Wir bedanken uns für die Möglichkeit, uns zu den Änderungen im Asylrecht zu äußern. Die durch das BMI gesetzten zeitlichen Fristen – diesmal von Donnerstagmittag bis Montagmittag – legen allerdings den Schluss nahe, dass an einem fachlichen Diskurs mit den Expert*innen in Verbänden und Zivilgesellschaft kein Interesse besteht. Angesichts der Relevanz des Themas nehmen wir zumindest zu den vorgesehenen Änderungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) im Hinblick auf die sozialrechtlichen Auswirkungen für geflüchtete Frauen, Kinder und Familien Stellung.
Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) fordert, dass die geplanten Regelungen erneut auf ihre frauen- und kinderspezifischen Auswirkungen geprüft werden und dabei die verfassungsrechtlichen, europarechtlichen und internationalen Vorgaben beachtet werden.
1. Nach dem neuen § 1 Abs. 4 AsylbLG-E sollen Personen, die bereits in einem anderen EU-Staat einen Schutzstatus erhalten haben, vollständig von existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen werden.
Die Begründung des Gesetzentwurfs führt hierzu aus:
„Durch den neuen § 1 Absatz 4 Asylbewerberleistungsgesetz wird gewährleistet, dass Personen mit einem Schutzstatus in einem anderen EU-Mitgliedstaat lediglich eine Reisebeihilfe zur Ru?ckkehr in diesen Mitgliedstaat erhalten.“
Die Neuregelung betrifft vor allem Geflüchtete, die in Deutschland, um Schutz bitten, weil der EU-Staat, in dem sie einen Schutzstatus erhalten haben, ihnen weder eine Unterkunft noch Hilfen zum Lebensunterhalt zur Verfügung stellt oder in denen die Bedingungen in Flüchtlingslagern nicht den humanitären Mindeststandards entsprechen. Alleinstehende Frauen, Mütter, Familien mit kleinen Kindern und andere vulnerable Personen sind diesen Bedingungen besonders hilflos ausgeliefert. Die in Deutschland zuständigen Behörden sind verpflichtet, den besonderen individuellen Situationen von vulnerablen Personen Rechnung zu tragen und zu prüfen, ob hier ein Abschiebehindernis vorliegt, welches der Rückkehr in den erstaufnehmenden EU-Staat entgegen steht.
Das BVerfG hatte zu Überstellungen etwa nach Italien festgestellt (BVerfGE vom 17. September 2014 – 2 BvR 939/14):
„Bei Rückführungen in sichere Drittstaaten können hiervon betroffene Ausländer – anders als bei der Rückführung in ihr Heimatland – regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen. Bestehen – wie gegenwärtig im Falle Italiens – aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen.
Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen nach dem Dublin-System vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkte der uneingeschränkten Achtung des Grundsatzes der Einheit der Familie und der Gewährleistung des Kindeswohls (vgl. nunmehr Erwägungsgrund 16 der neugefassten Dublin III-Verordnung) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit neugeborenen (vgl. Art. 16 Abs. 1 der Dublin III-Verordnung) und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.“
Wenn Geflüchtete während eines gerichtlichen Verfahrens von jeglicher existenzsichernder Leistung ausgeschlossen werden, wird damit nicht nur gegen das Verfassungsgebot zur staatlichen Sicherstellung der Menschenwürde (Art. 1 GG) sondern auch gegen das in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip verstoßen, denn der Entzug der Leistungen behindert die Inanspruchnahme von Rechtsschutz. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet jedoch das Recht gerichtlich gegen eine Abschiebung vorzugehen und während dieser Überprüfung in Deutschland zu verbleiben. Alleinerziehenden Frauen mit kleinen Kindern ist die Ausreise in einen EU-Staat ohne jegliche Grundversorgung besonders häufig unzumutbar. Genau dieser Gruppe wird mit dem Leistungsentzug jedoch der Zugang zu einem rechtstaatlichen Verfahren versperrt, weil sie mit ihren Kindern aus den Flüchtlingsunterkünften auf die Straße verwiesen werden sollen.
Die Regelung ist auch nicht mit migrationspolitischen Erwägungen zu rechtfertigen. „Migrationspolitische Erwägungen“ – so das BVerfG – „können eine geringere Bemessung der Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge nicht rechtfertigen. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“ (BVerfG vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, Orientierungssatz dd)
2. Personen, deren Asylantrag vom BAMF als unzulässig bewertet wurde (§ 1a Abs. 7 AsylbLG-E) weil ein anderer Staat nach dem Europäischen Verteilsystem (sog. Dublin Regelung) zuständig ist, erhalten nur noch Sachleistungen zum physischen Überleben. Das soll auch dann gelten, wenn die Entscheidung noch gerichtlich überprüft wird und damit nicht rechtskräftig ist.
In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird lediglich auf eine Vervollständigung der Sanktionstatbestände verwiesen. Derartige Sanktionen sind jedoch rechtlich unzulässig.
Aus der Neuregelung folgt, dass Personen, die von einem Recht auf gerichtliche Überprüfung einer Behördenentscheidung Gebrauch machen, faktisch mit einer radikalen Leistungskürzung bestraft werden. Sie erhalten lediglich einen Schlafplatz, drei Mahlzeiten am Tag, Hygieneartikel und eine medizinische Notversorgung. Diese Sanktion trifft faktisch in besonderem Maße Kinder, Schwangere, Alleinerziehende, Mütter, Gewaltbetroffene, Kranke und Menschen mit Behinderung.
Die Regelung verstößt zum einen gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 19 Abs. 4 GG, weil es diejenigen sanktioniert, die ihren grundrechtlich verbürgten Rechtschutz geltend machen.
Sie verstößt zum anderen gegen die Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU, die insbesondere vulnerablen Personen Leistungen im Umfang des vollen Existenzminimums nach den Regelungen der einzelnen Mitgliedstaaten (Art. 17) und die uneingeschränkte Gesundheitsversorgung (Art. 19 Abs. 2) garantiert. Der EuGH hatte 2012 bereits über die Frage zu entscheiden, ob Leistungseinschränkungen gegenüber Personen zulässig sind, wenn ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist (Urteil vom 27. September 2012 – C?179/11 „Cimade“). Der Gerichtshof weist in dieser Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass Leistungseinschränkungen ausschließlich in den von der Richtlinie vorgesehenen Fällen zulässig sind. Die Durchführung eines Rechtsschutzverfahrens gehört nicht dazu:
„Ziel dieser Richtlinie ist es [...]vor allem, die uneingeschränkte Wahrung der Menschenwürde zu gewährleisten und die Anwendung der Art. 1 und 18[1] der Charta zu fördern. Diese Anforderungen gelten daher nicht nur gegenüber Asylbewerbern, die sich im Hoheitsgebiet des zuständigen Mitgliedstaats befinden und auf dessen Entscheidung über ihren Asylantrag warten, sondern auch gegenüber solchen, die auf die Bestimmung des für diesen Antrag zuständigen Mitgliedstaats warten. [...] Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Verpflichtung des Mitgliedstaats, der mit einem an seiner Grenze oder in seinem Hoheitsgebiet gestellten Asylantrag befasst ist, die in der Richtlinie 2003/9 vorgesehenen Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern einem Asylbewerber zu gewähren [...], erst mit der tatsächlichen Überstellung des Asylbewerbers durch den ersuchenden Mitgliedstaat endet.“
Darüber hinaus wird die UN-Kinderkonvention missachtet: weil für geflüchtete Kinder keine angemessenen Lebensbedingungen gewährleistet werden (Art. 27) und weil der Verpflichtung, das Kindeswohl bei jeder behördlichen Entscheidung als vorrangigen Gesichtspunkt zu beachten (Art. 3 Abs. 1), nicht nachgekommen wird.
3. Die Zeit des Bezugs der herabgesetzten Leistungen soll auf 18 Monate (bisher 15 Monate) heraufgesetzt werden (§ 2 AsylbLG-E).
Damit sind jedoch nicht nur deutliche Unterschreitungen des Existenzminimums verbunden, sondern auch die Einschränkungen der Gesundheitsleistungen sowie der fehlende Leistungsanspruch für pflegebedürftige und behinderte Menschen. Erneut sind von diesen Regelungen vulnerable Personen besonders betroffen. Aufgrund von Gewalterfahrung, Belastung durch Erziehungs-, Pflege- und Familienpflichten handelt es sich dabei besonders häufig um Frauen.
In diesem Zusammenhang muss dringend auch eine Regelung für die Menschen mit Behinderung im AsylbLG oder durch Änderung des § 100 SGB IX gefordert werden, weil durch die Verlagerung der Eingliederungshilfe ins SGB IX ab dem 1. Januar 2020 ein pauschaler Leistungsausschluss für alle Anspruchsberechtigten nach AsylbLG eingeführt wird.
Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin
Dr. Ulrike Spangenberg
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung,
Familienlastenausgleich
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[1] Schutz der Menschenwürde und Recht auf Asyl.