Stellungnahme: 06-25


zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsrechts BT-Drucksache 16/1830 - Öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 16. Oktober 2006

Stellungnahme vom

I. Allgemeines

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wie auch der Antrag der Abgeordneten und der Fraktion der FDP beruhen auf der Prämisse, dass das geltende Unterhaltsrecht den geänderten gesellschaftliche n Verhältnissen und dem gesellschaftlichen Wertewandel anzupassen, dabei zu vereinfachen und mit Steuerrecht und Sozialrecht zu harmonisieren ist, um eine größere Akzeptanz der Unterhaltspflichtigen zu erreichen und damit ihre Zahlungsbereitschaft zu fördern.

Wir können diese behauptete Veränderung der gesellschaftlichen Realität, die eine Veränderung des Unterhaltsrechts erfordert ebenso wenig erkennen, wie die angeblich gewandelten Wertvorstellungen. Steigende Scheidungszahlen allein begründen keine zunehmenden Schwierigkeiten bei der Verteilung des Einkommens und die Förderung der “seriellen Monogamie” in Gestalt mehrer nacheinander oder auch nebeneinander bestehender Familien mit den Mitteln des Unterhaltsrechts ist möglicherweise Folge, kann aber bei verfassungskonformer Betrachtung (Ehen werden auf Lebenszeit geschlossen und unterliegen dem besonderen Schutz des Art. 6 GG) nicht Ziel einer Unterhaltsreform sein. Die geänderte Rollenverteilung innerhalb der Ehe mit zwei erwerbstätigen und damit (wirtschaftlich) gleichberechtigten Partnern ist Wunschdenken insbesondere der kindererziehenden gut ausgebildeten Frauen seit mindestens 30 Jahren nicht aber gesellschaftliche Realität. Richtig ist, dass sich die Zahl der erwerbstätigen Frauen in den alten Bundesländern zwischen 1977 und 2004 von 46,6 % aller Frauen im gebärfähigen Alter auf 58,5 % erhöht hat, in den neuen Bundesländern dagegen lag die Frauenerwerbstätigkeit vor der Vereinigung bei 93 % und insgesamt 2004 bei 58,1 % der Frauen. Bei dieser Zählweise ist allerdings nicht berücksichtigt, dass sich die Zahl der Teilzeitarbeitsverhältnisse seit 1985 fast verdreifacht hat und bekanntlich die weitgrößte Zahl der Teilarbeitsverhältnisse  und der Minijobs auf Frauen und insbesondere auf kindererziehende Mütter entfällt.

Gesellschaftliche Realität ist also die teilzeiterwerbstätige, hinzuverdienende Ehefrau und Mutter und der vollerwerbstätige, den Lebensunterhalt der Familie durch seine Erwerbstätigkeit sichernde Ehemann und Vater. Damit sieht sich das Unterhaltsrechts einer in den letzten 10 Jahren eher verschärften Lage gegenüber. Viele Arbeitsplätze sind unsicher, die Gehälter sinken und der Arbeitsmarkt stellt hohe Anforderungen an die Flexibilität und Verfügbarkeit von Arbeitnehmerinnen und Selbständigen, was den Familien ebenfalls abträglich ist.

Bleibt der Wunsch nach Vereinfachung und der Harmonisierung des Unterhaltsrechts mit Steuer- und Sozialrecht in der Hoffnung auf eine höhere Akzeptanz bei den Unterhaltsverpflichteten, wenn sie denn eine einfache und verlässliche Antwort auf die Frage wie viel?, für wen? und wie lange? erhalten, wenn sie eher für Kinder als für Ehefrauen und eher für die amtierende als für die frühere Partnerin zahlen sollen. Darauf gründet die Erwartung eines Rückgangs der Leistungen von Unterhaltsvorschusskasse und Sozialhilfe für Kinder, sowie weniger und kürzerer gerichtlicher Unterhaltsverfahren.

II.   Die Regelungsvorschläge im einzelnen

1. Kindesunterhalt
   § 1612 a Mindestunterhalt und § 1612 b Kindergeldanrechnung

Die vorgesehenen Regelungen sind unter dem Gesichtspunkt der Harmonisierung zu begrüßen. Insbesondere ist es sehr erfreulich, dass den Kindern in den neuen und den alten Bundesländern endlich der gleiche Unterhaltsbedarf zuerkannt wird. Ob die Eltern dazu gleichermaßen leistungsfähig sind, ist eine ganz andere Frage, die zu beantworten eine Aufgabe der Unterhaltsleitlinien ist, die sich mit den Selbstbehaltssätzen der Verpflichteten befassen. Auf diese Leitlinien der Oberlandesgerichte nebst den Unterhaltstabellen wird sich nicht nur der Bürger, der gerne wissen möchte, wie hoch der Unterhaltsanspruch seines dann 5- jährigen Sohnes am 1. Mai 2007 ist, sondern wie bisher auch der unterhaltsrechtliche Praktiker stützen. Von verständlichen Normen kann beim besten Willen keine Rede sein. Allerdings überwiegt der Vorteil der abstrakten Regelungen mit den Verweisen auf das Einkommensteuerrecht, führen sie wegen der vorgesehenen Dynamisierung von Unterhaltstiteln doch dazu, dass sich der Unterhaltsanspruch des Kindes geänderten gesetzlichen (Bedarfs-)Regelungen und bei Erreichung der nächsten Altersstufe automatisch anpasst und neuer Streit nicht erforderlich ist.

Unter dem Gesichtspunkt Kindeswohl ist jedoch bedenklich, dass die Anpassung der Kindesunterhaltssätze an das steuerrechtliche (sächliche) Existenzminimum und damit an die Sätze der Sozialhilfe zu einer deutlichen Reduzierung der Kindesunterhaltsansprüche gegenüber den augenblicklichen Sätzen abgeleitet aus der Regelbetragsverordnung führt. In der ersten Alterstufe sind unter Berücksichtigung der Kindergeldanrechnung 11 € (6%), in der zweiten 30 €(13 %) und in der dritten 37 € (13%) weniger Kindesunterhalt zu zahlen (bezogen auf 135 % des Regelbetrages West).

Die Korrektur des Kindesunterhalts nach unten um der Harmonisierung willen gleicht sicher den erheblichen Sprung der Unterhaltshöhen nach Einführung der Kindergeldanrechnung gem. § 1612 b Abs. 5 BGB zugunsten der Verpflichteten aus. Sie ist auch ohne konkrete Auswirkung auf die Restfamilie solange insgesamt Unterhalt bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten geschuldet ist oder der Bedarf aus öffentlichen Kassen gedeckt wird. Die Verringerung trifft aber genau diejenigen Alleinerziehenden (Frauen), die ohnehin mit der Reform zur Eigenverantwortung angehalten werden sollen: Die 38-jährige Mutter zweier 13- und 15-jährigen Jugendlichen, die für 7,00 € brutto an der Kasse der Tankstelle arbeitet, wird ihre Wochenarbeitszeit um 3 Stunden aufstocken müssen, zulasten der Versorgung ihrer Kinder. Das ist Umverteilung zulasten der Kinder zum Wohl der Verpflichteten. Leider ist auch nicht zu erwarten, dass der auf den statistischen Daten von 1998 (!) beruhende Mindestunterhalt sich demnächst erhöhen könnte, denn die nächste Einkommens- und Verbraucherstichprobe wird auf den Daten von 2003 beruhen, auch nicht gerade ein von hohen Einkommen und Konsumfreude geprägtes Jahr. Wie sich die Preise seit 1998 verändert haben und damit der tatsächliche Bedarf von Kindern mögen die Statistiker ermitteln. Die Koppelung des Mindestunterhalts allein an das steuerrechtliche Existenzminimum und damit an den sozialhilferechtlichen Bedarf ist das falsche Signal an eine Gesellschaft, die sich gerade auf die Fahnen geschrieben hat, das Wohl der Kinder zu fördern. Unterhalt ist damit auch gefühlsmäßig gleich Existenzminimum (=Armut). Für ersteres sind die Eltern verantwortlich, für die Sicherung des letzteren im Notfall der Staat. Dieser entscheidende Unterschied rechtfertigt die Unterhaltsansprüche zwar wie der Entwurf an das Steuerrecht zu koppeln, aber den Mindestunterhalt um 15 % höher als das sächliche Existenzminimum eines Kindes nach Steuerrecht zu definieren. Schließlich ist auch der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt des Unterhaltsverpflichteten aus gutem Grund etwa 30 % höher als sein steuerliches Existenzminimum oder sein sozialhilferechtlicher Bedarf. Die Erwägungen des (privaten) Unterhaltsrechts sind andere als die des (öffentlichen) Sozialhilferechts.

2.  Unterhalt nicht miteinander verheirateter Eltern
   § 1615 l

Die geplante Änderung ist ein halbherziger Schritt zur Gleichbehandlung ehelich und nichtehelich geborener Kinder. Allerdings geht uns die Streichung des kleinen Wörtchens "grob" vor "unbillig" längst nicht weit genug. Alleiniger Grund für die Zahlung von Unterhalt an den betreuenden Elternteil, der mit dem anderen nicht verheiratet ist oder war, ist der gesellschaftliche Konsens, dass kleine Kinder von einem Elternteil, in der Regel der Mutter betreut werden sollen. Der Unterhaltsanspruch soll die Erziehungsaufgabe wirtschaftlich absichern. Es bedarf sicher keiner weiteren Erklärung, dass der Bedarf des Kindes an Betreuung in keiner Weise durch den Umstand seiner ehelichen oder nichtehelichen Geburt geprägt ist. Die tendenzielle Abmilderung der Ungleichbehandlung durch die theoretische Möglichkeit eines längeren Unterhaltsbezugs für die nichteheliche Mutter ändert kaum etwas an der fortdauernden Benachteiligung von einem Drittel aller neu geborenen Kinder, deren Müttern keine echte Wahlmöglichkeit zwischen Selbst- und Fremdbetreuung bleibt, jedenfalls nicht über den dritten Geburtstag des Kindes hinaus. Danach muss sie ihr Kind in die Ganztagsbetreuung geben, es sei denn, sie beweist, dass dieses ausnahmsweise unbillig - kindeswohlschädlich?- wäre. Die grundsätzliche Beibehaltung der Altersgrenze korrespondiert allerdings mit der sozialrechtlichen Verpflichtung kindererziehender Frauen ab der Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes unter Flankierung des Kindergartenanspruchs einer (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit nachzugehen. Auch das Reformziel der Stärkung der (mütterlichen!) Eigenverantwortung durch Erwerbsobliegenheit, Abkehr vom Altersphasenmodell der Rechtsprechung und Rangänderung für ehebedingte Unterhaltsansprüche weist in dieselbe Richtung. Jedenfalls mit dem 3. Geburtstag des Kindes sollen sich nur noch diejenigen Mütter unangefochten auf ihren Erziehungsauftrag berufen dürfen, die dabei auf die Unterstützung und Zustimmung ihres und ihrer Kinder Ernährer zählen dürfen. Scheitert die Beziehung oder endet das Einvernehmen muss sie die persönliche Fürsorge für das Kind mit ihren existentiellen wirtschaftlichen Bedürfnissen teilen.

3. Ehegattenunterhalt
   §§ 1569
   Stärkung der Eigenverantwortung durch Überwindung der Hausfrauenehe?

Die Entscheidungen von BGH und BVerfG zur Differenzmethode und zur (Einschränkung der) Vertragsfreiheit im Ehescheidungsfolgenrecht im Jahr 2001 - Entscheidungen, die in weiten Fachkreisen seit 20 Jahren gefordert worden waren - stärkten die Position des wirtschaftlich schwächeren Ehepartners, wobei Ausgangspunkt die Überlegung ist, dass Kindererziehung und Hausfrauentätigkeit in der Ehe einen monetären Wert hat und somit der Erwerbsarbeit gleichzusetzen ist. In der Folge sehen sich die ganz überwiegend männlichen unterhaltsverpflichteten dauerhaft (u.U. lebenslang) höheren Unterhaltsansprüchen ihrer früheren Ehefrau ausgesetzt, und auch die verschärfte Beurteilung von Unwirksamkeit oder Anpassungsbedürftigkeit von den die wirtschaftlich Schwächeren benachteiligenden Eheverträgen führt zu einer deutlichen Verschärfung der Lage der Verpflichteten. Andererseits aber motiviert die Abkehr von der Anrechnungsmethode die Frauen nach der Trennung eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen ohne gleich alle Unterhaltsansprüche zu verlieren. Der Verpflichtete wird durch die Aufnahme der Erwerbstätigkeit zwar entlastet, aber nicht vollständig befreit (Aufstockungsunterhalt). Das nacheheliche Erwerbseinkommen der Ehefrau wird in die Unterhaltsberechnung einbezogen als wäre sie auch während der Ehe berufstätig gewesen. Diese Umverteilungsfolge der Rechtsprechung ab 2001 soll nunmehr durch die geplante Änderung umgekehrt werden, d.h. mit Hilfe des bisher auch im Gesetz verankerten, nun aber ganz besonders betonten Grundsatzes der Eigenverantwortung wird die ja auch durch die neue Rechtsprechung keineswegs behobene soziale Schieflage geschiedener Frauen voraussichtlich weiter zementiert.

Dieses ist kein Plädoyer gegen die Stärkung von Eigenverantwortlichkeit geschiedener Ehepartner. Es ist tatsächlich auch nicht einzusehen, weshalb Erwachsene, die im Gegensatz zu Kindern ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können und auch formal gleichberechtigt am Arbeitsmarkt teilnehmen und die Rollenverteilung in der Ehe frei wählen können, unterhaltsberechtigt sein sollen. Je verantwortlicher Ehepartner diese Möglichkeiten nutzen, desto weniger werden sie ehe- oder familienbedingte Nachteile bei Trennung und Scheidung erleiden. Das aber ist nicht das Kriterium für die Rollenwahl in der Ehe. Es gibt viele Ehe- und Familienmodelle und niemand möchte den Menschen vorschreiben, wie sie die Haushaltsführung und die Kinderbetreuung intern regeln sollen. Diese Wahlfreiheit und die zwangsläufigen Folgen muss auch das Unterhaltsrecht respektieren und schützen. Eine Frau, die erst ein Studium zu Ende bringt und dann 5 Jahre Kinder erzieht, wird niemals das gleiche, möglicherweise nicht einmal das Existenzminimum erreichende Einkommen erzielen, wie ihr Ehemann, der nicht nur einige Jahre Karrierevorsprung hat, sondern auch nach der Trennung von der Kinderbetreuung weitestgehend befreit bleibt. Und worauf beruht ihr Unterhaltsanspruch? Ihre eingeschränkte Möglichkeit zur Erwerbstätigkeit dürfte ihren Grund nicht in der Ehe haben und auch nur teilweise in der Kindererziehung liegen. Kann ihr Unterhaltsanspruch deshalb alsbald mit der Scheidung herabgesetzt werden?

Der Entwurf und seine Begründung benennen die Eigenverantwortlichkeit des geschiedenen Ehegatten. Entsprechend der gesellschaftlichen Realität darf sich die nicht bedarfsdeckend (i.d.R. also Vollzeit-) beschäftigte Ehefrau angesprochen fühlen. Sie soll sich zur Entlastung des Ehemannes schnellstens um Einkommen bemühen. Sie wird darauf hingewiesen, dass die Ehe keine lebenslange Versorgungseinrichtung ist, sie wird für mangelnde Erfolge ihrer Bemühungen mit Armut bedroht. Sie soll zugunsten der Zweitfamilie ihres geschiedenen Mannes Einschränkungen im Lebensstandard verkraften, sobald die Kinderbetreuung für 5 Tage in der Woche abzüglich Ferien- und Schließungszeiten der Betreuungseinrichtung für einige Stunden täglich gesichert ist. In Zeiten von Pisa- Studien und Kinderverwahrlosung übt sie eine häufig anstrengende und schlechtbezahlte Aushilfstätigkeit aus, um sich und ihren Kindern das Existenzminimum zu sichern, während die Leistungsfähigkeit der Zweitfamilie ohnehin schon durch den Mann und zumindest das Einbringen seines Selbstbehalts ökonomisch stärker ist, und sich die Erziehungsaufgaben auch auf zwei Eltern verteilen.

Das Signal dieser Reform lautet deshalb: Vollzeitbeschäftigung und Vollzeitkinderbetreuung vom ersten Monat nach Beendigung des Mutterschutzes an, es sei denn, der Vater des Kindes ist bereit in gleicher Weise, d.h. zur Hälfte Verantwortung für Kindererziehung, Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit zu übernehmen. Allerdings gibt weder die gesellschaftliche Realität noch das ganz überwiegend gezeichnete und gefühlte Bild von Ehe und Familie, von gegenseitigem Schutz und Fürsorge und einem geschützten Raum zur Aufzucht von Kindern dieses Modell her. Die Unterhaltsreform wird gleichberechtigte Verhältnisse zwischen Männern und Frauen zum Wohle der Kinder nicht allein befördern können.

Das spricht jedoch noch nicht gegen die geplanten Änderungen, sondern ist allein eine politische Frage. Auch das neu konzipierte Erziehungsgeld ist nur ein Schritt auf dem Weg zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

§ 1570 Unterhalt wegen der Betreuung eines Kindes

Im zweiten Satz fehlt die Angleichung an § 1615 l: Es dürfte nicht gemeint sein, dass eheliche Kinder von Geburt an fremd zu betreuen sind, wenn die Möglichkeit dazu besteht, sondern erst ab Vollendung des 3. Lebensjahres.

Die Aufweichung des Altersphasenmodells ist insbesondere in den neuen Bundesländern zu beobachten. Das verständliche Ärgernis vieler Unterhaltsverpflichteter liegt darin, dass die Kindesmutter trotz tatsächlich in Anspruch genommener Vollbetreuung keine ausreichenden Bemühungen zur Integration in den Arbeitsmarkt unternimmt. Wenn unter “Kinderbetreuungsmöglichkeiten” auch eine zuverlässige, bedarfsorientierte Betreuung durch den Vater verstanden wird, lässt die Neufassung (kindeswohl-) gerechte Lösungen erwarten.

§ 1587 b Härteregelung

Hier wird sich die Rechtsprechung mit den "ehebedingten Nachteilen" auseinander zu setzen haben. Neu und wirklich begrüßenswert ist dabei die Möglichkeit, den nachehelichen Unterhalt wegen Alters, insbesondere aber wegen Krankheit begrenzen zu können. Jeder Praktiker quält sich mit Fällen, in denen aus relativ kurzen, kinderlosen Ehen junger Leute lebenslange Unterhaltsverpflichtungen erwachsen, weil ein Partner krankheitsbedingt erwerbsunfähig ist. Das Risiko Krankheit hat jeder Mensch, es wegen der Ehe einem anderen Einzelnen zu überbürden, führt zu Härten, die zu tragen Sache der Allgemeinheit ist.

4.  Rangverhältnisse
§ 1609

1. Rang: minderjährige und ihnen gleichgestellte volljährige Kinder

Dagegen spricht ernsthaft nichts, solange diese Änderung nicht mit dem Kindeswohl begründet wird. Kinder leben in der Gemeinschaft mit ihren Eltern bzw. einem Elternteil. Sie selber bestimmen und verfügen nicht über das Einkommen der (Rest-) Familie. Für sie erzielen und disponieren die Eltern, für sie ist immer gesorgt und für sie ist es gleichgültig, aus welchem Topf der Lebensunterhalt fließt. Das Kindeswohl hängt am Mütterwohl und unterhaltsrechtlich an deren Versorgung. Zugegebenermaßen aber steht es dieser Gesellschaft gut an, wenn sie ihre Kinder soweit wie irgend möglich aus Erwerbseinkommen ernährt. Auch besteht die Hoffnung, die väterliche Verantwortung für Kinder zu stärken, wenn er (nur) oder existenzsichernd für diese zahlen (muss) und nicht (mehr) für deren ungeliebte Mutter. Für den Vorrang der Kinder spricht auch die Vereinfachung der Berechnung im Mangelfall. Natürlich ist eine Mangelfallberechnung wegen der technischen Hilfsmöglichkeiten kein Problem. Das Recht soll aber auch für den Bürger bei aller Abstraktion soweit wie möglich verständlich sein. Hat ein Mann 2 Kinder und eine Frau zu unterhalten und reicht sein Einkommen nicht, kann er zumindest leicht ermitteln, was er seinen Kindern schuldet.

2. Rang: kinderbetreuende Eltern und lange Ehe

3. Rang: nicht kinderbetreuende und nicht langjährig verheiratete Ehegatten

4. Rang: alle Kinder, die nicht erstrangig sind

Ob Revolution (Schwab) oder Evolution (Willutzki): für die amtierende, getrenntlebende oder geschiedene Ehefrau, die sich das verteilungsfähige Einkommen des Mannes plötzlich, unerwartet und ohne jegliche eigene Einfluss- oder Gestaltungsmöglichkeit mit der Kurzbeziehung, der Zweitehefrau oder dem Doppelleben ihres (Ex-)Liebsten teilen oder sogar im Mangelfall aufs Teilen verzichten muss, weil dem Mann ein Kind geboren wird, ist der Gleich- oder Nachrang mit der kinderbetreuenden anderen Frau eine Härte, die das Vertrauen in die Institution und Funktion der Ehe auf eine harte Probe stellt! Dabei ist es auch kein Trost, dass der Unterhaltsanspruch der Mutter des nichtehelichenKindes zeitlich auf drei Jahre begrenzt ist.

Die Szenarien sind bekannt, und ob die neue Rangordnung gerechter ist als die alte, mag jeder von seiner Warte beurteilen. Es steht dem Gesetzgeber allerdings frei, nicht nur den Kindern sondern auch den sie betreuenden Elternteilen den Vorrang vor den sonstigen Unterhaltsbedürftigen einzuräumen - beispielsweise auch vor dem volljährigen Kind, das eine unbezahlte Ausbildung macht und große Probleme hat, dafür eine bedarfsdeckende Unterstützung aus öffentlichen Kassen zu erhalten. Auch im Nachrang dieser Familienmitglieder steckt eine Wertung, die man hinterfragen könnte: Wieso geht die Ehefrau im Mangelfall ihrem volljährigen Kind vor, wo doch jeder weiß, wie gering die Chancen auf dem Arbeitsmarkt gerade für ungelernte junge Erwachsene sind?

Unter diesem Gesichtspunkt der gesetzgeberischen Gestaltungsmöglichkeiten ist auch die Härte des 3. Ranges für nicht kindererziehende (Kurz-)Ehefrauen konsequent und hinnehmbar.

Bleibt der Wunsch der Praxis nach Definition der langen Ehe, wobei schon die Begründung des Regierungsentwurfs erkennen lässt, das sich das, was den rangsichernden Unterschied ausmacht, nicht nach Jahren definieren lässt. Es geht um Vertrauensschutz, der in den unterschiedlichsten Verpflichtungen der Ehe begründet sein kann, bereits nach 7 Jahren Ehe oder erst nach 15. Das wird die Rechtsprechung im Einzelfall zu klären haben. Nähere Definitionen im Gesetzestext werden das (Gerechtigkeits-!)Problem nicht lösen.

5.   Überleitungsvorschrift

Es ist vorgesehen, dass das neue Recht auch auf "Altfälle" anwendbar ist und unter nicht näher definierten Zumutbarkeitserwägungen die Abänderung von Unterhaltstiteln und -Vereinbarungen, die vor der Gesetzesänderung bestanden, ermöglicht. Diese Möglichkeit wird die Prozessflut auslösen, die die Richter gewiss nicht zu Unrecht fürchten. Ob sich die Anwaltschaft darauf freuen kann, bezweifeln wir, denn unerfreulich werden diese aufgewärmten Familienstreitigkeiten ganz sicher, geht es doch um eine Neubewertung und Neuorientierung abgeschlossener Sachverhalte, ohne dass die konkreten Veränderung der Lebenssituation der Betroffenen nach neuen Lösungen verlangten.

Die Reduzierung des Kindesunterhaltsanspruchs sind jedenfalls in der 2. Und 3. Altersstufe so wesentliche Veränderungen, dass sie nach § 323 ZPO einen Abänderungsanspruch des Verpflichteten begründen. Es ist zwar richtig, dass Väter (und ganz selten auch Mütter) lieber Kindes- als Gattenunterhalt zahlen. Ein Vater mit einem Einkommen von 1500 € bereinigt netto behielte jedoch bei 2 Kindern der 2. Altersstufe 60 € monatlich mehr von seinem ohnehin dürftigen Einkommen für sich und zwar jedenfalls bis zur Volljährigkeit der Kinder. Dagegen fehlen der betreuenden Mutter künftig diese 60 €. Was die Gerichte in dieser Konstellation für zumutbar halten und zwar zumutbar für wen, kann wohl niemand vorhersagen. Dass die Verpflichteten auf den Versuch der Abänderung verzichten werden, halten wir jedenfalls bei den mittleren und kleinen Einkommen für sehr unwahrscheinlich.

Die Übergangsregelung sollte deshalb die Abänderung von Kindesunterhaltstiteln allein wegen der Gesetzesänderung ausschließen und die Neuregelungen der §§ 1612 a und b damit Neufestsetzungen aus anderen Abänderungsgründen z.B. der Geburt eines weiteren Kindes und damit dem Eintritt des Mangelfalls vorbehalten.

Noch größer ist der Anreiz der Unterhaltsverpflichteten zur Abänderung bestehender Titel und Vereinbarungen, wenn es um die Rangänderung geht, bietet sich doch hier die Chance, die Erstehefrau im Mangelfall gegen die Zweitehefrau oder die neue Partnerin ohne Ehe auszutauschen. Die Brisanz der Reform liegt gerade in der Beschränkung der Lebensstandardgarantie, im Prinzip Eigenverantwortlichkeit vor nachwirkender ehelicher Mitverantwortung. Bei der großen Eherechtsreform von 1977 hat der Gesetzgeber mit ausführlicher Begründung darauf hingewiesen, dass bestehende Unterhaltsregelungen und Rechte unantastbar sind, weil sich die geschiedenen Eheleute darauf eingerichtet haben. Diese Begründung hat nichts an Tragfähigkeit verloren. Es ist eben nicht unerträglich unbillig, an einen Richterspruch oder auch eigene Erkenntnisse gebunden zu bleiben, selbst wenn der Gesetzgeber inzwischen andere Wertungen trifft, die möglicherweise zu anderen Ergebnissen führen. Möglicherweise, denn die Fülle der Probleme, die die Rechtsprechung in diesen Fällen zu lösen hat, spiegelt sich ganz trefflich in der Menge der unbestimmten Rechtsbegriffe der geänderten Anspruchsgrundlagen und der Übergangsnorm selber (erhebliche Umstände, wesentliche Änderung, zumutbar) und der wortreichen Gesetzesbegründung. Längst nicht für alle unbestimmten Rechtsbegriffe kann ohne weiteres auf frühere Definitionen der Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Es wird also Jahre dauern, bis sich eine einigermaßen zuverlässig vorhersehbare Rechtsprechung zu den einzelnen Fragen herausgebildet hat. In diese Ungewissheit aber sollte man auch zur Schonung der Justiz nicht ausgerechnet diejenigen Familien entlassen, die ihre Kämpfe bereits hinter sich haben. Die Zumutungen des Unterhaltsrechts vor 1977 blieben aus Vertrauensschutzüberlegungen mit der damaligen Reform bestehen. Die Praxis hatte keinerlei Probleme zweierlei Unterhaltsrecht nebeneinander anzuwenden. Es gibt keinen Grund, warum dieses nicht auch für das Unterhaltsänderungsgesetz gelten soll, zumal die Prämissen der Reform (Wertewandel, veränderte gesellschaftliche Verhältnisse) durchaus zweifelhaft und eher Programm für die Zukunft sind als ein Regulativ für Ungerechtigkeiten in der Vergangenheit.

Soweit ersichtlich, steht der Regierungsentwurf mit seiner Auffassung, jeder Unterhaltsfall sei ein potentieller Abänderungsfall und damit auf dem Prüfstand der Praxis, allein. Hier ist im Interesse des Rechtsfriedens und der ohnehin gut ausgelasteten Justiz dringender Änderungsbedarf am Regierungsentwurf. Unterhaltsansprüche die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes entstanden oder vorher geschiedene Ehen oder Lebenspartnerschaften betreffen, müssen unberührt bleiben.

III.  Zusammenfassung und Ausblick

1.   Änderungsvorschläge

1. § 1612 a
Mindestunterhalt für minderjährige und gleichgestellte volljährige Kinder ist das sächliche Existenzminimum des Kindes nach Steuer- und Sozialhilferecht zuzüglich 15 %, d.h. z.Zt. 305€/350 €/410€

2. § 1570
Dabei sind ab der Vollendung des 3. Lebensjahres des Kindes die Möglichkeiten der Kindesbetreuung zu berücksichtigen.

3. Überleitungsvorschrift
Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes entstandene Unterhaltsansprüche und solche, die aus geschiedenen Ehen oder aufgehobenen Lebenspartnerschaften beruhen, bleiben unberührt.

2. Ergänzungsvorschläge

Das Unterhaltsrechtsreformgesetz beruht auf der Prämisse von gesellschaftlicher Veränderung und Wertewandel, weg von der Alleinverdiener-/Hausfrauenehe zur Doppelverdienerehe, vermehrte Zweitehen und/oder Kinder ohne Trauschein. Es begegnet diesen durch nichts belegten aber unschwer widerlegbaren Erkenntnissen mit einer Umverteilung der Einkommen zugunsten von Kindern und kleinkindererziehenden Müttern - und immer zugunsten der Verpflichteten - und verweist alle anderen Ehefrauen auf die Eigenverantwortlichkeit, womit die möglichst frühzeitige und bedarfsdeckende Erwerbstätigkeit zusätzlich zur Familienarbeit, d.h. Kindererziehung, Haushalt und auch die zumindest emotionale Versorgung der Elterngeneration, gemeint ist. Weil einerseits drei Jahre Kindererziehung schnell vorübergehen, andererseits aber für viele Berufe drei Jahre Kindererziehung schon den Anschluss im Berufsleben gefährden, zumal wenn mehrere Kinder zu betreuen sind, muss jede Frau sich wohl eingehend überlegen, ob sie dieses potentielle Armutsrisiko eingehen will. Den Männern dagegen nimmt die Reform die ewige Unterhaltslast von den Schultern. Ihre Verantwortung beschränkt sich auf ihre Kinder und deren Mutter in den ersten Jahren. Die faktische Ungleichheit, die auf den unterschiedlichen Reproduktionsmöglichkeiten von Männern und Frauen beruht, verschärft dieses Gesetz zusätzlich.

Eine weitere Ursache von Unterhaltsabhängigkeiten ist , dass die Frauen weniger Geld verdienen. Darüberhinaus bewirken aber auch gerade steuerliche und sozialrechtliche Regelungen negative Anreize für eine eigenständige Existenzsicherung der Frauen: Das steuerliche Ehegattensplitting belohnt die Einverdienerehe, die Lohnsteuerklasse V demonstriert der mitarbeitenden Ehefrau, dass ihre Erwerbstätigkeit, zumal nach Abzug von Kinderbetreuungskosten ökonomisch sinnlos ist. In der Sozialhilfe wird Partnereinkommen vollständig berücksichtigt. Ein flächendeckender Anspruch auf bezahlbare, qualifizierte Kinderbetreuungsplätze in jedem Alter, die Ganztagsschule als Regelmodell für alle Schularten, die Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten ohne Begrenzung fehlen. Das alles sind altbekannte Forderungen. Nur wenn beide Elternteile eine Wahlmöglichkeit bei gleicher Belastung oder besser Entlastung haben und Erwerbstätigkeit und Kindererziehung für Männer und Frauen sich gleichermaßen lohnt, wird das Programm dieser Unterhaltsreform zur gerechten Verteilung von Einkommen führen. Es ist das richtige Signal an junge Familien und insbesondere junge Frauen, dass Unterhalt keine dem eigenen Erwerbseinkommen vergleichbar sichere Lebensgrundlage bildet. Wenn und solange aber gleiche Erwerbschancen von kindererziehenden Paaren an unzureichenden oder benachteiligenden Rahmenbedingungen scheitern oder vor Jahren ein anderes Ehe- und Familienmodell gewählt wurde, muss der Staat die wirtschaftlich Schwächere schützen.

Deshalb also kann die Reform nur ein Schritt zur gesellschaftlichen Änderung sein. Ihre Wirkungen liegen in der Zukunft und ihre Zumutungen erfordern weiteren sozialen Umbau, wenn nicht gerade die (kindererziehenden) Frauen die Verlierer dieser Reform werden sollen.

Jutta Wagner 
Präsidentin                                               

Margret Diwell
Past President

Dr. Angelika Nake
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht,
Recht anderer Lebensgemeinschaften