Stellungnahme: 11-02


zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften (BT-Drs. 17/4401, 13.1.2011)

Stellungnahme vom

 

Die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigte Bekämpfung der Zwangsverheiratung ist im Grundsatz zu begrüßen. Handelt es sich doch um eine schwerwiegende Menschenrechts­verletzung, die bei den betroffenen Opfern zu gravierenden Folgen bis hin zu massiven Traumatisierungen führen kann. Der djb begrüßt auch, dass der Gesetzentwurf im Grundsatz den Vorschlag des djb aufgreift, ein Wiederkehrrecht für Opfer von Zwangsverheiratung vorzusehen. Verschiedene Teile des Gesetzentwurfs sind jedoch aus Sicht des djb verbesserungswürdig.

In seinen Stellungnahmen vom

hat sich der djb zum Thema Zwangsheirat bereits geäußert. Auf diese Stellungnahmen wird ausdrücklich Bezug genommen.

Die Zwangsverheiratung verstößt offenkundig gegen das Recht auf Freiheit der Eheschließung, wie es expressis verbis in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 (Art. 16 Abs. 2), im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 (Art. 23 Abs. 3) sowie im Übereinkommen zur Abschaffung aller Formen der Diskriminierung der Frau von 1979 (Art. 16 Abs. 1 lit. b) verankert ist. Weiterhin findet sich dieses Recht auch in der Europäischen Menschrechtskonvention (Art. 12) sowie im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes (Art. 6 Abs. 1) sowie nunmehr in der Europäischen Grundrechtecharta (Art. 9 GR-Charta). Unter diesem Anspruch der Menschenrechte sind die Staaten verpflichtet, gegen alle Formen der Diskriminierung der Frau aktiv vorzugehen und auf eine tatsächliche Gleichberechtigung hinzuwirken. Sie sollen alle verfügbaren Maßnahmen ergreifen, „um einen Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann und Frau zu bewirken, um so zur Beseitigung von Vorurteilen sowie von herkömmlichen und sonstigen Vorstellungen von der Unterlegenheit oder Überlegenheit des einen oder des anderen Geschlechts oder der stereotypen Rollenverteilung von Mann und Frau beruhenden Praktiken zu gelangen“ (Art. 5a des Übereinkommens zur Abschaffung aller Formen der Diskriminierung der Frau – CEDAW).

Notwendige Grundlage aller Strategien zur Bekämpfung der Zwangsverheiratung ist es, das Phänomen in seiner gesamten Bedeutung zu erfassen. Hierbei ist zu beachten, dass bei der Bekämpfung der Zwangsverheiratung als Menschenrechtsverletzung das Augenmerk nicht nur auf die Eheschließung als rechtsbedeutsamen Akt als solchen zu richten ist. Vielmehr handelt es sich um ein prozesshaftes Geschehen, das vielfältige, auch für sich allein nach der Rechtsordnung nicht zu akzeptierende Geschehnisse umfasst. In der Praxis hat sich ergeben, dass nicht nur die vollzogene, sondern auch die drohende Zwangsverheiratung und die Nichtakzeptanz beabsichtigter oder vollzogener freier Partnerwahl von besonderer Bedeutung und mit erheblich erhöhten Gefahrenmomenten verbunden sind. Unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor der damit verbundenen Menschenrechtsverletzung ist nicht allein der Moment der Zwangsverheiratung als Eheschließung an sich problematisch. Vielmehr zeigen die bekannt gewordenen Fälle, dass der Zwangsverheiratung zumeist ein unterschiedlich langer Zeitraum vorausgeht, in dem die betroffenen Opfer nicht nur der Drohung mit der Verheiratung gegen ihren Willen, sondern auch vielfältigen anderen Repressalien ausgesetzt sind. Diese reichen von Überredungsversuchen über emotionale Erpressung, wie zum Beispiel Liebesentzug, die Drohung, das ablehnende Verhalten öffentlich zu machen und damit innerfamiliäre Disziplinierung auszulösen, bis hin zu angedrohter und vollzogener körperlicher Gewalt und Todesdrohungen. Diese, die freie Willensentscheidung massiv beeinträchtigenden Einflüsse gilt es deshalb ebenfalls zu unterbinden, damit es nicht zum Vollzug der Zwangsverheiratung kommt. Andererseits sind mit der gleichwohl am Ende der Entwicklung erfolgten Zwangsverheiratung weder die Menschenrechtsverletzung beendet, noch weitere Verletzungen der Ehre der Opfer und ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit ausgeschlossen. Die bekannt gewordenen Sachverhalte zeigen vielmehr, dass nach der Zwangsverheiratung in der Mehrzahl der Fälle – gewissermaßen zum Erhalt der Droh- und Machtstrukturen und der Unterordnung der Betroffenen – alle Formen häuslicher Gewalt bis hin zu Gewalt- und Todesdrohungen oder gar Tötungen von den Tätern eingesetzt werden. In der Gesamtschau erweist sich Zwangsverheiratung somit als ein prozesshaftes Gesamtgeschehen, das in vielen Teilbereichen juristisch analysiert und bekämpft werden muss. Die im vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehene Einführung eines Straftatbestandes der Zwangsverheiratung kann unter diesem Gesichtspunkt nur ein mögliches Mittel zur Ächtung und Ahndung der Zwangsverheiratung darstellen, ist in der konkreten Ausprägung jedoch weder unter strafrechtsdogmatischen, noch unter Opferschutzgesichtspunkten befriedigend.

Dem vorgelegten Gesetzentwurf stimmt der djb daher nicht in allen Teilen zu.

Zu den Vorschriften im Einzelnen:

Zu Artikel 1
Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Zu § 8 Abs. 3 AufenthG

Die vorgesehene Einfügung in § 8 Abs. 3 AufenthG:

„Vor der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ist festzustellen, ob der Ausländer einer etwaigen Pflicht zur ordnungsgemäßen Teilnahme am Integrationskurs nachgekommen ist.“ ist nicht erforderlich, da bereits nach dem derzeitigen Wortlaut des § 8 Abs. 3 AufenthG die ordnungsgemäße Teilnahme an Maßnahmen nach § 44a AufenthG Gegenstand der Überprüfung bei Verlängerungsanträgen ist.

Der djb empfiehlt daher, von der vorgesehenen Einfügung in § 8 Abs. 3 AufenthG abzusehen.

Zu § 31 AufenthG

Die vorgesehene Änderung zu § 31 AufenthG ist abzulehnen.

Die Heraufsetzung der Ehebestandszeiten von 2 auf 3 Jahre benachteiligt nämlich gerade die Frauen, die in gewalttätigen Eheverhältnissen gefangen sind und befürchten müssen, die hohe Hürde eines eigenständigen Aufenthaltsrechtes nach § 31 Abs. 2 AufenthG nicht nachweisen zu können. Sie werden gezwungen, in den erniedrigenden Lebensverhältnissen zu verharren um nicht des Aufenthaltsrechtes verlustig zu gehen.

Zudem werden Scheinehen nicht dadurch verhindert werden, dass die geforderten Ehebestandszeiten von 2 auf 3 Jahre heraufgesetzt werden. Will der Gesetzentwurf sich dem Schutz zwangsverheirateter Frauen verschreiben, wirkt eine Heraufsetzung der Ehebestandszeiten diesem Ziel entgegen und ist daher abzulehnen. Hierbei ist auch darauf zu verweisen, dass der UN Frauenrechtsausschuss CEDAW im Jahr 2004 ausdrücklich die Herabsetzung der Ehebestandsdauer auf zwei Jahre lobend hervorgehoben hat. Eine erneute Anhebung der Ehebestandszeit würde einen Rückschritt in der Verwirklichung des Menschenrechts von Frauen auf ein Leben frei von Gewalt bedeuten (vgl. Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte zum Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Zwangsheirat, www.institut-fuer-menschenrechte.de).

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat in seiner Stellungnahme von Januar 2011 weiter zu Recht darauf hingewiesen, dass nach einer jüngsten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Toprak und Oguz, EuGH, Urteil v. 09.10.2010, Rechtssachen C-300/09 und C 301/09) die in Deutschland vorgesehene Erhöhung der Ehebestandszeit gegen das Assoziationsrecht EU–Türkei verstoßen würde. Die assoziationsrechtliche Stillhalteklausel des Art. 10 untersagt „neue“ Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Klausel die Verschärfung von Bestimmungen auch dann verbietet, wenn eine günstigere Regelung im nationalen Recht erst nach Inkrafttreten des Assoziationsrechts eingeführt wurde. Nach dieser Rechtsprechung kann Deutschland in Bezug auf türkische Migrantinnen und Migranten im Ehegattennachzug gegenüber der bislang günstigsten Bestimmung – der seit dem Jahr 2000 geltende Mindestbestandszeit der ehelichen Lebensgemeinschaft von zwei Jahren – keine Verschärfung vornehmen (vgl. Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte zum Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Zwangsheirat, www.institut-fuer-menschenrechte.de).

Eine Ungleichbehandlung von türkischen Migrantinnen zu anderen Migrantinnen ist jedoch nicht gerechtfertigt und zu vermeiden.

Der djb empfiehlt daher dringend, von einer Heraufsetzung der Ehebestandszeiten abzusehen.

Zu § 37 Absatz 2a AufenthG:

Bei den Rückkehrfällen des § 37 Abs. 2a Satz 1 AufenthG sollte statt der vorgesehenen Ermessenvorschrift auf der Rechtsfolgenseite eine „Soll-Regelung“ aufgenommen werden. Die eigentliche Hürde bei den Rückkehrfällen des § 37 Abs. 2a Satz 1 AufenthG dürfte für die betroffenen Frauen auf der Tatbestandsseite liegen, nämlich bei der Prüfung der Frage, ob gewährleistet erscheint, dass sie sich aufgrund ihrer bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen können. Spricht jedoch eine positive Integrationsprognose für die Wiederkehr der betroffenen Frau, sollte ihr in der Regel ein Anspruch auf Wiederkehr zustehen.

Bei den Rückkehrfällen des § 37 Abs. 2a Satz 2 AufenthG sollte für die betroffenen Personen ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis eingeräumt werden, also die „Soll-Regelung“ in eine „Ist-Regelung“ abgeändert werden. Bei dem betroffenen Personenkreis handelt es sich um Menschen, die sich vor ihrer Ausreise 8 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und im Bundesgebiet 6 Jahre eine Schule besucht haben und die Opfer einer Zwangsheirat geworden sind. Um diese Personen effektiv zu schützen und ihnen eine möglichst rasche Reintegration zu ermöglichen, ist es geboten, ihnen einen Rechtsanspruch auf Wiederkehr einzuräumen.

Dabei sind sowohl bei Satz 1 als auch bei Satz 2 des Absatzes 2a feste Obergrenzen für die mögliche Antragstellung (5 bzw. 10 Jahre) problematisch. Sie mögen zwar als generelle Anhaltspunkte in der überwiegenden Anzahl der Fälle zu sachgerechten Ergebnissen führen, können jedoch auch bewirken, dass Menschen, die unter besonders schwerwiegenden Verletzungen ihrer Menschenwürde leiden, nämlich solchen, die über einen sehr langen Zeitraum anhalten, von dem Recht auf Wiederkehr ausgeschlossen werden.

Noch problematischer erscheint die Frist für die Antragstellung „innerhalb von drei Monaten nach Wegfall des Hindernisses“. Opfern von Zwangsverheiratung dürfte es oft schwer fallen, nach Wegfall der Zwangslage neu Fuß zu fassen, sich ggfs. von den patriarchalischen Familienstrukturen zu lösen, den Erniedrigungen und Demütigungen entgegen zu treten und den Weg in ein neues Leben zu finden. Die ausnahmslose Übernahme der aus dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht stammenden 3- Monatsfrist ist daher bezogen auf den betroffenen Personenkreis nicht angemessen.

Der djb empfiehlt daher die Aufnahme eines Satz 3 in Absatz 2a:

„Von den in Satz 1 und 2 genannten Fristen kann im Einzelfall abgewichen werden.“

Zu § 51 Absatz 4 Satz 2 AufenthG:

Der vorgesehene Satz 2 in § 51 Absatz 4 AufenthG privilegiert hinsichtlich der Erlöschenstatbestände ausschließlich diejenigen Personen, die sich bereits 8 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben und die im Bundesgebiet 6 Jahre eine Schule besucht haben. Dies ist nicht gerechtfertigt, da auch diejenigen, die nicht die genannten Aufenthaltszeiten aufweisen können, die jedoch ebenso Opfer von Zwangsverheiratung geworden sind, dem staatlichen Schutz unterstellt werden sollten. Wer mit Gewalt und unter Verletzung elementarer Menschenrechte ins Ausland verschleppt wird und dort unter Einsatz körperlicher Gewalt und sexueller Erniedrigung festgesetzt wird, sollte eines einmal erworbenen Aufenthaltsrechtes im Bundesgebiet nicht automatisch verlustig gehen.

Der djb schlägt daher folgende Fassung vor:

„Abweichend von Absatz 1 Nummer 6 und 7 erlischt der Aufenthaltstitel eines Ausländers nicht, wenn er rechtswidrig mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt und von der Rückkehr nach Deutschland abgehalten wurde und innerhalb der in § 37 Absatz 2a Satz 1 und 2 genannten Fristen wieder einreist und einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis stellt. § 37 Abs. 2a Satz 3 gilt entsprechend.“


Zu Artikel 3
Änderung des Strafgesetzbuches

Zu § 237 StGB

Das bereits beschriebene prozesshafte Geschehen in Fällen der Zwangsverheiratung, dass sich unter Umständen über Jahre hin ziehen kann, führt dogmatisch zu der Schwierigkeit, einen zeitlich und geschichtlich abgrenzbaren Tatbestand zu beschreiben. Gerade bei minderjährigen Opfern der Zwangsverheiratung setzen erste Mittel, die kindlichen oder jugendlichen Opfer gefügig zu machen bereits sehr früh ein, ohne dass das Ziel des Handelns bereits erkennbar wäre. Ein Tatplan des oder der Täter ist in diesem Stadium häufig nicht feststellbar oder beweisbar. Umgekehrt führen gerade frühzeitiges Einfordern von Gehorsam oder der Einsatz von Erziehungsgewalt zum Zeitpunkt der konkreten Umsetzung der Zwangsverheiratung, z.B. im Fall der Heiratsverschleppung ins Ausland, dazu, dass die Opfer nun – gefügig gemacht – in das gesamte Procedere einwilligen und die Reise ins Ausland antreten.

Selbst wenn aber minderjährige potentielle Opfer im Zeitpunkt der konkreten Umsetzung der Zwangsverheiratung versuchen sich zu widersetzen, besteht wegen des Sorgerechts der Eltern, die zumeist an derartigen Geschehnissen aktiv oder jedenfalls passiv beteiligt sind, kaum eine juristische Handhabe, die Umsetzung der Verheiratung zu verhindern. Zwar können Minderjährige selbst Anzeigen bei den Strafverfolgungsbehörden erstatten. Wenn jedoch die Erziehungsberechtigten sodann versichern, dass eine (Zwangs-)Verheiratung niemals Thema war und sie selbst dies ablehnen, wird eine Verhinderung der Umsetzung des Tatplanes kaum möglich sein. Dies verdeutlicht zugleich, dass diejenigen, die als potentielle Täter bei Zwangsverheiratung für die potentiellen Opfer unter Umständen das größte Risiko darstellen, nämlich die eigenen Eltern und/oder Familienangehörigen, von der strafrechtlichen Verfolgung eher nicht erfasst werden.

Für andere, am Tatgeschehen beteiligte Personen, beispielsweise aus der Gruppe der „Partner“-Familie werden die Schwierigkeiten zur Definition ihrer Tatbeteiligung als Täter, Mittäter, Gehilfe oder Anstifter nicht minder gravierend sein. Dabei ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der Strafbarkeit des Versuchs und des im Ergebnis straflosen Rücktritts vom Versuch zahlreiche Exkulpationsmöglichkeiten, die die Strafverfolgung im Ergebnis erfolglos machen.

Gleichwohl erscheint die Einführung eines neuen Straftatbestandes der Zwangsverheiratung nicht sinnlos, bringt sie doch die gesellschaftliche Missbilligung dieser massiven Menschenrechtsverletzung zum Ausdruck und eröffnet in der Praxis die dem Strafverfahren eigenen repressiven Maßnahmen, die unter Umständen im Einzelfall gerade auch in diesem Kontext nicht nur repressiv, sondern auch präventiv wirken können. Allerdings genügt es dafür aus Sicht des djb nicht, den bisher in § 240 StGB enthaltenen Tatbestand der Nötigung im schweren Fall nahezu wortgleich in eine neue Strafnorm zu übernehmen. Das Ausmaß der Menschenrechtsverletzung bei Zwangsverheiratung und die den Normen des Menschenhandels vergleichbaren tatschulderhöhenden und risikoverschärfenden Umstände wie besonderer Schutz minderjähriger Opfer, straferhöhend wirkender besonderer Umstände wie schwere Misshandlung oder Verbringen in die Gefahr des Todes, Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit des Opfers, gewerbsmäßige Begehung oder Verbringen in ein fremdes Land lassen eine Einordnung eines neuen Straftatbestandes im Kontext der §§ 232, 233 StGB sinnvoll erscheinen. Auch dann bedürfte die Ausgestaltung des Tatbestandes zum wirksamen Schutz vor Zwangsverheiratung noch einer grundlegenden Klarstellung:

Bereits in der geltenden Fassung des § 240 StGB knüpft die Strafbarkeit an die Eingehung der Ehe an. Was mit diesem begriff der Ehe indes gemeint sein soll ist nicht geklärt:

Nach deutschem Recht kommt eine (wirksame) Ehe nur bei Einhalten bestimmter vorgegebener formal festgelegter Regeln in Betracht. Indes sind die Formen der Zwangsverheiratung auch und gerade bei – nach deutschem Recht nicht anerkannten und nicht anerkennungsfähigem – Prozedere zu beobachten, wie zum Beispiel der arrangierten Ehe, Imamehe und der Hocaehe. Sollen der strafrechtliche Schutz vor Zwangsverheiratung nicht wirkungslos bleiben und wesentliche Fallkonstellationen von vornherein ausgeschlossen werden, muss der Begriff der „Ehe“ in diesem Sinne alle Formen der Eheschließung, einschließlich der nach deutschem Recht nicht anerkannten und nicht anerkennungsfähigen Eheschließungen im Ausland umfassen. Insbesondere die letztgenannten Formen der Eheschließung haben für die Betroffenen in ihrer Ursprungsfamilie und in ihrer Schwiegerfamilie oft eine hohe Bindungswirkung, so dass die Opfer der Zwangsverheiratung in diesen Fällen leicht unter Druck gesetzt werden können und der beabsichtigte Schutz nicht greift.

Ein unter diesen Vorgaben beschriebener neuer Straftatbestand könnte lauten:

§ 234 b Zwangsverheiratung

(1) Wer eine andere Person rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe oder einer nach Landesrecht vergleichbaren, eheähnlichen Verbindung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn

  1. die Person zum Zeitpunkt der Eingehung der Ehe oder einer nach Landesrecht vergleichbaren Verbindung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte,
  2. der Täter die Person in Zusammenhang mit der Tat körperlich oder seelisch schwer misshandelt oder in die Gefahr des Todes bringt,
  3. der Täter die Person seines Vorteils wegen durch die Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, zur Eingehung der Ehe oder einer nach Landesrecht vergleichbaren Verbindung bringt,
  4. der Täter die Tat gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, begeht,
  5. der Täter die Person durch List, Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel in ein Gebiet außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes verbringt oder veranlasst, sich dorthin zu begeben, oder davon abhält, von dort zurückzukehren, um sie entgegen ihrem Willen zur Eingehung der Ehe oder einer nach Landesrecht vergleichbaren eheähnlichen Verbindung zu bringen.

Die zum Schutz der Opfer von Zwangsverheiratung vorgesehene Aufnahme der neuen Strafnorm in § 397a StPO wird vom djb ausdrücklich begrüßt.

Über diese flankierenden Maßnahmen des Opferschutzes hinaus bedürfen jedoch die Opfer unbedingt auch der Unterstützung durch psychosoziale Prozessbegleitung und der Eröffnung der Möglichkeit der ersetzenden Videovernehmung nach § 255a StPO.


Weiterführende Stellungnahme zu § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG,
Anregung für eine weitergehende Gesetzesänderung:

Der Gesetzgeber sollte anlässlich der Änderung des Aufenthaltsgesetzes die Gelegenheit nutzen, hinsichtlich des in § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG geforderten Sprachnachweises eine der Regelung des § 30 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nachgebildete Härtefallregelung aufzunehmen.

Anlass für diese erneut von Seiten des djb aufgenommene Forderung ist die öffentliche Diskussion um die Entscheidung des BVerwG vom 30.3.2010 - 1 C 8/09 -, mit der das Gericht den in § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eingeforderten Sprachnachweis für mit Art. 6 GG, Art. 8 EMRK vereinbar erklärt und das Fehlen einer allgemeinen Ausnahmeregelung für Härtefälle damit gerechtfertigt hat, dass zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Trennung der Eheleute im Einzelfall auf anderem Weg, etwa durch Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Spracherwerb nach § 16 Abs. 5 AufenthG, Abhilfe geschaffen werden könne. Die von § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG geforderte Fähigkeit, sich auf einfache Art in deutscher Sprache zu verständigen, setze voraus, so das BVerwG, dass der Ehegatte über mündliche und schriftliche Grundkenntnisse der deutschen Sprache auf der Stufe A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens des Europarats für Sprachen (GER) verfüge, dies gelte auch für Analphabeten.

Das Urteil ist aus einer Vielzahl von Gründen nationaler und europarechtlicher Art zu kritisieren, insoweit wird auf den Aufsatz von Dr. Reinhard Marx, Sprachnachweis und Ehegattennachzug in ZAR 1, 2011,S. 15 ff. verwiesen. Ob das Urteil auch unter Anlegung verfassungs- und europarechtlicher Grundsätze wird Bestand haben können, erscheint dabei mehr als fraglich.

Die Annahme, eine Analphabetin, zudem Mutter von 5 Kindern, könne erwartbar in ihrem Heimatland die deutsche Sprache in Wort und Schrift in einem gemessen an den verfassungsrechtlich zu beachtenden Normen zumutbaren Zeitraum erlernen, ggfs. unter Einsatz technischer Hilfsmittel wie CDs oder Videokassetten, erscheint dabei, auch wenn sich das BVerwG insoweit an die Feststellungen des Tatsachengerichts gebunden gesehen hat, als eine mit der Realität nur schwer in Einklang zu bringende Prämisse.

Zwar wird niemand, der in der Alphabetisierungsarbeit tätig ist, die Möglichkeiten einer Alphabetisierung für eine bestimmte Personengruppe generell ausschließen. Allerdings ist hinlänglich bekannt, dass die Gruppe der so genannten primären Analphabeten, also die Gruppe derjenigen Personen, die bereits muttersprachlich Analphabeten sind und zumeist über keinerlei Schulbildung verfügen, zumal im Erwachsenenalter, nur unter hohem Aufwand erfolgreich alphabetisiert werden kann. Ohne Lehrer, der kontinuierlich die motorischen und geistigen Fähigkeiten fördert und fordert, erscheint eine Alphabetisierung oft fast aussichtslos und in starkem Maße von Alter und individuellen Fähigkeiten des Lernenden, aber auch von den äußeren Bedingungen der Alphabetisierung, abhängig.

Demgegenüber ist eine Alphabetisierung der so genannten sekundären Analphabeten, also derjenigen Personengruppe, die bereits über eine muttersprachliche Schriftsprachenkompetenz verfügen, Erfolg versprechender.

All diesen Gegebenheiten wird § 30 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht gerecht, da er die Berücksichtigung individueller Besonderheiten nicht vorsieht und die Ausnahmeregelung des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AufenthG die soeben beschriebenen Fallkonstellationen gerade nicht erfasst.

Abgesehen davon, dass es der djb nach wie vor für ausreichend hält, den Spracherwerb direkt nach der Einreise einzufordern (siehe Stellungnahme 18.5.2007) fordert der djb nunmehr dringend, eine der Regelung des § 30 Abs. 2 S. 1 AufenthG nachgebildete Härtefallregelung hinsichtlich des Sprachnachweises aufzunehmen:

„§ 30 Absatz 2 Satz:

Die Aufenthaltserlaubnis kann zur Vermeidung einer besonderen Härte abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 erteilt werden. …“



Jutta Wagner                                                          
Präsidentin

Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Kommission Strafrecht

Dr. Katja Rodi
Vorsitzende der Kommission Öffentliches Recht,
Europa- und Völkerrecht