anlässlich der öffentlichen Anhörung
im BT-Innenausschuss
am Montag, den 21.5.2007
dazu Pressemitteilung vom 22.5.2007
Der Deutsche Juristinnenbund (djb) befasst sich in seiner Stellungnahme lediglich mit den Regelungen, des am 28. März 2007 vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurfs zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, die besonders Frauen und Kinder betreffen.
Der djb appelliert an die Bundesregierung und die Bundestagsfraktionen, den Gesetzentwurf im Hinblick auf das erklärte Ziel der Umsetzung europäischer Richtlinien zu überarbeiten.
Der im Grundgesetz verankerte Verfassungsauftrag für eine gleichberechtigte Gesellschaft (Art. 3 Abs. 2 GG) mit ausreichendem humanitären Schutz von Frauen (Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 2 Abs. 2 und Art. 16a Abs. 1 <jeweils in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2> GG) erscheint im neuen Recht nicht ausreichend berücksichtigt.
Im Hinblick auf den im Grundgesetz verankerten Verfassungsauftrag des Staates zum Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) lehnt der djb die in diesem Zusammenhang eingeführten Verschärfungen des deutschen Rechts ab, die in dem Gesetzesentwurf vorgesehen ist. Erst die Anwesenheit der Familienmitglieder ermöglicht ein normales Familienleben und somit eine größere Stabilität und bessere Verwurzelung des Menschen – also eine bessere Integration im Aufnahmeland. Das Recht auf Familienzusammenführung ergibt sich aus dem notwendigen Schutz der Familie, die unser Grundgesetz als Grundeinheit der Gesellschaft ansieht, wie auch aus dem völkerrechtlich, insbesondere in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankerten Anspruch auf Achtung und Schutz des Familienlebens. Die im Rahmen der Familienzusammenführung einreisenden Personen bilden in der EU die quantitativ bedeutendste Zuwanderergruppe.
Wesentliche Forderungen
1. Ehegattennachzug
Das Recht auf familiäres Zusammenleben in Deutschland darf nicht davon abhängig gemacht werden, aus welchem Land ein der Partner oder die Partnerin kommt, ob dort Deutschkurse verfügbar sind oder wie hoch das Einkommen ist. Darauf laufen insbesondere die von der Bundesregierung geplanten Beschränkungen des Ehegattennachzuges hinaus, nach denen einfache Deutschkenntnisse vor Einreise des Nachziehenden sowohl bei ausländischen als auch bei deutschverheirateten Paaren nachgewiesen werden müssen und im Ausnahmefall beim Ehegattennachzug zu Deutschen der Nachweis gesicherten Lebensunterhalts zu erbringen ist (§§ 28 Abs. 1 S. 3 und 5, 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG nF).
Es erscheint zweifelhaft, ob diese Regelungen mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) zu vereinbaren sind.
a) Deutschkenntnisse
Zwar sieht der Gesetzentwurf für das Erfordernis des Nachweises einfacher Deutschkenntnisse vor der Einreise Ausnahmen vor. Mit diesen Ausnahmeregelungen privilegiert er jedoch abschließend insbesondere (hoch-)qualifizierte Arbeitnehmer, Antragsteller aus bestimmten Staaten (sog. Positivstaater) sowie diejenigen, "bei denen ein erkennbar geringer Integrationsbedarf besteht". Eine allgemeine Härtefallregelung, wie für das Nachzugsalter von 18 Jahren in § 30 Abs. 2 S. 1 AufenthG nF geregelt, ist für den Nachweis der Sprachkenntnisse jedoch nicht vorgesehen.
Folgende verfassungsrechtlich besonders problematischen Fälle verbleiben damit:
- Der Ehegattennachzug soll nicht möglich sein, wenn der Spracherwerb wegen fehlender Infrastruktur in der Heimatregion nicht möglich war;
- Kindern kann das Zusammenleben mit beiden Elternteilen verweigert werden, weil ein Elternteil nicht den geforderten ausreichenden Spracherwerb nachweisen kann.
Faktisch bewirkt die Regelung ein wesentliches Erschwernis des Familiennachzugs für Ehegatten, die aus einer Region mit wenigen Angeboten für Sprachkurse nachziehen wollen. Die Regelung entfaltet eine diskriminierende Wirkung insbesondere für Frauen, die durch Kinderbetreuung, eine Schwangerschaft, familiäre Pflichten oder aus kulturtraditionellen Gründen in ihrem Herkunftsland am Spracherwerb gehindert sind. Darüber hinaus kategorisiert sie Ehepartner nach Herkunftsregionen in bedenklicher Weise und führt zu einer unterschiedlichen Behandlung von Ehepartnern, deren Rechtfertigung nicht erkennbar ist: Warum muss ein Ehepartner aus Japan (sog. Positivstaater) Sprachkenntnisse nicht nachweisen, ein Ehepartner aus Singapur hingegen schon?Letztgenannter ist dann darauf angewiesen, dass die Formel der „erkennbar geringen Integrationsbedürftigkeit“ zu seinen Gunsten eingreift. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff gewährleistet jedoch nicht hinreichende Gewähr vor willkürlichen Entscheidungen. Verfassungsrechtlich bedenklich ist diese Konstruktion insbesondere deshalb, weil über den Begriff der Integrationsbedürftigkeit nicht sichergestellt werden kann, dass alle grundrechtlich relevanten Fälle (Art. 6 GG) in verfassungskonformer Weise "aufgefangen" werden können.
Auch europarechtlich ergeben sich Bedenken: Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ermöglicht es den Mitgliedstaaten, Ausländern aufzuerlegen, "Integrationsmaßnahmen nachzukommen". Aufgrund einer Sonderregelung für Flüchtlinge (Satz 2), denen diese Maßnahmen erst nach der Einreise abverlangt werden können, ergibt sich, dass derartige „Integrationsmaßnahmen“ auch schon vor Einreise zulässig sind. Allerdings ist dieser Begriff systematisch von "Integrationskriterien" (vgl. Kindernachzug gem. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG) abzugrenzen. Nur letztere beinhalten ein vor der Einreise zu erfüllendes, bestimmtes Ergebnis. Wird jedoch in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG gerade nicht auf ein Integrationskriterium abgestellt, sondern die Teilnahme an einer nach der Einreise zu absolvierenden Integrationsmaßnahme verlangt, so ergibt sich daraus, dass kein bestimmter Erfolg geschuldet, sondern allein das Befolgen einer Maßnahme, d.h. z.B. die Teilnahme an einem Sprachkurs, gefordert werden kann (vgl. auch Hauschild, ZAR 2003, S. 226, 231: "dass Mitgliedstaaten ... verlangen können, dass Drittstaatsangehörige an Integrationsmaßnahmen teilnehmen".). Der Richtlinienwortlaut stellt damit allein in das Ermessen der Mitgliedstaaten, die Teilnahme an Integrationsmaßnahmen einzufordern. Die Einführung bestimmter Sprachkenntnisse vor der Einreise überdehnt unzulässigerweise den RL-Wortlaut.
Der djb fordert deshalb:
Grundsätzlich ist am Konzept des Zuwanderungsgesetzes festzuhalten, nach dem Neuzuwanderern direkt nach Einreise Sprachkurse angeboten werden sollen. Dieses Konzept sollte beibehalten werden, um nicht Ehegatten aus bestimmten Herkunftsregionen zu benachteiligen. Der Spracherwerb durch differenzierte Integrationskursangebote im Inland, der durch praktische Erprobung im Alltag ergänzt werden kann, ist effizienter und ermöglicht bereits eine frühzeitige Integration. Der Nachweis von Deutschkenntnissen vor Einreise sollte daher nicht verlangt werden.
Der djb fordert daher, 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG nF zu streichen, hilfsweise stattdessen zumindest eine der Regelung des § 30 Abs. 2 S. 1 AufenthG nachgebildete Härtefallregelung hinsichtlich des Sprachnachweises aufzunehmen.
b) Unterhaltssicherung
Gem. § 28 Abs. 1 S. 3 AufenthG-E soll der Ehegattennachzug zu Deutschen im Ausnahmefall vom Nachweis gesicherten Lebensunterhalts abhängig sein. Der Ausnahmefall wird in der Begründung auf die Personengruppe beschränkt, die die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Einbürgerung erlangt haben bzw. Doppelstaatler oder diejenigen, die geraume Zeit im Herkunftsland des Ehegatten gelebt haben und die Sprache des Herkunftsstaates sprechen. Damit ist der derzeitige unbedingte Anspruch auf Ehegattennachzug zu Deutschen mit Migrationshintergrund auf einen Regelanspruch reduziert, während der Nachzug von Ehegatten zu Deutschen (ohne Migrationshintergrund) nach wie vor nicht von der Sicherung des Einkommens abhängig ist.
Ungeachtet der Tatsache, dass diese Unterscheidung integrationshemmende Elemente hat, äußerst bedenklich mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG ist, könnte diese Unterscheidung auch wegen Art. 3 Abs. 1 S.1 GG verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen.
Der djb fordert daher, § 28 Abs. 1 S. 3 AufenthG nF zu streichen.
2. Zwangsverheiratung
Der Entwurf sieht einige Regelungen zur Verhinderung von Zwangsverheiratungen vor. So soll die Anhebung des Nachzugsalters beim Familiennachzug von 16 auf 18 Jahre und der Nachweis von Deutschkenntnissen im Familiennachzug Zwangsverheiratungen verhindern. Es ist zweifelhaft, ob geplante Zwangsverheiratungen an diesen Regelungen scheitern, da sie z.B. umgangen werden können, indem mit dem Nachzug nach Deutschland gewartet wird, bis die Braut 18 Jahre alt ist. Zwangsverheiratungen hängen zudem weniger mit dem Alter der Betroffenen zusammen, sondern sind mehr im Zusammenhang mit patriarchalen Strukturen zu sehen.
Des Weiteren soll der Familiennachzug nach § 27 Abs. 1a Nr. 2 AufenthG nF nicht zugelassen werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme begründen, dass einer der Ehegatten zur Eingehung der Ehe genötigt wurde. In der Praxis dürften die Prüfungen der Behörden, also der Ausländerbehörde bzw. der Auslandsvertretung, zu einer längeren Verzögerung oder sogar zum Ausschluss des Familiennachzugs führen, auch wenn der Verdacht letztlich nicht berechtigt war. Die Grenzen zwischen zulässigen arrangierten Ehen und Zwangsverheiratungen sind fließend, klare Definitionen für diese schwierige Abgrenzung liegen bisher nicht vor. Daher sollte wie im Falle einer Scheinehe in § 27 Abs. 1a Nr. 1 AufenthG nF der Familiennachzug nur ausgeschlossen werden, wenn feststeht, dass eine Zwangsverheiratung vorliegt. Andernfalls sollte zumindest in der Begründung konkret ausgeführt wird, welche Tatsachen die prüfenden Behörden als tatsächliche Anhaltspunkte für eine Zwangsverheiratung ansehen können.
Die genannten Maßnahmen zielen lediglich auf eine Verhinderung von Zwangsverheiratungen aus dem Ausland ab. Der Gesetzentwurf sieht indessen keine wirksamen Regelungen zum Schutz der Opfer von Zwangsverheiratungen in Deutschland und Opfer von Heiratsverschleppungen vor, obgleich auch nach dem Evaluierungsbericht der Bundesregierung gerade der Opferschutz in Fällen der Zwangsverheiratung ein wesentliches Anliegen sein soll, und obgleich Zwangsverheiratungen eine Straftat und eine schwere Menschenrechtsverletzung darstellen.
Die Sachverständigen in der Anhörung im Deutschen Bundestag zum Thema Zwangsverheiratung im Juni 2006 haben übereinstimmend gefordert, dass Opfer von Zwangsverheiratungen im Inland oder sog. "Importbräute" vorrangig durch einen einen sicheren Aufenthaltsstatus geschützt werden müssen [1]. Dieser eröffnet ihnen die Chance eines eigenständigen Lebens und setzt sie nicht der Gefahr der Abschiebung in eine möglicherweise gefährliche Situation im Herkunftsland aus. Daher sollte, wie bereits mehrfach vom djb gefordert [2], den Betroffenen ein vom Ehepartner unabhängiges eigenständiges Aufenthaltsrecht garantiert werden. § 31 Abs. 2 AufenthlG eröffnet die Möglichkeit eines eigenständigen Aufenthaltsrechts im Falle des Vorliegens einer besonderen Härte. In den Verwaltungsvorschriften sollte unmissverständlich ausgeführt werden, dass Fälle von Zwangsverheiratung als besondere Härte in diesem Sinne zu verstehen sind und entsprechend der damit einhergehenden großen Gefährdung der Betroffenen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu gewähren ist. Zudem dürfen Betroffene, die selber oder deren Ehegatten nur eine Duldung besitzen, nicht schutzlos gestellt werden. Auch sie müssen die Möglichkeit eines eigenständigen Aufenthaltsrechts erhalten.
Außerdem muss sichergestellt werden, dass zur Verheiratung ins Ausland Verschleppte nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren. Von Heiratsverschleppung sind junge Mädchen und Frauen betroffen, die in Deutschland sozialisiert und aufgewachsen sind. Selbst eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erlischt aber nach § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG nach sechs Monaten Aufenthalt im Ausland. Betroffene, die sich erst später aus der Situation der Verschleppung befreien und eine Rückreise organisieren können – was nach Erkenntnissen von Unterstützungseinrichtungen häufiger vorkommt – ist die Rückkehr damit verwehrt. Ein Wiederkehrrecht ist bisher nach § 37 AufenthG nur unter sehr engen Bedingungen möglich. Um diesen Betroffenen angemessene Rückkehrmöglichkeiten zu gewähren, muss:
- ein großzügiges Wiederkehrrecht nach § 37 AufenthG für Personen, die ihren regelmäßigen Aufenthalt als Minderjährige im Bundesgebiet hatten, geschaffen werden. Es sollte weder eine Altersgrenze enthalten, noch an die Bedingung der Sicherung des Lebensunterhalts geknüpft sein.
- die 6-Monats-Frist in § 51 Abs. 1 Nr. 7 AufenthG in Fällen der Heiratsverschleppung aufgehoben werden. Betroffene, die nicht unter das Wiederkehrrecht fallen, weil sie nicht ihren gewöhnlichen Aufenthalt als Minderjährige in Deutschland hatten, aber dennoch einen (Dauer)-Aufenthaltstitel besitzen, wird somit die Rückkehr ermöglicht. Außerdem bleibt bei einer solchen Regelung ein eventuelles Daueraufenthaltsrecht, das auch nach § 51 AufentG aF wie nF durch Aufenthalt im Ausland erlöschen kann, bestehen, während das Wiederkehrrecht lediglich ein befristetes Aufenthaltsrecht gewährt.
In beiden Fällen sollte Voraussetzung sein, dass die Betroffenen nach der Ausreise aus dem Bundesgebiet zur Eingehung der Ehe genötigt wurden oder an der Rückkehr ins Bundesgebiet gehindert wurden.
Diese Regelungsvorschläge sind immer vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die Betroffenen schwere Menschenrechtsverletzungen erleiden. Verletzt werden u.a. das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Recht auf freie Wahl des Lebenspartners. Die Missbrauchsmöglichkeiten für beide Regelungen hingegen sind gering einzuschätzen, da es sehr aufwändig wäre, eine Verschleppung ins Ausland und eine Zwangsheirat zu fingieren, um einen Aufenthaltstitel zu erhalten.
Auch wenn es noch keine repräsentativen Erhebungen gibt, haben Umfragen bei Fachberatungsstellen z.B. in Berlin und Hamburg gezeigt, dass Zwangsverheiratung zwar keinesfalls ein Problem der Mehrheit der Migranten und Migrantinnen ist, aber auch nicht nur in Einzelfällen auftritt. Die Bekämpfung der Zwangsverheiratung und der Schutz der Opfer bedarf einer umfassenden Strategie, in der weitere Rechtsänderungen z.B. im Zivil- und Strafrecht sinnvoll sein können. Vor allem müssen aber bundesweit Präventions- und Unerstützungsmaßnahmen geschaffen werden. Prävention sollte dabei schon frühzeitig in Schulen angeboten werden und Beratungsangebote sollten niedrigschwellig und muttersprachlich vorgehalten werden. Wichtig ist auch der finanziell nachhaltig abgesicherte Ausbau von spezialisierten Zufluchtsstätten, da Betroffene, die aus der Familie fliehen, häufig einer besonders großen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt sind. Dabei muss beachtet werden, dass auch Männer von Zwangsverheiratungen betroffen sein können.
3. Altfallregelung, §104 a und 104 b AufenthG nF
Dass die in § 104 a und 104 b AufenthG nF vorgesehene Altfallregelung für langjährig Geduldete endlich ein Ende der Kettenduldungen bewirkt, ist zu hoffen, erscheint aber nicht zwingend.
Die mit den Kettenduldungen einhergehenden Probleme treten ganz besonders augenfällig bei Frauen und Kindern auf: Während der Vater sein langjähriges Asylverfahren durchläuft, das am Ende (etwa wegen einer Änderung der Situation im Herkunftsland) negativ ausgeht, sind hier mehrere Kinder geboren worden oder die mitgebrachten Kinder zur Schule gegangen. Für sie ist das Heimatland der Eltern ein fremdes Land, sie sind hier zu Hause, sprechen die deutsche Sprache besser als die ihrer Eltern und kennen das Land ihrer Nationalität nur aus den Erzählungen der Eltern. Schwierig sind auch die Fälle, in denen die Familien staatenlos werden oder aus anderen Gründen nicht vom Herkunftsstaat zurückgenommen werden oder im Nachhinein verschiedenen Staaten zugeordnet werden müssen. Auch hier sind wieder Kinder geboren und zur Schule gegangen, die nur hier zu Hause sind. Fälle, in denen zwar der Vater/Ehemann Abschiebungsschutz nach § 60 AufenthG oder nach Art. 16a Abs. 1 GG erhält, die Mutter/Ehefrau aber nicht und auch nicht im Wege des Ehegattennachzugs nachreisen darf, weil in manchen Staaten die Partner wegen der dortigen diskriminierenden Verhältnisse gegenüber ihrer Religion oder ihrer Volkszugehörigkeit oder aus anderen Gründen nicht einmal staatlich miteinander verheiratet sind, sind ebenso häufig. Ein Aufenthaltsrecht für die Frauen wäre dann nur über den Familiennachzug möglich, wenn das Paar gemeinsame Kinder hat. Während der Zeit der Kettenduldungen ist es für die erwachsenen Personen schwer, hier einer Beschäftigung nachzugehen und so finden sich besonders viele Frauen als alleinige Familienernährer(in) wieder in ungesicherten und schlecht bezahlten Jobs zumeist auf dem Schwarzmarkt.
Im Hinblick auf die Situation von Frauen und Kindern fallen folgende Probleme auf:
Die Altfallregelung in § 104 a AufenthG nF enthält keine ausdrückliche Klausel der Einbeziehung von Ehepartnern und minderjährigen Kindern des Stammberechtigten. In der Begründung wird zwar ausgeführt, dass diese Einbeziehung entsprechend der Technik des IMK-Beschlusses erfolgen solle. Allerdings erscheint diese Regelungstechnik doch etwas zu grob, da Ländererlasse nicht mit einer gesetzlichen Regelung verglichen werden können. Festzustellen ist jedenfalls, dass ausweislich der Begründung wohl der Wille besteht, eine gesetzliche Anspruchsgrundlage jedoch nicht ersichtlich ist. Dies hätte zur Folge, dass alle Voraussetzungen, z.B. auch der sechsjährige Voraufenthalt von Kindern, nachgewiesen werden müssen. Dies kann zu ungewollten Härtefällen führen.
Zudem ist die Regelung des Ausschlusses von Familienangehörigen von Straffälligen zu kritisieren. Eine derart dem Gedanken der Sippenhaft verhaftete Regelung wird dem Anspruch einer Bleiberechtsregelung nicht gerecht. Es ist auch nicht begründbar, weshalb Kinder oder Ehepartner, die Integrationserfolge aufweisen, wegen eines straffälligen Familienangehörigen nicht von der Bleiberechtsregelung begünstigt werden sollen und sich die Taten des anderen zurechnen lassen müssen, obschon sie darauf keinen Einfluss hatten. Die Ausnahmeregelung für Ehepartner greift auch insoweit zu kurz, als zusätzlich eine besondere Härte nachzuweisen ist. Dieser Ausschlussgrund ist daher ersatzlos zu streichen.
Die Regelung des § 104 b AufenthG nF stellt schließlich schlicht eine Erpressung von Kindern dar. Diese sollen nur begünstigt werden, wenn die Eltern ausreisen. Die dadurch hervorgerufenen innerfamiliären Konfliktlagen widersprechen dem Ziel, Kindern auch selbständig eine Existenz in Deutschland zu ermöglichen.
Die entsprechende Klausel ist daher ebenfalls ersatzlos zu streichen.
4. Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution
Der djb begrüßt [3], dass den Opfern von Menschenhandel zumindest ein vorübergehender Aufenthaltstitel für die Dauer des Strafverfahrens in §§ 25 Abs. 4a, 26 Abs. 1 Satz 3, 60 a Abs. 2 Satz 3 AufenthG nF eingeräumt werden soll. Dies ist zwar mehr, als bisher möglich war und geschieht in Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates zur Bekämpfung des Menschenhandels und der Richtlinie 2004/81/EG des Rates. Dies ist aus Sicht des djb jedoch nicht ausreichend. Den Opfern von Menschenhandel ist vielmehr aus humanitären Gründen, dann, wenn sie es wünschen, ein längerfristiger Aufenthaltstitel zu gewähren.
Opfer von Menschenhandel befinden sich in einer vergleichbaren Situation zu denjenigen, denen ein Festhalten an der gewalttätigen Ehe nicht mehr zugemutet werden kann und bei denen aus Härtegründen ein ehegattenunabhängiges Aufenthaltsrecht gewährt wird (§ 31 Abs. 2 AufenthG). Dieses eigenständige, ehegattenunabhängige Aufenthaltsrecht wird letztlich zutreffend sowohl aus humanitären Gründen als auch wegen der Mitverantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Situation, in der sich hier in einer Ehe misshandelte Frauen befinden, gewährt.
Dies gilt aber erst recht für Opfer von Menschenhandel. Es sind Freier aus Deutschland, die sich ihrer "bedienen" und letztlich einen Markt für die Ware Frau – oft sind es auch noch sogar nur Kinder - schaffen und so dazu führen, dass Frauen unter falschen Versprechungen aus ihrem Heimatland nach Deutschland kommen und hier wie Sklaven "gehalten" werden. Ihnen werden ihre Papiere weggenommen und sie werden entrechtlicht. Oft wird ihnen auch damit gedroht, dass ihrer Familie in der Heimat anderenfalls etwas geschieht oder dass die Familie erfährt, was die Frau hier macht. Sie befinden sich schutzlos in einem ihnen fremden Land, dessen Sprache sie nicht sprechen und wagen es kaum, sich an Dritte zu wenden. Vielfach geben sie aber an die Freier entsprechende Signale. Zumindest ist es, wenn die Augen nicht davor verschlossen werden, unschwer zu erkennen, dass eine Frau hier nicht freiwillig ist. Gerade diesen Opfern muss dann, wenn sie sich aus der Sklaverei befreien können, mit mehr als nur einem kurzfristigen Aufenthaltstitel für die Dauer des Strafverfahrens geholfen werden. Denn andernfalls werden sie nicht nur zum zweiten Mal zum bloßen Objekt degradiert, dessen sich die Bundesrepublik Deutschland bedient, um die – dringend notwendige – Strafverfolgung der Täter durchzuführen. Sie werden anlässlich ihrer Rückführung in ihr Heimatland zudem einem unkalkulierbaren Risiko für Leib und Leben ausgesetzt.
Zwar werden viele Opfer von Menschenhandel werden wegen der hier erlebten schweren Verletzungen ihrer elementaren Menschenrechte Deutschland so schnell wie möglich wieder verlassen wollen. Andere können dies jedoch nicht, weil sie sich vor ihren Familien oder den sonstigen sie erwartenden Umständen in ihrem Heimatland fürchten (müssen). Manchmal sind sie aber auch nur noch nicht zu aufenthaltsbestimmenden Entscheidungen in der Lage, weil die Umstände, unter denen sie zuvor gelitten haben, sie schwer traumatisiert haben.
Das zu gewährende Aufenthaltsrecht sollte zunächst auf ein Jahr befristet werden. Im Anschluss sollte eine Verlängerung möglich sein, wobei der Bezug von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch zumindest dann der Verlängerung nicht entgegenstehen darf, wenn die Notwendigkeit des Leistungsbezugs eine Folge des vorher erlebten Menschenhandels ist. Viele Opfer von Menschenhandel sind schwer traumatisiert und bedürfen zunächst psychischer Betreuung, ehe sie sich wieder um sich selbst kümmern können und als Zeuginnen im Strafprozess auftreten können.
Der djb fordert hier die Einfügung einer an § 31 Abs. 2 AufenthG angelehnten Vorschrift:
In § 25 AufenthG wird folgender Absatz 4b eingefügt:
(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232, 233 oder 233a des Strafgesetzbuches wurde, kann über Absatz 4a hinaus auch ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, das zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, zunächst für ein Jahr erteilt werden, wenn er es wünscht. Eine weitere Verlängerung kann versagt werden, wenn der Ausländer aus einem von ihm zu vertretenden Grund auf Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch angewiesen ist.
In diesen Fällen besteht auch kein Grund für die in § 25 Abs. 3 Satz 3 AufenthG nF vorgesehene Einschränkung des Familiennachzugs, so dass diese Vorschrift entsprechend einzuschränken ist. Denn Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution haben nicht selten im Herkunftsstaat eine Familie, gegen die die Menschenhändler Drohungen ausgesprochen haben, um sie gefügig(er) zu machen. Dies gelingt besonders, wenn sich darunter minderjährige Kinder der Opfer von Menschenhandel oder Prostitution befinden; zudem ist nicht ersichtlich, weshalb diese Drohungen nicht in die Tat umgesetzt werden sollten.
Des Weiteren sollte sichergestellt werden, dass Opfer von Menschenhandel, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 a AufenthG besitzen oder denen nach § 50 Abs. 2 a AufenthG eine Ausreisefrist gesetzt wurde, die erforderliche medizinische Hilfe, einschließlich angemessener psychologischer und psychotherapeutischer und sonstiger Hilfe erhalten. Erst diese notwendige Unterstützung versetzt die häufig traumatisierten Opferzeuginnen in die Lage, ihre Rolle im Prozess auszufüllen. Es sollte eine Änderung in § 6 AsylblG erfolgen, die zur Gewährung der entsprechenden Hilfe verpflichtet.
5. Umsetzung der Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG) in § 60 AufenthG
In § 60 AufenthG nF – Verbot der Abschiebung – wird die Qualifikationsrichtlinie vom 29. April 2004, die bis zum 10. Oktober 2006 von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen war, nicht ausreichend umgesetzt. Sie regelt Mindestnormen über die Anerkennung, den Status und den Inhalt des zu gewährenden Schutzes einerseits für den Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und andererseits für Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen (sogenannter subsidiärer Schutz).
a) Flüchtlingsschutz, § 60 Abs. 1 AufenthG nF
Das deutsche Asylrecht – geprägt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 16 a GG – unterscheidet sich bisher von der internationalen Rechtsprechung zum Flüchtlingsschutz nach der GFK – neben der dort erfolgten Anerkennung der Verfolgung in Anknüpfung an das Geschlecht als eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 60 Abs. 1 S. 3 AufenthG), die auch von Privaten ausgehen kann (§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c AufenthG), vor allem bei der Reichweite des Anknüpfungsmerkmals der Religion, der Frage des notwendigen Umfangs einer Existenzsicherung in der inländischen Fluchtalternative (interne Schutzalternative) und dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab bei Bejahung einer inländischen Fluchtalternative (interne Schutzalternative). Die zu den letztgenannten Problemkreisen seit Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie ergangene Rechtsprechung ist uneinheitlich.
Dass gerade Frauen (und Kinder) von der Frage der Reichweite des Anknüpfungsmerkmals der Religion, der Frage des notwendigen Umfangs einer Existenzsicherung in der inländischen Fluchtalternative (interne Schutzalternative) und dem Wahrscheinlichkeitsmaßstab bei Bejahung einer inländischen Fluchtalternative (interne Schutzalternative) besonders betroffen sein können, liegt auf der Hand. Die Frau, die sich weigert, ein Kopftuch zu tragen oder anderen religiösen Riten in der Öffentlichkeit nachzugehen, konnte sich nicht ohne weiteres auf eine Verfolgung in Anknüpfung an das Merkmal Religion berufen, denn hier war nach der deutschen Asylrechtsprechung zu Art. 16a GG bislang nur das sogenannte Forum internum geschützt, Art. 10 Abs. 1 Buchstabe der RL 2004/83/EG hingegen schützt ausdrücklich (u.a.) auch nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen und die Nichtteilnahme an religiösen Riten im öffentlichen Bereich. Im Bereich der internen Fluchtalternative wurde es bislang als ausreichend erachtet, wenn dort eine Existenzsicherung lediglich auf dem Niveau erfolgen kann, das am Verfolgungsort für die betroffene Person besteht. Bestand diese schon im Zeitpunkt der Ausreise, war die Person nicht landesweit verfolgt und mithin unverfolgt ausgereist, so dass zum Prüfungszeitpunkt eine erneute – landesweite – Verfolgung wahrscheinlich sein musste. Die Systematik in der RL 2004/83/EG geht anders vor: Nach Bejahung einer Verfolgung ist nach Art. 8 Abs. 1 zuprüfen, ob (im Prüfungszeitpunkt!) eine interne Schutzalternative gegeben ist, die nur dann besteht, wenn dort (u.a.) keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Der Zeitpunkt der Antragsprüfung als maßgeblicher Zeitpunkt wird noch einmal in Art. 8 Abs. 2 herausgestellt und der anzuwendende herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab (es muss eine hinreichende Verfolgungssicherheit bestehen) ergibt sich bei erlittener Vorverfolgung – ungeachtet der Frage einer internen Schutzalternative – zudem aus Art. Art. 4 Abs. 4. Gerade die Existenzsicherung am Ort der inländischen Fluchtalternative ist für alleinstehende Frauen und Kinder problematisch. Gelingt es am Herkunftsort, dem Ort der Verfolgung, noch gerade mit Hilfe der Großfamilie, sich notdürftig über Wasser zu halten, sieht dies vielfach in anderen Landesteilen anders aus, zumal es weltweit viele Staaten gibt, in denen alleinstehende Frauen und/oder Kinder nicht ohne den Familien- oder Sippenverbund überleben können. Besonders schlimm ist die Situation, wenn die Verfolgung von der Familie ausgeht (drohende Genitalverstümmelung, Witwenverbrennung, häusliche Gewalt u.ä.). Bislang sind diese Fälle in der deutschen Asylrechtsprechung zumeist über den subsidiären Schutz gelöst worden, d.h., eine Flüchtlingsanerkennung wurde den Betroffenen verweigert. Aber auch der subsidiäre Schutz war in Gefahr, da alleinstehende Frauen oder Kinder oft als eine Bevölkerungsgruppe angesehen wurden, bei der nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ein Schutz in der Regel außer über eine Entscheidung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ausgeschlossen ist, sofern nicht ausnahmsweise besonders existentielle Gefahren drohten, die dazu geführt hätten, dass die Abschiebung quasi sehenden Auges in den sicheren Tod erfolgt wäre.
Aus Sicht des djb [4] haben die bisher erfolgten ausdrückliche Aufnahme der geschlechtsspezifischen Verfolgung und einer Verfolgung durch Private zwar nur klarstellenden Charakter, er hat aber auch betont, wie wichtig diese Klarstellungen in der Praxis für die Betroffenen sind. Hieran ist weiter festzuhalten. Die bereits seinerzeit jede Grundlage entbehrenden Befürchtungen, die neu gefasste Vorschrift würde zu einem Einfallstor für verfolgte Frauen aus aller Welt führen, haben sich nicht bestätigt.
Nach wie vor bestehende Unklarheiten in der Rechtsprechung sind in diesen Bereichen insbesondere bei der Verfolgung durch Private zu verzeichnen, dürften sich aber auch bald in vielen Fallgruppen geklärt haben. Durch eine Umstellung in § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG nF wird klargestellt, dass auch in diesen Fällen zu prüfen ist, ob eine inländische Fluchtalternative besteht. Dies entspricht Art. 8 Abs. 1 und 2 der RL 2004/83/EG. Allerdings hat die Prüfung nach der Regelungssystematik der GFK und der RL 2004/83/EG erst in einem zweiten Schritt nach Bejahung einer Verfolgungshandlung zu erfolgen.
Auch die in § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG nF aufgenommenen Verweise auf Art. 4 Abs. 4, Art 7 bis 10 der RL 2004/83/EG sind vom Ansatz her zu begrüßen. Sie haben klarstellenden Charakter, denn in § 60 Abs. 1 AufenthG geht es um die Anwendung der GFK, die ihrerseits als völkerrechtlicher Vertrag nach der Wiener Vertragsrechtskonvention einer dynamischen Auslegung unterliegt. Das heißt, die Staatenpraxis bestimmt weitgehend Inhalt und Bedeutung der GFK und die RL 2004/83/EG stellt ihrerseits den Willen der Staaten der Europäischen Union dar, ist also zumindest Auslegungshilfe.
Allerdings ist die Normierung der Voraussetzungen, die nach der Richtlinie einen Anspruch auf internationalen Schutz begründen insbesondere in § 60 Abs. 1 S. 5 und 6 und Abs. 11 AufenthG nF durch die Methode der Verweisung auf Vorschriften der RL 2004/83/EG, die an einigen Punkten einen weitergehenden Schutz gewähren, als er vom deutschen Recht und der deutschen Rechtsprechung bisher gewährt wurde, bedenklich. Die europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Verwendung dieser für den Rechtsanwender sehr unübersichtlichen Verweisungstechnik ist in der Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte vom 4. Mai 2007 umfangreich dargelegt worden. Hierauf verweist der djb und empfiehlt für das Gesetzgebungsverfahren eine eingehende Prüfung der dort aufgezeigten Bedenken.
Auch der djb empfiehlt, die Formulierungen der umzusetzenden Richtlinien in den deutschen Gesetzestext aufzunehmen, statt lediglich auf sie zu verweisen.
b) Subsidiärer Schutz, § 60 Abs. 7 AufenthG nF
§ 60 Abs. 7 AufenthG ist (ab Satz 2) neu formuliert worden. In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu, dass mit Satz 2 Art. 15 Buchstabe c) der RL 2004/83/EG umgesetzt werden soll. Allerdings wird Art. 15 Buchstabe c der RL 2004/83/EG, der das Vorliegen eines ernsthaften Schadens dann als gegeben ansieht, wenn eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vorliegt, in dem neuen § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG nur lückenhaft wiedergegeben. Insbesondere fehlt die ausdrückliche Anerkennung willkürlicher Gewalt im Rahmen von bewaffneten Konflikten als Qualifizierung eines ernsthaften Schadens, der zum Schutz berechtigt. Von willkürlicher Gewalt im Rahmen von bewaffneten Konflikten sind Frauen und Kinder besonders oft betroffen. Zu denken ist hier an Vergewaltigungen bis hin zu Massenvergewaltigungen, die systematische Verschleppung in die Prostitution oder Kindersklaverei und die üblichen Kollateralschäden (eine sehr verharmlosende Bezeichnung für das dahinter steckende menschliche Elend der Zivilbevölkerung, die die bewaffneten Konflikte zumeist mit ihrem Leben oder – im günstigsten Fall – mit schweren körperlichen Verletzungen und dem Verlust der Existenzgrundlage bezahlen müssen).
Der djb empfiehlt daher, den Wortlaut des Art. 15 Buchstabe c der RL 2004/83/EG in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nF ungekürzt zu übernehmen.
§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nF entspricht im Wesentlichen dem bisherigen Satz 2 und verweist in den Fällen allgemeiner Gefahren für die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, diesen auf eine Entscheidung der obersten Landesbehörde (60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Die Gesetzesbegründung stützt diese Einschränkung auf den Erwägungsgrund 26 der RL 2004/83/EG.
Es ist aber äußerst umstritten, ob aus diesem Erwägungsgrund, der keinen Niederschlag in den gesetzlichen Normierungen der RL 2004/83/EG gefunden hat, die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Einschränkung des in der RL 2004/83/EG auch für den subsidiären Schutz in Art. 4 Abs. 3 der RL 2004/83/EG normierten Anspruchs auf individuelle Prüfung und Schutzgewährung in allen Fällen, in denen dem Antragsteller bei Rückkehr in sein Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne von Art. 15 der RL 2004/83/EG Richtlinie droht, hergeleitet werden kann. Der Verweis in den Fällen allgemeiner Gefahren für die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, auf eine Entscheidung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG stellt keine individuelle Prüfung dar. Dass vielfach Frauen, Kinder oder alte oder kranke Menschen als Teil solcher Bevölkerungsgruppen angesehen werden können, die dann im Ergebnis trotz höchster Gefahren auf keinen Schutz hoffen können, dürfte bereits hinreichend deutlich geworden sein.
Im Lichte der Art. 19 Abs. 4, Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 2 GG hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in den Fällen des jetzigen § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nF bisher eine verfassungskonforme Auslegung dergestalt vorgenommen, dass in den Fällen, in denen die Abschiebung quasi sehenden Auges in den sicheren Tod erfolgen würde, trotz Nichtvorliegens (oder ausdrücklicher Ablehnung) einer Entscheidung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, gleichwohl Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu gewähren ist. Hieran wird die Rechtsprechung sicher auch nach der Neuformulierung des § 60 Abs. 7 AufenthG festhalten (müssen).
Wollte man aber – trotz der erheblichen Bedenken und der negativen Auswirkungen gerade für die aufgezeigten Menschen – die Prüfung durch die oberste Landesbehörde als ebenfalls ausreichende individuelle Prüfung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 der RL 2004/83/EG – wenngleich für eine ganze Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppe – ansehen, so darf der Verweis der Schutzsuchenden auf § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zumindest erst dann erfolgen, wenn eine solche Prüfung erfolgt war.
Sollte der Gesetzgeber also bei seinem bisherigen Konzept bleiben, so empfiehlt der djb die Ergänzung des § 60 Abs. 7 AufenthG nF um folgenden Satz 4: Die Sätze 1 und 2 sind anwendbar, solange eine Entscheidung nach § 60a Abs. 1 noch nicht getroffen worden ist.
Berlin, 18. Mai 2007
Jutta Wagner
Präsidentin
Dr. Katja Rodi
Vorsitzende der Kommission Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht
Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Kommission Gewalt gegen Frauen und Kinder
[1] So bereits Stellungnahme des djb zum Referentenentwurf eines Zuwanderungsgesetzes vom 5.9.2001 (St 01-20).
[2] So insbesondere Stellungnahme des djb zur öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 19. Juni 2006 – Bekämpfung von Zwangsverheiratungen – (St 06-11), Stellungnahme zum Thema „Bekämpfung der Zwangsverheiratungen“ – zur Vorlage beim Innenausschuss und beim Sozialpolitischen Ausschuss des Hessischen Landtages (St 06-27).
[3] So bereits in der Stellungnahme des djb vom 10. Juni 2006 zur geplanten Änderung des Aufenthaltsrechts – zum Aufenthalt von Opfern des Menschenhandel (St 06-12).
[4] Siehe bereits Stellungnahme vom 5.6.2001 zum damaligen Referentenentwurf für ein Zuwanderungsgesetz (St 06-12) und Stellungnahme vom 10.1.2002 zum Gesetzesentwurf (St 02-02).