Stellungnahme: 10-03


Logib-D: Verfehlte Hoffnungen auf Anzeige diskriminierungsverdächtiger Entgeltdifferenzen

Stellungnahme vom

 

Die Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern ist seit jeher eines der vordringlichen Anliegen des Deutschen Juristinnenbundes (djb). Auch Union und FDP kündigen im Koalitionsvertrag an, die Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern endlich überwinden zu wollen. Als ersten Schritt hierzu scheint man das Selbsttestinstrument Logib-D („Lohngleichheitsinstrument des Bundes – Deutschland“) zu sehen; es war von der damaligen Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen bereits anlässlich des Equal Pay Day 2009 angekündigt worden. Ihre Nachfolgerin Kristina Schröder bietet es Unternehmen nun als „kostenloses Beratungspaket“ an. Es soll helfen herauszufinden, ob Entgeltunterschiede im Unternehmen bestehen, die auf das Geschlecht zurückzuführen sind (<www.logib-d.de>).

1. Betriebliche Überprüfungsverfahren sind erforderlich

Das Ministerium reagiert mit seinem Angebot auf Analysen, die festgestellt haben, dass wesentliche Gründe für die Entgeltungleichheit in den betrieblichen Entgeltstrukturen zu suchen sind (BT-Drs. 14/8952). Die Veränderung dieser Entgeltstrukturen ist tatsächlich ein durchaus kompliziertes Unterfangen, denn in der Regel hängen die Arbeits- und Tätigkeitsbewertungen aller Beschäftigten eng miteinander zusammen und die Entgeltgleichheit ist insofern auf breite Neubewertungen angewiesen.

Wie solche betrieblichen und überbetrieblichen Verfahren – die auch die Tarifparteien einschließen müssen – funktionieren könnten, dafür gibt es aufgrund zahlreicher Pilotprojekte mittlerweile viel Erfahrung. Spezialisierte Unternehmensberatungen bieten Know-how an (z.B. >www.gefa-forschung-beratung.de>) und seit längerem liegt ein Vorschlag vor, wie ein entsprechendes Überprüfungsverfahren verpflichtend gemacht werden könnte (<www.boeckler.de/pdf/wsi_pfarr_gesetzentwurf_entgeltgleichheit.pdf>). Eine solche gesetzliche Verpflichtung erscheint erforderlich, denn es ist nicht ersichtlich, dass die Unternehmen die Handlungsmöglichkeiten, die ihnen hier zur Verfügung stehen, bislang in nennenswertem Umfang genutzt haben: Die Entgeltungleichheit zwischen den Geschlechtern liegt in Deutschland weit über dem europäischen Durchschnitt und hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum verbessert (z.B. KOM(2008)10 endg. 13; KOM(2007)424, 21; KOM(2009)694; working staff document (SEC(2009)1706).

 

2. Logib-D als geeigneter Selbsttest?

Zum Teil mag die mangelnde Aktivität der Unternehmen mit Informationsdefiziten zu erklären sein. Ein Selbsttest, der über den Handlungsbedarf informiert, könnte insofern Sensibilität wecken und neben der Beratung ein erster Schritt zum Handeln sein. Misst man das Selbsttestinstrument Logib-D allerdings an diesen Zielen, so lässt sich feststellen, dass es keine brauchbaren Informationen liefert und das vorgegebene Ziel sogar konterkariert.

Das Instrument Logib-D soll aufgrund von Personaldaten den prozentualen Entgeltunterschied zwischen Frauen und Männern berechnen und dabei den Entgeltunterschied ausklammern, der durch „objektive Faktoren“ verursacht wird. Als „objektive“ Erklärungen von Entgeltdifferenzen verwendet Logib-D die Ausbildung, „Dienstjahre“, (potenzielle) Berufserfahrung, die berufliche Stellung im Betrieb sowie das Anforderungsniveau des Arbeitsplatzes. Das Instrument zeigt also eine diskriminierungsverdächtige Entgeltdifferenz nur dann an, wenn sie sich nicht mit diesen angeblich objektiven Faktoren erklären lässt.

Das Bundesfamilienministerium gesteht zwar zu, dass die so berechnete Entgeltlücke „nicht mit Diskriminierung gleichzusetzen“ sei. Damit hebt es sich positiv vom luxemburgischen Chancengleichheitsministerium ab, das ein gleichartiges Logib-Instrument anbietet (<www.mega.public.lu/actions_projets/ecart_salaire>). Dort wird behauptet, Logib könne sogar feststellen, ob für gleichwertige Arbeit gleiches Entgelt bezahlt werde. Das trifft jedoch nicht zu, denn selbstverständlich kann ein statistisches Instrument nicht als „Subsumtionsautomat“ des rechtlichen Entgeltgleichheitsgrundsatzes funktionieren.

Zutreffend ist auch die Vermutung, dass ein durch Logib-D aufgedeckter „unerklärlicher Rest“ der Entgeltdifferenz Handlungsbedarf anzeigt; er dürfte sogar ein Diskriminierungsindiz im Sinne von § 22 AGG darstellen. Das Hauptproblem liegt jedoch darin, dass der Test die Unternehmen trügerisch in Sicherheit wiegen kann, indem er bestehende Entgeltungleichheiten verschleiert. Denn die Kriterien, die Logib-D für „objektive“ Erklärungen von Entgeltdifferenzen ausgibt, sind selbst nicht diskriminierungsfrei. Das betrifft beispielsweise die Kriterien „berufliche Stellung im Betrieb“ und „Anforderungsniveau des Arbeitsplatzes“, deren Definition und Anwendung häufig von mittelbarer Diskriminierung geprägt ist. Logib-D klammert damit die geschlechtsdiskriminierende Bewertung von Tätigkeiten aus, die eine der Hauptursachen für Entgeltdiskriminierung darstellt. Im Kriterium der „Dienstjahre“ liegt sogar ein doppelter Diskriminierungsverdacht, nämlich wegen des Geschlechts (traditionelle Rolle in der Familie) und wegen des Alters. Logib-D kann also nur eine im Einzelfall eindeutige unmittelbare Diskriminierung erkennen.

Statt Unternehmen zu einer diskriminierungsfreien Bewertung von Tätigkeiten zu ermutigen, täuscht der Selbsttest über bestehende Entgeltdiskriminierung hinweg. Eine solche „Unterschätzung“ der Diskriminierung mag angebracht sein, wo an die Ergebnisse eines Tests gravierende Rechtsfolgen geknüpft werden; in der Schweiz, wo Logib entwickelt wurde, wird es z.B. für Kontrollen im Beschaffungswesen des Bundes nach Art. 8 Abs. 1 lit. c BoeB angewandt. Für eine freiwillige Selbsteinschätzung, die Unternehmen zu einer genaueren Analyse ermutigen und zu einer gesellschaftlich wirksamen Veränderung in den Betrieben beitragen soll, ist dies der falsche Weg. Zudem kann Logib-D den betroffenen Unternehmen schaden, indem es sie in falscher (Rechts)Sicherheit wiegt, da bei Entgeltgleichheitsklagen vor Gericht ganz andere Maßstäbe anzulegen sind. Auch bei der Erfüllung der Pflichten aus § 43 II 3 BetrVG dürften die Ergebnisse des Tests den Unternehmen kaum helfen.

Diese Befürchtungen haben sich übrigens bereits realisiert, wie sich aus einem SPIEGEL-Artikel vom 3. Februar 2010 ergibt („Familienministerin Köhler schafft per Mausklick Gerechtigkeit“). Dort wird Erik Schuchardt, Geschäftsführer des Kosmetikkonzerns Weleda, dahingehend wiedergegeben, dass er mit Hilfe von Logib-D herausgefunden habe, dass im Unternehmen „nur“ eine (im Vergleich zu 24% unterdurchschnittliche) Entgeltdifferenz von acht Prozent und deshalb kein Handlungsbedarf bestehe.

 

3. Informationsprobleme bei Einzelklagen

Mangels entsprechender Maßnahmen (in Betracht kommt insbesondere eine gesetzliche Verpflichtung der Unternehmen zur tatsächlichen Herstellung von Entgeltgleichheit), welche die tariflichen und betrieblichen Akteur(inn)e(n) wirksam in die Pflicht nehmen, werden so weiterhin Einzelklagen das einzig wirksame Instrument bleiben, um Prozesse zur Herstellung betrieblicher Entgeltgleichheit anzustoßen. Hier gibt es jedoch gravierende Informationsprobleme: Frauen, die ungleiche Bezahlung vermuten, verfügen häufig nicht über die notwendigen Informationen über die betrieblichen Entgeltstrukturen, um ihre Ansprüche geltend machen zu können. Deshalb verlangt Art. 21 Abs. 4 der Geschlechtergleichbehandlungsrichtlinie 2006/54/EG, dass die Arbeitgeber ersucht werden sollen, den Arbeitnehmer(inne)n und/oder den Arbeitnehmervertreter(inne)n in regelmäßigen, angemessenen Abständen Informationen über den Anteil von Frauen und Männern auf den unterschiedlichen Ebenen des Betriebs, ihr Entgelt sowie Unterschiede beim Entgelt zu geben. Entsprechende Informations- und Auskunftspflichten müssen im nationalen Recht gesetzlich geregelt werden.

 

4. Fazit

Das Selbsttestinstrument Logib-D liefert den Unternehmen Informationen, die zur Aufdeckung von Geschlechtsdiskriminierung beim Entgelt nicht geeignet sind. Es kann deshalb die Ziele, die es anstrebt, nicht erreichen.

Ohnehin dürften singuläre Maßnahmen, die nicht das gesamte Akteursfeld der Entgeltdiskriminierung ansprechen, kaum Erfolg versprechen. Wie wenig abgestimmt die Maßnahmen der Regierung sind, ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass die Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft (<www.bmfsfj.de/Politikbereiche/gleichstellung,did=6408.html>) keinerlei Vorschläge für Maßnahmen zur Herstellung von Entgeltgleichheit enthält, sondern selbst entgegen dem aktuellen Ansatz mit Logib-D immer noch davon ausgeht, dass die geschlechtsbezogenen Einkommensunterschiede allein durch eine deutliche Erhöhung des Beschäftigungsanteils von Frauen verringert werden könnten.

Ein Gesamtkonzept ist erforderlich, das auch andere Akteur(inn)e(n) – insbesondere Beschäftigte, Betriebs- und Tarifvertragsparteien – einbindet und sich zudem für die gesellschaftliche Aufgabe der Überwindung der Entgeltungleichheit nicht auf freiwilliges Handeln einzelner Unternehmen verlässt.

 

Jutta Wagner
Präsidentin

Prof. Dr. Marlene Schmidt
Vorsitzende der Kommission Arbeits-,
Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht