Stellungnahme: 06-21


zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren

Stellungnahme vom

Der djb begrüßt die gesetzliche Normierung der Verständigung im Strafverfahren ausdrücklich. Die Verständigung ist grundsätzlich geeignet, einen sachgerechten Interessenausgleich unter den Verfahrensbeteiligten herbeizuführen.

Dem Interesse der Nebenklägerin oder des Nebenklägers wird der Referentenentwurf indes nicht gerecht. Er berücksichtigt den Anspruch der oder des zur Nebenklage berechtigten Verletzten auf den Abschluss des Verfahrens durch streitiges Urteil nicht in ausreichendem Maße.

Gem. § 257c Abs. 2 Referentenentwurf können Gegenstand der Verständigung die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazu gehörigen Beschlüsse sein können. Der Schuldspruch steht bewusst nicht zur Disposition.

Zwar erhalten die Verfahrensbeteiligten – also auch die oder der nebenklageberechtigte Verletzte – gem. § 257c Abs. 3 StPO Gelegenheit zur Stellungnahme. Zustande kommt die Verständigung aber schon dann, wenn Angeklagte oder Angeklagter und Staatsanwaltschaft nicht widersprechen. Der Widerspruch der Nebenklägerin oder des Nebenklägers bleibt folgenlos.

Das wird der Rolle der zur Nebenklage berechtigten Person als individueller Trägerin eigener Rechte nicht gerecht.

Der djb fordert schon seit geraumer Zeit, dass die Verletzteninteressen im Strafverfahren nicht als Störung des Verfahrensablaufs konstruiert sein dürfen, sondern als Chance einer Auseinandersetzung mit der Tat und als Ansatzpunkt für eine Verantwortungsübernahme der Täterin oder des Täters.[1] Die Nebenklage ist dabei Ausdruck der Subjektivität einer durch eine Straftat in ihren höchstpersönlichen Rechten gravierend verletzten Person im Verfahren. Soweit es um die Wahrnehmung ihrer Rechte geht, muss sie sich aktiv am Verfahren beteiligen können. Orientierungsmaßstab insoweit sind die Befugnisse der Staatsanwaltschaft, der oder des Beschuldigten und der Verteidigung.[2]

Dass die Rechte der oder des nebenklagebefugten Verletzten grundsätzlich akzessorisch zu den Befugnissen der Staatsanwaltschaft konzipiert sind, ist dabei nur solange sachgerecht, wie die Staatsanwaltschaft etwa aufgrund des Legalitätsprinzips bei zureichenden Anhaltspunkten für eine Straftat verpflichtet ist, Anklage zu erheben. Geht es hingegen um konsensual ausgestaltete Institute, wie eine Einstellung bei Erfüllung von Auflagen und Weisungen gem. § 153a StPO, ist eine solche akzessorische Anbindung der Nebenklagebefugnis an Rechtshandlungen der Staatsanwaltschaft unsachgemäß.

Der Referentenentwurf geht davon aus, dass der Schuldspruch nicht zur Disposition stehen soll und daher nicht Gegenstand der Verständigung sein darf. Die in § 244 Abs. 2 StPO niedergelegte Pflicht des Gerichts, die Wahrheit umfassend zu erforschen, bleibt durch die im Entwurf vorgesehen Regelungen unberührt. Das Gericht hat also auch für den Fall der Verständigung der Verfahrensbeteiligten weiter die Pflicht zur Erforschung der Wahrheit. Diese Konzeption geht an der Theorie wie an der Praxis vorbei.

Der Versuch, hier die Grundstrukturen des streitigen Verfahrens mit dem konsensual ausgestalteten Institut einer Verständigung zu vereinbaren, muss misslingen. Der Entwurf macht nur die Rechtsfolgen zum Gegenstand der Verständigung und will so Tatsachenfeststellung und Schuldspruch bewusst ausklammern. Er berücksichtigt auf diese Weise jedoch gleichsam nur die „Leistung“ der einen Seite der Verständigung – nämlich die von Gericht und Staatsanwaltschaft. Die „Gegenleistung der oder des Angeklagten“, die häufig in einem (Teil-)Geständnis liegen und eine weitere Beweisaufnahme entbehrlich machen wird, bleibt indes unberücksichtigt. Diese Seite der Verständigung berührt zum einen zwangsläufig die Tatsachen- und Schuldfrage, die von dem Rechtsfolgenausspruch logisch nicht eigenständig ist. Zum anderen zielt die Verständigung insgesamt – auch wenn der Entwurf nur die Rechtsfolgenseite in den Blick nimmt – notwendigerweise auf die Verkürzung der streitigen Verhandlung und auch darauf, eine umfassende Beweisaufnahme entbehrlich zu machen.

Das kann den berechtigten Verletzteninteressen zuwider laufen.

Stellt man sich etwa vor, der oder dem Angeklagten wird vorgeworfen, in sechs Fällen ihr oder ihm anvertraute Kinder missbraucht zu haben. Gegen einen „Strafrahmenrabatt“ ist die oder der Angeklagte bereit, sich in Bezug auf drei von sechs Fällen geständig einzulassen. Die Verletzten der weiteren Missbrauchsfälle können in einem solchen Fall ein berechtigtes Interesse an der Tatsachenfeststellung und einer damit verbundenen Zuweisung von Verantwortung für die Taten haben.

Der oder die Verletzte einer Straftat, bei der ein höchstpersönliches Rechtsgut verletzt ist, hat grundsätzlich einen Anspruch auf ein „durchverhandeltes“ Urteil in ihrer oder seiner Sache. Es besteht unter Umständen ein berechtigtes Interesse an einer umfangreichen Beweiserhebung und besonders dann, wenn seitens der Täterin oder des Täters unberechtigte, erniedrigende Behauptungen aufgestellt werden. Dabei steht nicht in Rede, dass eine Verständigung im Strafverfahren auch für die durch die Straftat verletzte Person sinnvoll sein kann. Etwa um ihr eine Zeugenaussage oder eine sonst belastende Verhandlung zu ersparen. Dieses Interesse wahrzunehmen, muss indes Angelegenheit der verletzten Person selbst sein. Verzichtet sie bewusst auf solche Vorteile, ist das eine Entscheidung, die sie in ihrer aktiven Rolle im Verfahren durchsetzen können muss.

Die Folgenlosigkeit eines Widerspruchs der nebenklageberechtigten, durch die Straftat verletzten Person widerspricht daher ihrer Stellung als mit eigenen Rechten ausgestattetes Subjekt des Verfahrens.

Sie widerspricht auch insbesondere grundsätzlichen Prinzipien der Strafzumessung.

Das Verfassungsgericht hat festgestellt, dass neben der Resozialisierung der Täterin oder des Täters Prävention, Schuldausgleich, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht legitime Aspekte einer angemessenen Strafsanktion sind. In der Strafe soll die Verbindlichkeit der für ein friedliches Zusammenleben der Gemeinschaft unabdingbaren Grundwerte für alle sinnfällig werden. Sie soll neben anderen Zwecken verletztes Recht durch die schuldangemessene Abgeltung von tatbestandlich umgrenztem, schuldhaft verursachtem Unrecht wiederherstellen und damit die Geltung und Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung für alle bekunden und behaupten.[3] Das verletzte Recht ist dabei – soweit es um höchstpersönliche Rechtsgüter geht – nicht von der oder dem individuellen Verletzten der Tat zu trennen und der Strafzweck ist daher jedenfalls auch am Verletztenschutz orientiert.[4] Dabei kommt der Verletztenorientierung zwar nicht der Rang eines durchsetzbaren Anspruchs der verletzten Person auf Strafe zu. Die oder der Verletzte darf sich hinsichtlich der Strafzielbestimmung aber auf der anderen Seite auch nicht schlicht in einer anonymisierten Allgemeinheit auflösen, die durch die Strafe generalpräventiv geschützt werden soll. Der Strafprozess darf nicht nur der Reintegration der Täterin oder des Täters, sondern muss auch der Genugtuungsfunktion und Reintegration der oder des Verletzten dienen. Dabei sind insbesondere drei Aspekte wesentlich, die die Reintegration der oder des Verletzten absichern können:

  1. die Vermeidung der mit der Strafverfolgung verbundenen Belastungen und der Ausgleich der Tatfolgen
  2. die Verhinderung von Reviktimisierung sowie
  3. die Wiederherstellung des durch die Viktimisierung gestörten Normvertrauens.[5]

Die Verständigung im Strafverfahren hindert die Erreichung dieser Ziele nicht grundsätzlich. Sie ist vielmehr im Grundsatz geeignet, die Ziele in Ausgleich zu bringen und die Reintegration der verletzten Person zu befördern. Insbesondere eine Verkürzung des Verfahrens, etwa durch ein Geständnis, kann die mit der Strafverfolgung verbundene Belastung, insbesondere durch lange und zermürbende Verfahrensdauer, für die oder den Verletzten verringern und unter Umständen auch eine Reviktimisierung der oder des Verletzen etwa durch Mehrfachvernehmungen  vermeiden.

Allerdings wird dem dritten Aspekt – der Wiederherstellung des gestörten Normvertrauens – nur genüge getan, wenn der oder dem nebenklagebefugten Verletzten eine aktive Rolle zukommt.

Die Chance, den Verletzten eine solche Stellung jedenfalls hinsichtlich der Verständigung im Strafverfahren einzuräumen, versäumt der Referentenentwurf, eben weil der Widerspruch der oder des nebenklageberechtigten Verletzten folgenlos bleiben soll.

Nach alledem ist die Zulässigkeit der Verständigung auch mit der Möglichkeit des Widerspruchsrechts der oder des nebenklagebefugten Verletzten zu verknüpfen.

Der djb schlägt daher vor, den § 257c Abs. 3 StPO wie folgt zu fassen:

Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagte bzw. Angeklagter, Staatsanwaltschaft und Nebenklageberechtige bzw. -berechtigter nicht widersprechen.

Jutta Wagner
Präsidentin

Cristina Tinkl
Vorsitzende der Kommission Strafrecht

 


Anmerkungen

[1]Nelles/Oberlies, Reform der Nebenklage und anderer Verletztenrechte, S.5.

[2] Nelles/Oberlies, wie vor, S.13.

[3]BVerfG, Beschluss vom 28.06.1983 - 2 BvR 539, 612/80; NJW 1984, 33.

[4] Vgl. Kichling, NStZ 2002, wie vor.

[5] Vgl. dazu Kichling, wie vor.