Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) positioniert sich zum Inkrafttreten des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtenschutzgesetzes (LkSG)[1] am 01.01.2023. Vor dem Hintergrund der besonderen Regelungssystematik des LkSG (hierzu unter I.) kritisiert er die bisher fehlende, aber dringend nötige Geschlechterperspektive im LkSG (dazu unter II.). Im Folgenden werden wesentliche Schwachstellen des Gesetzes benannt (unter III.), wobei zugleich aufgezeigt wird, dass sich bei der Anwendung des Gesetzes einige Möglichkeiten auftun, die bisher fehlende Geschlechterperspektive dennoch einzubringen. Hierbei weist der djb darauf hin, dass sich punktuelle Anknüpfungspunkte bereits in den parallel auf europäischer Ebene stattfindenden Verhandlungen[2] um eine europäische Richtlinie, die sog. Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD)[3], ergeben. Der djb fordert die politischen Akteur*innen auf, diesen Prozess für entsprechende Verbesserungen zu nutzen, die in der Folge auch zu einer Verschärfung des LkSG führen müssen.
Grundsätzlich begrüßt der djb, dass fortan bestimmte Unternehmen verpflichtet sind, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in ihren weltweiten Lieferketten zu beachten. Es ist höchste Zeit, dass Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und der Umwelt verpflichtet und für deren Verletzung zur Rechenschaft gezogen werden. Eine gesetzliche Regulierung war und ist, auch mit Blick auf den Entwurf der CSDDD, der längst überfällige und entscheidende Schritt zu einer gerechteren und nachhaltigeren Globalisierung der Wirtschaft, nachdem der Ansatz, auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen zu vertrauen, zuvor gescheitert war.[4]
I. Die besondere Regelungssystematik der Lieferkettensorgfaltspflichtengesetze
Die bislang normierten und initiierten Regelungen für Sorgfaltspflichten in den Lieferketten, einschließlich des europäischen Richtlinienentwurfes, basieren auf einem Ansatz regulierter Selbstregulierung, der den gesetzlichen Rahmen, Maßstäbe und Verfahren für die Einhaltung der Sorgfaltspflichten vorgibt, aber deren Ausführung den Unternehmen und ihrem Ermessen überlässt.[5]
Das LkSG nimmt zur Bestimmung der geschützten Rechtspositionen in seiner Anlage Bezug auf ausgewählte internationale Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte. Die Sorgfaltspflichten der §§ 3 ff. LkSG werden bereits bei Vorliegen von menschen- und umweltrechtlichen Risiken (§ 2 Abs. 1 LkSG) ausgelöst, sollen also präventiv wirken. Welche menschenrechtlichen Risiken (§ 2 Abs. 1 LkSG) die Unternehmen in Anwendung des LkSG in den Blick zu nehmen haben, wird durch die explizite Benennung menschenrechtlicher Verbote in § 2 Abs. 2 Nr. 1-12 LkSG konkretisiert. Diese Risiken gilt es zu verhindern, zu minimieren oder zu beenden – und zwar nicht nur im eigenen Geschäftsbereich (§ 2 Abs. 6 LkSG), sondern auch bei unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern (§ 2 Abs. 5, 7, 8 LkSG). Kernelement der Sorgfaltspflichten ist die Verpflichtung zur Einrichtung eines internen Risikomanagements (§ 4 Abs. 1 LkSG) mit betriebsinternen Zuständigkeitsregeln, etwa durch die Benennung eines oder einer Menschenrechtsbeauftragten (§ 4 Abs. 3) und unter der Prämisse der angemessenen Berücksichtigung der Interessen der eigenen Beschäftigten und der in der Lieferkette sowie der in sonstiger Weise besonders durch das wirtschaftliche Handeln des Unternehmens Betroffenen (§ 4 Abs. 4 LkSG). Im Rahmen des Risikomanagements sind regelmäßige sowie anlassbezogene Risikoanalysen durchzuführen (§ 5 LkSG). Dabei sollen die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken im eigenen Geschäftsbereich sowie bei den unmittelbaren Zulieferern ermittelt und anschließend angemessen gewichtet und priorisiert werden (§ 5 Abs. 2 LkSG). Weiter sind die Unternehmen dazu angehalten, eine Grundsatzerklärung über die Menschenrechtsstrategie abzugeben (§ 6 Abs. 2 LkSG), Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich (§ 6 Abs. 1 und 3 LkSG), gegenüber unmittelbaren Zulieferern (§ 6 Abs. 4 LkSG) und in bestimmten Fällen auch gegenüber mittelbaren Zulieferern (§ 9 LkSG) zu verankern und Abhilfemaßnahmen (§ 7 Abs. 1 bis 3 LkSG) zu ergreifen. Um Transparenz und Beteiligung sicherzustellen, sind interne Beschwerdeverfahren (§ 8 LkSG) einzurichten, die Sorgfaltspflichten zu dokumentieren und jährlich ein öffentlich zugänglicher Bericht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu erstellen (§ 10 LkSG). Die Einhaltung der Sorgfaltspflichten wird durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) überwacht (§ 19 LkSG), welches Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten unter bestimmten Voraussetzungen mit Bußgeldern (§ 24 LkSG) oder dem Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge (§ 22 LkSG) sanktionieren kann.
II. Die Notwendigkeit einer Geschlechterperspektive bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten in globalen Lieferketten
Der djb bemängelt jedoch, dass sowohl das LkSG als auch der Entwurf der CSDDD Frauen und Mädchen als besonders betroffene Personen nicht ausreichend in den Blick nehmen. Damit besteht die Gefahr, dass die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen in der gesamten Lieferkette in der Anwendungspraxis vernachlässigt werden. Die gesetzlichen Regelungen ignorieren, dass Verletzungshandlungen und Umweltkatastrophen unterschiedliche Auswirkungen auf bestimmte marginalisierte Personengruppen haben. Zahlreiche Berichte und Studien belegen, dass gerade Frauen und Mädchen in globalen Lieferketten in besonderer Weise, mehrfach und überproportional von Ausbeutung, Diskriminierung, Armut, Leid und Gewalt betroffen sind.[6] Zusätzlich werden Frauen aus Gründen des Alters, der Klasse, der Ethnizität, des Migrationsstatus und anderer Kategorien intersektional diskriminiert.
Ca. 190 Mio. Frauen arbeiten in globalen Lieferketten sowohl im Dienstleistungs- als auch im Produktionssektor. Besonders hoch ist der weibliche Beschäftigungsanteil in der Landwirtschaft (ca. 40 %)[7] und in der Textilindustrie (ca. 80 %).[8] Dabei werden die Frauen teilweise in abhängigen Arbeitsverhältnissen, oftmals aber in informellen oder als selbstständig ausgewiesenen Beschäftigungen tätig. Auch sog. selbstständige Heimarbeit ist gerade bei weiblichen älteren Beschäftigten weit verbreitet.[9] Strukturelle, durch die Coronapandemie noch gesteigerte[10] Benachteiligungen, wie prekäre Beschäftigung, schlechte und unsichere Bezahlung, katastrophale Arbeitsbedingungen, fehlende soziale Absicherung und Mutterschutz, ungleiche Verteilung von Sorgepflichten, Unterrepräsentanz in leitenden Positionen, mangelnde Interessenvertretung oder fehlender Schutz vor sexuellen Übergriffen bestimmen nicht selten den Arbeitsalltag der beschäftigten Frauen.[11] Hinzukommen Hürden beim Zugang zum Recht, ein mangelnder Rechtsschutz sowie fehlende Repräsentation und Unterstützung durch betriebliche und gewerkschaftliche Interessenvertretungen, die dazu führen, dass Missstände häufig unsichtbar oder unausgesprochen bleiben und nicht behoben werden. Diese Dynamiken werden vielerorts durch nach wie vor bestehende diskriminierende soziale Normen, patriarchale Gesellschaftsstrukturen und Geschlechterstereotype noch verstärkt.[12]
Das besondere Schutzbedürfnis von Frauen wurde bereits in den 2011 erarbeiteten Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen (UNGPs)[13] anerkannt. Diese legen allgemein anerkannte Standards und Verfahrensweisen in Bezug auf Wirtschaftsunternehmen und Menschenrechte fest und richten sich sowohl an Staaten als auch an Unternehmen. Demnach sind die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zunächst so umzusetzen, dass die Rechte, Bedürfnisse und Herausforderungen von Personen, die „Gruppen oder Bevölkerungsteilen angehören, die einem besonderem Risiko der Vulnerabilität und Marginalisierung ausgesetzt sind“ sowie die „unterschiedlichen Risiken, denen Frauen und Männer ausgesetzt sein können“ ausreichend beachtet werden. Dabei betonen spezifische Bestimmungen die Notwendigkeit, eine geschlechtergerechte Perspektive einzunehmen. So sind die Staaten laut Leitprinzip 3 etwa dazu angehalten, Anleitung zu Fragen des Geschlechts bereitzustellen und dabei die besondere Situation von Frauen zu berücksichtigen. Leitprinzip 7 geht auf die Gefahren geschlechterspezifischer und sexueller Gewalt in Konfliktregionen ein, die für Frauen und Männer jeweils unterschiedlichen Risiken bedeuten und die es bei der Risikoanalyse zu beachten gilt (Leitprinzip 18). Leitprinzip 20 stellt die Notwendigkeit der Überprüfung der Maßnahmen der Unternehmen mit Blick auf eine gendersensible Datenerhebung heraus. Schließlich sieht Leitprinzip 12 vor, dass für Unternehmen bei der Achtung der Menschenrechte zusätzliche Standards gelten. Diese haben beispielsweise die Menschenrechte von Personen zu berücksichtigen, „die bestimmten Gruppen oder Bevölkerungsteilen angehören, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, soweit ihre unternehmerische Aktivität negative menschenrechtliche Auswirkungen auf sie haben könnte“. Die Leitlinien verweisen in diesem Zusammenhang explizit auf die Rechtsinstrumente der Vereinten Nationen, welche die Rechte von indigenen Völkern, Frauen, Personen, die nationalen, ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten angehören, Kindern, Menschen mit Behinderungen sowie Wanderarbeitnehmern und ihren Familienangehörigen präzisieren.[14]
Wie die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte in ihrem Bericht von 2019 zu „Gender Dimension of the Guiding Principles on Business and Human Rights“ herausarbeitet, ergibt sich daraus ein Rahmen für die geschlechtsspezifische Bewertung von Maßnahmen, die Erarbeitung geschlechterdifferenzierender Maßnahmen und die Schaffung transformativer Abhilfemaßnahmen. Weitere internationale Regelwerke bieten längst hinreichende Anknüpfungspunkte für die Integrierung einer geschlechtsspezifischen Perspektive auf Sorgfaltspflichten und eine geschlechtergerechte Ausgestaltung von Lieferketten. Hier lässt sich beispielhaft auf die OECD Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct von 2018[15], die von UN Women und Global Compact entwickelten sieben Women’s Empowerment Principles[16], das 2020 verfasste Papier "Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten" eines breiten Bündnisses aus zivilgesellschaftlichen Akteur*innen[17] oder dieInitiative GEEIS (Gender Equality European & International Standard) Certification for Gender Equality, ein von multinationalen Unternehmen und europäischen Behörden entwickeltes Analysetool zur Gestaltung gleichstellungssensibler Personalprozesse in Unternehmen,[18]verweisen. Diese haben bereitskonkrete geschlechtsspezifische Verpflichtungen und Anleitungen für private Unternehmen zur Verhinderung von Ungleichheit der Geschlechter am Arbeitsplatz formuliert – auch wenn es bislang nicht selten an einer effektiven Durchsetzung mangelt.
Zwar hat sich die Bundesrepublik Deutschland mit dem LkSG an den internationalen Vorgaben der UNGPs orientiert, der Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit wurde dabei aber weitestgehend ausgespart. In der Begründung des LkSG heißt es lediglich unter der Überschrift ‚Nachhaltigkeitsaspekte‘, dass „das Regelungsvorhaben zur Erreichung der Ziele im Bereich der Verringerung weltweiter Armut, der Geschlechtergleichstellung, einschließlich der Verringerung des Verdienstabstandes zwischen Frauen und Männern, dem besseren Zugang zu Trinkwasser und Sanitärversorgung weltweit, der menschenwürdigen Arbeit […] “ beiträgt.[19] Auch auf die einschlägigen Rechtsinstrumente der Vereinten Nationen nimmt das Gesetz keinen Bezug. Dies ist unzureichend und entspricht nicht den Standards der UNGPs.
Auch der europäische Gesetzesentwurf verhält sich bisher trotz zahlreicher Einwände – einschließlich solcher gewichtiger Verbände[20] – nicht ausdrücklich zu Geschlechterfragen. Dabei hatte das Europäische Parlament zuvor in seiner Entschließung vom 10. März 2021 mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen (2020/2129(INL))[21] ausdrücklich hervorgehoben, „dass die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte betont hat, dass sich Geschäftstätigkeiten auf unterschiedliche Weise und unverhältnismäßig stark auf Frauen und Mädchen auswirken, und dargelegt hat, dass die Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Menschenrechte tatsächliche und mögliche Auswirkungen auf die Rechte von Frauen abdecken sollte“.[22] In diesem Zusammenhang fordert der djb die europäischen Abgeordneten eindringlich dazu auf, sich in der derzeitigen Entscheidungsfindung entsprechend zu positionieren.
Dahingehende verbindliche gesetzliche Regelungen sind dringend erforderlich. Die entsprechenden Forderungen sind durch internationale Vorgaben bereits hinreichend klar und konkret formuliert. Zudem wächst der politische Handlungsdruck angesichts der 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung der UN[23] und ihren Zielvorgaben, wie etwa die Beendigung aller – auch privater – Formen von Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen und die Forderung nach menschenwürdiger Arbeit.[24] Daher müssen sich, auch mit Blick auf die eingangs skizzierten besonderen Gefahren von Frauen, die in der Lieferkette arbeiten, die neuen nationalen und europäischen gesetzlichen Regelungen insgesamt auch daran messen lassen, inwiefern ihre Anwendung den Menschenrechtsverletzungen von Frauen und Mädchen vorbeugt, existierende geschlechterspezifische Risiken beseitigt und damit die effektive Bekämpfung der Ausbeutung von Frauen und Mädchen erreicht wird.
III. Fehlende und verpasste Anknüpfungspunkte für Bezugnahme auf Risiken für Frauen
Eine Analyse der Regelungssystematik des LkSG zeigt, dass die spezifische Betroffenheit von Frauen und Mädchen nicht ausreichend in den Blick genommen wird. Dabei können insbesondere die folgenden drei Problembereiche identifiziert werden:
- Auf einer materiell-rechtlichen Ebene entstehen große Schutzlücken durch den engen Anwendungsbereich und die nur punktuellen Bezugnahmen auf Menschenrechtsstandards.
- Die fehlende Berücksichtigung von Geschlechterinteressen im Gesetzestext führt dazu, dass auf der Umsetzungsebene in den eröffneten Anwendungs- und Gestaltungsspielräumen der Unternehmen Geschlechterfragen vernachlässigt werden.
- Formelle und materielle Beteiligungshindernisse verhindern, dass spezifische weibliche Interessen angemessen und korrigierend eingebracht werden können.
Dabei bieten sich auch in der aktuellen Fassung des LkSG durchaus Anknüpfungspunkte für die Einnahme einer Geschlechterperspektive, die im Folgenden beispielhaft – auch mit Blick auf den teilweise über das deutsche LkSG hinausgehenden Entwurf der CSDDD – aufgezeigt werden.
Zu (1): Große Schutzlücken auf der materiell-rechtlichen Ebene durch den engen Anwendungsbereich und die punktuellen Bezugnahmen auf Menschenrechtsstandards
Zu enger Anwendungsbereich: Durch die hoch angesetzten Schwellenwerte von aktuell 3.000 Arbeitnehmer*innen (ab 2024 sollen es 1.000 sein) ist nur ein Bruchteil der deutschen Unternehmen vom Anwendungsbereich des LkSG direkt erfasst.[25] Nach offiziellen Schätzungen werden dies bei 1.000 Arbeitnehmer*innen ca. 2.900 Unternehmen sein.[26] Kleinere Unternehmen in Risikosektoren, wie der Textil- und Lebensmittelbranche, in denen der Anteil weiblicher Beschäftigter besonders hoch ist, sind somit nicht zur menschenrechtlichen Sorgfalt nach dem LkSG verpflichtet. Begrüßenswert ist daher der risikobasierte Ansatz des Entwurfs der CSDDD, der nicht nur von vorneherein niedrigere Schwellenwerte ansetzt, sondern den Anwendungsbereich auch auf kleinere und mittlere Unternehmen erweitert, wenn mindestens die Hälfte des Umsatzes aus Risikobranchen, sog. „High-Impact-Sektoren“, wie der Textilindustrie, der Fischerei oder der Ausbeutung von Bodenschätzen kommt (vgl. Entschließung Art. 2 Nr. 2 LkSG).
Problematisch ist bei dem LkSG zudem, dass der Bereich mittelbarer Zulieferung nur unzureichend erfasst ist. Da Unternehmen die Sorgfaltspflichten vollumfänglich nur hinsichtlich menschenrechtlicher und umweltbezogener Risiken und Verletzungen im eigenen Geschäftsbereich sowie bei unmittelbaren Zulieferern, mit denen ein direktes Vertragsverhältnis besteht, zu beachten haben, mittelbare Zulieferer jedoch nur in begrenztem Umfang (vgl. § 2 Abs. 8 sowie § 9 LkSG) in den Blick nehmen müssen, werden letztere nur unzureichend erfasst. Dabei ist gerade die geschlechterrelevante Textilindustrie dadurch gekennzeichnet, dass entlang der Lieferkette durch Unterauftragsverteilung oder Auslagerung Tätigkeitsbereiche aus dem eigenen Unternehmen auf entferntere Zulieferer ausgegliedert werden. Nachgewiesen ist dies etwa für die Arbeitsorganisation der Näherinnen, die oft in organisierter Heimarbeit arbeiten.[27] Begrüßenswert ist insofern, dass der Entwurf der CSDDD Zulieferer unabhängig von ihrem Rang erfasst, wohingegen auch hier eine Einschränkung dahingehend erfolgt, dass nur etablierte Geschäftsbeziehungen berücksichtigt werden. Insgesamt fraglich und rechtsunsicher auch mit Blick auf den vagen Betroffenheitsbegriff des § 4 Abs. 4 LkSG[28] ist, ob und wieweit sich die Mitverantwortung der Unternehmen und damit der Schutz des LkSG auf informelle oder marktförmige Beschäftigungsverhältnisse erstreckt, die systematisch ausgegliedert werden und hier schon unmittelbare Zuliefererunternehmen ihre Arbeitgeberverantwortung typischerweise durch systematische Verlagerung zu umgehen versuchen. Dies betrifft eine ganze Reihe von Tätigkeitsfeldern, in denen Frauen überproportional oft in informellen Arbeitsverhältnissen oder undurchsichtigen Unteraufträgen zu Hause arbeiten.[29]
Schutzlücken bei den geschützten Rechtspositionen von Frauen und damit verbundene lückenhafte Risikobestimmung: Zu begrüßen ist zwar, dass das LkSG zur Konkretisierung des menschenrechtlichen Risikos im Sinne des § 2 Abs. 2 LkSG mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) sowie dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) zwei Kernabkommen der Vereinten Nationen zum internationalen Menschenrechtsschutz in Bezug nimmt. Darüber hinaus bezieht sich das LkSG auf die acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation sowie auf die ILO-Übereinkommen Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit und Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf. Es fehlen hingegen Bezugnahmen auf wesentliche Instrumente des frauenspezifischen Schutzes auf internationaler Ebene, wie – anders als in dem Entwurf der CSDDD im Annex (Part II)[30] – auf die UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW). Eine gravierende Lücke findet sich auch bezüglich Gewalt und Belästigung in der Beschäftigung, deren diskriminierungsrechtliche Relevanz in der Istanbul-Konvention des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (2018)[31] sowie in dem ILO-Übereinkommen Nr. 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt benannt ist. Auch wenn der allgemeine Menschenrechtsschutz nach IPbpR und IPwskR selbstverständlich auch Frauen erfasst, so wird die Möglichkeit der geschlechtsspezifischen Auslegung der geschützten Rechtspositionen des § 2 Abs. 2 LkSG durch die fehlende Inbezugnahme frauenspezifischer Schutzregime gleichwohl beschränkt. Bei einer lediglich indirekt erfassten erhöhten Schutzbedürftigkeit von Frauen ist der Begründungsaufwand hin zu einem geschlechtsspezifischen Fokus in den globalen Lieferketten ungleich höher.
Die unzureichende Berücksichtigung der besonderen Betroffenheit von Frauen und Mädchen steht auch im Widerspruch zur Grundkonzeption des Menschenrechtsschutzes, wonach vulnerable Arbeitnehmer*innen Anspruch auf besonderen Schutz haben, weil sie einer besonderen Verletzungsgefahr ausgesetzt sind.[32] Beispielhaft ist hier die besondere Vulnerabilität von Frauen und Mädchen für unfreiwillig eingegangene, ausbeuterische Arbeitsbedingungen, Menschenhandel und Schuldknechtschaft (erfasst durch das Verbot der Zwangsarbeit, § 2 Abs. 2 Hs. 2 Nr. 3 LkSG) zu nennen, die insbesondere in frauendominierten Tätigkeitsfeldern, wie etwa in der Landwirtschaft oder Textilindustrie, auftreten.[33] Auch der Schutz am Arbeitsplatz ist in diesen Branchen häufig defizitär, sodass Frauen ebenfalls von dem Verbot der Missachtung nationaler Arbeitsschutzstandards gemäß § 2 Abs. 2 Hs. 2 Nr. 5 LkSG besonders betroffen sind, etwa während der Schwangerschaft und nach der Geburt. Eine Risikobeurteilung müsste daher dringend Gesundheitsgefahren für schwangere oder stillende Frauen und für die reproduktive Gesundheit von Frauen erfassen und besondere Maßnahmen zur Abhilfe und Prävention, etwa Mutterschutzregeln, Bezahlung und Rechte auf Rückkehr an den Arbeitsplatz, nach sich ziehen. Nach derzeitiger Rechtslage ist nicht sichergestellt, dass Benachteiligungsrisiken wegen ungleich verteilter Sorgepflichten in den Blick kommen.
Zudem besteht für Frauen ein ungleich höheres Risiko, Opfer von Gewalt am Arbeitsplatz zu werden.[34] Nicht selten gehören Belästigungen und Vergewaltigungen zur alltäglichen Realität. Obwohl es sich bei dem Recht auf angemessene und gerechte Arbeitsbedingungen (Art. 7 IPwskR) und den menschenrechtlichen Diskriminierungsverboten (vgl. ausdrücklich Art. 27 Abs. 1 lit. b der UN-Behindertenrechtskonvention; ILO Übereinkommen Nr. 190) um eine Kernpflicht handelt, ist der Schutz gegen Gewalt und Belästigung, einschließlich geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung, durch das LkSG nur ungenügend. Aber auch dort, wo Geschlecht ausdrücklich erwähnt wird, wie in dem Benachteiligungsverbot nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 LkSG, ist ein effektiver Schutz fraglich, solange die normative Bestimmung des Diskriminierungsrisikos noch nicht hinreichend geklärt und rechtssicher ist. Mit Blick auf die strukturelle und in gesellschaftliche Beziehungen eingebettete Dimension von Benachteiligungen im Bereich der Erwerbsarbeit ist der Verantwortungsbereich der Unternehmen dringend zu konkretisieren. Dabei ist unbedingt angeraten, den Risikobegriff der Nr. 7 weit auszulegen und den Rechtfertigungsgrund in § 2 Abs. 2 Nr. 7 „Erfordernisse der Beschäftigung“ eng und auf strukturelle Diskriminierungsmerkmale, wie geschlechterungleiche Tätigkeitsbeschreibung oder Arbeitsbewertung, zu hinterfragen. Hier wird es in besonderer Weise darum gehen, zum einen den hinreichend offenen Geschlechterbegriff zu etablieren[35] und zum anderen in einer intersektionalen Perspektive das Zusammenwirken verschiedener Vulnerabilitäts- oder Diskriminierungsfaktoren schon im Risikotatbestand als Risikoerhöhung zu erfassen.[36] Insgesamt wird es darauf ankommen, wie die Verwaltungs- und Rechtsprechungspraxis aus den originär staatsgerichteten Menschenrechtsverboten horizontal wirkende, verbindliche Risikodimensionen entwickelt und dabei geschlechtsspezifische Interessen ausreichend berücksichtigt.
Die Verpflichtung auf die Berücksichtigung der besonderen Betroffenheit von Frauen bei der Risikobestimmung würde schließlich auch dazu führen, dass Verstöße dagegen mit einem Bußgeld oder dem Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge sanktioniert werden können.
Zu (2): Herausforderungen auf der Umsetzungsebene
Mit Blick auf den unternehmerischen Widerstand gegen Gleichstellungspolitiken[37] erweist es sich als besonders problematisch, dass nach der Regelungsstruktur des LkSG den Unternehmen die Konkretisierung des Menschenrechtsschutzes überlassen wird und Fragen der Geschlechtergerechtigkeit in den Ermessensspielraum der Unternehmen fallen. Denn obwohl diese gesetzlich angehalten sind, im Rahmen ihres Risikomanagements die ermittelten „menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken […] angemessen zu gewichten und zu priorisieren“ (vgl. § 5 Abs.2 LkSG), ist es fraglich, wie die geschlechtersensible, -gerechte und intersektionale Ausgestaltung des Risikomanagements zum einen garantiert werden und zum anderen gelingen kann. Da eine ausdrückliche Verpflichtung zu Geschlechtergerechtigkeit fehlt und die Lieferkettensorgfaltspflichtengesetze einen umfassenden Menschenrechts- und Umweltschutz in den Lieferketten garantieren wollen, treten in dieser Abwägungssituation geschlechtsspezifische Risiken in Konkurrenz zu anderen Belangen.
Bereits die Erhebung und Erfassung geschlechtsspezifischer Risiken im Rahmen der Risikoanalyse dürfte aufgrund ihrer Komplexität zum Problem für die Unternehmen werden. Zwar ist nach § 5 Abs. 1 LkSG eine „angemessene Risikoanalyse“ zur Ermittlung vorgesehen und nach § 4 Abs. 2 LkSG sind Maßnahmen zu treffen, „die es ermöglichen, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken zu erkennen“. Die Frage ist aber, wie solche Maßnahmen konkret aussehen können, die geeignet sind, die strukturelle (selten monokausale) und intersektionale Dimension geschlechtsspezifischer Risiken erkennen zu können und darüber hinaus sicherzustellen, dass die Datenerhebung und -auswertung nicht selbst Diskriminierungseffekte aufweist. Schließlich besteht dabei stets die Gefahr, dass durch ein „Othering“ die Vulnerabilität von Frauen und Mädchen nicht aufgehoben, sondern noch verfestigt wird, indem Stereotype, Rollen und damit auch Schwächen verfestigt und die spezifischen, aber vielfältigen Interessen von Frauen nicht gesehen und berücksichtigt werden. Besonders dringlich erscheint es, dass nach dem Vorbild des deutschen Gleichstellungsdiskurses und unter Rückgriff auf bestehende Human Rights Due Dilligence Systeme sensibilisierte Indikatoren erarbeitet werden,[38] aufgrund derer sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen drohenden geschlechtsspezifischen Verstoß, also auf ein menschenrechtliches Risiko für Frauen und Mädchen, schließen lässt. Beispiele für solche Indikatoren wären das Fehlen Gender-responsiver Kontroll- und Evaluationssysteme oder mangelnde Beteiligungsstrukturen.[39]
Es muss unbedingt verhindert werden, dass die schwerere Sichtbarkeit von strukturellen, intersektionalen Benachteiligungsstrukturen und Nichtwissen dazu führen, dass die Zurechenbarkeit und Einflussnahmemöglichkeit der Unternehmen schnell(er) verneint werden kann. Im Gegenteil muss den Unternehmen eine besondere Ermittlungspflicht auferlegt werden, je anfälliger ihre Geschäftstätigkeit für geschlechtsspezifische Risiken ist oder wenn sich Risiken typischerweise kumulieren, also z.B. arbeitsschutzrechtliche Risiken statistisch häufig mit Diskriminierungsrisiken einhergehen. Ob digitale Erhebungsinstrumente hierbei weiterhelfen und wie sie ausgestaltet werden müssen, ist eine der dringendsten Fragen für die Geschlechtergerechtigkeit der globalen Privatwirtschaft.[40] Davon wird u.a. auch die Effektivität der nach § 10 Abs. 2 LkSG erforderlichen Berichtspflichten abhängen. Ihnen muss eine authentische Datenlage und eine geschlechtergerechte Auswertung zugrunde gelegt werden, damit sie nicht dem sog. Socialwashing Vorschub leisten. Es dürfte zu erwarten und zu hoffen sein, dass die Erfahrungen aus der europäischen Nachhaltigkeitsberichtserstattung in den Entwurf der CSDDD und deren Umsetzungsprozess einfließen.[41]
Damit die Compliance-Systeme geschlechtergerecht ausgestaltet und spezifische Methoden sowie angemessene Instrumente zur Risikoerfassung entwickelt werden können, bedarf es der Ausbildung von Genderkompetenz und eigenen Gleichstellungsstrategien in deutschen Unternehmen.[42] Diese ist dringend nötig, um die Fähigkeit zu fördern, Indikatoren zu entwickeln, die Auswirkungen der eigenen Geschäftstätigkeit (wie etwa Einkaufspraktiken, Lieferkonditionen, Produktionsanforderungen oder auch Vermarktungsstrategien) sowie die eigenen Einflussmöglichkeiten einschätzen zu können und schließlich geeignete und geschlechterspezifisch angemessene Präventions- und Abhilfemaßnahmen entwickeln zu können. Klassische Auditpraktiken dürften etwa zur Behebung des Risikos für geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung unzureichend sein.[43]
Zu (3): Hindernisse der Beteiligung von Frauen bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten in Unternehmen
Die Defizite auf der Gesetzes- und Anwendungsebene (siehe oben (1) und (2)) werden im LkSG auch nicht in ausreichender Weise durch besondere Beteiligungsformen für Frauen und Mädchen kompensiert. Zwar sieht § 4 Abs. 4 LkSG bei der Errichtung und Umsetzung des Risikomanagements in den Unternehmen die Berücksichtigung der Interessen der betroffenen Beschäftigten innerhalb der Lieferkette, insbesondere der vulnerablen Gruppen vor. Wie weit diese Berücksichtigung geht (ob z.B. auch assoziierte Dritte, etwa Kinder von arbeitenden Frauen und Ehefrauen erfasst sind) und wie deren tatsächliche Berücksichtigung sicherzustellen ist, regelt das LkSG hingegen nicht. Insbesondere sind im Gesetz keine konkreten Verfahren, wie etwa Anhörungen oder Befragungen, genannt. Lediglich in der Gesetzesbegründung ist die Rede davon, dass „dies […] in Form einer direkten Konsultation mit (möglicherweise) von Rechtsverletzungen betroffenen Personen oder mit einer berechtigten Interessenvertretung erfolgen“ kann. „Die Konsultation – etwa durch einen direkten Austausch“ sei ein „wichtiges partizipatives Mittel […], um Informationen über ihre Interessen und menschenrechtliche Situation zu erlangen“. Dazu „kann der Abbau sprachlicher und anderweitiger Hürden erforderlich sein“.[44] In Zukunft wird es entscheidend darauf ankommen, diese Beteiligungsformen aktiv von außen einzufordern, ihre niedrigschwellige Ausgestaltung voranzutreiben und ihre Durchführung zu begleiten. So sollten Unternehmen etwa unter Androhung eines Bußgeldes dazu verpflichtet werden, den Betriebsrat bei der Einrichtung des Risikomanagements anzuhören und im Rahmen ihrer Berichtspflicht über die Einrichtung des Risikomanagements darüber zu berichten, inwiefern die Interessen der Stakeholder berücksichtigt wurden. Begrüßenswert ist insofern, dass der Entwurf der CSDDD die Stakeholderbeteiligung an mehreren Stellen – wenn auch nicht überall verpflichtend – regelt. Deren Beteiligung ist demnach vorgesehen bei der Sammlung von Informationen über negative Auswirkungen (optional), bei der Ausarbeitung eines Präventionsaktionsplans (verpflichtend) und eines Korrekturmaßnahmeplans (optional) in Absprache mit den betroffenen Interessenträger*innen sowie bei der „angemessenen“ Berücksichtigung ihrer Beiträge bei der Einrichtung und Kontrolle der Maßnahmen durch die Mitglieder der Unternehmensleitung (verpflichtend).
Die ausdrücklich vorgesehenen Beschwerdemechanismen (vgl. § 8 LkSG) können ein Element, aber nicht das alleinige dieser Beteiligung sein, weil sie nicht früh genug ansetzen und sehr voraussetzungsreich sind. Zudem müssen insbesondere der Zugang zu den Beschwerdemechanismen erleichtert und geschlechtsspezifische Hindernisse beseitigt werden. Dabei ist genau zu analysieren, was die Prämissen für die Beschwer weiblicher Beschäftigter sind. Die Abwesenheit von Beschwerden durch Frauen ist kein geeigneter Indikator, um auf die Abwesenheit von Geschlechterbenachteiligung zu schließen; im Gegenteil kann dies ein Hinweis auf entsprechende Risiken und einen nicht funktionierenden Beschwerdemechanismus sein.[45] Daraus können besondere Schutz- oder Informationspflichten folgen. So muss insbesondere sichergestellt werden, dass informell oder in Heimarbeit Beschäftigte Zugang zu dem Beschwerdemechanismus haben. Im Rahmen der Vertraulichkeit der Identität der hinweisgebenden Person, die im Rahmen des Beschwerdeverfahrens zu gewähren ist, sollten Unternehmen auch verpflichtet werden, eine anonyme Nutzung des Verfahrens zu ermöglichen, so dass ein zusätzlicher Schutz vor Repressalien besteht. Zudem sind die für die Beschwerdesysteme zuständigen Personen für gendersensible Thematiken zu schulen und schließlich die Verbindung zu Folgemaßnahmen und Abhilfen hinreichend klar und nachhaltig zu gestalten.
Zur Effektuierung dieser internen Beteiligungsstrukturen ist es dringend nötig, den gerichtlichen Rechtsschutz wirksam zu machen. Im Hinblick auf die spezifischen Hindernisse, die Frauen beim Zugang zu ihren Rechten vor Gerichten erfahren, sollte der Rechtsschutz über die in § 11 LkSG vorgesehene Prozessstandschaft zur gerichtlichen Geltendmachung der Rechte betroffener Personen eine geschlechtsspezifische Komponente enthalten. Zwar ist die besondere Prozessstandschaft für Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen im LkSG zu begrüßen – der Entwurf der CSDDD enthält eine solche Regelung nicht. Unberücksichtigt bleibt jedoch auch im LkSG, dass der Zugang zu solchen kollektiven Rechtsschutzinstrumenten gerade für Frauen nicht nur subjektiv (wegen individueller Hürden), sondern auch materiell (insb. wegen der Unsicherheit der geschützten Rechtspositionen [s.o. zu (1)], die in der Anforderung der “überragend wichtigen Rechtsposition” i.S.d. § 11 LkSG fortwirkt) sowie prozedural (etwa wegen Beweisproblemen) sehr voraussetzungsreich ist. Insbesondere setzt der kollektive Rechtsschutz voraus, dass die Kollektivakteur*innen im Inland ansässig sind und sich als transnationale Vertreter*innen der vulnerablen Personen begreifen. An dieser Stelle ist insbesondere das Engagement von Frauenrechtsorganisationen gefragt. (Nur) sie können das Instrument der strategischen Prozessführung letztlich auch fruchtbar machen.
IV. Dringlichste Forderungen und nächste Schritte
Wie aufgezeigt bestehen – auch nachdem Chancen der geschlechterspezifischen Ausgestaltung des LkSG verpasst wurden und es wünschenswert ist, dass dies im Rahmen des europäischen Gesetzgebungsprozesses zur CSDDD nachgeholt wird – nunmehr in der Anwendung des Gesetzes einige vielversprechende Möglichkeiten, um trotz der insoweit defizitären gesetzlichen Regelung dennoch den Schutz von Frauen und Mädchen in globalen Lieferketten zu stärken. Der präventiv wirkende Risikoansatz des LkSG muss unbedingt genutzt werden, um zur Effektuierung von Frauenrechten beizutragen. Denn die an der Verantwortung und dem Selbstverständnis der wirtschaftlichen Akteur*innen ansetzenden Sorgfaltspflichten sind grundsätzlich geeignet, nachhaltig und langfristig Veränderungen in den Unternehmenskulturen herbeizuführen. Sie verpflichten dazu, sich mit den Verstrickungen der unternehmerischen Tätigkeiten und gesellschaftlichen Belangen, Machtverhältnissen und sozialen Beziehungen auseinanderzusetzen. Dies bietet die Chance, für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu sorgen. Hierfür bedarf es der folgenden dringenden Schritte:
- Konkretisierung des geschlechterspezifischen Anwendungs- und Schutzbereiches des LkSG
- Erarbeitung geschlechtsspezifischer Leitlinien für das Risikomanagement
- Ausarbeitung der Indikatoren für das Vorliegen eines geschlechterspezifischen Risikos im Sinne des LkSG
- Ausbildung von Genderkompetenz und Diskriminierungswissen in den Unternehmen
- Anstoßen eines Diskurses zur Geschlechterdimension in der Lieferkette und Vernetzung der Akteur*innen
- Sensibilisierung der Interessenvertretungen
Der djb plädiert dringend dafür, den hierzu erforderlichen Diskurs aufzunehmen und einen Fokus auf die Geschlechterfrage zu legen.
Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin des djb
Prof. Dr. Heide Pfarr
Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht
Prof. Dr. Anna Katharina Mangold
Vorsitzende der Kommission Europa- und Völkerrecht
[1] Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten vom 16.07.2021, BGBl. I/2021 Nr. 46, S. 2959 ff., abrufbar unter https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl121s2959.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl121s2959.pdf%27%5D__1671369315740, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[2] Zuletzt hat der Europäische Rat am 01.12.2022 eine Verhandlungsposition zum Entwurf der Europäischen Kommission festgelegt. Das EU-Parlament erarbeitet derzeit seinen Standpunkt. So hat bspw. der Handelsausschuss am 24.01.2023 eine ambitionierte Stellungnahme beschlossen, worüber voraussichtlich im Mai 2023 das Plenum entscheiden wird. Derzeit wird erwartet, dass die anschließenden sog. Trilogue-Verhandlungen im dritten oder vierten Quartal 2023 stattfinden werden.
[3] Richtlinie (EU) 2019/1937, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:bc4dcea4-9584-11ec-b4e4-01aa75ed71a1.0007.02/DOC_1&format=PDF, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[4] Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 19/28649, S. 23; vgl. auch das Monitoring der Bundesregierung zum Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte, Abschlussbericht abrufbar unter: https://www.csr-in-deutschland.de/SharedDocs/Downloads/DE/NAP/nap-monitoring-abschlussbericht.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[5] Siehe beispielsweise auch das französische Gesetz „Loi n° 2017-399 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d'ordre“: https ://www.legifrance.gouv.fr/loda/id/JORFTEXT000034290626/?isSuggest=true; oder das norwegische Gesetz „Vedtak til lov om virksomheters åpenhet og arbeid med grunnleggende menneskerettigheter og anstendige arbeidsforhold (åpenhetsloven)“: https://www.stortinget.no/no/Saker-og-publikasjoner/Vedtak/Beslutninger/Lovvedtak/2020-2021/vedtak-202021-176/, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[6] Kelly Groen, Lis Cunha, “Due diligence laws must not leave women behind”, Business and Human Rights Resource Centre, 25.06.2019, abrufbar unter: https://www.business-humanrights.org/en/blog/due-diligence-laws-must-not-leave-women-behind/, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023; weitere Nachweise in Hensel, in: Kaltenborn/Krajewski/Rühl/Saage-Maaß (Hg.), Sorgfaltspflichtenrecht, § 2 I Nr. 7, i.E.
[7] Dazu ILO (2011), Safety and Health in Agriculture, Code of Practice, Internationale Arbeitsorganisation, Genf. „37% der Arbeiter:innen in der Landwirtschaft sind Frauen, die aufgrund geringeren Eigentums an und Kontrolle über Land und natürliche Ressourcen überproportional von Menschenrechtsverletzungen wie land grabbing betroffen sind“, Global Policy Forum Offener Brief an die Europäische Union v. 31.3.2022, Fn. 9.
[8] Siehe die Zahlen: ActionAid ‘We mean business’ https://actionaid.nl/wp-content/uploads/2020/02/We-Mean-Business-Protecting-Womens-Rights-in-Global, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023; Clean Clothes Campaign, Fashioning justice, 2021, https://cleanclothes.org/news/2021/fashioning-justice, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[9] Vgl. etwa International Labour Office (2018): Women and Men in the Informal Economy: A Statistical Picture (third edition). Geneva: https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/---dcomm/documents/publication/wcms_626831.pdf, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023; Pieper, Arbeitsrechte in der Informalität, 2018; Fairtrade, Geschlechtergerechtigkeit in globalen Lieferketten, Forderungen an Politik & Unternehmen, Positionspapier, 2020.
[10] „In kürzester Zeit stornierten in Europa ansässige multinational agierende Unternehmen Aufträge in Millionenhöhe. Fabriken mussten schließen. Arbeiterinnen in Bangladesch, Indien oder Äthiopien verloren über Nacht ihre Arbeit. Die ausfallenden Löhne führten nicht zuletzt aufgrund fehlender sozialer Sicherungssysteme zu Armuts- und Hungerkrisen“, vgl. FES, Schutz von Frauen in globalen Lieferketten?, abrufbar unter: https://www.fes.de/themenportal-die-welt-gerecht-gestalten/artikel-in-die-welt-gerecht-gestalten/schutz-von-frauen-in-globalen-lieferketten-nur-mit-geschlechtergerechten-gesetzen, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[11] Siehe dazu UN Women/ILO, Handbook on Addressing violence and harassment against women in the world of work, 2019, insb. S. 35ff.
[12] So auch der Bericht der UN-Arbeitsgruppe für Wirtschaft und Menschenrechte „Gender dimensions of the guiding principles on business and human rights“, HRC, A/HRC/41/43, 2019.
[13] Abrufbar in deutscher Sprache unter https://www.auswaertiges-amt.de/blob/266624/b51c16faf1b3424d7efa060e8aaa8130/un-leitprinzipien-de-data.pdf, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[14] Vgl. UN-Leitprinzipien (Fn. 13), S. 15f.
[15] OECD, Due Diligence Guidance for Responsible Business Conduct, 2018, S. 42 f.
[16] Siehe hierzu UN Women/UN Global Compact, Women’s Empowerment Principles, https://www.weps.org/, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023. Siehe den jüngsten Bericht von 2021 dazu unter: https://unwomen.de/wp-content/uploads/2022/04/WEPs-A-snapshot-of-350-companies-in-the-G7.pdf, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[17] Das Positionspapier ist abrufbar unter: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Geschlechtergerechtigkeit_in_globalen_Lieferketten.pdf, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[18] Siehe hierzu https://embracedifference.ert.eu/case-studies/geeis-an-international-certification-in-diversity/, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[19] BT-Drucksache 19/28649, S. 24 f.
[20] Vgl. die offenen Briefe an die Europäische Union: https://corporatejustice.org/wp-content/uploads/2021/11/OPEN-LETTER-Urgent-request-to-ensure-a-gender-responsive-SCGD.pdf; https://www.globalpolicy.org/de/news/2022-03-31/offener-brief-die-europaeische-union-0#_ftn2, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[21] Abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2021-0073_DE.html, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[22] Hervorhebung durch die Autorinnen.
[23] UN, General Assembly Resolution 70/1, 21.10.2015, UN Doc. A/RES/70/1.
[24] UN, General Assembly Resolution 70/1, siehe insbesondere SDG 5 (5.1, 5.2, 5.5) und SDG 8 (8.5, 8.8).
[25] Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen in Deutschland werden auch erfasst, wenn das Unternehmen mehr als 3.000 Mitarbeitende (ab 2023) beziehungsweise 1.000 Mitarbeitende (ab 2024) in Deutschland beschäftigt, Angabe des BMZ, https://www.bmz.de/de/themen/lieferkettengesetz, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[26] Bei 3.000 Mitarbeitenden lediglich rund 700 Unternehmen in Deutschland. Vgl. hierzu die Ausführungen auf der Webseite des BMZ, https://www.bmz.de/de/themen/lieferkettengesetz, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[27] Siehe dazu die Nachweise in Fn. 8.
[28] Die Klarstellungsversuche in der Gesetzesbegründung dürften nicht reichen, vgl. Drucksache 19/28649, S. 44.
[29] Siehe dazu die Nachweise in Fn. 8 sowie etwa https://www.fes.de/themenportal-die-welt-gerecht-gestalten/artikel-in-die-welt-gerecht-gestalten/supply-chain-governance, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[30] Wodurch über die Auffangklausel (Nr. 21 Annex Part I) der Schutzbereich von CEDAW in den Gegenstand der unternehmerischen Sorgfaltspflichten inkorporiert werden kann.
[31] Zur Verbindlichkeit des Abkommens siehe Nousiainen/Christine, Legal implications of EU accession to the Istanbul Convention, 2015, S. 37 ff.
[32] Siehe etwa WSK-Ausschuss, E/C.12/CPV/CO/1, 27.11.2018, Rn. 31; IAGMR 31.8.2021 – Buzos Miskitos (Lemoth Morris et al.) v. Honduras, Rn. 48, 107.
[33] Siehe die Fallstudien hier: UN Women/ILO, Handbook on Addressing violence and harassment against women in the world of work, 2019, 35ff.
[34] Vgl. Präambel ILO Übereinkommen Nr. 190; HRC, UN Doc. A/HRC/20/15, Rn. 48; HRC, Women’s human rights in the changing world of work, Report of the Working Group on discrimination against women and girls, UN Doc. A/HRC/44/51, 2020, Rn. 43 ff.; ILO, Safe and healthy working environments free from violence and harassment, 2020, S. 15.
[35] Zum Gender-Konzept der ILO: ILO, General Survey 2012, Rn. 782.
[36] Statt vieler: HRC, UN Doc. A/HRC/20/15, Rn. 15 ff.; HRC, UN Doc. A/HRC/44/51, Rn. 12.
[37] Siehe Women’s International League for Peace and Freedom, 25Years, Limited Progress on Women’s Rights’, Peace Women, 2020, https://www.peacewomen.org/e-news/25-years-limited-progress-womens-rights, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023.
[38] DIHR, Human Rights Impact Assessment, Guidance and Toolbox, 2020, S. 65. ETI, Gender Data Indicators, 2022, S. 4 ff.; UN Women/ILO, Handbook on Addressing violence and harassment against women in the world of work, 2019, S. 59.
[39] Für weitere Beispiele siehe etwa UNGA, UN Doc. A/72/162, 18.07.2017, Rn. 30; Frauenrechtsausschuss, UN Doc. CEDAW/C/GC/35, 14.07.2017, Rn. 3, 8 ff., 13.
[40] Zu einer parallelen Debatte schon für das deutsche Recht siehe die Konzeption eines Gleichstellungsgesetzes für die Privatwirtschaft des djb: www.djb.de/fileadmin/user_upload/Konzeption_Gleichstellungsgesetz_Langfassung_djb.pdf, zuletzt aufgerufen am 14.03.2023, S. 21, 33.
[41] Vgl. die strengeren Anforderungen der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung, 2021/0104 (COD).
[42] Vgl. die eindringlichen Forderungen des djb in der Konzeption für ein Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft, Fn. 40.
[43] BOECD, OECD Feasibility Study, Measuring the Uptake and Impact of Due Diligence in the Garment and Footwear Sector Supply Chain, 2020, S. 43.
[44] Gesetzesbegründung, Drucksache 19/28649, S. 44.
[45] ILO, General Survey 2012, Rn. 790.