Stellungnahme: 08-05


Richtlinienumsetzung Gemeinschaftsrecht - Art. 4 und 21 der Richtlinie 2006/54/EG

Stellungnahme vom

Bundesministerium der Justiz
Brigitte Zypries
Bundesjustizministerin
Mohrenstraße 37

10117 Berlin

Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend
Dr. Ursula von der Leyen
Bundesfamilienministerin

11018 Berlin

7. März 2008

Richtlinienumsetzung Gemeinschaftsrecht - Art. 4 und 21 der Richtlinie 2006/54/EG

Sehr geehrte Frau Bundesjustizministerin Zypries,
sehr geehrte Frau Bundesfamilienministerin Dr. von der Leyen,

hiermit möchten wir an das bevorstehende Auslaufen der Umsetzungsfrist der gemein­schaftsrechtlichen Richtlinie 2006/54/EG am 15. August 2008 erinnern. Diese Richtlinie beinhaltet zwar in der Hauptsache lediglich eine Neufassung und Zusammenfassung bestehender Normen. Dennoch besteht Umsetzungsbedarf für das Recht der Bundesrepublik Deutschland, was die Entgeltgleichheit aus Art. 4 und den Sozialen Dialog aus Art. 21 RL 2006/54/EG betrifft.

Der Umsetzungsbedarf bei Art. 4 beruht im Wesentlichen darauf, dass schon die Richtlinie 75/117/EWG vor dem Erlass des AGG nicht vollständig in bundesdeutsches Recht umgesetzt war. Denn der damalige § 612 Abs. 3 BGB war die einzige Norm des bundesdeutschen Rechts, die die Richtlinie 75/117/EWG umsetzte und dem Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht deutlich Ausdruck gab. § 612 Abs. 3 BGB wiederholte allerdings nur das, was im direkt anwendbaren Artikel 141 EG sowieso steht, setzte aber insbesondere nicht Artikel 1 der Richtlinie 75/117/EWG um. [1]

 

Nach Inkrafttreten des AGG und dem Außerkrafttreten von § 612 Abs. 3 BGB wurde dieser Umsetzungs­mangel verschärft, denn § 8 Abs. 2 AGG bleibt selbst noch hinter § 612 Abs. 3 BGB zurück. § 612 Abs. 3 BGB war immerhin als Verbot formuliert, aus dem dann das Recht auf gleiches Entgelt abgeleitet werden konnte (… darf für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht … eine geringere Vergütung vereinbart werden …). Demgegenüber beinhaltet § 8 Abs. 2 AGG lediglich eine Rechtfertigungsblockade in bestimmter Situation.

Aus der oben aufgezeigten Situation folgt, dass bezogen auf Entgeltgleichheit bereits seit Langem eine Vertragsverletzung vorliegt, die mit dem AGG einerseits noch verstärkt worden ist und mit dem Auslaufen der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2006/54/EG in wenigen Monaten andererseits weiter verschärft werden wird. Art. 4 der Richtlinie 2006/54/EG ist im bundesdeutschen Recht derzeit nicht umgesetzt. [2]

Wir weisen zudem darauf hin, dass auch Art. 21 der Richtlinie 2006/54/EG (vgl. Artikel 8b der Richtlinie 76/207/EWG) weiterhin der Umsetzung bedarf. Bisher ist keine bundesdeutsche Norm ersichtlich, die die Arbeitgeberseite ersucht, die Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz sowie beim Zugang zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg in geplanter und systematischer Weise zu fördern. Zu denken wäre zumindest an Publikationspflichten für Betriebe zum Anteil von Frauen und Männern auf den unterschiedlichen Ebenen des Betriebes und zur geschlechtsspezifischen Entgeltverteilung im Betrieb. Freiwillige Maßnahmen einzelner Unternehmen können am Umsetzungsbedarf nichts ändern. Und auch die Vereinbarung der Bundesregierung mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft hat die Arbeitgeber nicht auf breiter Basis zu einer geplanten und systematischen Förderung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern veranlassen können, wie nach Art. 21 der RL 2006/54/EG gefordert.

Mit freundlichen Grüßen


Jutta Wagner
Präsidentin

Prof. Dr. Sibylle Raasch
Vorsitzende der Kommission Arbeits-,
Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht

 


[1] Artikel 1 der Richtlinie 75/117/EWG lautet:

Der in Artikel 119 des Vertrages [jetzt Artikel 141 EG] genannte Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen im folgenden als "Grundsatz des gleichen Entgelts" bezeichnet, bedeutet bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, die Beseitigung jeder Diskriminierung auf Grund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltsbestandteile und -bedingungen.

Insbesondere muss dann, wenn zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet wird, dieses System auf für männliche und weibliche Arbeitnehmer gemeinsamen Kriterien beruhen und so beschaffen sein, dass Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts ausgeschlossen werden.

[2] Artikel 4 der Richtlinie 75/117/EWG lautet:

Die Mitgliedstaaten treffen die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts unvereinbare Bestimmungen in Tarifverträgen, Lohn- und Gehaltstabellen oder -vereinbarungen oder Einzelarbeitsverträgen nichtig sind oder für nichtig erklärt werden können.