Stellungnahme: 06-17


zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft vom 4. April 2006

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund ist der Ansicht, dass der Referentenentwurf zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft den Grundentscheidungen des Kindschaftsrechtsreformgesetzes und dem Kindeswohl nicht ausreichend Rechnung trägt und lehnt ihn deshalb ab.

Auch bei Berücksichtigung der Tatsache, dass es Fälle missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen gibt, vermag der Entwurf mit seinen weit reichenden Eingriffen insbesondere in die Grundrechtspositionen von unverheirateten Müttern und nichtehelichen Kindern im Hinblick auf die Mittel-Zweck-Relation nicht als sachgerechter Lösungsansatz zu überzeugen. Es fehlt bislang an einer validen Datengrundlage, welche die geplanten gesetzlichen Regelungen zu begründen vermag. Die Regelungen stellen in der vorliegenden Form zudem eine unverhältnismäßige generelle Stigmatisierung ausländischer und binationaler Familien dar. Zweifelhaft ist auch, ob das Gesetz geeignet ist, das erklärte Ziel zu erreichen: Menschen, die sich möglicherweise an sogenannten missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen beteiligen, befinden sich häufig in einer sozialen, psychischen und ökonomischen Zwangslage. Es besteht daher vielmehr eher eine relevante Wahrscheinlichkeit, dass der Druck auf eventuell betroffene Mütter und Kinder erhöht wird.

I. Grundsätzliches

Der Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Rechts zur Anfechtung der Vaterschaft ist nach einer Anregung der Innenministerkonferenz vom Herbst 2004 entstanden, dem die Justizministerkonferenz folgte, um damit sogenannten „missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen zu Zwecken der Erlangung eines Aufenthaltstitels bzw. der deutschen Staatsangehörigkeit“ zu begegnen. Mit dem Gesetz soll für eine staatliche Stelle die Möglichkeit geschaffen werden, Vaterschaftsanerkennungen im öffentlichen Interesse anzufechten, wenn durch die Anerkennung die rechtlichen Voraussetzungen für den Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteils in der Bundesrepublik Deutschland geschaffen werden.

1. Derzeitige Rechtslage

Zunächst einmal ist die Rechtslage nach geltendem Recht zu betrachten, um zu prüfen, ob überhaupt eine Notwendigkeit für die geplante Gesetzesänderung besteht. Dabei ergibt sich, dass für die geplante Gesetzesänderung aufenthaltsrechtlich kein Bedarf besteht. Anders sieht es im Staatsangehörigkeitsrecht aus; dort sind allerdings die Folgen insbesondere auch im Zusammenhang mit der beabsichtigten Rückwirkung verfassungsrechtlich kritisch zu sehen.

a) Die geltende Rechtslage nach Familienrecht

Die Anerkennung der Vaterschaft erfolgt gem. § 1592 Nr. 2 BGB durch höchstpersönliche, öffentlich beurkundete Erklärung des Mannes, die zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung der Mutter und, wenn dieser die elterliche Sorge insoweit nicht zusteht, der Zustimmung des Kindes bedarf (§ 1595 BGB).

Mit Wirksamwerden seiner Erklärung tritt der anerkennende Mann in die Rechte und Pflichten eines Vaters gegenüber dem Kind ein, ohne dass es des Nachweises einer genetischen Vaterschaft oder einer familiären Lebensgemeinschaft mit dem Kind bedarf. Eine Anfechtung der Vaterschaft ist nach §§ 1600a, b BGB durch den anerkennenden Mann und die Mutter nur für die Dauer von zwei Jahren ab Wirksamwerden der Anerkennung, frühestens aber ab dem Zeitpunkt der Geburt zulässig. Ein späteres Anfechtungsrecht kommt nur noch für das Kind in Betracht, das ein Recht hat, seine eigene Abstammung zu kennen[1], sowie seit 2004 auch für den genetischen Vater (§1600 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 BGB). Ein Vaterschaftsanerkenntnis begründet also in gültiger und nur schwer umkehrbarer Weise die Vaterschaft.

Dies entspricht der Absicht des Gesetzgebers: Mit dem Kindschaftsrechtreformgesetz hat sich der Gesetzgeber gegen eine staatliche Intervention im Kernbereich der Familie entschieden. Eine Vaterschaftsanerkennung bedarf für ihre Wirksamkeit lediglich der Erklärung des anerkennenden Vaters und der Zustimmung der Mutter als Interessenvertreterin des Kindes. Der Kreis der Anfechtungsberechtigten ist zum Schutz der Familie klein gehalten. Das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung ist dabei durch ein eigenes Anfechtungsrecht geschützt, welches dem Kind mit Volljährigkeit zusteht. Die Rechtsordnung enthält sich einer Einmischung in die Familienbeziehungen, sofern die Eltern Verantwortung für das Kind übernehmen und mit ihm in soziale Beziehungen treten. Das öffentliche Interesse an einer existenten und stabilen Vater-Kind-Beziehung überwiegt deshalb sogar das rechtliche Interesse an sachlich richtigen und von den Erklärenden in ihrer Tragweite auch gewollten Erklärungen. Einen so weit gehenden Rechtsschein nimmt die Rechtsordnung in Kauf, weil zum einen die Anerkennung der sorgeberechtigten Mutter nicht aufgedrängt werden kann, sondern ihrer Zustimmung bedarf, und weil zum anderen der Anerkennende mit seiner Erklärung die familienrechtlichen Elternpflichten übernimmt.

Mit dem Gesetzentwurf soll die durch das Kindschaftsreformgesetz 1998 abgeschaffte staatliche Anfechtungsmöglichkeit bei Vaterschaftsanerkennungen einseitig für ausländische und binationale Familien wieder eingeführt werden; dies widerspricht dem Ziel der Stärkung nichtehelicher Mütter, welchem das Kindschaftsrechtsreformgesetz erklärtermaßen dienen sollte; dieser Stärkung bedürfen jedoch besonders nicht-deutsche Mütter. Der Entwurf manifestiert so eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung nichtehelicher Elternschaft (Art. 6 Abs. 5 und Art. 3 Abs. 1 und 3 Satz 1 GG), da jene Rechtswirkungen, die mit der Anfechtungsmöglichkeit des Staates beseitigt werden sollen, bei ehelichen Kindern aus ausländischen und binationalen Familien weiter bestehen werden.

b) Die geltende Rechtslage nach Staatsangehörigkeits- und Ausländerrecht

Im Zusammenspiel mit den aktuellen Regelungen des Ausländer- und Staatsangehörigkeitsrechts ist ein Missbrauch des Instituts der Vaterschaftserkennung zur Begründung von sicheren Aufenthaltsrechten möglich.

Im Hinblick auf die Verbesserung des Aufenthaltsstatus’ eines oder mehrerer Beteiligter kommen folgende Konstellationen in Betracht:

Zunächst kann die Anerkennung eines Kindes mit ausländischer Mutter durch einen deutschen Mann mit der Wirkung erfolgen, dass das Kind gem. § 4 Abs. 1 StAG ohne weiteres die deutsche Staatsangehörigkeit erhält. In der Folge hat die Mutter, vermittelt durch das nunmehr deutsche Kind, gem. § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, ohne dass es darauf ankäme, ob ihr Lebensunterhalt gesichert ist.

Des Weiteren erwirbt ein Kind die deutsche Staatsangehörigkeit auch mit Anerkennung durch einen ausländischen Mann, der seit acht Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und entweder zu den freizügigkeitsberechtigten Staatsangehörigen nach §4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StAG gehört oder im Besitz einer EU-Aufenthaltserlaubnis oder einer Niederlassungserlaubnis ist.

Bei einer Vaterschaftsanerkennung durch einen ausländischen Mann ohne Freizügigkeitsberechtigung und mit kürzerer Aufenthaltszeit verschafft dieser einem ausländischen Kind nur dann einen sicheren Aufenthaltsstatus, wenn er entweder zusätzlich die Personensorge wahrnimmt (§ 32 Abs. 1 Nr. 1, 3 AufenthG)oder wenn eine andere Entscheidung eine besondere Härte für das Kind bedeutet, was regelmäßig nur gegeben ist, wenn das Kind mit dem Anerkennenden bereits zusammenlebt oder auf andere Weise eine enge Beziehung zu ihm begründet hat (§ 32 Abs. 4 AufenthG)[2] .

Schließlich ist auch der umgekehrte Fall der Anerkennung eines deutschen Kindes durch einen ausländischen Mann mit unsicherem Aufenthaltsstatus denkbar. Der Mann hätte gem. § 28 AufenthG den Nachweis zu führen, dass er die Personensorge ausübt oder entsprechenden Umgang mit dem Kind pflegt. Vergleichbar wären die Anforderungen bei Anerkennung eines ausländischen Kindes mit sicherem Aufenthaltsstatus nach § 36 AufenthG.

Festzustellen ist jedoch, dass aufenthaltsrechtlich dem Problem „sogenannter missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen“ begegnet werden kann. Probleme bereiten nur die Fälle, in denen mit der Vaterschaftsanerkennung der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit einhergeht. Hierzu sei auf eine veröffentlichte Entscheidung des VGH Baden-Württemberg[3] hingewiesen: Der VGH wies unter Anwendung der seit 1. Januar 2005 geltenden Rechtslage das Begehren einer Mutter und ihres in Deutschland geborenen Kindes, das von einem Ausländer mit unbefristeter Aufenthaltserlaubnis anerkannt worden war, auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis endgültig zurück. Zur Begründung hieß es, dass Mutter und Kind aus einem offensichtlichen Missbrauch des §1598 BGB bei Anerkennung der Vaterschaft keinen aufenthaltsrechtlichen Nutzen ziehen dürften, denn sonst kämen sie in den Genuss von Rechtspositionen, auf die sie von Rechts wegen keinen Anspruch hätten. Die Missbräuchlichkeit begründete der VGH sowohl mit präzisen Anhaltspunkten für eine offensichtlich fehlende genetische Vaterschaft als auch mit der Tatsache, dass der anerkennende Mann sich weder um das Kind kümmerte noch in der Lage war, Unterhalt zu leisten. Die familienrechtliche Wirksamkeit des Anerkenntnisses wird nicht in Frage gestellt, sondern der Fall wird aufenthaltsrechtlich gelöst unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung für einen Schutz von Ehe und Familie[4] .

Nicht weiter führt diese Rechtsprechung allerdings in den Fällen, in denen ein Deutscher ein ausländisches Kind anerkennt. Einschlägig ist hier das Staatsangehörigkeitsrecht, das die Staatsangehörigkeit des Kindes unmittelbar und ohne weiteren Verfahrensschritt an die Anerkennungserklärung knüpft (dazu siehe aber unten 4.).

2. Fehlende Zahlengrundlage

Problematisch ist zudem, dass die Erforderlichkeit der nun im Entwurf vorliegenden weitgehenden Regelung nicht erwiesen ist. Es gibt keine aussagekräftige Datengrundlage, aus der sich der behauptete Missbrauch der Vaterschaftsanerkennungen in relevantem Umfang ergibt; dies wird durch das Bundesministerium der Justiz in der Gesetzesbegründung auch eingeräumt. Einzige Grundlage für den Entwurf ist eine Erhebung der Ausländerbehörden, die für die Zeit vom 1. April 2003 bis zum 31. März 2004 ermittelt hat, wie vielen ausländischen Eltern mit deutschen Kindern eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wurde. Völlig unklar ist dabei, in wie vielen Fällen es sich um Vaterschaftsanerkennungen handelt, in denen weder eine biologische noch eine soziale Beziehung zum Kind gegeben war. Die genannten Zahlen wurden durch die Ausländerbehörden erhoben, ohne dass nachvollziehbar ist, nach welchen Kriterien die Erhebung erfolgte. Dies ist keine valide Datengrundlage, welche die mit sehr weitgehenden Grundrechtseingriffen verbundenen Regelungen in der vorliegenden Form rechtfertigen könnte. Die Schaffung einer solchen sollte nunmehr dringend in Angriff genommen werden.

Zwar kommt es für die prinzipielle Frage, ob der Gesetzgeber sich eines rechtlichen Missstandes überhaupt annehmen darf, nicht auf die konkreten Zahlen an. Ob der Gesetzgeber Abhilfe für notwendig hält, ist eine Prognoseentscheidung, für die er einen weiten Einschätzungsspielraum beanspruchen kann. Insgesamt ist die vorgeschlagene Lösung verfassungsrechtlich aber nicht unproblematisch. Angesichts der bislang bestehenden Unklarheiten über die Fallzahlen zweckwidriger Vaterschaftsanerkennungen ist deshalb zunächst auf ein staatliches Anfechtungsrecht zu verzichten und die Lösung des Problems – wie aufgezeigt – im Aufenthaltsrecht zu belassen, zumal eines der Ziele des Gesetzes, die Verhinderung sogenannter „missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen zu Zwecken der Erlangung eines Aufent­haltstitels“, bereits nach geltendem Aufenthaltsrecht ausreichend erreicht werden kann. Denn das Aufenthaltsrecht stellt unter der erforderlichen Beachtung der Wertentscheidungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG nicht darauf ab, ob eine Vaterschaftsanerkennung vorliegt oder nicht, sondern allein auf Schutzwürdigkeit der bestehenden tatsächlichen Eltern-Kind-Beziehung. Für das Staatsangehörigkeitsrecht sieht dies zwar anders aus, aber auch hier bestehen verfassungsrechtliche Probleme (siehe unten 4.).

3. Eingriff in Grundrechtspositionen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG

Der Referentenentwurf sieht die Einführung einer staatlichen Befugnis zur Anfechtung der Vaterschaft in § 1600 BGB vor. Diese setzt voraus, dass es an einer „sozial-familiären Beziehung“ zwischen dem Anerkennenden und dem Kind fehlt und dass durch die Anerkennung rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte Anreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteils geschaffen werden. Eine sozial-familiäre Beziehung soll bestehen, „wenn der Vater (kraft Anerkennung) zum maßgeblichen Zeitpunkt für das Kind Verantwortung trägt oder getragen hat.“

Anders als beim Erfordernis der Zustimmung des Jugendamts kraft Amtspflegschaft, das mit dieser 1998 beseitigt wurde, lässt sich diese Anfechtungsbefugnis nicht oder nicht primär mit dem Wohl des Kindes legitimieren. Sie läuft dem Kindeswohl unter Umständen sogar zuwider, etwa dann, wenn durch die Anerkennung der Aufenthaltsstatus des Kindes gefestigt oder gar die deutsche Staatsangehörigkeit verschafft werden sollte. Folglich wird nicht allein das in Art. 6 Abs. 2 GG verankerte Elternrecht zugunsten des Kindes eingeschränkt, sondern die von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Privatheit und Autonomie des Familienlebens beeinträchtigt.

Diese Grundrechte sind durch das im Referentenentwurf vorgesehene Anfechtungsrecht nicht in ihrer Bedeutung als wertentscheidende Grundsatznorm, sondern in ihrer Funktion als staatsgerichtete Abwehrrechte betroffen. Das vorgesehene staatliche Anfechtungsrecht greift unmittelbar in die Freiheit der Familienmitglieder als Grundrechtsträger ein, ihre jeweilige Gemeinschaft „nach innen“ in ehelicher bzw. familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten. Dass das staatliche Anfechtungsrecht das Fehlen einer sozial-familiären Beziehung zwischen Vater und Kind voraussetzt, mag die Eingriffsintensität mildern, beseitigt den Charakter der vorgesehenen Vaterschaftsanfechtung durch eine staatliche Stelle als Grundrechtseingriff jedoch nicht[5].

In seiner freiheitssichernden Funktion unterliegt das Familienschutzgebot keinem Schrankenvorbehalt. Seine Einschränkung lässt sich folglich nur mit Zwecken legitimieren, denen ihrerseits Verfassungsrang zukommt. Laut der Begründung des Referentenententwurfs soll das Anfechtungsrecht der Wahrung der „Akzeptanz der unverändert richtigen Grundentscheidung der Kindschaftsrechtsreform von 1998“ dienen. Außerdem soll der Entstehung eines „Generalverdachts“ gegen binationale Familien vorgebeugt werden, und schließlich soll der Gefahr der „Herausbildung organisierter Strukturen für solche Vaterschaftsanerkennungen“ entgegengewirkt werden.

a) Das Argument der Akzeptanzsicherung erweist sich zur Legitimation eines solchen Eingriffs in die Familienautonomie allerdings als ungeeignet, denn hier fehlt es schon am erforderlichen verfassungsrechtlichen Anknüpfungspunkt. Darüber hinaus ist aber auch nicht ersichtlich, wie ein Missbrauch des Instituts der Vaterschaftsanerkennung zur Aufenthaltsverschaffung die gesellschaftlich konsentierte Stärkung der Autonomie nichtehelicher Eltern und Familien zu diskreditieren vermöchte, zumal die ursprüngliche Mitwirkungsbefugnis des Jugendamtes ausschließlich dem Wohl und Interesse des Kindes diente.

b) Rechtfertigungsprobleme bereitet auch der Zweck der Vermeidung eines „Generalverdachts“ gegen binationale (warum nicht auch gegen ausländische?) Familien. Die Beeinflussung gesellschaftlicher Anschauungen ist als politisches Ziel zwar grundsätzlich legitim, genießt jedoch ebenso wenig wie das Akzeptanz-Argument Verfassungsrang. Insbesondere kann der Schutz verdachtsbetroffener Familien nicht gut zur Rechtfertigung von Eingriffen in die Autonomie und Selbstbestimmung eben dieser Familien dienen. Im Übrigen ist der Referentenentwurf im Gegenteil geradezu geeignet, binationale Familien nun explizit (von Gesetzes wegen) generell einem solchen Verdacht auszusetzen.

c) Die Gefahr eines Missbrauchs des Instituts der Vaterschaftsanerkennung durch Schlepperbanden ist, auch wenn sie sich quantitativ nicht belegen lässt, nicht von der Hand zu weisen. Wenn das Bundesjustizministerium starke Indizien für „nicht unerhebliche Zahlen von Vaterschaftsanerkennungen, die primär der Vermittlung eines ausländerrechtlichen Bleiberechts dienen“ zu erkennen meint, lassen diese zwar nicht zugleich auf organisierten Missbrauch schließen. Andererseits liegt diese Gefahr auch nicht so fern, dass sie den Gesetzgeber nicht zu Gegenmaßnahmen berechtigen vermöchte. Verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt der Gefahrenabwehr wäre das Rechtsstaatsprinzip, das dem Staat auferlegt und ermöglicht, die eigenen Entscheidungen um- und durchzusetzen und die missbräuchliche Ausnutzung eingeräumter Rechtspositionen zu verhindern. Das staatliche Anfechtungsrecht wäre das mildere Mittel gegenüber der generellen Einschränkung des Instituts der Vaterschaftsanerkennung.

Dann allerdings hätte der Gesetzentwurf die Voraussetzungen einer staatlichen Anfechtung hinreichend eng auf das zur Zweckerreichung unbedingt Erforderliche zu beschränken, um nur solche Fälle einer staatlichen Anfechtung zugänglich zu machen, in denen bereits hinreichende Anhaltspunkte für einen Missbrauch des Instituts der Vaterschaftsanerkennung zum Zweck der Aufenthaltsverschaffung bestehen. Nicht zuletzt die historischen Erfahrungen mit staatlicher Einwirkung auf Ehe und Familie[6] gebieten gerade hier eine besondere Sensibilität und Zurückhaltung. Unzulässig wäre deshalb beim gegenwärtigen, nicht ausreichenden Erkenntnisstand zur Verbreitung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen das regelhafte Verlangen eines Nachweises der genetischen Vaterschaft durch die Ausländerbehörden und Standesämter.

Es bestehen zudem Zweifel, ob das Gesetz den gewünschten Effekt – über die Anfechtung missbräuchlicher Vaterschaftsanerkenntnisse die Zahl missbräuchlich erlangter Aufenthaltstitel zu reduzieren – wirklich erreicht oder ob nicht vielmehr der Druck auf die Personen, die sich für solche Rechts“gestaltungen“ hergeben, erhöht wird:

Denkbar ist, dass diejenigen Personen, die diese Möglichkeit missbräuchlich nutzen, durch Schlepperbanden und ihre Entourage aufgeklärt werden könnten und ihnen durch Kontaktaufnahme zu entsprechend bereiten Personen die Gelegenheit zur Beurkundung einer, die wahren Abstammungsverhältnisse nicht wiedergebenden Anerkennung geboten werden könnte. Anzunehmen ist, dass das entsprechend geschulte Personal einer Immigrationsindustrie die (aufgezeigte) verfassungsgerichtlich entwickelte Rechtsprechung zum Aufenthaltsrecht in ihren Auswirkungen kennt und auch die geplanten Vorschriften entsprechend anzuwenden wissen könnte: Da das Aufenthaltsrecht nicht auf die Anerkennung als solche abstellt, sondern auch das Bestehen familiärer Beziehungen verlangt, sind immer wieder streitige Sorge- und Umgangsverfahren zu erleben, in denen jemand vor dem Hintergrund drohender Abschiebung plötzlich großes Interesse an einem ihm zuzurechnenden Kind entwickelt, obwohl es zuvor ein Familienleben offenbar nicht gegeben hat. Denkbar ist, dass, gegebenenfalls gegen höhere Preise, weiterhin sogenannte „missbräuchliche Vaterschafts­anerkennungen“ erfolgen könnten und dazu die weitere Voraussetzung – soziales Leben, jedenfalls mit dem Kind – durch Druck und durch Sorge- und Umgangsstreitigkeiten erzwungen werden könnte. Das Tragen von Verantwortung erschöpft sich nach geltendem Rechtsverständnis nicht nur in der Ausübung der Sorge, sondern auch des Umgangsrechts; die möglicherweise dazu noch nachzuweisende Zahlung von Unterhalt könnte dadurch hergestellt werden, dass der vereinbarte Preis für die missbräuchlich eingeräumte Anerkennungsmöglichkeit ratenweise gezahlt würde.

Die angestrebte Neuregelung muss auch vor dem Hintergrund von Bestrebungen gesehen werden, dem nichtehelichen Vater mehr oder minder automatisch das Sorgerecht ab Geburt des Kindes, ohne Mitwirkungsrecht der Mutter, von Gesetzes wegen zuzuweisen. Die Position jedenfalls eines Mannes, der die Vaterschaft für ein Kind anerkennt, das nicht von ihm abstammt, würde sich dadurch eher noch verstärken, seine Möglichkeiten, die Mutter des Kindes unter Druck zu setzen, ebenfalls.

4. Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit, Staatenlosigkeit und Rückwirkung

Erkennt ein deutscher Mann (oder ein ausländischer Mann, der seit acht Jahren seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und entweder zu den freizügigkeitsberechtigten Staatsangehörigen nach §4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StAG gehört oder im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis-EU oder einer Niederlassungserlaubnis ist) die Vaterschaft für ein Kind mit einer ausreisepflichtigen Mutter an, um ihr den Aufenthalt zu sichern, so erhält die Mutter gem. § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis (nach drei Jahren auf Antrag sogar eine Niederlassungserlaubnis, § 28 Abs. 2 AufenthG). Mit der Vaterschaftsanerkennung hatte das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 4 StAG erworben. Nach der erfolgreichen Anfechtung wird es so gestellt, als sei es nie deutscher Staatsangehöriger gewesen; sein Aufenthaltsstatus ist ungeklärt. In den Fallkonstellationen, in denen es zudem nicht die Staatsangehörigkeit der Mutter erwerben kann, wird es sogar staatenlos werden. Das (nicht täuschende) Kind müsste nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stellen. Die (täuschende) Mutter behält zunächst ihren Aufenthaltstitel bis zum Ende des Verfahrens über die Rücknahme gem. § 51 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG iVm § 48 VwVfG. In dieser Zeit bliebe für das grundsätzlich ausreisepflichtige Kind ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung (§60a Abs. 2-4 AufenthG). Diese aufenthaltsrechtlichen Folgen dürften unproblematisch sein. Und bei staatenlos werdenden Kindern? Die Bundesrepublik Deutschland wäre der Staat des gewöhnlichen Aufenthaltes. Was passiert, wenn der Herkunftsstaat der Mutter nicht bereit ist, das staatenlose Kind aufzunehmen?

Zumindest verfassungsrechtlich bedenklich ist die mit einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung einhergehende Folge einer möglichen Staatenlosigkeit des Kindes. Das BVerfG hat hierzu in einer neueren Entscheidung[7] festgestellt, dass eine Nichtigkeit des Staatsangehörigkeitserwerbs, die rückwirkend ist, einen Verlust im Sinne des Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt. Weiter heißt es, dass Staatenlosigkeit nur dann in Kauf genommen werden könne, wenn der Betroffene die Ursachen für die Rücknahme willentlich und darüber hinaus in vorwerfbarer Weise selbst gesetzt habe. Nur dann könne der missbräuchlich Handelnde in der Regel keinen Bestandsschutz für seine Rechtsposition geltend machen. Weder hätte nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung das Kind willentlich selbst die Ursachen für den gesetzlich vorgesehenen Verlust gesetzt noch gar wissentlich. Ob eine Zurechnung des Handelns der Mutter und/oder des an der Täuschung ebenfalls beteiligten nicht genetischen Vaters möglich ist, erscheint fragwürdig, da dies zu einer Verkürzung der eigenen Grundrechtsposition des Kindes führen würde. Allerdings ist festzustellen, dass sich diese Problematik bereits nach der geltenden Rechtslage (siehe oben 1.a) stellt, wenn innerhalb der Zweijahresfrist der anerkennende Mann oder die Mutter oder später der genetische Vater (bei einer späteren Anfechtung durch das Kind selbst stellen sich Fragen des Vertrauensschutzes nicht) wirksam die Vaterschaft anfechten. Neben dieser ungeklärten Problematik im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG erscheint die aufgezeigte Rechtsfolge der Staatenlosigkeit aber auch unter dem Blickwinkel des Art. 5 Abs. 1 des „Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit“ bedenklich.

Die Frage des Vertrauensschutzes des Kindes stellt sich aber auch noch unter dem Blickwinkel der Rückwirkung, denn nach Ablauf der Zweijahresfrist kann bislang weder durch eine Anfechtung der Mutter noch des anerkennenden oder des genetischen Vaters die erworbene Rechtsposition entzogen werden. All diese Personen könnten nach Inkrafttreten der vorgesehenen Anfechtungsmöglichkeit für eine staatliche Stelle dieser die erforderlichen Informationen zukommen lassen und so in den bereits abgeschlossenen Sachverhalt des Erwerbes der deutschen Staatsangehörigkeit erneut einwirken. Auch dies ist verfassungsrechtlich bedenklich.

II. Zu den Bestimmungen im Einzelnen

§ 1600 III BGB

Als Tatbestandsvoraussetzungen für das staatliche Anfechtungsrecht normiert die Vorschrift zwei Anknüpfungspunkte: Es ist dies das Fehlen einer sozial-familiären Beziehung einerseits und die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für Einreise/Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteils durch die Vaterschaftsanerkennung andererseits.

Aus praktischen Gründen wird nicht an den subjektiven Zweck der Aufenthaltsverschaffung anzuknüpfen sein, sondern die im Referentenentwurf vorgesehene objektive Eignung der Anerkennung ausreichen müssen. Das Tatbestandsmerkmal der Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht stellt jedoch generell alle binationalen und ausländischen Familien unter einen Generalverdacht. Es ist zu befürchten, dass die vorgeschlagene Regelung dazu führt, dass den Betroffenen grundsätzlich in allen Fällen ein generelles Misstrauen entgegengebracht und die Erforschung der Abstammung und der familiären Lebenssituation zum Regelfall wird. Es ist jedoch unzulässig, künftig von binationalen und ausländischen Eltern quasi regelhaft die Vorlage eines Abstammungsnachweises zu verlangen. Dies ist schon mit dem Rechtsgedanken des Kindschaftsrechtsreformgesetzes nicht vereinbar. Die Möglichkeit der Vaterschaftsanerkennung soll gerade nicht an den Nachweis der biologischen Vaterschaft gebunden sein, um die soziale Familienbildung, die von zunehmender gesellschaftlicher Bedeutung ist, zu ermöglichen. Auch stellt es einen Eingriff in das in Art. 6 Abs. 2 GG verankerte Elternrecht zugunsten des Kindes und in die von Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Privatheit und Autonomie des Familienlebens dar (siehe oben I.3.).

Ob allerdings die Entwurfsfassung des § 1600 BGB im Übrigen die Regelanfechtung bereits effektiv verhindert, ist unsicher, denn das Fehlen einer sozial-familiären Beziehung wird mit dem Begriff der „Verantwortung“ des anerkennenden Vaters sehr weit und unbestimmt umschrieben. Diese Terminologie wurde zwar bereits 2004 im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Anfechtungsrecht des biologischen Vaters[8] als negatives, ein Anfechtungsrecht des genetischen Vaters ausschließendes Tatbestandsmerkmal in § 1600 BGB eingefügt. Doch dient sie bislang dazu, den Schutz der bestehenden sozial-familiären Beziehungen sowohl zum Wohl des Kindes als auch im Interesse der Eltern gegen ein Anfechtungsrecht des genetischen Vaters zu sichern[9]. Konsequent verneint daher das BVerfG die „sozial-familiäre Beziehung“ auch dann, wenn der anerkennende Mann, ohne leiblicher Vater zu sein, lediglich „Zahlvater“ ist[10]. Auch Literatur und Rechtsprechung stellen insoweit auf den persönlichen Kontakt des Kindes mit dem (rechtlichen) Vater ab. Im Rahmen eines staatlichen Anfechtungsrechts wäre deshalb bereits mit der Bereitschaft zum Unterhalt des Kindes die Missbräuchlichkeit der Anerkennung zu verneinen. Dem Zweck der Neuregelung dürfte daher zumindest ein weites Verständnis des Verantwortlichkeitsbegriffs entsprechen. Dies hat wiederum zur Folge, dass die Missbrauchsmerkmale anstelle oder wenigstens im Rahmen des Verantwortungsbegriffs einer präziseren Umschreibung bedürfen, etwa durch Regelbeispiele der persönlichen Sorge, der familiären Lebensgemeinschaft oder der Unterhaltsleistung. Dabei wäre allerdings auch für das staatliche Anfechtungsrecht nicht auf das Recht auf Sorge und Umgang bzw. auf die gesetzliche Unterhaltspflicht abzustellen, sondern auf die tatsächliche Sorge, den real stattfindenden Umgang sowie die nachweisbar regelmäßige Leistung von Unterhalt[11].

Diese Unbestimmtheit des Tatbestandes lässt sich auch nicht durch die vorgesehene Beteiligung des Jugendamts kompensieren. Dieses ist zwar gehalten, gem. § 52a SGB VIII der Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes Beratung und Unterstützung bei der Vaterschaftsfeststellung und der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen anzubieten. Nicht recht erkennbar ist aber, wie das Jugendamt aufgrund dieses Kontaktes in der Lage sein soll zu erkennen, dass „der Vaterschaftsanerkennung keine sozial-familiäre Beziehung zugrunde liegt“ (so die Begründung des Referentenentwurfs), dass also der Anerkennende keine „Verantwortung trägt oder getragen hat“ (vgl. § 1600 Abs. 4 Satz 1 BGB des Entwurfs). Eine Mitwirkung des Jugendamts durch Beistands-, Amtspfleg- oder Amtsvormundschaft, auf die die Begründung des Entwurfs verweist, ist gerade im Falle eines kollusiven Zusammenwirkens der Mutter mit dem anerkennenden Mann keineswegs zwingend. Nicht einmal zum Minimalkontakt kommt es, wenn die Mutter des Kindes bei der Geburt noch verheiratet ist. Die Regelung passt auch noch nicht zu § 29a Abs. 1 Personenstandsgesetz, wonach der Standesbeamte die Beurkundung (nur) verweigern soll, „wenn offenkundig ist, dass die Anerkennung der Vaterschaft nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs anfechtbar wäre“[12].

Auch für die Anwendung in der Verwaltungspraxis völlig ungeeignet ist diese Unbestimmtheit des Tatbestands; er ist zu konturlos und begründet vorhersehbar gravierende Beweisprobleme. Schon die Ermittlung hinsichtlich des Bestehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft in den Fällen des Vorwurfs der sogenannten „Scheinehe“ ist oft mit schwer erträglichen Eingriffen in die Intimsphäre der erwachsenen Betroffenen verbunden. Auch mit diesen Verfahren sind zahlreiche Betroffene konfrontiert, die in ehelicher Lebensgemeinschaft leben und ihre daraus resultierenden Ansprüche rechtmäßig geltend machen. Die Vorstellung, dass sich derartige Ermittlungsverfahren nunmehr auf die Eltern-Kind-Beziehung erstrecken sollen und damit in den Lebensbereich von Säuglingen und Kleinkindern eingreifen werden, widerspricht grundlegend der Wahrung des Kindeswohls. Zudem schaffen bereits die aus der Vaterschaftsanerkennung resultierenden Pflichten zur Sorge für das Kind und zur Unterhaltszahlung regelmäßig eine Stellung, die sich als Verpflichtung zur Verantwortung für das Kind darstellt.

Das Wohl des Kindes hat insgesamt an keiner Stelle als Maßstab und Korrektiv Eingang in die Regelung gefunden; es ist mehr als fraglich, ob eine staatliche Anfechtung in jedem Fall den Interessen des Kindes dient, wenn es im Ergebnis des Verfahrens einen unterhaltsverpflichteten sozialen Vater ebenso verliert wie das Aufenthaltsrecht im Land seiner Geburt, ohne dafür positive Kenntnis von seinem biologischen Vater zu erhalten[13] und möglicherweise am Ende des Verfahrens sogar noch staatenlos sein wird. Zur Wahrung des Kindeswohls ist daher für das Verfahren grundsätzlich zu fordern, dass dem Kind obligatorisch ein Verfahrenspfleger zur Seite gestellt wird. Der Entwurf lässt eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragende, sachgerechte Abwägung zwischen dem Wohl des Kindes und dem Recht des Staates, Rechtsmissbrauch zu verhindern, vermissen.

Die vorgeschlagene Regelung geht dabei noch weit hinaus über die Interventionsmöglichkeit, die seitens des Jugendamtes bis 1998 bestanden hat. Während die Anfechtungsmöglichkeit des Jugendamtes bis 1998 im Interesse des Kindeswohls erfolgte, dient die nun beabsichtigte Anfechtungsmöglichkeit ausschließlich dem Interesse des Staates, in bestimmten Fallkonstellationen abstammungsrechtliche Wirkungen mit ihren aufenthalts- und staatsangehörigkeitsrechtlichen Folgen zu unterbinden. Eine derartige Regelung hat mit §1595a BGB in der Fassung vom 12. April 1938[14] bestanden und diente der staatlichen Kontrolle der rassischen Abstammung; diese Regelung wurde 1961 abgeschafft[15].

§ 1597 I BGB

Die Regelung soll dahingehend ergänzt werden, dass die die Vaterschaft beurkundende Stelle bei Kenntnis von Tatsachen, die ein Anfechtungsrecht nach § 1600 Abs. 1 Nr. 5 BGB begründen können, verpflichtet wird, dies der anfechtungsberechtigten Behörde mitzuteilen.

Die Beurkundung der Vaterschaftsanerkennung erfolgt derzeit durch Jugendämter oder durch Notarinnen/Notare. Die Einführung einer Mitteilungspflicht, aus der möglicherweise dann auch eine Ermittlungspflicht hergeleitet wird, ist hier schon deshalb problematisch, weil sie geeignet ist, bei den beurkundenden Stellen Interessenkollisionen zu begründen: Die Tätigkeit des Jugendamtes soll vorwiegend im Kontext der Wahrung des Kindeswohls erfolgen; die Tätigkeit der Notarin/des Notars dient regelmäßig dem Interesse ihres/seines Mandanten. Eine Mitwirkung dieser Stellen in einem Verfahren, in welchem zumindest die Möglichkeit besteht, dass gegensätzliche Interessen betroffen sind, ist mit den bestehenden Berufspflichten unvereinbar[16].

§ 1600 I Nummer 5 BGB

Mit der Regelung soll eine „anfechtungsberechtigte Behörde“ in den Kreis der Anfechtungsberechtigten aufgenommen werden. Diese soll durch die Länder bestimmt werden.

Im Rahmen der Diskussion des Gesetzentwurfes sind bisher als denkbare Behörden, die dann Antragsteller im familiengerichtlichen Verfahren wären, das Jugendamt, die Ausländerbehörde und die Staatsanwaltschaft genannt worden. Problematisch erscheint vor dem Hintergrund der Einheitlichkeit der Rechtsordnung bereits, dass die Länder hier unterschiedliche Behörden benennen könnten. Sachlich und personell geeignet kann überhaupt nur das Jugendamt erscheinen, da nur dort eine ausreichende sozialpädagogische Kompetenz für die Beurteilung derartiger Fragen eines familiären Zusammenhalts vorhanden ist. Problematisch ist jedoch, dass das Jugendamt nach dem Willen des vorliegenden Entwurfes durch eine Änderung des § 640d ZPO in dem neu zu schaffenden Anfechtungsverfahren angehört werden soll; dies würde dem Jugendamt bei gleichzeitiger Benennung als „anfechtungsberechtigte Behörde“ eine Doppelfunktion zuweisen, die zu Interessenkollisionen führen kann.

Die Ausländerbehörde ist als anfechtungsberechtigte Behörde bereits wegen ihrer Rolle als Entscheidungsträgerin im aufenthaltsrechtlichen Verfahren ungeeignet; die Benennung der Staatsanwaltschaft als anfechtungsberechtigte Behörde droht das familienrechtliche Anfechtungsverfahren in den Bereich strafrechtlicher Ermittlung zu rücken; beiden Behörden stehen die erforderlichen sozialpädagogischen Kompetenzen nicht zu Verfügung; ordnungsdienstliche und polizeiliche Ermittlungen sind völlig ungeeignet zur Klärung der Frage, ob eine sozial-familiäre Beziehung gegeben ist. Gleichwohl erscheint vor dem Hintergrund der aufgezeigten Probleme der „doppelten“ Beteiligung der Jugendämter einerseits und der Ausländerbehörden andererseits die Staatsanwaltschaft als sachfernste Behörde noch am geeignetsten. Wobei hier deutlich werden sollte, dass die Staatsanwaltschaft hier in einer Wächterfunktion im FGG Verfahren mitwirkt – ähnlich wie bei Verfahren zur Todeserklärung – und nicht als Anklage- und Ermittlungsbehörde tätig würde.

§ 1600 b BGB

Problematisch ist das Fehlen jeder zeitlichen Beschränkung für die vorgesehene Anfechtungsmöglichkeit einer staatlichen Stelle. Je älter das Kind wird, um so weiter schreitet seine Sozialisation voran. Es sollte daher zumindest eine Altersgrenze oder eine Höchstaufenthaltsdauer vorgesehen werden, nach der eine Vaterschaftsanfechtung (u.a. mit der möglichen Folge des Entzugs der durch Geburt erlangten deutschen Staatsangehörigkeit, § 4 StAG) nicht mehr möglich ist. Dadurch wird sichergestellt, dass das Kind nicht zu einem Zeitpunkt mit den Folgen des rechtswidrigen Handelns seiner Mutter und seines nicht genetischen Vaters konfrontiert werden würde, zu dem diese Folgen für das Kind nicht mehr hinnehmbar sind. Nach der Rechtsprechung des BVerfG[17] ist der Gesetzgeber aufgefordert, die Auswirkungen des Fehlverhaltens eines Dritten auf den Bestand der Staatsangehörigkeit im Einbürgerungsverfahren desjenigen zu regeln, der an diesem Fehlverhalten nicht beteiligt war. Nichts anderes kann in den Fällen gelten, in denen mit der Vaterschaftsanfechtung der Verlust der durch Geburt erworbenen deutschen Staatsangehörigkeit einhergeht und möglicherweise sogar Staatenlosigkeit eintritt. Auch Rechtssicherheit ist ein Verfassungsprinzip, so dass das BVerfG in der genannten Entscheidung des Weiteren eine gewisse Zeitnähe bei der Rücknahme einer durch Täuschung erschlichenen Einbürgerung fordert. Zu denken wäre daher hier an eine Frist von allenfalls drei Jahren, ähnlich der Regelung in § 73 Abs. 2a AsylVfG, die einen späteren Widerruf der Asylanerkennung in das Ermessen stellt. Die zur Einführung dieser Regelung genannten Gründe (fortschreitende Sozialisation, Rechtssicherheit) gelten auch hier. Spätere Vaterschaftsanfechtungen sollten wegen der damit einhergehenden möglicherweise sehr weitreichenden Folgen für das an den Täuschungshandlungen nicht beteiligte Kind daher zumindest nur im Rahmen einer vorzunehmenden Ermessensentscheidung möglich sein, bei der dann eine Folgenabwägung zu erfolgen hat.

§ 79 II AufenthG

Die Entscheidung über den Aufenthaltstitel soll nach dem Willen des Gesetzentwurfs bis zum Abschluss des Verfahrens bzw. bis zur Rechtskraft der familiengerichtlichen Entscheidung ausgesetzt werden; der Entwurf lässt hier eine Regelung vermissen, die das Aufenthaltsrecht der Betroffenen für die Dauer des Verfahrens regelt und eine Aufenthaltsbeendigung für diese Zeit ausschließt; zumindest ist eine entsprechende Klarstellung erforderlich.

Fazit

Der Deutsche Juristinnenbund hält vorliegend weder die Erforderlichkeit noch die Wirksamkeit der vorgesehenen Regelungen für hinreichend belegt; die gleichzeitig zu erwartenden gravierenden Eingriffe in den Kernbereich der Familie und in das Wohl des Kindes sind daher unangemessen.

Im Ergebnis kann auch das legitime Recht des Staates, Rechtsmissbrauch zu verhindern, die vorliegenden Regelungen mit der ihnen innewohnenden Diskriminierung ausländischer und binationaler Familien gegenüber deutschen Familien und nichtehelicher Lebensgemeinschaften gegenüber ehelichen Lebensgemeinschaften nicht rechtfertigen.

Jutta Wagner
Präsidentin               

Dr. Katja Rodi
Vorsitzende der Kommission Öffentliches Recht,
Europa- und Völkerrecht

 


[1]    Grundlegend BVerfGE 79, 256 <268 ff.>.

[2]    Vgl. aber BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 2005, NVwZ 2006, 324 ff. = FamRZ 2006, 21 ff. = ZAR 2005, 417 ff. zur Verfassungswidrigkeit dieser Norm; der Gesetzgeber ist aufgefordert, eine geschlechtsneutrale Regelung zu schaffen.

[3]    VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. März 2005, NJW 2005, 1529 f.

[4]    Grundlegend BVerfGE 76, 1 <49ff.>, vgl. insbesondere die dazu bestehende mittlerweile umfängliche Kammerrechtsprechung des BVerfG, die nicht auf formale Rechtspositionen oder formalisierte Betrachtungsweisen (Begegnungs-, Beistands- oder Lebens- und Erziehungsgemeinschaft), sondern auf die tatsächlich gelebte Eltern-Kind-Beziehung abstellt, siehe u.a. Beschlüsse vom 31. August 1999 – 2 BvR 1523/99, NVwZ 2000, 59 f. und vom 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1001/04, DVBl 2006, 247 ff.

[5]   Vgl. auch zum Folgenden: Margarete Schuler-Harms, Das Recht auf Familieneinheit im nationalen Recht, Zwischenbilanz: Ein Jahr Zuwanderungsgesetz und zukünftige Entwicklungen des Ausländerrechts, in: Klaus Barwig/Stephan Beichel-Benedetti/Gisbert Brinkmann (Hrsg.), 20 Jahre Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht. Perspektivwechsel im Ausländerrecht? Rechtskonflikte im Spiegel politischer und gesellschaftlicher Umbrüche in Deutschland und Europa, 2 Bände(erscheint voraussichtlich September 2006 bei Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden), m.w.N.

[6]    So die Befugnis der Staatsanwaltschaft, Nichtigkeitsklage  gegen nach dem Erbgesundheitsgesetz unerwünschte Ehen zu erheben, § 28 Abs. 1 EheG 1938; diskutiert, aber nicht eingeführt wurde die staatliche Befugnis zur Amtsermittlung hinsichtlich der Vaterschaft aus rassepolitischen Gründen.

[7]    BVerfG, Entscheidung vom 24. Mai 2006 - 2 BvR 669/04 -, Juris.

[8]    BVerfGE 108, 82 <109 ff., insbs.110>.

[9]    Vgl. BVerfGE 108, 82 <107 f.>.

[10]   BVerfGE 108, 82 <109>.

[11]   Siehe Schuler-Harms, a.a.O. (Fn. 5); vgl. wegen der ansonsten entstehenden Probleme die allgemeinen Ausführungen oben unter I.2. b) und 3.

[12]   So zutreffend: Schuler-Harms, a.a.O. (Fn. 5).

[13]   So auch OLG Celle, Beschluss vom 6. Januar 2006 - 19 UF 1/06 -.

[14]   RGBl. I 1938, 380.

[15]   BGBl I 1961, 1223.

[16]   Vgl. zum Ganzen ausführlich: C. I. der Stellungnahme des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. vom 29. Juni 2006, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird.

[17]   BVerfG, Entscheidung vom 24. Mai 2006 a.a.O.