Stellungnahme: 06-26


zur öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am Mittwoch, den 18.10.2006 – Stalking –

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) begrüßt ausdrücklich, dass das Parlament sich mit dem die Gesellschaft bewegenden Thema Stalking eingehend befasst. Seit einigen Jahren ist dieses Thema nicht nur im außereuropäischen und europäischen Ausland aktuell. Es ist auch in Deutschland zunehmend in das Bewusstsein nicht nur der Opfer, sondern auch der damit befassten Professionellen gelangt.

„Stalking“ trifft Personen aus allen gesellschaftlichen Schichten und in vielfältigen Lebenssituationen. Einen sehr großen Anteil stellen allerdings die zumeist weiblichen Opfer in (vom oft männlichen Täter einseitig) gewünschten aktuellen oder ehemaligen Beziehungen.

I. Definition

In Nachschlagewerken wird Stalking bezeichnet als

das ständige Belästigen oder Bedrohen einer anderen Person durch z.B. Verfolgen, Telefonanrufe (Telefonterror), Droh-SMS und -Mails (Cyberstalking), Überwachen und Ausspionieren der Zielperson. Das Wort entstammt der englischen Jagdsprache und kann mit „anschleichen“ oder „anpirschen“ übersetzt werden. Die Zahl der Phänomenbeschreibungen ist groß. Allerdings gibt es keine allgemeingültige Definition des Stalking im Deutschen.[1] Wissenschaftliche Forschungen zu dem Phänomen des Stalking in Deutschland liegen nur in sehr geringem Umfang vor. Die Übertragbarkeit ausländischer Forschungsergebnisse, insbesondere aus dem englischsprachigen Raum, erscheint prüfungsbedürftig.

II. Ächtung und Ahndung

1. Ziel

Einigkeit besteht grundsätzlich darin, dass von Stalking verletzte Personen der Unterstützung und Hilfe durch die Gesellschaft bedürfen. Stalking führt bei den Betroffenen zu psychischen Beeinträchtigungen, die von Verängstigung und Verunsicherung über Depressionen bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen, aber auch psychosomatischen Störungen reichen können. Um den durch Stalking verletzten Personen zu helfen, bedarf es zum einen der Ächtung des Stalking in der Gesellschaft und der konsequenten Ahndung des Handelns der Täter oder Täterinnen, damit diese künftig von derartigem Handeln Abstand nehmen. Für die zumeist in ihrem Selbstbewusstsein durch die Taten verletzten Personen bedarf es der intensiven Betreuung und Stärkung auf dem Weg zur konsequenten Ablehnung des Täters oder der Täterin und seines bzw. ihres Tuns durch gut aus- und fortgebildete Professionelle in Unterstützungseinrichtungen und des klaren, konsequenten und empathischen Umgangs durch gut aus- und fortgebildete Professionelle insbesondere in den Bereichen Polizei und Justiz.

2. Weg

Allerdings ist der Weg zur Erreichung der Unterstützung für die Stalking-Opfer umstritten. Drei verschiedene Alternativen werden derzeit diskutiert:

a) Einführung eines neuen Straftatbestandes

Ausländischen Vorbildern in Amerika und Europa folgend wird die Einführung eines neuen Straftatbestandes in Deutschland gefordert. Dementsprechend liegen für diese Anhörung der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Einführung eines neuen § 238 StGB „Schwere Belästigung“[2] und der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung eines neuen § 241b StGB „Nachstellung“[3] vor. Beide Gesetzentwürfe sind zusammengefasst in einem Formulierungsvorschlag des Bundesministeriums der Justiz vom 7. September 2006.

Alle drei Entwürfe regeln in dem jeweiligen Absatz 1 der vorgeschlagenen Norm den niederschwelligen Deliktsbereich des Stalking und bilden damit einen Grundtatbestand. Dieser Deliktsbereich stellt die Masse der derzeit nur unter bestimmten Bedingungen verfolgbaren Sachverhalte des Stalking dar. Auf die Einzelheiten der jeweiligen Regelungen dieser Grundnorm wird noch gesondert einzugehen sein.

Demgegenüber betreffen die Regelungen in Absatz 2 bis 4 des Bundesratsentwurfs und in Absatz 2 und 3 des Formulierungsvorschlags des Bundesministeriums der Justiz (Kompromissvorschlag) Sachverhalte, deren Unrechtsgehalt zum einen bereits durch andere Straftatbestände ausreichend erfasst ist:

So stellen Absatz 2 und 3 des Bundesratsentwurfs bzw. Absatz 2 des Kompromissvorschlags die erhebliche bzw. schwere Gesundheitsgefährdung und das Verbringen des Opfers oder einer nahestehenden Person in Todesgefahr unter eine deutlich erhöhte Strafandrohung. Diese Gefährdungsdelikte sind bereits in § 226 (Schwere Körperverletzung) und § 227 (Körperverletzung mit Todesfolge) StGB mit Bezug auf Körperverletzungsdelikte, also körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung, § 223 StGB, unter Strafe gestellt. Die in den Entwürfen gefundenen Regelungen bringen demgegenüber weder eine Ausweitung auf typische Stalking-Verhaltens­weisen, noch eine im Hinblick auf die auch nach § 223 StGB (Körperverletzung) unklare psychische Verletzung des Opfers wünschenswerte Klarstellung.

Indes erhöhen sie die zum anderen in der Praxis schon jetzt zu konstatierenden Beweisschwierigkeiten dahin, dass zwischen der inkriminierten Handlung, also dem nachhaltigen (Bundesratsentwurf) oder dem unbefugten Belästigen (Kompromissvorschlag) und der Gesundheits- oder Todesgefahr ein Kausalzusammenhang erforderlich sein soll, der dem Täter oder der Täterin in der Praxis schwerlich nachzuweisen sein wird.

In Absatz 4 des Bundesratsentwurfs und Absatz 3 des Kompromissvorschlags wird schließlich die Verursachung des Todes des Opfers oder eines nahen Angehörigen durch die Tat unter eine erhöhte Strafandrohung gestellt. Damit sollen die Fälle des Stalking strafrechtlich erfasst werden, in denen der Täter oder die Täterin durch sein Nachstellen oder Belästigen das Opfer oder dessen Angehörige in den Tod treibt. Ist insoweit schon wie auch zuvor erwähnt die Kausalität schwerlich nachzuweisen, ergibt sich in diesem Zusammenhang zusätzlich das grundsätzliche Problem, dass der Suizid, um den es sich objektiv betrachtet und auch nach der Begründung des Bundesratsentwurfs in diesen Fällen handelt, grundsätzlich ebenso straflos ist, wie die Teilnahme daran.[4] Die geplante Regelung verstieße zumindest unter diesem Gesichtspunkt gegen diesen Grundsatz.

b) Reform des bestehenden Rechts

Demgegenüber wird vom djb wie auch von anderen Gruppen, insbesondere aus dem Bereich der opferbetreuenden Einrichtungen, die Nutzung der bereits vorhandenen Gesetze und deren Optimierung durch – überfällige – Reformen bevorzugt. Das bedeutet insbesondere die Ergänzung des Gewaltschutzgesetzes und damit zusammenhängend die Änderung der Zuständigkeiten und der Vollstreckungsregelungen in ZPO bzw. FGG.

c) Maßnahmen zur Verbesserung der Umsetzung geltenden Rechts

Insbesondere die Institutionen, die – in der Regel als freie Organisationen – mit der Unterstützung der Stalking-Opfer in der Praxis befasst sind, aber auch andere Einrichtungen mahnen außerdem die konsequente Umsetzung der bereits vorhandenen Regelungen in die Rechtspraxis an. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Möglichkeit der Nutzung des Gewaltschutzgesetzes in Fällen von Stalking sowohl bei den Opfern, als auch bei den verschiedenen Professio­nen noch zu wenig bekannt erscheint. Es mangelt vielfach bei den verschiedenen beteiligten Professionellen aus Polizei, Justiz und Unterstützungseinrichtungen an Kenntnissen und Fortbildungsmöglichkeiten zu dem Phänomen des Stalking, Abwehrstrategien und detaillierter Kenntnis der Rechtssituation.

III. Probleme im Einzelnen

1. Drei Fälle zur Darstellung der Problematik

a) „Vereinsfall“

Die betroffene Zeugin arbeitet in einem Institut eines öffentlich-rechtlichen Arbeitgebers als Angestellte. Von dem Täter, einem diensthöheren Mitarbeiter, erhält sie zunächst wiederholt Anrufe mit der Anfrage zu gemeinsamen Unternehmungen wie Essen gehen, Besuch von Veranstaltungen etc. Diese Anfragen werden von der Zeugin, die keinen Kontakt zu diesem Mann möchte, jeweils abgelehnt, was ihr wegen des höheren Ranges des Täters schwerfällt. Als die Anfragen nicht aufhören und Liebesbriefe und die Übersendung von Blumen folgen, schaltet sie den Betriebsrat ein, der ein Gespräch mit dem Täter führt, um die Ernsthaftigkeit der Ablehnung durch die Zeugin zu unterstreichen. Die Anfragen setzen sich gleichwohl fort. Zudem meldet sich der Täter in demselben Sportverein an, besucht dieselben Sportveranstaltungen und schließlich auch eine Fortbildungsveranstaltung, bei der sich zunächst nur die Zeugin angemeldet hatte. Auch die Einschaltung des Dienstvorgesetzten schafft keine Abhilfe. Anrufe, Briefe, gleichzeitiges Besuchen der Sporttermine im Verein und die Übersendung von Blumen erfolgen weiterhin. Schließlich wendet sich die Zeugin an die Polizei. Die – in Stalking-Fällen erfahrene und engagierte – Beamtin lädt den Täter vor, verdeutlicht in seiner Vernehmung die Ernsthaftigkeit der Situation und erläutert die Rechtslage. Daraufhin versichert der Täter, sich nunmehr von der Zeugin fernzuhalten und sie nicht mehr zu kontaktieren, woran er sich auch hält.

b) „Rosenfall“

Im Verlauf der Ehe der Beteiligten kommt es in immer kürzeren Abständen zu verbalen Streitigkeiten, die schließlich zu Tätlichkeiten seitens des Ehemannes gegenüber der Frau eskalieren. Der Ehemann würgt seine Frau derart, dass diese einen Schock erleidet und die Beziehung beendet. Gegen den durch die Polizei aus der Wohnung verwiesenen Ehemann erwirkt die Ehefrau eine Schutzanordnung nach § 1 GewSchG. Nach sechs Wochen geht der Ehemann abends auf die Straße, wo er die Ehefrau sieht, die den Hund ausführt. Er spricht sie über die Straße hinweg an, dass sie sich nicht erschrecken soll und dass er sie doch noch immer liebt. Die Ehefrau erleidet erneut einen Schock, weinend und zitternd wendet sie sich an eine vorbeikommende Polizeistreife und bittet um Hilfe. Die Polizei rät der Ehefrau, sich in ihre Wohnung zu begeben und verspricht, nach Ansprache des Ehemannes nochmals die Ehefrau über weitere Schritte zu informieren. Am Ort des Zusammentreffens von Ehemann und Ehefrau findet die Polizei eine rote Rose auf dem Bürgersteig. In einiger Entfernung trifft sie auf den weinenden Ehemann. Dieser versichert glaubhaft, er habe seiner Frau eine rote Rose an ihr Auto stecken wollen, um ihr seine Liebe zu zeigen und seine Ehe vielleicht doch noch zu retten. Er habe keinesfalls mit ihr zusammentreffen wollen. Sie gehe normalerweise früher mit dem Hund noch einmal hinaus, so dass er nicht erwartet habe, sie zu treffen. Er habe sich ihr auch nicht genähert, sondern nur leise über die Straße gerufen. Am Tag nach dem Vorfall teilt die Ehefrau der Polizei mit, dass alles nicht so dramatisch gewesen sei und sie nicht noch einmal eine Aussage bei der Polizei machen wolle. Ihr Ehemann habe zwar auch ihre Arbeitsstelle aufgesucht und Verwandte kontaktiert. Sie wolle aber nichts mehr mit ihm zu tun haben. Allerdings mache sie sich Vorwürfe, weil es ihm gesundheitlich jetzt so schlecht gehe. Einige Tage später schickt der Ehemann über seinen Anwalt ein Entschuldigungsschreiben an die Ehefrau.

c) „Neuer Partner“

Zeugin und Täter lernen sich an der gemeinsamen Arbeitsstelle – einem Lokal im Nachtbetrieb – als Thekenkräfte kennen. Es kommt zu einer über insgesamt etwas mehr als ein Jahr dauernden Beziehung, in deren Verlauf der Täter die Zeugin zunehmend überwacht und kontrolliert.

Während die Zeugin ein Zimmer in einer WG bewohnt, nutzt der Täter über längere Zeiträume verschiedene Wohnungen, aber auch das ihm gehörende Wohnmobil. Nach ca. einem Jahr, in dem der Täter durch überwachende Anrufe und wiederholtes Auftauchen an der Arbeitsstelle, aber auch im Freizeitbereich der Zeugin diese immer mehr eingeengt hat, erklärt er ihr, dass er nunmehr keine Wohnung mehr habe und nicht wisse, wo er mit seinen Sachen hinsolle. Wie von ihm erwartet, fühlt sich die Zeugin verpflichtet, ihm notfallmäßig Unterschlupf in dem ihr in der WG zur Verfügung stehenden Zimmer zu gewähren. Der Täter zieht mit seinen Sachen in das eine Zimmer mit ein und verbringt die folgende Zeit damit, ständig anwesend zu sein, die Zeugin an ihrer Arbeitsstelle überwachend aufzusuchen und persönlich und telefonisch zu kontrollieren. Die Zeugin fordert ihn mangels eigener Rückzugsmöglichkeit und wegen dadurch bedingter zunehmender psychischer Belastung auf, ihr Zimmer mit seinen Sachen zu verlassen. Der Täter weigert sich und versucht, indem er seinen Kopf gegen die Wand schlägt und durch Weinen, Vorwürfe und Schuldzuweisungen, die Zeugin umzustimmen. Dieser gelingt erst mit Hilfe eines konsequent auftretenden Dritten, den Täter zu veranlassen, aus der Wohnung zu gehen. Parallel dazu lernt die Zeugin ihren neuen Freund kennen. Der Täter übermittelt der Zeugin nach seinem Auszug Briefe mit teils bedrohlichem Inhalt, SMS, ruft sie an und taucht immer wieder in ihrer Nähe, auch an ihrer Arbeitsstelle auf. Sein Arbeitsplatz wird ihm dort schließlich gekündigt. Auf Anraten von Freunden beantragt die Zeugin bei dem zuständigen Amtsgericht eine Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, die sie auch bekommt. Froh darüber, den Kontakt zu dem Täter mit diesem Beschluss unterbunden zu haben, lässt die Zeugin diesen Beschluss dem Täter, dessen genauen Aufenthalt sie zudem nicht sicher kennt, nicht durch einen Gerichtsvollzieher zustellen. Allerdings berichtet sie in ihrem Freundeskreis davon, so dass auch der Täter davon erfährt. Trotzdem sucht er sie erneut an ihrer Arbeitsstelle auf. Der von der Zeugin gerufenen Polizei, die die Schutzanordnung bei der Zeugin einsieht und dem Täter erläutert, erklärt dieser wider besseres Wissen, dass er von dieser Schutzanordnung nichts wisse. Nach einigen Wochen eskaliert die Situation. Der Täter sieht die Zeugin mit ihrem neuen Freund in dem Lokal, geht hinein, wirft der Zeugin von ihr zu früherer Zeit als wünschenswert bezeichnete Bilder auf den Tisch, spuckt den neuen Freund an und verlässt das Lokal. Als die Zeugin mit ihrem neuen Freund das Lokal verlässt und zum Auto geht, greift der Täter den neuen Freund mit Schlägen an. Auf die Aufforderung zum Aufhören reagiert er nicht, so dass der neue Freund ihn schließlich seinerseits mit Schlägen abwehrt. Die hinzugerufene Polizei erteilt dem Täter einen Platzverweis und fordert ihn auf, die Umgebung des Lokals zu verlassen.

Als der neue Freund mit der Zeugin nach kurzer Beruhigungsphase zum zweiten Mal zum geparkten Auto geht, rennt der Zeuge aus dem Hinterhalt auf den neuen Freund mit hoch erhobener Eisengerüststange zu, im Begriff, in Richtung Oberkörper und Kopf des neuen Freundes zu schlagen. Dieser kann sich mit einer überraschenden Drehung dem Täter entgegenstellen und ihm in dieser Überraschungssituation die Eisenstange entwinden.

2. Juristische Probleme

a) Dogmatische Probleme
a.1) Tätigkeitsdelikt

Bereits aus dogmatischen Gründen erscheint die Einführung eines Straftatbestandes „Schwere Belästigung“ bzw. „Nachstellung“ problematisch.

Die Strafrechtsdogmatik unterscheidet zwischen Tätigkeitsdelikten, bei denen der Tatbestand ein aktives Tun beschreibt, das unter Strafe gestellt wird, ohne dass noch ein Erfolg hinzutreten muss, und Erfolgsdelikten, bei denen der Tatbestand ein Tun beschreibt, das einen bestimmten Erfolg kausal auslöst, der noch nicht in der Handlung selbst eingeschlossen ist, sowie Unterlassungsdelikten, die jedoch im Bereich des Stalking in der Praxis kaum vorstellbar erscheinen. Typisch für Stalking ist vielmehr das aktive Vorgehen des Täters oder der Täterin.

Wie die geschilderten Beispiele zeigen, gehören die Tätigkeitsdelikte zur häufigsten Erscheinungsform des Stalking. Allerdings gibt es im Bereich der möglichen Tathandlungen dieser Delikte eine unübersehbare Zahl von Handlungen, die als Stalking denkbar sind, jedoch nicht alle unter Strafe gestellt werden können oder müssen. In dem geschilderten „Vereinsfall“ sind alle Handlungen, die der Täter durchführte, jeweils für sich genommen sozialadäquat oder gar im Zusammenleben in der Gesellschaft grundsätzlich sozial erwünscht. Lediglich der Umstand, dass der Täter mit ihrer wiederholten Begehung den entgegenstehenden Willen der Zeugin missachtete, bewirkt das Bedürfnis, diese prinzipiell legalen Handlungen unter Strafe zu stellen. Dabei charakterisieren die jeweils einzeln auftretenden Handlungen für sich genommen das Handeln noch nicht als Stalking. Die die oder den durch solche Handlungen Verletzten zunehmend beeinträchtigende Wirkung setzt erst bei mehrfacher Wiederholung ein, wobei die Auswirkungen in Abhängigkeit von der individuellen Persönlichkeitskonstellation der oder des Verletzten bei unterschiedlicher numerischer Wiederholungsanzahl beginnen. Auf diese Einschätzung weist auch die Begründung des Bundesratsentwurfes hin, in der ausgeführt ist, dass es sich bei Stalking nach seiner Typik um ein Dauerdelikt handelt, für das in der Regel fünf Handlungen bzw. Handlungsbündel ausreichend seien. Diese eher willkürlich gegriffene Zahl würde bei dogmatischer Betrachtung bedeuten, dass bei bis zu vier Handlungen noch von einer nach allen Entwürfen (zu Recht) straflosen Versuchstat auszugehen ist. Dies ist in dieser starren Form für von Stalking verletzte Personen wie auch für Täter oder Täterinnen nicht nachvollziehbar.

Zudem erinnert der im Bundesratsentwurf verwendete Begriff „fortgesetzt“ zur Klarstellung der Typik des Stalking an die durch Beschluss des Großen Senats des BGH[5] abgeschaffte Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung, was unnötigen zusätzlichen Diskussionsbedarf in der praktischen Anwendung zu provozieren droht.

Bei Erfolgsdelikten stellt sich die Problematik ähnlich dar. Indes kommt in diesem Zusammenhang erschwerend hinzu, dass der Erfolg häufig kaum messbar bzw. objektivierbar (z.B. Angst, Einschränkung des freien und selbstbestimmten Lebens, Verlust des Selbstvertrauens, Nichtverlassen der Wohnung, psychische Folgen) und die Kausalität nur schwer nachweisbar ist (beruht die Folge bei der oder dem Verletzten auf der unzutreffenden Todesanzeige, den unerwünschten Blumen und Liebesbriefen oder aber auf nicht vom Täter oder von der Täterin zu verantwortenden sonstigen Belastungen).

a.2) Materielle Rechtskraft

Ein mit der vorgenannten Problematik in engem Zusammenhang stehendes Problem ergibt sich aus dem Prinzip der materiellen Rechtskraft. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung – ne bis in idem – verbietet eine erneute Strafverfolgung wegen derselben Tat gegen denselben Täter oder dieselbe Täterin, sogenannte „Sperrwirkung“ der materiellen Rechtskraft.[6] Dies kann bei mehrteiligen tatbestandlichen Handlungen wie dem Stalking zu Abgrenzungsproblemen zwischen einzelnen Stalking-Taten führen, da Kriterien für die Beendigung der einzelnen (Stalking-) Tat nicht ersichtlich sind, eine willkürlich gesetzte Zäsur, z.B. immer nach fünf Handlungen, jedoch unzulässig sein dürfte.

b) Verfassungsmäßigkeit

Ein neu zu schaffender Straftatbestand muss stets verfassungsgemäß sein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG den Strafgesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen.[7] Dies dient einerseits dem rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.[8] Andererseits soll damit sichergestellt werden, dass nicht die vollziehende oder die rechtsprechende Gewalt, sondern der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet. Allein dies ist vereinbar mit dem Prinzip des Grundgesetzes, dass die Entscheidung über die Beschränkung von Grundrechten oder über die Voraussetzung einer Beschränkung dem Gesetzgeber und nicht den anderen staatlichen Gewalten obliegt.

Ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht, hat demnach der Gesetzgeber zu bestimmen, der indes auch im Strafrecht vor der Notwendigkeit steht, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen, so dass sich nicht darauf verzichten lässt, Begriffe zu verwenden, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter oder die Richterin bedürfen.[9] Zudem ist es schon wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen unvermeidlich, dass in Grenzfällen zweifelhaft werden kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Jedoch muss der Normadressat jedenfalls im Regelfall anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist; in Grenzfällen geht er dann für ihn erkennbar das Risiko einer Bestrafung ein. Beides ist nur möglich, wenn in erster Linie der für den Adressaten verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Straftatbestandes maßgebend ist. Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende Interpretation zu dem Ergebnis der Strafbarkeit eines Verhaltens, so kann dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen.[10]

Diese vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung fortgeführten Grundsätze bedeuten, dass aus dem Wortlaut des neu zu schaffenden Straftatbestandes erkennbar sein muss, welche Tathandlung unter Strafe gestellt ist.

Der in Absatz 1 des Bundesratsentwurfs vorgeschlagene Grundtatbestand enthält vier unbestimmte Rechtsbegriffe in wechselseitiger Abhängigkeit mit unklarer Rangbestimmung, auf die schließlich eine generalklauselartige Alternative Bezug nimmt:

 

(1) Wer unbefugt und in einer Weise, die geeignet ist, einen Menschen in seiner Lebensgestaltung erheblich zu beeinträchtigen, diesen nachhaltig belästigt, indem er fortgesetzt

1. ihm körperlich nachstellt oder ihn unter Verwendung von Kommunikationsmitteln verfolgt,

2. ihn, einen seiner Angehörigen oder eine andere ihm nahe stehende Person mit einem empfindlichen Übel bedroht oder

3. andere, ebenso schwerwiegende Handlungen vornimmt,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.[11]

 

Der Normadressat dieser Vorschrift dürfte nur unter Inanspruchnahme der Gesetzesmaterialien und der Rechtsprechung in der Lage sein, diese Begriffe bezogen auf sein geplantes Handeln zu prüfen, wenn es denn überhaupt gelänge. Dies ist dem Bürger bzw. der Bürgerin jedoch nicht zuzumuten, zumal es, wie ausgeführt, häufig auch um sozial nicht geächtetes oder sogar akzeptiertes Verhalten wie z.B. Werben um eine Person in Zusammenhang mit der Anbahnung einer Beziehung geht.

Darüber hinaus ist auch die Auslegung des Begriffes „körperlich nachstellt“ nicht eindeutig. Dass hierunter die körperlich nahe Anwesenheit innerhalb des gleichen Raumes zu verstehen ist, dürfte sicher nicht zweifelhaft sein. Im allgemeinen Sprachverständnis erscheint jedoch der in Stalking-Fällen häufige Sachverhalt des Auflauerns vor dem Haus oder in der Straße, in der die verletzte Person wohnt, nicht (mehr) als körperliche Nähe definierbar. Dass dieses Verhalten als schwerwiegende Handlung zu definieren sein könnte, ist sicherlich der oder dem Verletzten nachvollziehbar, für den Täter oder die Täterin aber eher nicht verständlich.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung kommt in Absatz 1 für den Vorschlag der Normierung eines Grundtatbestandes zwar mit weniger unbestimmten Rechtsbegriffen aus:

 

(1) Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich

1. seine räumliche Nähe aufsucht,

2. unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht,

3. unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt, oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen, oder

4. ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahestehenden Person bedroht,

und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend und unzumutbar beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.[12]

 

Für die verwendeten Rechtsbegriffe gilt das oben Gesagte jedoch auch hier: Um festzustellen, was unter unbefugtem, beharrlichem Handeln zu verstehen ist, das die verletzte Person in der Lebensführung schwerwiegend und unzumutbar beeinträchtigt, bedarf der Normadressat auch hier des Quellenstudiums und der Sichtung der Rechtsprechung. Nach dem Wortlaut erschließt sich ihm nicht, was er darf und was ihm verboten ist. Für den in dieser Fassung benutzten Be­griff der räumlichen Nähe gilt das oben zum körperlichen Nachstellen Gesagte entsprechend.

Der Kompromissvorschlag variiert den Gesetzentwurf der Bundesregierung in Absatz 1 lediglich dahin, dass eine unzumutbare Beeinträchtigung in der Lebensführung nicht mehr vorausgesetzt ist. Die Ausführungen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung gelten deshalb auch hier.

Insgesamt bleibt festzustellen, dass die vorgeschlagenen Straftatbestände zumindest verfassungsrechtlich bedenklich, wenn nicht sogar verfassungswidrig sein dürften.

Das Risiko einzugehen, eine verfassungsrechtlich bedenkliche Strafrechtsnorm festzuschreiben, entspricht jedoch nicht dem Gedanken des Verletztenschutzes im Bereich des Stalking, da den Tätern oder Täterinnen auf diese Weise letztlich Unklarheit und Unsicherheit der Rechtslage vermittelt und ein pädagogisch falsches Signal gegeben wird.

c) Beweisprobleme
c.1) Tatsächliche Probleme auf Seiten der verletzten Person

Von Stalking verletzte Personen gehen zu Beginn der Tathandlungen in aller Regel nicht vom Vorliegen eines Stalking-Geschehens aus. Sie ordnen das sie betreffende Geschehen als einmaligen Akt des Täters oder der Täterin ein, auf den es in irgendeiner Form zu reagieren gilt, sei es durch den Hinweis, derartiges Handeln zukünftig nicht zu akzeptieren, sei es durch kommentarloses Verschweigen und Verzeihen. Dementsprechend erfolgt die Reaktion in der Regel auch nicht orientiert an einem langfristigen Geschehen, sondern zumeist als nachsichtige Ablehnung, die kombiniert mit Verständnis für den Täter oder die Täterin häufig wiederholt, dem Täter geduldig erläutert, selbstkritisch überprüft und immer wieder dem Täter oder der Täterin gegenüber gerechtfertigt wird.

c.2) Einzeltat-Nachweis

Jeder einzelne Fall des Stalking bzw. jedes einzelne Handlungsbündel (s.o.) zum Nachteil der verletzten Person muss dem Täter oder der Täterin nach Maßgabe der strafprozessualen Grundsätze, also unter Beachtung insbesondere von Unschuldsvermutung und Mündlichkeitsprinzip nachgewiesen werden. Dies bedeutet angesichts der Formulierungsvorschläge für einen neu zu schaffenden Straftatbestand Stalking, dass jeder einzelne Akt eines fortgesetzt körperlichen Nachstellens (Gesetzentwurf des Bundesrates) oder des Aufsuchens der räumlichen Nähe (Gesetzentwurf der Bundesregierung und Kompromissvorschlag) unabhängig von der Frage, was unter körperlichem Nachstellen und räumlicher Nähe zu verstehen ist, dem oder der Beschuldigten nachgewiesen werden muss. Gelingt ein einziger Nachweis nicht, so ist der Tatbestand nicht erfüllt, eine strafrechtliche Ahndung mithin nicht möglich.

Bei der häufig eintretenden Beweissituation Aussage (der verletzten Person) gegen Aussage (des Täters oder der Täterin) muss in Ermangelung zusätzlicher Indizien deshalb häufig ein Freispruch erfolgen, der die oder den Verletzten zusätzlich in seinem bzw. ihrem Selbstbewusstsein beeinträchtigt und dem Täter oder der Täterin das Gefühl vermittelt, mit seinem oder ihrem Handeln im Recht zu sein.

d) Legalitätsprinzip – Antragsdelikt – Offizialdelikt

Die in den Gesetzentwürfen vorgesehene Ausgestaltung des Straftatbestandes als Antragdelikt und Privatklagedelikt erscheint inkonsequent und konterkariert den im Zusammenhang mit der Verfolgung von häuslicher Gewalt mühsam errungenen Paradigmenwechsel, wonach die Verfolgung von Straftaten im privaten Bereich nicht Privatsache, sondern ein Anliegen der Gesellschaft ist. Dieser Paradigmenwechsel war erforderlich geworden, weil bis dahin die Taten im privaten Bereich durch die Staatsanwaltschaft nicht verfolgt, sondern die verletzten Personen auf den Privatklageweg verwiesen wurden. Dies ist weder den Opfern von häuslicher Gewalt noch den Opfern von Stalking zuzumuten. Zugleich wird der in Zusammenhang mit der Verfolgung häuslicher Gewalt durch die Staatsanwaltschaft erreichte Fortschritt durch eine solche Regelung massiv gefährdet.

Die gleichzeitige Einordnung des als Privatklagedelikt eingestuften neuen Straftatbestandes der Schweren Belästigung als Nebenklagedelikt erscheint zudem widersprüchlich und unzulässig: § 395 Absatz II Ziffer 2 StPO gestattet nach geltendem Recht nur dem durch Delikte nach § 374 Absatz 1 Ziffer 7 und 8 StPO betroffenen Privatkläger den Anschluss als Nebenkläger. Dies bedeutet indes, dass entweder eine Einstufung als Privatklagedelikt oder als Nebenklagedelikt möglich ist. Den ohnehin in geschwächter persönlicher Situation befindlichen Opfern des Stalking sollte der Privatklageweg nicht zugemutet werden.

Das Argument der Opferautonomie hilft in diesem Zusammenhang nicht weiter, da wegen des für Polizei und Staatsanwaltschaft als Strafverfolgungsbehörden bestehenden Legalitätsprinzips diese auch dann zur Verfahrenseinleitung verpflichtet sind, wenn sie ohne Anzeigenerstattung der verletzten Person von dem strafrechtlich relevanten Sachverhalt Kenntnis erhalten.

e) Kostenprobleme

Würde eine Einordnung des geplanten neuen Straftatbestandes als Privatklagedelikt erfolgen, müssten die verletzten Personen das volle Kostenrisiko – auch im Fall der Bedürftigkeit – selbst tragen. Dies gilt auch für die Kosten der Einschaltung eines Rechtsanwaltes oder einer Rechtsanwältin. Eine Einstufung als Nebenklagedelikt würde jedenfalls im Fall der Bedürftigkeit die Gewährung von Prozesskostenhilfe ermöglichen, sofern es um ein Vergehen, also den Grundtatbestand geht. Im Falle eines nebenklagefähigen Verbrechens ist der verletzten Person gem. §§ 395, 397a StPO ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin als Beistand auf Antrag zu bestellen.

f) Haftrecht

Im Bundesratsentwurf und im Kompromissvorschlag wird eine Ergänzung des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr, § 112a StPO, um § 238 Absatz 2 bis 4 StGB vorgeschlagen. Wie bereits erläutert, erscheint die Einführung dieser Tatbestandsalternativen nicht erforderlich, da der von ihnen erfasste Regelungsgehalt bereits durch andere Straftatbestände abgedeckt wird bzw. die vorgeschlagene Regelung zur kausalen Verursachung des Todes des Opfers unzulässig sein dürfte. Auf die Ausführungen zu oben II.2a) wird Bezug genommen.

g) Probleme der Umsetzung in die Rechtspraxis

Die Verabschiedung eines neuen Straftatbestandes bewirkt für sich allein noch keinen (zuverlässigen) Schutz der Opfer des Stalking. Selbst wenn eine verfassungsrechtlich unbedenkliche, den Normadressaten verständliche Formulierung gefunden werden könnte, ist die aktuelle Belastung, teilweise sogar Überlastung der Strafverfolgungsorgane Polizei und Justiz stets ein Anlass zur ressourcenschonenden Bearbeitung in den Verfahren, die nach summarischer Prüfung als nicht so schwerwiegend eingestuft werden. Das bedeutet in der Praxis vor allem dann, wenn es sich um Privatklagedelikte handelt, eine Beschränkung der Ermittlungstätigkeit auf das Notwendigste. Dass dies den Opfern von Stalking nicht gerecht wird, liegt auf der Hand. Zur Vermeidung derartiger Konsequenzen muss die rechtliche Ausgestaltung entsprechend gewählt und der Arbeitsdruck durch Vorhalten ausreichenden Personals deutlich gemindert werden.

Da die Durchführung eines Strafverfahrens für Opfer auch und gerade von Stalking mit erheblichen Belastungen verbunden ist, ist eine Unterstützung durch gut geschulte Mitarbeiter von in der Regel freien Unterstützungseinrichtungen, die von der stärkenden Erstberatung bis zur engen Prozessbegleitung reicht und sich über Jahre hinziehen kann, unabdingbar. Dies bedeutet zugleich, dass derartige Einrichtungen auch finanziell unterstützt werden müssen und die hierfür bereit zu stellenden Mittel nicht gekürzt werden dürfen. Fachlich gute Unterstützung von Opfern von Straftaten gibt es nicht zum Nulltarif.

Das gilt umso mehr, weil, wie oben dargelegt (siehe oben unter II.2.b), schon die bereits bestehenden Regelungen und Möglichkeit zum Schutz der Interessen und Rechte der von Stalking betroffenen Personen nicht ausgeschöpft werden.

IV. Lösungsvorschläge

1. (Dringend notwendige) Reform des Gewaltschutzgesetzes (GewSchG)

Mit dem Gewaltschutzgesetz ist bereits eine gesetzliche Regelung vorhanden, die auch für den Bereich des Stalking Lösungsmöglichkeiten zur Ächtung und Ahndung bereithält.

Die Lösung der Strafbarkeit des Stalking im niedrigschwelligen Bereich nach dem GewSchG vermeidet die verfassungsrechtliche Problematik des Bestimmtheitsgrundsatzes. Die Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz beschreibt präzise, welches Verhalten dem Täter oder der Täterin untersagt ist. Es ist für ihn oder sie eindeutig, bei welchem Handeln er oder sie sich strafbar macht. Die in diesem Zusammenhang vielfach beklagten Beweisschwierigkeiten für die verletzte Person sind demgegenüber in den meisten Fällen nicht stichhaltig. So genügt für die zu beantragende Schutzanordnung die Glaubhaftmachung des Sachverhalts. Auch wenn mit einem Antrag auf Erhebung der Hauptsacheklage der Antragsgegner die verletzte Person in die Beweispflicht zwingen kann, so bedeutet dies keineswegs einen Nachteil, gibt es doch im Zivilrecht das Beweismittel der Parteivernehmung. Zudem lassen sich diverse Beweisfragen mit Hilfe der Strafanzeigenerstattung bei der Polizei lösen. Diese ist, wie erwähnt, nach dem Legalitätsprinzip – ebenso wie die Staatsanwaltschaft – verpflichtet, die Ermittlungen aufzunehmen, wenn Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Straftat bestehen. In den allermeisten Fällen des Stalking bestehen (auch) Anhaltspunkte für (versuchte) Nötigung, die zudem ein Offizialdelikt ist. Staatliche Hilfe bei der Beweisermittlung ist mithin möglich, allerdings abhängig von der Anzeigenerstattung. Dabei sind die vielfachen Fälle von Telekommunikationsverstößen dadurch beweismäßig zu klären, dass die verletzte Person im Rahmen einer Anzeigenerstattung bei der Polizei die vorhandenen Daten, insbesondere SMS u.ä. aus dem Telefon oder sonstigem Gerät auslesen lässt.

Allerdings bedarf auch das Gewaltschutzgesetz zur effektiveren Verfolgung des Stalking einer Ergänzung:

Die in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung und im Kompromissvorschlag des Bundesministeriums der Justiz vorgesehen Tatbestandsalternativen der Bestellung von Waren und Dienstleistungen, der Veranlassung Dritter zur Kontaktaufnahme und der Drohung mit Körperverletzung, Nötigung und Freiheitsberaubung, auch gegenüber nahestehenden Personen, stellen typische und häufige Stalking-Verhaltensweisen dar, die als Anordnungsvoraussetzung in § 1 Absatz 2 GewSchG mit aufgenommen werden müssten.

Neben der sofort möglichen und notwendigen Änderung des Gewaltschutzgesetzes zur Verbesserung der Verfolgung des Stalking in § 1 Absatz 2 GewSchG ist aber auch eine Änderung der Strafdrohung in § 4 GewSchG geboten. Der derzeitige Strafrahmen, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vorsieht, charakterisiert die Vergehen gegen das Gewaltschutzgesetz, unabhängig davon, ob es sich um häusliche Gewalt oder Stalking handelt, als Bagatelldelikt. Dies führt in der Praxis häufig auch in den Fällen, die von der Staatsanwaltschaft zur Anklage gebracht oder mit Strafbefehlsantrag dem Gericht vorgelegt werden, zu Anfragen nach Einstellung des Verfahrens gem. §§ 153, 153a StPO. Derartige Einstellungen bedeuten für den Täter oder die Täterin jedoch wiederum eine letztlich positive Verstärkung seines oder ihres gesellschaftlich unerwünschten Tuns, was jedenfalls bei der Einstellung gem. § 153 StPO als geringfügiges Verschulden bezeichnet wird. Der gerade auch in Fällen des Stalking erforderliche Paradigmenwechsel zur gesellschaftlichen Ächtung kann und wird auf diese Weise nicht gelingen. Um dies zu ändern, sollte jedenfalls im Wiederholungsfall des Verstoßes gegen eine Schutzanordnung nach § 1 GewSchG, der Strafrahmen dem Unrecht entsprechend auf Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren heraufgestuft werden.

In der Praxis hat sich inzwischen die Zuständigkeitsregelung für Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz und die Regelungen über die Vollstreckung der durch die verletzte Person erwirkten Schutzanordnung nach der ZPO als äußerst problematisch erwiesen. Die Bestrafung nach § 4 GewSchG wurde kürzlich abgelehnt, weil eine Vollstreckung der Schutzanordnung nach der ZPO durch die verletzte Person nicht (wirksam) bewirkt worden war.

Hierzu liegt in Zusammenhang mit der Reform des FGG bereits ein Gesetzesvorschlag vor. Es erscheint dringlich, diese Änderungen, soweit sie sich auf das Gewaltschutzgesetz beziehen, vorzuziehen und nicht die Gesamtreform des FGG abzuwarten.

2. Aktionsplan zur effektiven Umsetzung in die Rechtspraxis (Monitoring)

Wie die Einführung des Gewaltschutzgesetzes mit begleitenden Umsetzungsstrukturen (Einrichtung einer Bund-Länder Arbeitsgemeinschaft zur Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes, Erstellung eines Aktionsplanes etc.) gezeigt hat, können vorhandene oder neu geschaffene rechtliche und unterstützende Regelungen wirken, wenn ihre Umsetzung in die Rechts- und Gesellschaftspraxis gezielt betrieben und überwacht wird (Monitoring).

Viele der im Zusammenhang mit Ahndung und Ächtung des Stalking erforderlichen Maßnahmen sind nicht durch (neue) Gesetzgebung zu bewirken, sondern durch gezielte Förderung der flächendeckenden Umsetzung in der Praxis. Das begründet die Notwendigkeit, Instrumente zur Umsetzung der vorhandenen Regelungen, der Kontrolle und der Überprüfung von weiterem Reformbedarf zu schaffen. Dazu gehört die Erstellung eines umfassenden Aktionsplanes, Schaffung und Förderung regionaler und überregionaler Netzwerke, Entwicklung von Grundlagen für die Fortbildung aller Professionellen einschließlich ihrer flächendeckenden Umsetzung und die Initiierung und Durchführung wissenschaftlich begleitender Evaluation. In diese Umsetzung müssen – regional ebenso wie (steuernd) überregional – alle mit dem Phänomen Stalking befassten Professionellen eingebunden werden, also nicht nur alle Unterstützungsorganisationen für Opfer, Frauenhäuser, sondern auch Polizei, Justiz, Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, medizinische Dienste, Institutionen zur Durchführung von Anti-Gewalt-Training für Täter oder Täterinnen und auch Jugendämter im Hinblick auf mitbetroffene Kinder.

Wenn eine derartige Umsetzung durchgesetzt wird, besteht eine große Chance, auch die Ächtung und Ahndung von Stalking und den Schutz der Opfer voran zu bringen.

3. Konkrete Vorschläge des djb

A.    Keine Einführung eines neuen Straftatbestandes im StGB

B.   Änderung des Gewaltschutzgesetzes:

a)   In § 1 Abs. 2 Ziffer 1 GewSchG wird nach den Worten „einer anderen“ eingefügt

       „Person selbst oder einer dieser nahestehenden Person“.

b)   In § 1 Abs. 2 Ziffer 2b GewSchG wird hinter „b)“ vor den Worten „einer anderen Person“ eingefügt

       „selbst oder durch Dritte“.

       Der Punkt nach dem Wort „verfolgt“ wird ersetzt durch das Wort

       „oder“

c)    Nach § 1 Abs. 2 Ziffer 2 GewSchG wird eingefügt:

       „3. eine Person unter missbräuchlicher Verwendung von personenbezogenen Daten einer anderen Person Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für diese aufgibt oder Dritte veranlasst, mit dieser Kontakt aufzunehmen.“

d)   In § 4 GewSchG wird in Satz 1 nach dem Wort ‚Geldstrafe' ein Komma und sodann eingefügt:

       „im Wiederholungsfall mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe“.

C.    Die im Gesetzentwurf zur Reform des FGG vorgesehenen Reformen zum großen Familiengericht werden vorgezogen und vorab verabschiedet.

D.   Zur Umsetzung der bestehenden und reformierten gesetzlichen Regelungen in die (Rechts-) Praxis wird ein Aktionsplan erstellt, der dem Monitoring dient und mindestens die Bereiche Einrichtung von Netzwerken, Fortbildung aller Professionellen und Durchführung wissenschaftlicher (Begleit-)Forschung zur Evaluation und Prüfung weiteren Reformbedarfs umfasst.

 

 

Jutta Wagner                                     Dagmar Freudenberg

Präsidentin                                                          Vorsitzende der Kommission Gewalt gegen Frauen und Kinder

 


[1]       Vgl. auch auf der Website des Bundesministeriums der Justiz unter www.bmj.de/Agenda/ Rat für Stalking-Opfer.

[2]       BT-Drucksache 16/1030.

[3]       BT-Drucksache 16/575.

[4]       Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl. 2006, Vor § 211 Rz. 10.

[5]       GrSenBGH vom 03.05.1994 = BGH 40, 138.

[6]       Meyer-Goßner, StPO Kommentar, 48. Aufl. 2005, Einl. Rz. 171.

[7]       BVerfGE 25, 269 (285); 28, 175 (183) m.w.N.

[8]       Vgl. BVerfGE 45, 346 (351) m.w.N.

[9]       BVerfGE 4, 352 (358); 28, 175 (183).

[10]     BVerfG vom 17.01.1978, 1 BvL 13/76.

[11]     Hervorhebungen durch die Verf.

[12]     Hervorhebungen durch die Verf.