Stellungnahme: 18-06


zum Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige (Stand: 4.6.2018)

Stellungnahme vom

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I.

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) unterstützt den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige und zur Aufhebung der Richtlinie 2010/18/EU des Rates (217/0085 (CO D)) (im Folgenden: Richtlinienentwurf).

Der djb ist ein Zusammenschluss von Juristinnen, Volks- und Betriebswirtinnen zur Fortentwicklung des Rechts (Civil Society Organization/NGO). Er ist unabhängig, überparteilich und überkonfessionell. Der djb wirkt vor allem an der Fortentwicklung des Rechts auf allen Gebieten und der Verwirklichung der Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frau in allen gesellschaftlichen Bereichen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene mit. Der djb fordert seit Langem gesetzliche Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben. Um frauenspezifische Forderungen auch europaweit insbesondere in der Europäischen Union zu realisieren, arbeitet der djb mit gleichartigen Vereinigungen auf europäischer und internationaler Ebene zusammen.

Dem djb ist es ein besonderes Anliegen, europäische Gesetzgebungsvorschläge im Hinblick auf gleichstellungspolitische Ziele zu begleiten und zu kommentieren, um effektive Maßnahmen der Geschlechtergleichstellung europaweit zu gewährleisten bzw. zu erreichen. Dies gilt auch für den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige.

II.

Der djb fordert die bulgarische Ratspräsidentschaft auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um möglichst rasch eine politische Einigung über den Richtlinienvorschlag zu erreichen. Gleichzeitig ist es wichtig, gleichstellungspolitische Ziele im Blick zu behalten und wirksame Regelungen einzufordern. Er bittet die Bundesregierung, diese dabei zu unterstützen. Dabei ist wichtig, dass sie neben den eigenen nationalen Interessen eine gesamteuropäische Verantwortung übernimmt. Die Kommission meint, dass europäische Mindeststandards und somit eine Annäherung der Vorschriften der Mitgliedstaaten hinsichtlich Art, Dauer und Bezahlung der erforderlichen Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ausreichen und wählt deshalb Art. 153 AEUV als Rechtsgrundlage. Grundsätzlich wäre zwar eine Harmonisierung, die über Mindeststandards hinausgeht, wünschenswert und auf der Basis von Art. 157 AEUV auch rechtlich vertretbar. Es ist aber zum jetzigen Zeitpunkt nachvollziehbar, dass die Kommission sich vor dem Hintergrund der Befindlichkeiten der Mitgliedstaaten im Bereich der Sozialpolitik auf Mindeststandards beschränkt. Vor diesem Hintergrund erfolgen die nachgehenden Ausführungen.

Der Richtlinienentwurf verbindet zu Recht das Thema der Gleichstellung von Frauen und Männern im Erwerbsleben mit unterstützenden Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Der Richtlinienentwurf leistet aus Sicht des djb hier einen wichtigen Beitrag, verbindliche Rechtsansprüche von Eltern zu schaffen bzw. fortzuentwickeln. Es besteht ein gesellschaftliches und ökonomisches Bedürfnis, es Vätern und Müttern leichter zu machen, Erwerbstätigkeit mit Betreuungs- und Pflegeaufgaben zu verbinden. Eltern bzw. pflegende Angehörige benötigen Zeit für die Übernahme familiärer Pflichten und sie benötigen finanzielle Unterstützung, wenn während dieser Freistellungszeit das Erwerbseinkommen entfällt. Angesichts der anhaltenden traditionellen Rollenverteilungen, die durch die im Durchschnitt geringeren Einkommen von Frauen immer wieder bestärkt werden, sind Mechanismen notwendig, die es Familien erlauben, Sorgearbeit gerechter zu verteilen.

Rechtsvergleichende Studien belegen, dass eine kurze Elternzeit mit hohem Lohnersatz neben einer gut ausgebauten institutionellen Kinderbetreuung sich positiv auf die Arbeitsmarktintegration von Frauen auswirkt. Gleichzeitig geht es aber auch um den Abbau von Vorurteilen bei der Übernahme von Betreuungsaufgaben durch Väter bzw. Männer als Väter und pflegende Angehörige und damit letztlich um eine gerechtere Gesellschaft.
Zu Recht zielt der Richtlinienentwurf daher auf europäische Mindeststandards in Bezug auf Elternzeitrechte sowie die finanziell notwendige Unterstützung. Dabei geht es richtigerweise zum einen um Maßnahmen zur Erhöhung der Beschäftigungsquote von Frauen und einen leichteren Wiedereinstieg in den Beruf, zum anderen um die Einbeziehung von Männern in die Betreuung von Kindern und Angehörigen und damit eine gleichstellungsgerechtere Verteilung von Sorgearbeit.

Die Einführung von Mindeststandards darf jedoch nicht dazu führen, in den Mitgliedstaaten bereits existierende Regelungen, die über sie hinausgehen, zu verwässern. Die Ausgestaltung als Mindeststandard erlaubt es den Mitgliedstaaten zwar, über das geregelte Niveau hinauszugehen, verbietet aber auch nur, hinter das geregelte Mindestniveau zurückzufallen. Da ein explizites Rückschrittsverbot europarechtlich nicht zu verankern ist, ist im jeweiligen nationalen Gesetzgebungsprozess darauf hinzuwirken, dass die weitergehenden, derzeit existierenden Regelungen beibehalten werden müssen.

Zu begrüßen ist die obligatorische Freistellung von Vätern im Umfang von zehn Tagen im Zusammenhang mit der Geburt des Kindes. Auch der Mindestumfang des in dem Entwurf vorgeschlagenen Elternurlaubes von vier Monaten für jeden Elternteil stellt eine wichtige Maßnahme dar, um eine gerechtere Aufteilung von Betreuung- und Pflegepflichten zwischen Frauen und Männern zu fördern. Sinnvoll ist es ebenfalls, eine Mindesthöhe für die Einkommensersatzleistung während dieser Zeit vorzusehen, wobei die Mitgliedstaaten bei den Berechnungsmodalitäten einen großen Spielraum haben sollten, der allerdings nicht zur Verwässerung der Ziele des Richtlinienvorschlags missbraucht werden darf. Neben der Elternzeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollte langfristig zudem die bessere Absicherung von Selbstständigen bei Betreuungs- und Pflegeaufgaben angestrebt werden, auch wenn es hierzu der Überarbeitung der Richtlinie 2010/41/EU bedarf.

Grundsätzlich sollte der in der deutschen Übersetzung des Richtlinienentwurfs verwendete Begriff Eltern- bzw. Vaterschaftsurlaub überdacht werden. Der Begriff „Urlaub“ wird dem gesellschaftlichen Wert und dem zeitlichen Aufwand für die Betreuung von Kindern und Angehörigen nicht gerecht, sondern trägt im Gegenteil zur Unterschätzung und gesellschaftlichen Abwertung der überwiegend von Frauen geleisteten Sorgearbeit bei. [1]

III. Im Einzelnen

1. Vaterschafts’urlaub’

Die Einführung einer zehntägigen Vaterschaftszeit wird begrüßt, um die Mutter nach der Geburt zu unterstützen. Die Vaterschaftszeit sollte direkt im Anschluss an die Geburt in Anspruch genommen werden können und einen Freistellungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber umfassen. Die Vaterschaftszeit muss für diesen Zeitraum mit einer Einkommensersatzleistung (z.B. in Höhe des Krankengeldes) verbunden werden, da andernfalls zu befürchten ist, dass die Vaterschaftszeit nicht in Anspruch genommen wird. Denkbar ist auch, über den Richtlinienvorschlag in Richtung französisches Vorbild hinauszugehen. Damit könnte die Vaterschaftszeit spätestens bis zur Vollendung des vierten Monats nach der Geburt genommen werden. Väter sollten während der Vaterschaftszeit einem besonderen Kündigungsschutz unterliegen. Die Vaterschaftszeit sollte zudem unabhängig von der Art des Arbeitsvertrags (befristet oder unbefristet) oder von der Dauer der Betriebszugehörigkeit beansprucht werden können.

2. Eltern’urlaub’ – Mindestzeit

Der Richtlinienentwurf sieht in Artikel 5 Absatz 1 einen individuellen Anspruch auf mindestens vier Monate Elternzeit für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor, bis das Kind ein bestimmtes Alter (12 Jahre) erreicht hat. In diesem Umfang soll der Anspruch auf Elternzeiten auch nicht auf den anderen Elternteil übertragbar sein (Artikel 5 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags). Dies bedeutet praktisch, dass Elternzeiten verfallen, wenn diese nicht im Mindestumfang von jedem Elternteil in Anspruch genommen werden. Mit einer solchen Regelung wird ein notwendiger rational-ökonomischer Anreiz für die Beschäftigten gesetzt, damit sich Väter stärker an der Erziehungsverantwortung beteiligen. Außerdem fördert es die Akzeptanz für Elternzeiten durch beide Eltern, wenn ein individueller Anspruch besteht, der bei Nichtinanspruchnahme entfällt.

Deutschland hat mit einer Mindestzeit nicht übertragbarer Monate gute Erfahrungen gemacht. Seit 2007 gibt es ein Elternzeit- und Elterngeldgesetz, das zeitliche Freistellungsansprüche und finanzielle Ausgleichszahlungen regelt. Darüber hinaus gibt es Freistellungsansprüche bis zu 36 Monaten pro Elternteil, die in erheblichem Umfang über die durch die Richtlinie vorgesehen Elternzeiten hinausgehen. Die Zeiten der Kindererziehung mit gleichzeitiger finanzieller Zuwendung sind bei der Inanspruchnahme des vollen Leistungssatzes auf 14 Monate insgesamt begrenzt. Die Einkommensersatzleistung wird nicht unmittelbar durch die Unternehmen, z.B. durch eine unternehmerische Umlage oder durch eine paritätisch finanzierte Sozialversicherung aufgebracht. Es ist vielmehr ein steuerfinanziertes Leistungssystem aufgebaut worden, aus dem grundsätzlich eine Ersatzquote von 67 % des in den letzten 12 Monaten vor der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten Nettoeinkommens gezahlt wird. Dieses System hat die starren Fixbeträge des Erziehungsgeldes (zuletzt 300 Euro monatlich) abgelöst, die einen starken finanziellen Anreiz gesetzt haben, dass immer der Elternteil mit dem niedrigeren Erwerbseinkommen die Kinderbetreuungszeit genommen hat. Dass es seit Einführung des Elterngeldes eine Einkommensersatzquote gibt, die sich an den tatsächlich erzielten Erwerbseinkommen orientiert, entspricht einer von Frauenverbänden in Deutschland seit Langem geäußerten Forderung.

Im deutschen Recht sind für das Elterngeld Partnermonate im Umfang von zwei Monaten vorgesehen, also Zeiten, die nicht auf den anderen Elternteil übertragbar sind. Ausnahmen gelten für Alleinerziehende, die den vollen Zeitraum in Anspruch nehmen können. Die Regelung trägt erfolgreich dazu bei, dass die Beteiligung von Vätern beim Elterngeld – und damit bei der Kindererziehung – seit Einführung dieser Leistung kontinuierlich ansteigt. Während beim früheren Erziehungsgeld ohne Partnermonate kaum Väter diese Leistung in Anspruch nahmen, waren es beim Geburtsjahrgang der Kinder im Jahr 2008 ein Fünftel, beim Geburtsjahrgang 2010 ein Viertel und inzwischen wird für jedes 3. Kind Elterngeld von Vätern bezogen. Auch in Betrieben steigt die Akzeptanz für familienbedingte Auszeiten von Männern.

Gleichzeitig ist die Anreizwirkung durch die Beschränkung auf zwei Monate begrenzt: So entscheiden sich vier von fünf Vätern (79 %) nur für die Mindestbezugsdauer von 2 Monaten, während die überwiegende Mehrheit der Mütter (87 %) die maximale Bezugsdauer von 12 Monaten ausschöpft.[2] Bei einer Unterbrechung des Erwerbslebens zur Kinderbetreuung lediglich im Umfang von zwei Monaten kann daher nicht von einer intensiven Väterbeteiligung gesprochen werden, die die familiäre Arbeitsteilung nachhaltig prägen könnte. Acht Wochen können einen verlängerten Urlaub darstellen oder der persönlichen Unterstützung durch den Vater direkt nach der Geburt dienen. All dies ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber früheren Rollenmodellen, sollte jedoch im Sinne einer echten Entlastung der Mutter ausgeweitet werden. Der im Richtlinienentwurf vorgesehene nichtübertragbare Mindestanspruch von vier Monaten pro Elternteil wird daher nachdrücklich begrüßt.

3. Eltern’urlaub’ finanzielle Mindesthöhe – Gestaltungsspielraum Mitgliedstaaten

Die Eltern zustehende Betreuungszeit muss mit einem attraktiven Einkommensersatz verbunden sein, der es auch den nach wie vor häufig besser verdienenden Vätern ermöglicht, Kinderbetreuungszeiten in Anspruch zu nehmen bzw. nehmen zu wollen. Richtigerweise hat daher der Richtlinienvorschlag ein bestimmtes Sicherungsniveau (konkret des Krankengeldes) festgeschrieben. Eine europäische Regelung sollte vorsehen, dass sich die Leistung während der bezahlten Elternzeit an dem mitgliedsstaatlichen Sicherungsniveau anderer Lohnersatzleistungen wie etwa bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit orientiert. Der Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten wird für wichtig erachtet, weshalb lediglich die Höhe des Sicherungsniveaus vorgegeben werden sollte. Eine solche allgemeinere Regelung mit der Orientierung am Sicherungsniveau würde es den Mitgliedstaaten ermöglichen, nicht alle einzelnen Berechnungsmodalitäten eines bestimmten Systems zwingend auch für die Elternzeiten einführen zu müssen. So wird etwa in Deutschland bei der Krankengeldberechnung eine komplizierte und individuelle Vergleichsberechnung der Brutto/Netto-Lohnersatzquote vorgenommen und ein anderer, deutlich kürzerer Lohnabrechnungszeitraum gewählt als beim Elterngeld, das als deutlich pauschaleres Lohnersatzsystem ausgestaltet ist.

4. Eltern’urlaub’ – Zeitraum

Die Möglichkeit, Elternzeiten bis zum 12. Lebensjahr des Kindes in Anspruch nehmen zu können, ist aus Sicht des djb eine sehr sinnvolle Ausweitung, die es Eltern ermöglicht, auf betreuungsintensive Situationen (Umzug / Trennung / Schulwechsel etc.) auch bei älteren Kindern flexibel reagieren zu können.

5. Eltern’urlaub’ – Fristen

Der djb lehnt es ab, den Anspruch auf Elternzeiten von einer bestimmten Beschäftigungs- oder Betriebszugehörigkeitsdauer abhängig zu machen. Die Möglichkeit, Betreuungszeiten in Anspruch zu nehmen muss allen Eltern (und ihren Kindern!) gleichermaßen zustehen. Entsprechend skeptisch sieht der djb den Vorschlag, es Arbeitgebenden zu erlauben, Elternzeiten aus betrieblichen Gründen verschieben zu können.

Des Weiteren stellt der Richtlinienentwurf den Mitgliedstaaten frei, die Frist, innerhalb derer die Eltern Arbeitgebende über die Inanspruchnahme von Elternzeiten unterrichten müssen, festzulegen. Der djb weist diesbezüglich darauf hin, dass diese Freiheit zur Aushebelung der Ansprüche durch zu kurze oder intransparente Fristenregelungen genutzt werden könnte und empfiehlt daher, zumindest einen Rahmen im Richtlinienentwurf auszuweisen.

6. Selbstständige

Der djb regt an, auch für Selbständige entsprechende Mindeststandards zu schaffen. Beim Bezug der Einkommensersatzleistungen sollten sie ebenso einkommensabhängige Leistungen während der Elternzeit und der Vaterschaftszeit erhalten. Als Regelungsort empfiehlt sich die Richtlinie 2010/41/EU. Ferner ist anzuregen, Schutzvorschriften während der Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit auf selbständige Mütter auszudehnen. Hierzu bedarf es der Weiterentwicklung von Artikel 8 der Richtlinie 2010/41/EU.

 

Prof. Dr. Maria Wersig                                 
Präsidentin

Prof. Dr. Ulrike Lembke
Vorsitzende der Kommission Europa- und Völkerrecht

Dr. Ulrike Spangenberg
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich


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[1] Der Begriff wird hier durch den Begriff Elternzeiten ersetzt und nur dann verwendet, wenn direkt auf den Richtlinienentwurf Bezug genommen wird.

[2] Statistisches Bundesamt, öffentliche Sozialleistungen, Statistik zum Elterngeld, Leistungsbezüge 2015 sowie Pressemitteilung vom 21. Juni 2016-212/16.