Stellungnahme: 01-04


zum Urteil des BVerfG vom 6.2.2001 - 1 BvR 12/92 - (gerichtliche Überprüfung von Eheverträgen)

Stellungnahme vom

www.bundesverfassungsgericht.de

Das Bundesverfassungsgericht hat erneut darauf hingewiesen, dass die Zivilgerichte verpflichtet sind, die Grundwertungen unserer Verfassung auch bei der Auslegung von Verträgen zwischen Privaten zu beachten. Dies gilt nicht nur etwa für Bürgschaftsverträge, wo das Gericht bereits entschieden hatte, dass die übermächtige Verhandlungsposition eines Vertragspartners sich nicht durchsetzen können soll, sondern auch für Eheverträge.

Dem Deutschen Juristinnenbund erscheint es wesentlich, dass das Bundesverfassungsgericht eine solche gerichtliche Überprüfung von Eheverträgen am Maßstab der grundrechtlichen Vorgaben für möglich hält. Der These, dass weniger Ehen geschlossen würden, wenn die künftigen Partner nicht mehr ganz frei ihre wirtschaftlichen Beziehungen durch Vertrag regeln könnten, hat das Bundesverfassungsgericht eine klare Absage erteilt: "Die Eheschließungsfreiheit rechtfertigt nicht die Freiheit zu unbegrenzter Ehevertragsgestaltung und insbesondere nicht eine einseitige ehevertragliche Lastenverteilung".
Auch dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat über den besonderen Fall, der dem Gericht zur Entscheidung vorlag, hinausgehende Bedeutung.

Die Besonderheit des Falles lag hier darin, dass die künftige Ehefrau schwanger war, als sie den sie benachteiligenden Vertrag schloss. Außerdem hat sie nicht nur auf sämtliche eigenen Rechte verzichtet, sondern ihrem Partner versprochen, dass sie im Falle des Scheiterns der Ehe das Kind, das sie beide erwarteten, allein versorgen und auch für den Unterhalt des Kindes fast allein aufkommen werde. Unter diesen Bedingungen war der Partner der Frau bereit, die Ehe mit ihr zu schließen. Diese Unausgewogenheit der vertraglichen Beziehung hat das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen worden war, nicht gesehen und damit der hier betroffenen Frau den ihr als Mutter zustehenden Schutz (Art. 6 Abs. 4 GG) versagt.

Das Bundesverfassungsgericht weist nun darauf hin, dass allein die Bereitschaft des Mannes, die von ihm schwangere Frau zu heiraten, keine ausreichende Gegenleistung dafür ist, dass sie ihm gegenüber auf alle ihr aus der Ehe womöglich zustehenden Rechte für den Fall der Scheidung verzichtet. Denn schließlich heiratet nicht nur der Mann die Frau, sondern die Frau heiratet auch den Mann. Sie geht genauso Verpflichtungen mit der Ehe ein wie er, sie trägt durch ihre Arbeit im Haushalt und durch die Versorgung der Kinder einen großen Teil der gemeinsamen familiären Lasten.

Grundsätzlich ist nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts auch jeder Ehevertrag auf seine Ausgewogenheit hin überprüfbar. Ein Verzicht auf nachehelichen Unterhalt ist sicher angemessen, wenn beide Ehepartner selbst verdienen und gesund sind, er kann sich aber als einseitige Benachteiligung darstellen, wenn ein Partner, typischerweise noch immer die Frau, wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder die Arbeit aufgibt.

Außerdem können Verträge zwischen Eheleuten sich wirtschaftlich so auswirken, dass die legitimen Rechte ihrer Kinder dadurch erheblich beeinträchtigt werden. Der Staat ist von Verfassungs wegen gehalten, die Eltern bei der Ausübung der elterlichen Sorge zu überwachen und nötigenfalls zum Wohl der Kinder auch einzugreifen. Das kann nicht nur dann erforderlich sein, wenn die Eltern beispielsweise das Kind vernachlässigen oder misshandeln, sondern auch dann, wenn die materielle Situation des Kindes allein dadurch entscheidend verschlechtert wird, dass ein Elternteil sich seinen Pflichten entziehen möchte.
"Werden die finanziellen Mittel für die Lebensbedarfsdeckung des Kindes von den Eltern allerdings nur deshalb in nachhaltiger Weise eingeschränkt, weil zumindest ein Elternteil sich der Sorge um sein Kind auch finanziell entziehen will, ist dies nicht mehr eine Form der elterlichen Interessenwahrnehmung für das Kind. Will der Elternteil sich der Aufgabe, die Interessen des Kindes zu wahren, entledigen, gebietet es Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, staatlicherseits zum Schutze des Kindeswohls tätig zu werden."

Das bedeutet, dass Notare, Anwälte und Gerichte Eheverträge künftig auch darauf überprüfen müssen, ob die Vereinbarungen zwischen den Verlobten oder Eheleuten sich nicht auch zum entscheidenden Nachteil für deren Kinder auswirken können. Vertragsgestaltungen, die wie im entschiedenen Fall dazu führen, dass die Mutter nach der Scheidung arbeiten muss, um für ihren eigenen Unterhalt aufzukommen, gleichzeitig das Kind versorgen muss und auch noch (fast) vollständig für dessen gesamten Unterhalt aufzukommen hat, sollen danach nicht mehr zulässig sein, weil sie dazu führen, dass die wirtschaftliche Lebensgrundlage des Kindes erheblich eingeschränkt wird und das Kind zudem auch noch auf die persönliche Betreuung durch die Mutter verzichten muss, weil diese ja nun den Unterhalt für sie beide vollständig verdienen muss, während der Vater und Ex-Ehemann nicht nur von Unterhaltspflicht frei ist, sondern auch sich um das Kind nicht weiter kümmern muss.

Generell möchte der Deutsche Juristinnenbund aus Anlass dieser verfassungsgerichtlichen Entscheidung darauf hinweisen, dass jede Frau, die überlegt, ob sie einen Ehevertrag abschließen soll, den Vertragsentwurf von einem Anwalt ihres Vertrauens überprüfen lassen sollte, bevor sie ihn beim Notar unterschreibt. Auch dies würde dazu beitragen, dass weniger einseitige Eheverträge geschlossen werden.



Ursula Nelles
1. Vorsitzende

Sabine Heinke
Vorsitzende der Kommission Familienrecht