Stellungnahme: 07-04


zum Grünbuch „Ein modernes Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts"[1] KOM (2006)708 vom 22. November 2006

Stellungnahme vom

I. Grundsätzliche Anmerkungen

  1. Der Deutsche Juristinnenbund (djb) begrüßt die von der Europäischen Kommission eingeleitete öffentliche Konsultation zum Grünbuch Arbeitsrecht und insbesondere die frühzeitige Einbeziehung der Zivilgesellschaft.
  2. Die Legitimität der Europäischen Union hängt - wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen - aus der Sicht der Bürgerinnen und Bürger in hohem Maße davon ab, dass ihre Initiativen, soweit sie das Arbeitsrecht berühren, als sozial gerecht empfunden werden. Dies hat die Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie deutlich gezeigt wie auch die Auseinandersetzung mit dem Europäischen Verfassungsvertrag.
  3. In Hinblick auf den demografischen Wandel kann Europa auf die Potentiale von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr verzichten. Das künftige Arbeitsrecht der EU muss dieser Herausforderung gerecht werden, insbesondere durch Regelungen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen und Männer ermöglichen und Frauen die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt einräumen.
  4. Der djb sieht als zentrale Frage im Grünbuch Arbeitsrecht, ob und gegebenenfalls wie eine Fortentwicklung des Individualarbeitsrechtes die Verwirklichung der Lissabon-Strategie unterstützen kann, also nachhaltiges Wachstum und gleichzeitig mehr und bessere Arbeitsplätze bei ausreichendem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen. Die Debatte ist unter Berücksichtigung der Schutzfunktion für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als strukturell schwächerer Part im Arbeitsverhältnis zu führen.
  5. Der djb mahnt eine Gleichstellungsprüfung (Gender Impact Assessment) an. Der Europäische Pakt für die Gleichstellung, den der Europäische Rat im März 2006 auf den Weg gebracht hat, unterstreicht dessen Notwendigkeit. Zumindest hätte jeder Fragenkomplex im Grünbuch Arbeitsrecht auch die unterschiedlichen Auswirkungen auf Frauen und Männer thematisieren müssen.
  6. Die Prioritäten einer Agenda der Europäischen Union zur Arbeitsrechtsreform sind im Lichte der Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmerinnen sowie Arbeitnehmer und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festzulegen. Hierbei ist insbesondere die Verpflichtung der Union auf die Gleichstellung von Frauen und Männern zu berücksichtigen. Dies folgt auch aus den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, insbes. Art. 11 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und Art. 2, 23 und 24 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.
  7. Der djb spricht sich grundsätzlich für das Standardarbeitsverhältnis mit unbefristeter Beschäftigung aus, also einem arbeitsrechtlich geregelten Beschäftigungsverhältnis auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags zwischen Beschäftigten und Arbeitgebenden, der eine Existenz sichernde Vergütung und angemessene Arbeitsbedingungen gewährt. Der djb hält es für notwendig, diese arbeitsrechtliche Beschäftigungsform zu stärken und ihren rechtlichen Schutz auf andere Beschäftigungsformen nach Möglichkeit zu übertragen. Für Frauen ist dies besonders wichtig, denn ihre Entscheidung für Kinder hängt auch von der Absicherung durch ein Standardarbeitsverhältnis ab.
  8. Frauen machen den größten Anteil der Teilzeitbeschäftigten aus und sind auch überproportional in befristeten Arbeitsverhältnissen tätig. Gegebenenfalls notwendige europäische Regelungen haben daher der Situation und den Bedürfnissen derjenigen Rechung zu tragen, die wegen der Wahrnehmung von Familienaufgaben Teilzeit arbeiten, zum Teil aus Mangel an gesellschaftlich organisierter Kinderbetreuung; das sind insbesondere Frauen. Die Übergänge von abweichenden Arbeitsvertragsformen in Standardarbeitsverhältnisse und auch die Übergänge von Teilzeit- in Vollzeitarbeit müssen aus Frauensicht deshalb besonders gefördert werden. Auch in anderen Ländern sind Beispiele guter Praxis für die Regelung von Teilzeitarbeitsverhältnissen vorhanden, die von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gewünscht und durch Sozialpartnervereinigungen geregelt werden. Der djb unterstreicht, dass eine nachhaltige Verbesserung der Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nur erreicht werden kann, wenn die Reformen nicht auf das Arbeitsrecht beschränkt bleiben, sondern sich auch auf Strukturen des Steuerrechts und des Sozialrechts erstrecken.
  9. Hinsichtlich der von Standardarbeitsverhältnissen abweichenden Arbeitsvertragsformen bzw. Beschäftigungsverhältnissen ist nach Ansicht des djb zu unterscheiden zwischen prekären und teilweise sogar illegalen einerseits sowie andererseits solchen, deren Eingehen und Gestaltung auch im Interesse der darin Beschäftigten liegt, wenn auch in der Regel nur zeit- bzw. übergangsweise. Frauen befinden sich häufiger als Männer in prekären und illegalen Beschäftigungsverhältnissen.
  10. Lebenslanges Lernen ist ein Schlüssel im Zusammenhang mit Beschäftigung. Jedwedes Beschäftigungsverhältnis muss die Möglichkeit eröffnen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Dies ist insbesondere bei den abweichenden Arbeitsvertragsformen Teilzeit und Befristung wichtig, die in besonderer Weise Frauen betreffen.
  11. Der djb erkennt die besondere Verantwortung und zentrale Rolle der Sozialpartner bei der Formulierung von Tarifverträgen bzw. Lösungen auf Firmenebene an. Der in Art. 138 f. EGV geregelte Soziale Dialog bietet ein gutes Instrumentarium und eröffnet den Sozialpartnern die Möglichkeit, durch Vereinbarungen den europäischen Rahmen selbst zu bestimmen. Dabei ist zu unterstreichen, dass die gesellschaftliche und rechtliche Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der von den Sozialpartnern gefundenen Lösungen auch davon abhängt, inwieweit im Verhandlungsprozess Frauen und Männer gleich vertreten und beteiligt waren. Wenn die Sozialpartner an Stelle des Gemeinschaftsgesetzgebers tätig werden, tragen sie eine besondere Verantwortung, die Durchsetzung der Gleichstellung als Querschnittsaufgabe laufend zu berücksichtigen und die Verhandlungsergebnisse aus eigenem Antrieb stets auf Vermeidung von Diskriminierung zu überprüfen.
  12. Der djb unterstützt den Konsultationsprozess zum Grünbuch Arbeitsrecht auch als Beitrag zur Flexicurity-Debatte, ohne dabei die gesamte Bandbreite zu thematisieren, beobachtet die diesbezüglichen Arbeiten und wird sich zu der für Juni 2007 angekündigten Mitteilung positionieren. Der djb beschränkt sich in der vorliegenden Stellungnahme deshalb auf die seiner Ansicht nach notwendigen individualarbeitsrechtlichen europäischen Aktivitäten.

 

 

 

 

 

II. Zu den im Grünbuch Arbeitsrecht aufgeworfenen Fragen nimmt der djb wie folgt Stellung:

Frage 1

 

 

Ganz oben auf der Agenda einer sinnvollen Arbeitsrechtsreform

sollte nach Meinung des djb das Herausstellen der Potentiale von

Frauen auf dem Arbeitsmarkt zur Verwirklichung der Ziele der

Lissabonstrategie stehen. Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt

benachteiligt. Die Arbeitsmarktreform soll auch der

Diskriminierung von Frauen entgegenwirken und soll zu diesem

Zweck zusätzliche Instrumentarien entwickeln, die ermöglichen,

dass Frauen in den unterschiedlichen Lebenslagen gleichberechtigt

am Arbeitsleben teilnehmen können.

 

 

Frage 2

1. Ein flexibler, integrativer Arbeitsmarkt

 

 

Das Individualarbeitsrecht muss sich um den Ausgleich zwischen

dem notwendigen Schutz der Arbeitnehmenden und den

Gestaltungsinteressen der Arbeitgebenden bemühen. Hinzu kommen

inzwischen auch Gestaltungsinteressen der Arbeitnehmenden, die

angesichts komplexer werdender Lebensformen ein eigenes Interesse

an Flexibilisierung ihrer Arbeitsverhältnisse haben, sog.

optionale Beschäftigung, ohne dass dabei jedoch ihr

Schutzinteresse entfallen würde. Das nationale Arbeitsrecht

regelt innerhalb der Europäischen Union diese Balance für den

jeweiligen Arbeitsmarkt unterschiedlich.

Arbeitnehmerfreizügigkeit und zunehmende Mobilität sowie

grenzüberschreitendes Tätigwerden von Unternehmen machen es

erforderlich, einen europäischen Rahmen zu setzen. Eine

Harmonisierung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner darf hierbei

nicht das vorrangige Ziel sein. Es geht um Regelungen, die die

Sicherheit der Erwerbstätigen garantieren und die Kosten der

Unternehmen, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind,

begrenzen sowie die Drohung mit Unternehmensverlagerung zumindest

innerhalb der EU ins Leere laufen lassen. Der europäische Rahmen

für die Ausgestaltung des nationalen Arbeitsrechtes kann den

Binnenmarkt stärken und den Wettbewerb um die geringsten

Standards beenden. Der djb unterstützt das Ziel

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Flexibilität und Beschäftigungssicherheit in ein ausgewogenes

Verhältnis zu bringen und die Segmentierung der Arbeitsmärkte zu

verringern. Flexibilisierung ohne flankierenden Schutz der

Arbeitnehmenden wird vom djb ausdrücklich abgelehnt. Neben der

Notwendigkeit des flankierenden Schutzes - worauf in der

anstehenden Flexicurity-Debatte im Detail zurückzukommen sein

wird - ist zu beachten, dass zunehmende Flexibilität, zum

Beispiel in Form von Arbeitszeitkonten, Arbeitnehmenden mit

täglichen Familienpflichten, häufig Frauen, zwar entgegenkommen

kann, jedoch nur in dem Maße, wie die tatsächliche tägliche

Arbeitszeit nicht einseitig nach den Interessen der

Arbeitgeber/innen festgelegt werden kann. Deshalb sollte neben

Flexibilisierungsrechten der Unternehmen auch Optionalität für

die Beschäftigten gegeben werden. Nationale Gesetzgeber und

Sozialpartner sollten den durch die beiden Rahmenvereinbarungen

über Befristete Arbeitsverträge und Teilzeitarbeit gesteckten

Rahmen voll ausnutzen und - wie zuletzt in Spanien mit einem

entsprechenden Sozialpartnerabkommen geschehen - dafür sorgen,

dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht in eine

"Befristungsfalle" geraten.

Der djb setzt sich dafür ein, dass für die auch in der

Verfassungsvertragsdebatte als erforderlich gesehene Stärkung

sozialer Aspekte Gemeinschaftskompetenzen über das

Instrumentarium der Richtlinie 96/71 über die Entsendung von

Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen

hinaus geschaffen werden, um unter anderem eine europäische

Regelung zum Mindestlohn zu ermöglichen. Dieser Mindestlohn

erleichtert es insbesondere Frauen, eine Berufstätigkeit in einem

anderen Mitgliedstaat aufzunehmen, weil er Planungssicherheit

bietet. Dabei soll kein einheitliches europäisches Entgelt

festgelegt, sondern es sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet

werden, bei ausreichendem Umsetzungsspielraum einen Mindestlohn

national festzulegen.

 

 


2. Modernisierung des Arbeitsrechts

 

 

Aus Sicht des djb ist zu betonen, dass Teilzeitarbeit nicht

prekäre bzw. atypische Arbeit ist. Ein Teilzeitarbeitsvertrag ist

ein ganz normaler Arbeitsvertrag (auch mit dessen

Bestandsschutz), eben nur mit geringerer Arbeitszeit. Diese

Arbeitsform wird von vielen Erwerbstätigen gewünscht und wäre im

Idealfall u.a. eine Lösungsmöglichkeit für das

Beruf-Familie-Problem, indem beide Eltern Teilzeit arbeiten, so

wie es aus dem Norden Europas als Praxis bekannt ist.

Der Anspruch auf Reduzierung der Arbeitszeit darf aber keine

Einbahnstraße sein. Wenn der Grund für die Reduzierung oder

Unterbrechung der Berufstätigkeit - oft aufgrund von

Familienpflichten - entfällt, muss auf Wunsch der Arbeitnehmenden

auch eine schrittweise Wiederaufstockung der Arbeitszeit

ermöglicht werden. Generell sind Übergänge zwischen Teil- und

Vollzeit und umgekehrt für Frauen und Männer zu erleichtern.

Darüber hinaus hält der djb eine Richtlinie mit

Mindestvorschriften zum Recht auf Freistellung zur Pflege

erkrankter Angehöriger für erforderlich.

 

 

 

 

 

 

 

Frage 5

 

 

Beim Kündigungsschutz darf es nicht um die einfache Festlegung

einer Frist gehen, sondern auch um die Verpflichtung, die Balance

zu halten, indem entsprechende flankierende Maßnahmen für die

Erwerbstätigen gleichfalls ergriffen werden. Zu beachten ist,

dass eine Kündigungsschutzregelung mit dem in dem jeweiligen

Mitgliedstaat vorhandenen Sozialschutz und

arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen in Wechselbeziehung steht. Eine

europäische Regelung müsste alle diese Elemente umfassen.

 

 


Frage 7

 

 

Der djb erkennt an, dass ein transparenter Arbeitnehmerbegriff

Rechtssicherheit schafft. Daher ist notwendig, dass jeder

Rechtsakt, der diesen Begriff verwendet, ihn auch ausdrücklich

definiert.

Außerdem ist jeweils sorgfältig zu prüfen, ob es im Interesse der

Freizügigkeit der Arbeitnehmer/innen und/oder eines einheitlichen

Sockels sozialer Rechte in der europäischen Union angezeigt ist,

den Begriff nach dem Gemeinschaftsrecht zu bestimmen und in

Anlehnung an den Arbeitnehmer-Begriff des Art. 39 EGV sowie unter

Berücksichtigung der Empfehlung Nr. 198 betreffend das

Arbeitsverhältnis (2006) der ILO (Employment Relationship

Recommendation) zu definieren. In jedem Fall darf ein

gemeinschaftsrechtlicher Arbeitnehmer-Begriff nicht als

Rechtfertigungsgrund zu einer Absenkung des von den

Mitgliedstaaten bereits garantierten Schutzniveaus führen.

Soweit ein Verweis auf den nationalen Arbeitnehmer-Begriff nicht

zu vermeiden ist, regt der djb an, eine Internet-Plattform zu

schaffen, auf der die Mitgliedstaaten Informationen über das

jeweilige nationale Recht einstellen können (vergleichbar mit dem

Europäischen Justitiellen Netz für Zivil- und Handelssachen

(http//ec.europa.eu/civiljustice/)

 

 


Frage 8

 

 

Grundsätzlich und unabhängig von der Form des Vertrages hält der

djb besondere Maßnahmen zum Schutz von allein erziehenden Eltern,

die ja in der großen Mehrzahl Frauen sind, gegen Diskriminierung

für erforderlich.

 

 

Frage 10

 

 

Der djb spricht sich dafür aus, dass für die Leiharbeit ein

europäischer Rahmen mit Mindeststandards gesetzt werden und dafür

das bereits laufende Gesetzgebungsverfahren zu dem entsprechenden

Richtlinienvorschlag der Kommission unbedingt abgeschlossen

werden muss. Die Lohngleichstellung der Leiharbeitnehmerinnen und

-arbeitnehmer mit der festangestellten Belegschaft sollte von der

Einarbeitungszeit abhängig gemacht werden, spätestens aber nach

sechs Monaten erfolgen. Gleiche Arbeitsbedingungen müssen

selbstverständlich sein. Denkbar ist auch ein besonderer

Kündigungsschutz der Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer

gegenüber den Verleihunternehmen.

 

 

Frage 11

 

 

Erforderlich ist eine umfassende, nicht auf das Arbeitsrecht

beschränkte Zeitpolitik, die auf die Koordinierung der Zeiten

hinwirkt und auf diese Weise die Vereinbarkeit von Familie und

Beruf fördert (Abstimmung der Zeiten z.B. von öffentlichen

Verkehrsverbindungen, Öffnung von Ämtern, Öffnung von Schulen und

Kindertagesstätten sowie auch anderer Dienstleistungen mit

Arbeitszeiten).

Der djb ist der Auffassung, dass eine Einigung zu dem in der

Diskussion befindlichen Arbeitszeitrichtlinienänderungsvorschlag

auf europäischer Ebene erforderlich ist. Die Lösung drängt und

muss den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den notwendigen

Schutz bieten. Der djb spricht sich gegen eine Absenkung des

Schutzniveaus und damit auch gegen die Möglichkeit einer

Ausstiegsklausel (opt out) aus. Vielmehr kann durch die Erhöhung

der Wochenarbeitszeit in Stoßzeiten eine durchschnittliche

angemessene Wochenarbeitszeit über einen längeren Zeitraum

erreicht werden. Aus Gründen der Vereinbarkeit von Familie und

Beruf spricht sich der djb gegen die Einführung einer dritten

Kategorie Bereitschaftsdienst aus. Dieser soll auch zukünftig

Arbeitszeit bleiben. Unerlässlich bleibt außerdem die

Beibehaltung des geltenden Standards von höchstens 48 Stunden

Wochenarbeitszeit. Vorschläge, die zulässige Wochenarbeitszeit

darüber hinaus zu erhöhen, dienen nicht gewünschter flexibler

Arbeitszeitgestaltung, sondern stellen eine Verschlechterung von

Arbeitsbedingungen dar.

Die Tatsache, dass die europäischen Regelungen zur Arbeitszeit

auf die Verbesserung des Gesundheitsschutzes und die Sicherheit

der Arbeitnehmer bei der Arbeit gerichtet ist, darf nicht dazu

führen, dass der Zusammenhang zwischen der Arbeitszeitgestaltung

und der Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben ausgeblendet

wird. Der Eindruck, dass dieser Zusammenhang negiert wird, drängt

sich jedoch auf, wenn man einige der Stellungnahmen der

Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene betrachtet, wie sie in dem

Papier "Zweite Phase der Anhörung der Sozialpartner auf

Gemeinschafsebene hinsichtlich der Überarbeitung der Richtlinie

93/104/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung" zum

Ausdruck kommen. Entgegen einem solchen Trend in den genannten

Stellungnahmen möchte der djb betonen, dass

gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen zur Arbeitszeitgestaltung

stets die Förderung der Vereinbarkeit von Berufs- und

Familienleben einbeziehen sollten. Es reicht nicht aus, das Thema

"Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben" nur in einer

eigenen Richtlinie anzugehen. Dieses Thema muss als

"Querschnittaufgabe" in allen Regelungsbereichen des

Arbeitsrechts mitgedacht werden. Denn diese Vereinbarkeit steht

in Frage, für Männer ebenso wie für Frauen, wenn z.B. die

Arbeitszeit ausufert und dieses über Opt-out-Möglichkeiten und

weitere Ausnahmeregelungen gebilligt wird. Schließlich möchten

wir darauf hinweisen, dass es sich wettbewerbsverzerrend

auswirkt, wenn die derzeitige Praxis des Opt-out beibehalten

wird.

Strukturelle Engpässe in Wirtschaftsbereichen, die kommerziell

weniger lukrativ erscheinen, z. B. im Gesundheits- und

Pflegewesen, wo viele Frauen tätig sind, dürfen nicht zu Lasten

der Beschäftigten, ihrer Gesundheit und ihrer Familien gelöst

werden, indem die Arbeitszeit ausgedehnt wird. Zum Beispiel

stehen Bereitschaftszeiten, die am Arbeitsplatz oder in seiner

Nähe verbracht werden müssen, nicht der Familie und den dort zu

erledigenden Aufgaben zur Verfügung, oder Rufbereitschaft für

Personen mit Familienpflichten implizieren die Notwendigkeit der

Absicherung einer sofort verfügbaren Kinderbetreuung im Fall des

Rufes zur Arbeit. In unserer mobilen Gesellschaft, in der es

längst nicht mehr selbstverständlich ist, dass Angehörige wie

z.B. Großeltern, die schnell und unkompliziert einspringen

könnten, in der Nähe leben, muss es selbstverständlich werden,

solche Aspekte bei jeder Arbeitszeitregelungen aktiv zu

berücksichtigen. Das kann wettbewerbsneutral am besten durch

einheitliche Regelungen auf europäischer Ebene erreicht

werden.

Es ist wünschenswert, die bestehende - und an sich ausreichende -

rechtliche Regelung zum Mindesturlaub (Artikel 7 der RL

2003/88/EG) mit flankierenden Maßnahmen der Aufklärung und

Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen, um zu zeigen, wie in den

vielfältigen Formen der Nicht-Standard-Beschäftigungsverhältnisse

der Anspruch auf tatsächlichen Erholungsurlaub praktisch

verwirklicht werden kann (und im Ergebnis verwirklicht werden

muss, da unabdingbar). Dabei muss deutlich gemacht werden, dass

z.B. befristete Verträge nicht dazu führen dürfen, dass

Urlaubsansprüche während der Vertragsdauer kaum verwirklicht,

sondern im Ergebnis ausgezahlt werden.

"Arbeit auf Abruf", z.B. im Verkaufsbereich, trifft insbesondere

Frauen und sollte mit europäischen Rahmenvorschriften so geregelt

werden, dass bei Vertragsabschluss das Ausmaß der Arbeit in einem

bestimmten Bezugszeitraum und das daraus resultierende Entgelt

klar ersichtlich sind. Eine einseitige Verlagerung des

Geschäftsrisikos auf die Beschäftigten könnte damit vermieden

werden (vgl. zur Problematik: Rechtssache C-313/02, Wippel / Peek

& Cloppenburg GmbH & Co. KG).

 

 

Fragen 13 und 14

 

 

Der djb hält eine verstärkte Verwaltungszusammenarbeit bei der

Aufnahme grenzüberschreitender Arbeitstätigkeit und zur

Bekämpfung von Schwarzarbeit auf EU-Ebene zwischen den

zuständigen Behörden für erforderlich mit dem Ziel der

Sicherstellung der Einhaltung des Gemeinschaftsrechts durch

Aufdeckung und Bekämpfung von Missbrauch und der Umgehung der

Arbeitsgesetze. Strategien zur Überprüfung von Arbeitsbedingungen

und Arbeitspraktiken müssen verbessert werden. Hierfür sind

Regelungen auf europäischer Ebene notwendig. Hierbei sollte

überprüft werden, ob die Erfahrungen mit der

Verwaltungszusammenarbeit in Zusammenhang mit den selbständigen

Dienstleistungen für diesen Bereich fruchtbar gemacht werden

können.

 

 

 

 

Berlin, 28. März 2007

 

 

 

 

Jutta Wagner

Präsidentin                                     

 

 

 

 

Dr. Katja Rodi

Vorsitzende der Kommission Öffentliches Recht, Europa- und

Völkerrecht

 

 

 

 

Prof. Dr. Sibylle Raasch

Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und

Wirtschaftsrecht

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

 

[1]

im Folgenden: Grünbuch Arbeitsrecht    

 

 

 

 

 

 

[2]

Leitlinie 21, Anhang zur Entscheidung des Rates über

Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der

Mitgliedstaaten vom 12. Juli 2005