Stellungnahme: 07-16


zum Entwurf des Jugendstrafvollzugsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) bedankt sich für die Gelegenheit, zum Entwurf des Jugendstrafvollzugsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern Stellung nehmen zu können.

Der vorliegende Entwurf wird dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2006 (2 BvR 1673/04, NJW 2006, S. 2093-2098) im Wesentlichen gerecht und trägt den Besonderheiten des Jugendstrafvollzugs in weitgehendem Maße Rechnung.

Positiv ist aus Sicht unseres Verbandes vor allem die Berücksichtigung spezifisch weiblicher Belange im Vollzug der Jugendstrafe und der Opferschutzinteressen.

Allerdings ist die in dem Entwurf vorgenommene Abwertung des Erziehungsziels durch Betonung der Sicherungsaufgabe des Strafvollzugs – auch unter Opferschutzgesichtspunkten – mit Nachdruck abzulehnen.

Darüber hinaus regt der djb einige Nachbesserungen insbesondere zu Gewaltpräventionsmaßnahmen, zur Eltern-Kind-Unterbringung und zum Opferschutz an.

Zu den Regelungen im Einzelnen:

 

I. Grundlagen der Regelungstechnik

Der djb begrüßt, dass sich Mecklenburg-Vorpommern anders als einige andere Bundesländer für eine eigenständige Regelung des Jugendstrafvollzugs entschieden hat. Dies ist sowohl mit Blick auf die besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen für jugendliche Straftäter nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, a.a.O., Rn. 37, 50 ff.) als auch die Lesbarkeit der Gesetze für den Adressatenkreis jugendlicher Strafgefangener vorzugswürdig. Hierdurch kann den unterschiedlichen Zielsetzungen von Jugend- und Erwachsenenstrafvollzug Rechnung getragen und die Besonderheiten des Jugendstrafvollzugs ausreichend berücksichtigt werden.

 

II. Vollstreckungsziele, §§ 2, 3 JStVollzG M-V (Entwurf)

Mit Nachdruck verweist der djb darauf, dass alleinige Aufgabe des Jugendstrafvollzugs die Erziehung ist und als Erziehungsziel die Resozialisierung bereits gesetzlich festgeschrieben wurde (§ 91 Abs. 1 JGG). Die nunmehr in § 2 JStVollzG M-V (Entwurf) vorgesehene Gleichrangigkeit des Ziels der Resozialisierung mit dem Schutz der Allgemeinheit widerspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und ist verfassungsrechtlich bedenklich (vgl. BVerfG a.a.O., Rn. 51, 59). Eine derartige Regelung bleibt zudem hinter international anerkannten Mindestanforderungen zurück (s. Art. 1. 2 der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu den Rahmenbedingungen für die Jugendgerichtsbarkeit, nachfolgend: UN-Resolution sowie Nr. 6, 102.1 der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze vom 11.1.2006 – Council of Europe, Committee of Ministers Recommendation Rec (2006) 2).

Auch unter Opferschutzgesichtspunkten ist dies abzulehnen. Mit einem Gelingen der Wiedereingliederung werden Straftaten nicht nur kurzfristig für die Dauer der Inhaftierung, sondern langfristig für die Zukunft vermieden. Dies erscheint ganz besonders im Hinblick auf jugendliche Straftäter von Bedeutung, die aufgrund ihres auch bei Entlassung noch jungen Alters eine erhebliche Lebenszeit vor sich haben. Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass der Staat seiner Schutzpflicht für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gerecht wird, wenn er die Resozialisierung der Jugendstrafgefangenen betreibt (BVerfG, a.a.O., Rn. 51).

Diese Bedenken werden auch nicht durch die besondere Betonung des Erziehungsauftrags in § 3 JStVollzG M-V (Entwurf) ausgeräumt.

 

III. Vollzugsplanung, §§ 9 ff. JStVollzG M-V (Entwurf)

Angesichts der Tatsache, dass ein signifikant hoher Anteil von jugendlichen Strafgefangenen über ein erhebliches Gewaltpotential verfügt, das es im Rahmen der Vollzugsziele zu bearbeiten gilt, würde es der djb begrüßen, wenn auch in Mecklenburg-Vorpommern wie in einigen anderen Landesentwürfen Maßnahmen zur Aufarbeitung dieser Problematik gesetzlich festgeschrieben würden (vgl. die Entwürfe Bayerns, Hessens und Baden-Württembergs).

Der djb befürwortet sehr die in § 22 des Entwurfs vorgesehene Möglichkeit, nach Entlassung aus der Haft eine während der Haftzeit begonnene Ausbildungen zu beenden. Mit Blick auf die Resozialisierung der jugendlichen Straftäter ist es wünschenswert, von dieser Möglichkeit umfangreich Gebrauch zu machen.

 

IV. Unterbringung, §§ 13, 23 ff JStVollzG M-V (Entwurf)

a) Offener/Geschlossener Vollzug, § 13 JStVollzG M-V (Entwurf)

Der djb begrüßt das in § 13 JStVollzG M-V (Entwurf) geregelte gleichrangige Nebeneinander von offenem Vollzug und geschlossenem Vollzug. Diese Regelung ermöglicht eine flexible Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls getragen vom Erziehungsgedanken und entspricht § 91 Abs. 3 JGG.

b) Unterbringung während der Ruhezeit, 25 JStVollzG M-V (Entwurf)

Die in § 25 JStVollzG M-V (Entwurf) vorgesehene Einzelunterbringung während der Ruhezeit erscheint gerade vor dem Hintergrund von Übergriffen der jüngsten Vergangenheit als notwendige Maßnahme, um jugendliche Gefangene vor wechselseitigen Übergriffen zu schützen, zumal auch das Bundesverfassungs­gericht diesen Schutz angemahnt hat (BVerfG, a.a.O., Rn. 57).

Aus Gründen der Klarstellung ist allerdings zu empfehlen, in Abs. 2 S. 2 JStVollzG M-V (Entwurf) nach dem Wort „Unterbringung“ die Worte „ohne Zustimmung der betroffenen Gefangenen“ einzufügen.

c) Wohngruppen, § 26 JStVollzG M-V (Entwurf)

Der djb bewertet es als positiv, dass die Unterbringung von jugendlichen Straftätern in Wohngruppen vorrangig vor anderen Unterbringungsformen festgeschrieben wird. Das entspricht den insoweit eindeutigen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, a.a.O., Rn. 57).

Allerdings ist die Regelung nicht hinreichend konkret. Anders als im Entwurf Hamburgs werden keine Mindest- und Höchstangaben für die Wohngruppengröße (8 bis 15 Personen) vorgesehen, und auch nicht festgeschrieben, dass die Wohngruppen von erzieherisch befähigten Personen geleitet werden und ebenso wenig, dass sich die Belegung an Alter der jugendlichen Gefangenen und Dauer der zu vollziehenden Jugendstrafe orientieren soll. Die Regelung Hamburgs entspricht eher den im Bundesverfassungsgerichtsurteil genannten Kriterien für eine adäquate Unterbringung der Jugendlichen während ihrer Haftzeit (BVerfG, a.a.O., Rn. 57) und den Vorgaben des Jugendgerichtsgesetzes für den Jugendstrafvollzug (s. § 91 Abs. 4 JGG).

 

V. Weibliche Gefangene

Der djb begrüßt die Berücksichtigung der Belange weiblicher jugendlicher Gefangener in dem Entwurf. Dies entspricht inzwischen auch internationalem Konsens (vgl. Art. 26. 4 UN-Resolution: Die persönlichen Bedürfnisse weiblicher Jugendstraftäter im Anstaltsvollzug verdienen besondere Aufmerksamkeit. sowie Eur. Strafvollzugsgrundsätze Art. 34.1).

Hinsichtlich der praktischen Umsetzung erscheint eine Evaluierung der Haftbedingungen insbesondere dieser Gefangenengruppe nicht nur sinnvoll, sondern notwendig.

 

VI. Gefangene mit Kindern, § 27 JStVollzG M-V (Entwurf)

Die lediglich auf die Mutter bezogene Regelung der Eltern-Kind-Unterbringung wird als äußerst problematisch gesehen. Abgesehen von der hierdurch erfolgenden Festschreibung von Stereotypen kann in bestimmten Fällen eine Unterbringung beim Vater dem Kindeswohl am besten entsprechen. Außerdem bestehen bei einer nur auf ein Geschlecht ausgerichteten Regelung Bedenken des Verstoßes gegen Art. 3 GG.

Positiv muss der Entwurf NRWs hinsichtlich der dortigen Regelung hervorgehoben werden. Dort ist vorgesehen, dass ein noch nicht schulpflichtiges Kind bei seiner Mutter oder seinem Vater in der Vollzugsanstalt untergebracht werden kann, in der sich seine Mutter oder sein Vater befindet, wenn dies dem Kindeswohl entspricht. Vor der Unterbringung ist das Jugendamt zu hören. Diese geschlechtergerechte Regelung ist dem vorliegenden Entwurf vorzuziehen.

 

VII. Opferschutzaspekte, § 89 Abs. 5 und § 95 JStVollzG M-V (Entwurf)

Die Ansätze in den §§ 89 Abs. 5 und 95 JStVollzG M-V (Entwurf), die die Belange der Verletzten auch im Rahmen des Jugendstrafvollzugs stärker berücksichtigen, stellen aus Sicht des djb eine überfällige Umsetzung der Belange des Opferschutzes auch im Jugendstrafvollzug dar. Namentlich sind dies Auskünfte über Anschriften und Vermögensverhältnisse der jugendlichen Straftäter zur Verfolgung von Ansprüchen im Zusammenhang mit der Straftat und zum Ausgleich der Tatfolgen. Kritisch zu sehen ist hier allerdings, dass diese Vorschriften eher versteckt geregelt sind und insbesondere für die betroffenen Opfer schwer auffindbar sein dürften.

Darüber hinaus ist zu fordern, dass in allen Bundesländern – wie in den Entwürfen des Saarlands, Niedersachsens und Hamburgs vorgesehen – den Verletzten auf Antrag auch Auskünfte über Lockerungsmaßnahmen, den Eintritt in den offenen Vollzug und den Zeitpunkt der Entlassung erteilt werden. Hier hält der djb eine Nachbesserung für sehr sinnvoll.

 

Dr. Katja Rodi
Vorsitzende des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern

Dr. Stephanie Egerer-Uhrig
Vorsitzende der Kommission Strafrecht