Stellungnahme: 16-25


zur juristischen Ausbildung anlässlich der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 17. November 2016 in Berlin

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt das Vorhaben der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo), auf ihrer am 17. November 2016 stattfindenden Herbstkonferenz in Berlin eine Reduzierung des Pflichtstoffs der juristischen Ausbildung auf den Weg zu bringen. Gleichzeitig spricht sich der djb dafür aus, dass der Umgang mit Diskriminierung und Ungleichheiten sowohl bei der inhaltlichen Ausgestaltung als auch im Hinblick auf strukturelle Exklusionsmechanismen der juristischen Ausbildung berücksichtigt wird.

Die juristische Ausbildung ist reformbedürftig. Problematisch ist nicht nur die Fülle des Stoffes, sondern auch die Tatsache, dass rechtswissenschaftlichen Grundfragen und methodischen Fähigkeiten ein zu geringes Gewicht beigemessen wird. Studierende haben zudem bisher zu wenig Freiraum, ihr Studium selbst zu gestalten. Die Stoffvermittlung erfolgt dicht gedrängt, in den ersten Semestern oftmals einseitig im Rahmen von Massenvorlesungen. Das ist weder förderlich für den Austausch untereinander noch für das Erlernen und Erproben reflexiver und kritischer Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Ausbildung.

Bei der Frage, auf welche Pflichtthematiken das juristische Studium begrenzt werden kann, fordert der djb eine stärkere Berücksichtigung von reflexiven Kompetenzen und dem kritischen Umgang mit Recht. Eine Ausbildung von Juristinnen und Juristen, die diese auf Gerechtigkeitsfragen demokratischer und offener Gesellschaften vorbereitet, muss auch Rechtsfragen von Diskriminierung, Hierarchien und Ungleichheiten zum Gegenstand haben. Dazu braucht es Juristinnen und Juristen, die Recht nicht nur mechanisch anwenden können, sondern die auch in der Lage sind, es aus verschiedenen Perspektiven zu hinterfragen und es in vielfältige gesellschaftliche Zusammenhänge einzuordnen.

Der djb unterstützt die Forderung, Grundlagenfächer wie Rechtssoziologie als Ort der Vermittlung von Reflexionswissen im Rahmen der juristischen Ausbildung zu stärken. Diese sollten soweit wie möglich im Pflichtprogramm integriert sein.

In die falsche Richtung geht der Vorschlag der JuMiKo, die universitäre Schwerpunktbereichsausbildung zu minimieren und deren Ergebnisse nur noch mit 20 Prozent statt bisher 30 Prozent in die Gesamtnote einfließen zu lassen. Gerade im Gestaltungsraum, den das Schwerpunktstudium bietet, kann über Detailwissen hinaus eine auf Verständnis- und Argumentationskompetenz zielende Analysefähigkeit gefördert werden, die breit nutzbar ist. Die meist nur im Schwerpunktbereichsstudium angebotenen Seminar-Formate bieten durch ihre Vertiefungsorientierung Raum für den inhaltlichen Austausch, der im atemlosen Pflichtstudium oft zu kurz kommt. Hier besteht auch die Möglichkeit, rechtskritische Perspektiven wie feministische Rechtswissenschaft zu thematisieren. Eine Entwertung setzt falsche Anreize und reduziert die ohnehin fehlenden Freiräume weiter.

Wenn in diesem Zusammenhang eine „Noteninflation“ beklagt wird, erscheint dies nicht als flächendeckend zutreffend. Nach wie vor ist die juristische Ausbildung durch enorm hohe Anforderungen und belastende Prüfungen gekennzeichnet und für Studierende von Überlastungs- und Frustrationserfahrungen geprägt. An einer Durchfallquote von etwa 30 Prozent hat sich trotz vermeintlicher „Noteninflation“ durch die Schwerpunkte nichts geändert. Die Zahl derer, die mit Prädikatsexamen abschließen, liegt nach wie vor bei weniger als 20 Prozent.[1]Der djb fordert statt einer Entwertung der Schwerpunktbereiche ein Umdenken im Hinblick auf die vorherrschende Praxis der defizitorientierten Notenvergabe, bei der die Bestnoten äußerst selten bis nie vergeben werden. Die juristische Ausbildung sollte es Studierenden zudem von Beginn an ermöglichen, eigene Interessen zu verfolgen und zu vertiefen. Dabei ist durchaus nicht auszuschließen, dass eine Verbesserung der Noten die Folge sein kann, wenn Studierende das bearbeiten, was sie besonders interessiert.

Der djb fordert, Gender- und Diversity-Kompetenz als juristische Kernkompetenz in den Fächerkanon aufzunehmen. Diejenigen, die heute von Diskriminierung betroffen sind, sind auf einen wirksamen und damit diskriminierungsfreien Zugang zum Recht angewiesen. Dazu gehört, dass Juristinnen und Juristen in Rechtsberatung, Verwaltung und Rechtsprechung in der Lage sind, diskriminierende Sachverhalte und Lebensbedingungen einschätzen und sensibel mit den Erfahrungen der davon Betroffenen umgehen zu können. Das Rechtssystem verlässt sich hier aktuell zu stark darauf, dass die erforderliche Beratung durch ehrenamtliche oder unzureichend finanzierte öffentliche Beratungsstellen übernommen wird. Gender- und Diversity-Kompetenz sind aber zentrale Schlüsselqualifikationen für juristische Berufe; dies wird bei der Auslegung des § 5a Abs. 3 DRiG (der die Relevanz von Schlüsselqualifikationen in der juristischen Ausbildung regelt) oft noch nicht angemessen erkannt. Es bedarf deshalb auch einer entsprechenden Ergänzung bzw. Klarstellung des §  5a Abs. 3 DRiG.

Gegenüber den Fakultäten fordert der djb mehr Repräsentation von Frauen und marginalisierten Gruppen in der juristischen Ausbildung. Nach wie vor sind über 80 Prozent der juristischen Professuren mit weißen, heterosexuellen Männern besetzt. Das Ausbildungsmaterial ist gekennzeichnet von überkommenen Geschlechterbildern und repräsentiert nicht in ausreichendem Maße die gelebte Vielfalt in der Gesellschaft. Diskriminierung ist nicht nur eine Frage der juristischen Inhalte, sondern ein strukturelles Problem der juristischen Ausbildung. Dahingehend besteht Reformbedarf.

Mehrere jüngere Untersuchungen über Abschlussnoten[2] legen nahe, dass Faktoren wie Geschlecht und Herkunft einen Einfluss darauf haben, wie gut oder schlecht ein Kandidat / eine Kandidatin im Examen abschneidet. Zu den genauen Zusammenhängen ist bisher nur wenig bekannt. Damit fehlt es an Wissen über Exklusionsmechanismen im juristischen Studium. Der djb fordert eine umfassende Untersuchung, welchen Einfluss bestimmte Vorannahmen über Geschlecht, Herkunft, Behinderung auf die Examensergebnisse haben.

In diesem Zusammenhang fordert der djb eine evaluations- und faktenbasierte Reform der juristischen Ausbildung. Die Details zum Reformvorhaben der JuMiKo werden bisher hinter verschlossenen Türen verhandelt. Für eine notwendige Reform der juristischen Ausbildung bedarf es eines transparenten Verfahrens unter Beteiligung derer, die unmittelbar betroffen sind: Studierende, Lehrende, Referendar_innen und Ausbilder_innen.

 

Ramona Pisal                                                
Präsidentin      

Prof.Dr. Heide Pfarr
Vorsitzende der Kommission Arbeits-,
Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht                                                                
                                                                                              

 


[1] Zahlen des BMJV für 2014:             https://www.bundesjustizamt.de/DE/SharedDocs/Publikationen/Justizstatistik/Juristenausbildung_2014.pdf;jsessionid=16CA92EC3F134E1743C6F03904FF19E6.1_cid386?__blob=publicationFile&v=4

[2]Towfigh, Emanuel/Traxler, Christian/Glöckner, Andreas, Zur Benotung in der Examensvorbereitung und im ersten Examen – Eine empirische Analyse, in: Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft 2014, S. 8-27; Hinz, Thomas/Röhl, Hans Christian, Geschlechterunterschiede in der ersten juristischen Prüfung – Befunde und Hypothesen, in: Juristenzeitung 2016, S. 874-880.