die das ausschließlich nach einer Trennung forensische Unterhaltsrecht auffangen muss. Nach Auffassung des djb dürfen sich die Fehler der Unterhaltsrechtsreform 2008 nicht wiederholen. Wird der Kindesunterhalt jedoch wie geplant eingekürzt, geschieht genau das.

2. Beabsichtige Regelung des Betreuungsunterhalts der nichtehelichen Mutter

Der djb begrüßt ausdrücklich, dass der Gesetzgeber den Unterhaltsanspruch der nichtehelichen Mutter stärken möchte. Die in dem Papier angekündigten Änderungen sind dafür allerdings nicht ausreichend.

a) Die Schwächen der bisherigen Ausgestaltung des Unterhaltsanspruchs der nicht mit dem Vater des gemeinsamen Kindes verheirateten Mutter liegen in der Anknüpfung an das vorgeburtliche Einkommen. Gleichzeitig wird der Unterhaltsanspruch auf den Betrag gedeckelt, den auch eine (einst) verheiratete Mutter geltend machen könnte. Das heißt, aktuell erhält eine nichteheliche Mutter infolge der Anwendung des sogenannten Halbteilungsgrundsatzes nach der vom Bundesverfassungsgericht bestätigten, gefestigten Rechtsprechung des BGH nie mehr Elementarunterhalt als eine betreuende, eheliche Mutter.[15] Hat also beispielsweise eine Mutter vor der Geburt des gemeinsamen Kindes 3.000 Euro netto verdient und beträgt das Gehalt des Vaters nach Abzug des Kindesunterhalts bereinigt 5.600 Euro, dann kann die Mutter keineswegs 3.000 Euro verlangen. Obgleich die dem Vater zustehenden Selbstbehaltssätze nicht im Ansatz tangiert werden, wird hier – wie bei einer getrennt lebenden Ehefrau – der Unterhaltsanspruch nach der den Halbteilungsgrundsatz wahrenden Quotenmethode ermittelt und beläuft sich daher unter Berücksichtigung des Erwerbsanreizes (10 Prozent) nur auf 2.520 Euro (5.600 Euro: 20 x 9). Hat die Mutter im umgekehrten Fall allerdings nur 1.500 Euro verdient, muss der Vater trotz der bestehenden Leistungsfähigkeit nur für diesen geringeren Betrag aufkommen. Das Elterngeld, das die Mutter erhält, wird bis auf den Sockelbetrag in Höhe von 300 Euro darauf angerechnet (§ 11 S. 1 BEEG), was faktisch vor allem den Vater entlastet.

b) Der djb begrüßt daher, dass das Eckpunktepapier bezüglich der Höhe des Unterhalts wenigstens bei „vergleichbaren“ Lebenslagen eine Anpassung vorsieht. Danach wäre zum Teil höherer Unterhalt wie nach den „eheprägenden“ Verhältnissen geschuldet. Im zuletzt genannten Beispiel wäre also für eine nicht verheiratete Mutter mit vorgeburtlichen Einkünften ebenfalls ein Betrag in Höhe von 2.520 Euro geschuldet.

c) Die Zeitspanne, in der Unterhalt aufzubringen ist, müsste gerade für die Paare, die über längere Zeit eine Lebensgemeinschaft geführt haben, ausgedehnt werden. Eine Angleichung ist schon im Jahr 2008 für (einst) verheiratete Mütter erfolgt. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. Februar 2007[16] musste die bis dahin geltende temporäre Begrenzung des Unterhaltsanspruchs der unverheirateten Mutter parallel zu der zeitlichen Begrenzung des Betreuungsunterhaltsanspruchs der verheirateten Mutter gemäß § 1570 BGB ausgestaltet werden. Ein faires Unterhaltsrecht würde – je nach Dauer der Lebensgemeinschaft – eine Angleichung dahingehend abbilden, dass auch nach dem Ende der Betreuung gemeinsamer Kinder für eine Zeit lang Unterhalt durch den hauptbetreuenden Elternteil verlangt werden kann.

d) Eine tatsächliche Verbesserung der finanziellen Lage der betroffenen Mütter enthält der Vorschlag selbst in den Fällen „vergleichbarer Lebenslage“ allerdings nur bei erheblicher Leistungsfähigkeit des Vaters. Schon jetzt ist nämlich die in § 1615l Abs. 2 BGB für den Unterhaltsanspruch der Mutter gewählte Begrenzung auf vorgeburtliche Einkünfte unbedeutend, wenn der Vater nicht in größerem Umfang leistungsfähig ist. Hat eine Frau vor der Geburt ihres Kindes netto 2.400 Euro verdient und verbleiben dem Vater des Kindes nach der Zahlung von Kindesunterhalt nur 2.000 Euro, dann wird sie ohnehin nur einen den Selbstbehalt (aktuell 1.510 Euro) des Vaters schonenden Unterhalt in Höhe von 490 Euro verlangen können (2.000 Euro - 1.510 Euro).

In dieser Situation müssten der Mutter anrechnungsfreie Hinzuverdienste „erlaubt“ werden – was aktuell nicht möglich ist. Reicht das Einkommen des Vaters nicht aus, um den vorgeburtlichen Bedarf der Mutter zu decken, dann werden im Ergebnis Einkünfte der Mutter sogar angerechnet, wenn sie nur mit eigenen Einkünften ihren ehemaligen Lebensstandard halten könnte. Entscheidet sich die Mutter im zuletzt berechneten Beispiel für einen Job, mit dem sie ihre vorgeburtlichen Einkünfte wieder erreicht (benötigtes Einkommen 1.910 Euro), wird sie – anstatt ihren Lebensstandard halten zu können – (noch) weniger Unterhalt erhalten. Wegen der Anrechnung dieser Einkünfte erhält sie nur noch 40,50 Euro (2.000 Euro – 1910 Euro = 90 Euro: 20 x 9). Die Frage, ob die Einkünfte überobligatorisch sind und deswegen nicht angerechnet werden, muss sie vor Gericht ausfechten. Im Übrigen landen ökonomisch betrachtet auch die Elterngeldeinkünfte – bis auf den nach § 11 Abs. 1 BEEG anrechnungsfreien Sockelbetrag in Höhe von 300 Euro – gerade nicht bei der nicht verheirateten Mutter, sondern entlasten ausschließlich den Vater von bestehenden Unterhaltspflichten nach § 1615l Abs. 2 BGB.

Nach dem Eckpunktepapier soll es für Mütter ohne Lebensgemeinschaft mit dem Vater bei dieser defizitären Gesetzeslage bleiben, die auf vorgeburtliche Einkünfte abstellt und dennoch Anrechnungen vorsieht. Diese Differenzierung hält der djb nicht für sachgerecht. Selbst wenn man davon ausgehen möchte, dass die Mütter der aus „Einmalbegegnungen“ hervorgegangenen Kinder nicht einen am Lebensstandard des Vaters orientierten Unterhaltsanspruch verfolgen können, sollte ihnen in jedem Fall bei fehlender Leistungsfähigkeit des Vaters die Möglichkeit offenstehen, anrechnungsfrei aus eigener Kraft soviel dazu zu verdienen, dass sie ihren vorgeburtlichen Lebensstandard halten können. Aktuell sind sie darauf angewiesen, dass Einkünfte aus Erwerbstätigkeit als überobligatorisch anerkannt werden. Das ist allerdings dem Ermessen der erkennenden Richterinnen und Richter vorbehalten und stellt keine Rechtssicherheit her.[17]

e) Nach Auffassung des djb kann der Gesetzgeber außerdem angesichts der zunehmenden Anzahl von Eltern ohne Trauschein nicht ignorieren, dass der Unterhaltsanspruch der nichtehelichen Mutter in weiteren Ebenen hinter der Absicherung der ehelichen Mutter zurückbleibt.

Es wird nicht ausreichen, den Elementarunterhalt der Höhe nach an „eheprägenden Lebensverhältnissen“ auszurichten, denn es fehlen aktuell ganze Unterhaltsbestandteile. Die nicht verheiratete Mutter hat keine Ansprüche auf Altersvorsorgeunterhalt und sie kann bei einer Trennung vom Vater der Kinder nicht an dessen während der intakten Beziehung aufgebauten Altersvorsorge teilhaben. Diese konnte sich der Vater in den meisten Fällen allein deswegen in dem vorhandenen Umfang aufbauen, weil die Mutter die Care-Arbeit für gemeinsame Kinder übernommen hat. Ohne Altersvorsorgeunterhalt kann die Mutter in der Zeit, in der sie infolge der Betreuung eines Kindes nicht (voll) arbeiten gehen kann, oft selbst keine Altersvorsorge betreiben. Deswegen muss – wie auch bei ehelichen Müttern nach § 1578 Abs. 3 BGB – der Lebensbedarf unter Einschluss einer angemessenen Versicherung für den Fall des Alters sowie der verminderten Erwerbsfähigkeit ermittelt und ein entsprechender sog. Altersvorsorgeunterhalt eingeführt werden. Nur so kann eine nicht mehr nachvollziehbare Schlechterstellung der nicht verheirateten Mutter beendet werden.

f) Der djb lehnt es ab, die strengeren Billigkeitsvorschriften für den Ehegattenunterhalt (§ 1579 BGB) auf nichteheliche Partnerschaften zu übertragen. Vor allem bei „Einmalbegegnungen“ gibt es keinen Anlass dafür. Es mag in Ansätzen noch nachvollziehbar sein, dass ein höherer und länger geschuldeter Unterhalt, der sich nach den ursprünglich gemeinsamen Lebensverhältnissen bemisst, nach Billigkeit nicht zu zahlen ist, wenn eine neue Partnerschaft eingegangen wird. Der aus dem Solidaritätsgedanken zwischen Eheleuten entlehnte Verwirkungsgrund der sozioökonomischen Gemeinschaft mit einem neuen Partner (§ 1579 Nr. 2 BGB) kann jedoch nicht gelten, wenn bereits keine Solidarität geschuldet ist, weil das Kind aus einem „One-night-stand“ stammt. Es erschließt sich nicht, warum ein flüchtiger Sexualpartner, der mitverantwortlich dafür ist, dass eine Mutter wegen der Betreuung eines Kleinkindes unter Umständen bis zu drei Jahre gar nicht arbeiten gehen kann, von einer Betreuungsunterhaltspflicht freigestellt sein soll, wenn sie mit einem weiteren Partner zusammenlebt. Hier plant das Eckpunktepapier keine Verbesserung, sondern sogar eine erhebliche Verschlechterung[18] der Gesetzeslage für alleinerziehende Mütter. Die Anwendung der heute schon gültigen Verwirkungsregelung des § 1611 BGB führt angesichts der gewünschten Betreuung des Kindes durch die Mutter zu gerechten, auf Sonderfälle beschränkten Ergebnissen.

g) Soweit das Eckpunktepapier die Festschreibung eines höheren Mindestbedarfs der nicht verheirateten Mutter anstrebt, ist dieses Vorhaben nach Auffassung des djb zu begrüßen. Es setzt allerdings voraus, dass der Gesetzgeber die Selbstbehaltssätze zukünftig selbst festlegt. Aktuell ist nur geplant, den notwendigen Selbstbehalt zu regeln, aber gerade nicht den „Ehegattenmindestselbstbehalt“. Da sich der Mindestunterhalt für die nichteheliche Mutter an letzterem orientieren soll, fehlt es bei der Planung an dem notwendigen gesetzlichen Anker. Der djb regt daher dringend die Regelung aller Selbstbehaltssätze durch den Gesetzgeber an, anstatt sie weiterhin der Verständigung der Oberlandesgerichte zu überlassen.

h) Der djb weist darauf hin, dass angesichts der vielen nichtehelichen Partnerschaften die Regelungen zum Erbschaftsteuerrecht dringend überprüft werden sollten. Gerade bei den nun als (große) Sondergruppe in den Blick genommenen nichtehelichen Lebenspartnerschaften mit Kindern ist es häufig kaum nachvollziehbar, dass das Erbschaftsteuerrecht diese faktischen Lebensgemeinschaften nicht anerkennt. Stirbt ein nichtehelicher Partner und hat dem überlebenden Partner testamentarisch das Familienheim vermacht, dürfte – wegen der ungünstigen Erbschaftsteuerklassen und der nicht auf nichteheliche Lebensgemeinschaften geltenden Privilegierung des im Erbe befindlichen Familienheims – oft sogar die Veräußerung notwendig werden, um die Erbschaftssteuer zu zahlen. Hier sollte – auch in Anlehnung die in der europäischen Rechtsordnung im Vordringen befindlichen Angleichungen – eine Anpassung der Erbschaftsteuer geprüft werden.[19]

3. Beabsichtigte Regelung des notwendigen Selbstbehalts

Der djb begrüßt ausdrücklich die Idee, die Regelung der Selbstbehaltssätze künftig im Wege der Verordnung vorzunehmen. Die Begrenzung auf den notwendigen Selbstbehalt erscheint allerdings nicht geboten, der Gesetzgeber sollte alle Selbstbehaltssätze regeln.

Die Anlehnung an die Wohngeldsätze beim notwendigen Selbstbehalt anstatt einheitlicher Selbstbehaltsgrenzen lehnt der djb ab. Es ist schon nicht ersichtlich, wieso bei der Regelung der Selbstbehaltssätze der Kostenaufwand für das Wohnen abgebildet werden soll, während bei der Ermittlung des Mindestbedarfes der Kinder überhaupt keine Differenzierung danach stattfinden soll, ob das Kind im teuren München oder im günstigeren Brandenburg wohnt. Die beabsichtigte standardisierte Berücksichtigung hoher Wohnkosten wäre daher eine höchst einseitige Privilegierung der unterhaltsschuldenden Elternteile gegenüber den auf den Unterhalt angewiesenen Kindern. Bei der Festsetzung des Mindestunterhalts der Kinder wird im Übrigen Bezug genommen auf die Wohnkosten nach dem Existenzminimumbericht. Der Bezug auf die niedrigen Wohnkosten wird damit gerechtfertigt, dass Wohngeld in Anspruch genommen werden könne. Wenn dies also für Kinder und damit auch für ihre alleinerziehenden Elternteile als zumutbar angesehen wird, ist nicht nachvollziehbar, dass dies bei den barunterhaltspflichtigen Elternteilen nicht gleichermaßen gelten soll.

Darüber hinaus ist die unterschiedliche Bemessung der Selbstbehaltssätze viel zu volatil. So könnten Unterhaltsschuldner sich anlässlich eines Unterhaltsprozesses für einen – temporären – Umzug in einen Sprengel mit höheren Wohnkosten entscheiden und sodann nach gerichtlicher Festlegung des Unterhalts schlicht umziehen. Es muss daher auch schon aus Praktikabilitätsgründen ein einheitlicher Selbstbehaltssatz gebildet werden. Sehr hohe Wohnkosten, die unvermeidlich entstehen, können wie auch heute üblich durch eine adäquate, auf den Einzelfall bezogene Erhöhung des Selbstbehalts berücksichtigt werden und so die Unterhaltslast schmälern (vgl. 21.5.2. der insoweit bundeseinheitlichen Unterhaltsleitlinien).

 

Ursula Matthiessen-Kreuder

Präsidentin

 

Prof. Dr. Anna Lena Göttsche

Vorsitzende der Kommission Familien-, Erb- und Zivilrecht

 

Anlage: Berechnungen zum Kindesunterhalt

 

Die folgenden, in Anlehnung an die aktuelle Düsseldorfer Tabelle 2023 berechneten drei Tabellen zeigen für die verschiedenen Einkommensstufen die Auswirkungen des Vorschlags im Eckpunktepapier, nach dem aus dem zusammengerechneten Einkommen 15 Prozent gekürzt werden. Die Höhe des Abzuges (15 Prozent) wird für die einzelnen Altersstufen dargestellt.

Jeweils im Vergleich dazu wird das Ergebnis der bisherigen Herangehensweise dargestellt, die bei erweiterten Umgängen die Unterhaltspflicht nicht aus der an sich passenden Einkommensstufe der Düsseldorfer Tabelle ermittelt, sondern mit Herabstufungen arbeitet: Die „Differenz zur vorangegangenen Stufe“ zeigt den Betrag, um den der Unterhalt bei einer Abstufung gekürzt wird. Bei der Herabstufung um zwei Stufen sind die entsprechenden beiden Differenzbeträge zu addieren.

 

I.

Einkommen

1.Altersstufe

(0-5 Jahre)

15 Prozent

Differenz zur vorangegangenen Stufe

1.900 €

437

65,55

./.

2.300 €

459

68,85

22

2.700 €

481

72,15

22

3.100 €

503

75,45

22

3.500 €

525

78,75

22

3.900 €

560

84

22

4.300 €

595

89,25

35

4.700 €

630

94,50

35

5.100 €

665

99,75

35

5.500 €

700

105

35

6.200 €

735

110,25

35

7.000 €

770

115,50

35

 

II.

Einkommen

2. Altersstufe

(6-11 Jahre)

15 Prozent

Differenz zur vorangegangenen Stufe

1.900 €

502

33,46

./.

2.300 €

528

79,20

26

2.700 €

553

82,95

25

3.100 €

578

86,70

25

3.500 €

603

90,45

25

3.900 €

643

96,45

40

4.300 €

683

102,45

40

4.700 €

723

108,45

40

5.100 €

764

114,60

41

5.500 €

804

120,60

40

6.200 €

844

126,60

40

7.000 €

884

132,60

40

 

III.

Einkommen

3.Altersstufe

(12-17 Jahre)

15 Prozent

Differenz zur vorangegangenen Stufe

1.900 €

588

88,20

./.

2.300 €

618

92,70

30

2.700 €

647

97,05

29

3.100 €

677

101,55

30

3.500 €

706

105,90

29

3.900 €

753

112,95

47

4.300 €

800

120

47

4.700 €

847

127,05

47

5.100 €

894

134,10

47

5.500 €

941

141,15

47

6.200 €

988

148,20

47

7.000 €

1.035

155,25

47

 

 


[1] Die Datenlage hierzu ist bislang nicht gesichert. Nach einem Gutachten des BMFSFJ (https://www.bmfsfj.de/resource/blob/186694/14f09ddddab459a2e2cefaab6b45c630/gemeinsam-getrennt-erziehen-wissenschaftlicher-beirat-data.pdf) liegen die Angaben für das paritätische Wechselmodell und den erweiterten Umgang zwischen 5-7  Prozent (S. 34f.), hier auch zu der Befragung von Trennungseltern des Instituts Allensbach.

[2] Der Anteil an Alleinerziehenden für Männer beträgt rund 15 Prozent, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2023/PD23_20_p002.html#:~:text=Im%20Jahr%202022%20traf%20dies,Mai%20.

[3] Hubert/Neuberger/Sommer: Alleinerziehend, alleinbezahlend?, in: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 202, S.19-38.

[4] Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes vom 23. Juli 1979 (BGBl. I S. 1184), in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Juli 2007 (BGBl. I S. 1146), zuletzt geändert durch Artikel 38 des Gesetzes vom 12. Dezember 2019 (BGBl. I S. 2451), 1.3.1.; siehe zur Mitbetreuung auch BVerwG, FamRZ 2013, 5 C 20.11, 453-455.

[5] Siehe die Tabellen im Anhang.

[6] BGH, Beschluss vom 18. Mai 2022 – XII ZB 325/20 –, BGHZ 233, 309-325, Rn. 50; BGH, Beschluss vom 16. September 2020 – XII ZB 499/19 –, BGHZ 227, 41-49 Rn. 14; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2017 – XII ZB 565/15 –, BGHZ 213, 254-270, Rn. 24, 25.

[7] Vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. Januar 2017 – XII ZB 565/15 –juris,  Rn. 24; ausführlich dazu Maaß, NZFam 2023, 49ff., BGH NZFam 2017, 171 Rn. 24 = FamRZ 2017, 437 mAnm Schürmann; NZFam 2017, 312 Rn. 13 mAnm Graba = FamRZ 2017, 711 mAnm Maaß.

[8] Siehe zur Höhe die Berechnung im Tabellenanhang.

[9] Siehe den Anlagenteil zu dieser Stellungnahme.

[10] BGH, Beschluss vom 5. November 2014 – XII ZB 599/13 –, juris, Rn. 17.

[11] BGH, Beschluss vom 11. Januar 2017 – XII ZB 565/15 –, juris, Rn. 35.

[12] BGH, Beschluss vom 11. Januar 2017 – XII ZB 565/15 – juris, Rn. 47.

[13]https://www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st06-25

[14] Bredtmann/Vonnahme, Less Alimony after Divorce – Spouses’ Behavioral Response to the 2008 Alimony Reform in Germany, Ruhr Economic Papers #702, Essen 2017.

[15] BVerfG, Beschluss vom 13.02.2018, 1 BvR 2759/16.

[16] BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 2007, 1 BvL 9/04.

[17] § 1577 II BGB analog; vgl. zu einer Anrechnung großzügig OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 2.5.2019 – 2 UF 273/17 mit Verweis auf, vgl BGH FamRZ 2005, 442 = NJW 2005, 818; OLG Hamm FamRZ 2011, 1600 = NJW-RR 2011, 868.

[18] Zum Thema Verwirkung des Unterhalts bei nichtehelichen Müttern OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 2.5.2019 – 2 UF 273/17,

[19] Martiny, Erbrechtliche Stellung von nichtehelichen Partnern im europäischen Vergleich, FPR 2010, 399 (405); Gergen: Der französische PACS – Inhalt und Neuerungen bei der Registrierung, FPR 2010, 219 (220); zur defizitären Rechtslage in Deutschland Boving, Die nicht eheliche (faktische) Lebensgemeinschaft im Erbfall, ZErb 2020, 309.