Stellungnahme: 14-04


zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes

Stellungnahme vom

I.

 

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Übersendung des Referentenentwurfs der Bundesregierung zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes und der eingeräumten Möglichkeit zur Stellungnahme. Dem djb ist bewusst, dass der Referentenentwurf der Umsetzung der Koalitionsvereinbarung dienen soll, nach der die drei Westbalkanstaaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten in das Asylverfahrensgesetz aufgenommen werden sollen.

 

Der djb sieht sich jedoch nicht in der Lage, dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zuzustimmen. Die Situation in den drei Westbalkanstaaten ist noch nicht ausreichend gefestigt (vgl. II.) und der Gesetzentwurf würde § 29a AsylVfG seinem Wesen nach verändern. Es käme zur immanenten Abkehr von der umfassenden und individuellen Prüfung jedes Asylgesuchs im Einzelfall. Damit wäre eine „antizipierte Tatsachen- und Beweiswürdigung“ hinsichtlich der allgemeinen Verhältnisse in einem bestimmten Staat durch den Gesetzgeber vorgegeben. Dies ist weder mit rechtstaatlichen Grundsätzen (effektiver Rechtschutz), noch mit einer an den Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) zu messenden Gewährleistung effektiven Flüchtlingsschutzes vereinbar.

 

II.

 

Der djb hält die geplante Aufnahme der Westbalkanstaaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina in die Liste der sogenannten „Sicheren Herkunftsstaaten“ i.S.d. § 29a AsylVfG für nicht vertretbar. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 29a AsylVfG verlangt, dass in sogenannten „Sicheren Herkunftsstaaten“ aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse weder politische Verfolgung, noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Für Frauen der ethnischen Volkszugehörigkeit der Roma, sowie für lesbische, bi- und transsexuelle Frauen sowie Intersexuelle ist dies in Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina nach der aktuellen Auskunftslage offensichtlich nicht zutreffend. Diese Einschätzung ergibt sich aus aktuellen Berichten des Europäischen Parlaments ebenso wie aus den umfangreichen Stellungnahmen zahlreicher Internationaler Menschenrechtsorganisationen.[1],[2],[3],[4]Darüber hinaus stellen sich die politischen Verhältnisse in allen drei Ländern als weder ausreichend gefestigt noch als dauerhaft stabil dar, was jedoch Voraussetzung für eine Aufnahme als sicherer Herkunftsstaat sein sollte. Alle drei Staaten befinden sich nach wie vor in einer Umbruchphase. Der Umgang mit elementaren Menschenrechten bezogen auf die ethnische Minderheit der Roma erscheint nach wie vor problematisch, insbesondere was den tatsächlichen Zugang zu Wohnraum, Bildung und zum Arbeitsmarkt anbelangt. In Serbien haben beispielsweise weiterhin alte Machteliten aus der Zeit des Miloševi?-Regimes erheblichen Einfluss auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Dabei ist das staatliche Gewaltmonopol, ebenfalls Voraussetzung für die Aufnahme eines Staates als sicherer Herkunftsstaat, ebenso wenig gesichert wie eine vollständige demokratische Kontrolle der Sicherheitskräfte.

 

Die Lage der Frauen der ethnischen Volkszugehörigkeit der Roma ist in unterschiedlichen Abstufungen in allen drei Westbalkanstaaten geprägt von massiver staatlicher und nichtstaatlicher rassistischer Diskriminierung.[5],[6]Diese findet aufgrund der Lebensumstände in slumartigen illegalen Siedlungen, die jederzeit geräumt werden können,[7]ihren Ausdruck in eingeschränktem oder fehlendem Zugang zum System der Gesundheitsversorgung sowie im Ausschluss vom Zugang zu angemessenem Wohnraum und teilweise auch zu Trinkwasser. Bei gleichzeitigem Ausschluss von Bildung[8],[9]und Arbeit erreicht diese staatliche oder mit staatlicher Duldung erfolgende Benachteiligung in der Gesamtschau dabei häufig ein asylerhebliches Ausmaß. Der Ausschluss vom Zugang zum Gesundheitssystem und zu Bildung trifft dabei gerade Frauen in der Wahrnehmung ihrer Aufgabe der Kindererziehung in außerordentlichem Maß in der täglichen Lebensführung.[10]Darüber hinaus kommt es regelmäßig zu Rechtsverletzungen durch körperliche Angriffe, sexuelle Übergriffe und Beleidigungen, wobei den Roma-Frauen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ein Schutz durch staatliche Ordnungshüter nicht zur Verfügung steht und eine polizeiliche Strafverfolgung quasi nicht stattfindet.[11]

 

Ebenso besorgniserregend ist die Lebenssituation für lesbische, bi- und transsexuelle Frauen sowie intersexuelle Menschen (LBTI) in Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. In allen Ländern werden die betroffenen Frauen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bzw. Identität regelhaft und systematisch Opfer gezielter Angriffe und sogenannter Verbrechen aus Hass (hate crime), die durch massive körperliche und sexuelle Gewalt geprägt sind.[12]Hierbei kommt es auch zu sogenannten „korrigierenden Vergewaltigungen“, welche die von der Norm abweichende sexuelle Identität der betroffenen Frauen sanktionieren und diese zu einem angepassten heteronormativen Verhalten zwingen sollen. Gleichzeitig ist die Selbstorganisation der LBTI-Community in den Ländern des westlichen Balkans mit erheblichen Gefahren und staatlichen Sanktionen verbunden.[13], [14]Gegen diese Menschenrechtsverletzungen ist regelmäßig aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Ächtung und der offenen auch staatlichen Diskriminierung kein Schutz seitens der Strafverfolgungsbehörden erhältlich.[15], [16]

 

Aufgrund der dargelegten Tatsachenlage ist die Aufnahme von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina in die Liste der sogenannten „Sicheren Herkunftsstaaten“ i.S.d § 29a AsylVfG sachlich nicht gerechtfertigt und muss unterbleiben, wenn das Institut der Sicheren Herkunftsstaaten nicht endgültig aus Opportunitätsgründen dem politischen Ziel der Verfahrensverkürzung geopfert werden und so das Asylgrundrecht des Art. 16a GG weiter ausgehöhlt werden soll.

 

 

Ramona Pisal

Präsidentin                                

 

 

 

Sabine Overkämping           

Vorsitzende der Kommission

Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht

 

 

 

 

 


 

[1] CEDAW, concluding comments on the Committee on the Elimination of Discrimination against Women in Bosnia and Herzegowina unter:    
http://daccess-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N06/384/85/PDF/N0638485.pdf?OpenElement.

 

 

[2] CEDAW, concluding comments on the Committee on the Elimination of Discrimination against Women in Serbia unter: http://daccess-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/N07/375/72/PDF/N0737572.pdf?OpenElement.

 

 

[3] European Parliament 1/2014 unter: http://www.lgbt-ep.eu/press-releases/meps-take-stock-of-lgbt-rights-in-bosnia-and-herzegovina-macedonia-and-montenegro/.

 

 

[4] European Parliament 1/2014 unter: http://www.lgbt-ep.eu/press-releases/serbia-and-kosovo-need-to-step-up-efforts-to-guarantee-the-rights-of-lgbt-people-parliament-says/.

 

 

[5]Bertelsmann Stiftung, BTI 2012, Serbia Country Report, Seite 11 unter: http://www.bti-project.de/fileadmin/Inhalte/reports/2012/pdf/BTI%202012%20Serbia.pdf.

 

 

[6] Human Rights Watch, Second Class Citizens, Discrimination against Roma, Jews, and other National Minorities in Bosnien Herzegowina, April, 2012 unter: http://www.hrw.org/reports/2012/04/04/second-class-citizens-0.

 

 

[7]Pro Asyl, Roma in Serbien, 12/2013 unter:                http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/roma_in_serbien_von_wegen_sicherer_herkunftsstaat-1/.

 

 

[8] Pro Asyl, Die Lebensbedingungen der Roma in Serbien und Mazedonien unter: http://www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/Serbien_kein_sicherer_Herkunftsstaat.pdf

 

 

[9] ECRI Report on Serbia, (fourth monitoring cycle), Adopted on 23 March 2011, Published on 31 May 2011, Abrufbar unter: http://www.coe.int/t/dghl/monitoring/ecri/Country-by-country/Serbia/SRB-CbC-IV-2011-021-ENG.pdf.

 

 

[10] Scherr, Albert und Elke: Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung: Die Situation von Roma in Serbien und im Kosovo unter: http://www.grundrechtekomitee.de/sites/default/files/Roma_Armut%20und%20Diskriminierung_0.pdf.

 

 

[11]Romano Centro, Wien: Die Lebensbedingungen der Roma in Serbien und Mazedonien unter: http://www.romano-centro.org/downloads/Serbien%20Mazedonien%20Chachipe.pdf.

 

 

[12] Amnesty international 11/2013 unter: http://www.amnesty.org.au/news/comments/33242/.

 

 

[13]Queeramnesty unter: http://www.queeramnesty.de/meldungen/artikel/jahr/2013/view/serbische-behoerden-verbieten-belgrader-pride-parade.html.

 

 

[14] Amnesty International unter: https://www.amnesty.de/2013/9/30/serbische-behoerden-verbieten-belgrader-pride-parade.

 

 

[15] Bertelsmann Stiftung, BTI 2012, Serbia Country Report, Seite 12 unter: http://www.bti-project.de/fileadmin/Inhalte/reports/2012/pdf/BTI%202012%20Serbia.pdf.

 

 

[16] Queeramnesty 11/2013 unter: http://www.queeramnesty.de/meldungen/artikel/jahr/2013/view/serbien-muss-sich-dazu-verpflichten-den-schutz-von-lgbti-menschen-zu-garantieren.html.