Stellungnahme: 23-02


zum Entwurf der „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ vom 08.03.2022

Stellungnahme vom

Vor dem Hintergrund der Blockadehaltung einiger EU-Mitgliedstaaten, dem von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Beitritt der EU zur Istanbul-Konvention (IK) zuzustimmen bzw. die IK selbst zu ratifizieren, hat die Kommission bereits 2020 angekündigt, „Maßnahmen im Rahmen der Zuständigkeit der EU vorzuschlagen, mit denen die gleichen Ziele wie mit dem Übereinkommen von Istanbul erreicht werden sollen.“ Dieser Ankündigung hat die Kommission mit Vorlage des umfassenden Richtlinienentwurfs (RL-E) zur „Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ nun Folge geleistet.

Der Deutsche Juristinnenbund e. V. (djb) begrüßt grundsätzlich das EU-Gesetzesvorhaben. Insbesondere ist positiv hervorzuheben, dass der Richtlinienentwurf das Phänomen Gewalt gegen Frauen ausdrücklich in den Kontext von Menschenrechtsverletzungen und struktureller Diskriminierung stellt und anerkennt, dass Gewalt gegen Frauen aus historisch gewachsenen ungleichen Machtverhältnissen zwischen Frauen und Männern hervorgeht und ihre Wurzeln in gesellschaftlich geprägten Rollenzuschreibungen für die Geschlechter zu finden sind. Mit dem Richtlinienentwurf wird sichergestellt, dass zentrale Vorgaben der IK auf dem Gebiet des Straf- und Strafverfahrensrecht ambitioniert im gesamten Unionsraum umgesetzt werden.

Der djb fordert weiterhin mit Nachdruck den Beitritt der EU zur Istanbul-Konvention. Nur ein solcher kann zu einem vollumfänglichen Schutzniveau in allen Mitgliedstaaten führen. Der vorliegende Richtlinienentwurf kann diesen Beitritt nicht ersetzen, da der EU-Gesetzgeber aufgrund fehlender Regelungskompetenz für gewisse Bereiche ein entsprechend umfassendes Regelungswerk für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen nicht verabschieden kann. Das Übereinkommen, das vor über einem Jahrzehnt von den 47 Mitgliedstaaten des Europarats in mehrjährigen Beratungen ausgearbeitet wurde, stellt einen umfassenden Rechtsrahmen zur Verfügung, der die Mitgliedstaaten zu ineinandergreifenden koordinierten Maßnahmen und Strategien verpflichtet, um Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Dabei deckt es alle Aspekte der Prävention und der Bekämpfung von geschlechtsbezogener Gewalt gegen Frauen ab. Demgegenüber lässt der Richtlinienentwurf bei aller Ambition den Bereich Migration und Asyl sowie zu berücksichtigende Aspekte bei familiengerichtlichen Entscheidungen über Sorge- und Besuchsrecht bei Verdacht auf häusliche Gewalt ungeregelt. Der Richtlinienentwurf geht außerdem auf die Rolle der Zivilgesellschaft nur allgemein ein. Es ist daher zu begrüßen, dass unter schwedischer Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 2023 die Beratungen über die Vorschläge der Kommission zum Beitritt der EU zur IK wieder in Gang gekommen sind.

Dennoch ist zu betonen, dass für einen starken und effektiven Gewaltschutz von Frauen in der EU beide Instrumente notwendig sind und sich gegenseitig ergänzen. So geht die Richtlinie teilweise über die Vorgaben der IK hinaus, insbesondere im Bereich Cyber-Gewalt, bei den Strafsanktionen und den Verjährungsvorschriften. Zudem ermöglicht der Erlass der Richtlinie eine rechtliche Überprüfung der korrekten Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten durch die Kommission und den Europäischen Gerichtshof (u.a. Vertragsverletzungsverfahren).

Der djb fordert daher das Europäische Parlament und den Rat auf, die Verhandlungen zum Richtlinienentwurf einerseits und zum EU-Beitritt zur Istanbul-Konvention andererseits zügig fortzusetzen und abzuschließen, wobei ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten ist.

Dieser Appell richtet sich auch an die deutsche Bundesregierung. Auch in Deutschland besteht trotz der Ratifizierung der IK im Jahre 2018 noch erheblicher Handlungsbedarf im Bereich Gewaltschutz von Frauen. Bislang wurde auf Bundesebene weder ein politisches Dokument noch eine nationale Strategie erarbeitet, die allgemein gültige Definitionen von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt festlegt und bundesweite Ziele zur Umsetzung der Konvention setzt und dabei die Rechte der Opfer in den Mittelpunkt stellt und dem geschlechtsspezifischen Charakter der verschiedenen Formen von Gewalt gegen Frauen gebührende Bedeutung beimisst.