Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) sieht an wesentlichen Punkten Änderungsbedarf, um die Ziele des Gesetzentwurfes (insbesondere den Schutz der in der Prostitution tätigen Menschen) tatsächlich zu fördern. Auf frühere Stellungnahmen[1] wird insofern verwiesen und an dieser Stelle die Darstellung auf die problematischsten Punkte des Entwurfs beschränkt.
1. Anforderungen an die individuelle Anmeldung von Prostituierten
Die geplante individuelle Anmeldepflicht für in der Prostitution tätige Menschen sollte grundsätzlich überdacht werden. Zur konkret geplanten Ausgestaltung: Es handelt sich bei der Anmeldepflicht nicht um eine bloße Anzeige der Tätigkeit, weil die Anmeldebestätigung auch verweigert werden kann und in regelmäßigen Abständen zu verlängern ist. Diese Elemente des Entwurfs sprechen eher dafür, die sogenannte Anmeldung als eine Erlaubnispflicht für die Prostitutionsausübung zu interpretieren. Insbesondere für die kurze Gültigkeitsdauer der Anmeldebestätigung von zwei Jahren bzw. einem Jahr für Menschen unter 21 Jahren sowie das Erfordernis der Verlängerung der Anmeldung gibt es keine sachliche Begründung. Um die Betroffenen über ihre Rechte zu informieren (wofür ohnehin mildere Mittel denkbar sind), würde auch eine einmalige Anmeldung (und die Möglichkeit der Anzeige der Beendigung der Tätigkeit) ausreichen. Die angestrebte Kontrolldichte ist in ihrem Ausmaß unangemessen, insbesondere kann nicht überzeugend dargelegt werden, wie durch die Anmeldung der Schutz der Betroffenen erhöht werden kann.
Dringend rät der djb von der Mitführungspflicht des Nachweises über die Gesundheitsberatung bei der Ausübung der Prostitution (§ 10 Abs. 6) ab. Diese gefährdet die Betroffenen und ist auch nicht erforderlich, da bei der Anmeldung (bzw. der Verlängerung der Anmeldung) der Nachweis über die erfolgte(n) Gesundheitsberatung(en) vorgelegt werden muss.
2. Kosten der individuellen Anmeldung und ihrer
regelmäßigen Verlängerung
Der Entwurf enthält keine Regelung zu den Kosten der Anmeldung. Nach allgemeinen verwaltungskostenrechtlichen Grundsätzen dürfen Kosten, die den Aufwand abdecken, für Verwaltungsleistungen verlangt werden. Der voraussichtlich erhebliche Verwaltungsaufwand für Länder und Kommunen wird daher wahrscheinlich durch eine Gebührenerhebung bei den anmeldepflichtigen Prostituierten zumindest teilweise kompensiert werden. Die erforderliche Beratung, die Prüfung der Anmeldevoraussetzungen sowie eventuelle Kosten für Sprachmittler sind ein komplexer Verwaltungsvorgang, der Gebühren im dreistelligen Bereich als realistisch erscheinen lässt. Damit müssen sich mittellose und in der Regel besonders schutzbedürftige Prostituierte bereits vor Beginn ihrer Tätigkeit verschulden, um die Kosten der Anmeldung aufzubringen. Dies erhöht die Gefahr einer Abhängigkeit von Schleppern und/oder Zuhältern. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass diese schutzbedürftigen Personen sich gegenüber einer Behörde nicht offenbaren werden, da ihnen bewusst ist, dass sie sonst mit der Tätigkeit nicht beginnen können.
3. Pflicht zur regelmäßigen Inanspruchnahme
staatlicher Gesundheitsberatung bundesweit einmalig
Die Pflicht zu einer regelmäßigen gesundheitlichen Beratung (§ 10), die für die Verlängerung der Anmeldebestätigung (jährlich, für Menschen unter 21 Jahre alle sechs Monate) in Anspruch genommen werden muss (§ 5 Abs. 5 S. 2, 3), ist kontraproduktiv. Eine regelmäßige Untersuchung und Beratung wurde bereits 2001 mit dem Inkrafttreten des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) abgeschafft. Hintergrund war die Erkenntnis, dass Beratungen zu gesundheitlichen Fragen nur freiwillig und unter Sicherstellung der Anonymität angenommen werden. Die Leiter_innen aller großen deutschen Gesundheitsämter haben in ihrer Stellungnahme überzeugend dargelegt, dass die neue Pflichtberatung die Erfolge der anonymen und gut akzeptierten Beratungsangebote der Gesundheitsämter gefährdet und der Schutzcharakter von § 19 IfSG damit ausgehebelt wird.
Ferner besteht die berechtigte Sorge, dass Kunden die Beratungsbestätigungen als “Gesundheitszeugnis“ fehlinterpretieren und erst recht auf die Nutzung von Kondomen und anderen Schutzmaßnahmen ihrerseits verzichten.
Schließlich wird eine auch nur annähernd vergleichbare Beratungspflicht für keinen anderen Beruf und kein anderes Gewerbe gefordert. Selbst für Personen, die im Berufsalltag mit Lebensmitteln umgehen und damit eine gewisse Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen können, ist lediglich eine einmalige Beratung in ihrem gesamten Berufsleben durch das Gesundheitsamt gemäß § 43 Abs. 1 IfSG erforderlich. Die verpflichtende jährliche Gesundheitsberatung stellt damit auch eine diskriminierende und stigmatisierende Sonderregelung dar, für die es keine Rechtfertigung gibt.
4. Anordnungsbefugnisse in § 11 des Entwurfs zu weit gehend
Gemäß § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 des Entwurfs kann die Behörde gegenüber Prostituierten jederzeit Anordnungen in Bezug auf die Ausübung der Prostitution erlassen, soweit dies erforderlich ist zum Schutz von Anwohner_innen, Anliegern und der Allgemeinheit vor Lärmemissionen, verhaltensbedingten oder sonstigen Belästigungen oder zur Abwehr anderer erheblicher Beeinträchtigungen oder Gefahren für sonstige Belange des öffentlichen Interesses. Ihre weite Fassung erscheint unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung des Grundrechts nach Art. 12 Abs. 1 GG bedenklich, schafft erhebliche Rechtsunsicherheit und lässt die Regelung als Eingriffsgrundlage ungeeignet erscheinen. Einen allgemeinen Belästigungsschutz ohne Rechtsgutsbezug in der Öffentlichkeit gibt es im deutschen Recht bisher nicht. Die Ausübung der Prostitution als ohnehin stigmatisierte Tätigkeit unter den Vorbehalt sonstiger Belange des öffentlichen Interesses zu stellen, ist ein Freibrief für die Verdrängung jeglicher sichtbarer Prostitution. Die Anordnungsbefugnis sollte auf Maßnahmen gegen Lärmemissionen sowie erhebliche Belästigungen und Gefahren für konkrete Rechtsgüter beschränkt werden, außerdem sollte klargestellt werden, dass Prostituierte für ihr eigenes Verhalten verantwortlich sind, nicht aber für das von Dritten.
5. Kleinbetriebsklausel im gewerberechtlichen Teil des Entwurfs notwendig
Der djb spricht sich für eine deutschlandweit einheitliche gewerberechtliche Regulierung der Anforderungen an den Betrieb von Prostitutionsstätten aus. Trotzdem bedarf es, wie im Gewerberecht üblich, der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Belange und der Möglichkeiten von Kleinbetrieben. Der Entwurf geht, wie bereits in der Vergangenheit angemerkt, zu stark von einheitlichen Anforderungen an Prostitutionsstätten aus, die vom Großbordell mit 150 Zimmern bis zur kleinen Wohnung mit 2 Zimmern nicht variieren. Die Folge wird eine deutliche Veränderung der Prostitutionsstätten in Deutschland sein, vor allem kleine, von Frauen selbst geführte Betriebe werden von der Bildfläche verschwinden. Der djb empfiehlt die Einführung einer Kleinbetriebsklausel im gewerberechtlichen Teil der §§ 12 ff. des Entwurfs.
Ramona Pisal
Präsidentin
Prof. Dr. Maria Wersig
Vorsitzende der Kommission Recht der
sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich