Stellungnahme: 14-01


zum migrations- und flüchtlingspolitischen Teil der Post-Stockholm-Strategie

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) ist ein Zusammenschluss von Juristinnen, Volks- und Betriebswirtinnen zur Fortentwicklung des Rechts (Civil Society Organization/NGO). Er ist unabhängig, überparteilich und überkonfessionell. Der djb wirkt vor allem an der Fortentwicklung des Rechts auf allen Gebieten und der Verwirklichung der Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frau in allen gesellschaftlichen Bereichen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene mit.

Anknüpfend an bisherige Stellungnahmen konzentriert sich der folgende Beitrag des djb zur Debatte zur Zukunft der Innenpolitik in den nächsten Jahren (Post-Stockholm) auf die Bereiche Migrationspolitik und Schutz von Flüchtlingen mit besonderem Schwerpunkt auf der Situation von Frauen und Minderjährigen.

Der djb erkennt die stark gewachsene Bedeutung der europarechtlichen Regelungen in den Bereichen Migration aus Drittstaaten und Flüchtlingsschutz für das nationale Recht an. Unter den Zielsetzungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und der Gemeinsamen Politik in Bezug auf Aufenthaltstitel sind die künftigen Fortschritte der Gemeinschaft in einer humanitär orientierten Migrations- und Flüchtlingspolitik von hoher Bedeutung für die Situation der besonders schutzbedürftigen Migrantinnen, der Kinder und der weiterhin in großer Zahl nach Europa flüchtenden unbegleiteten Minderjährigen aus Krisenregionen.

 

1. Flüchtlingsschutz der Mitgliedstaaten

Im Angesicht der Toten vor Lampedusa muss die europäische Flüchtlingspolitik in ganz wesentlichen Bereichen als gescheitert angesehen werden. Die europäische Gemeinschaft hat es bisher gemessen an ihren eigenen Ansprüchen – formuliert in der Genfer Flüchtlingskonvention und zuletzt im Stockholmer Programm – weder leisten können, einheitliche Standards für Flüchtlinge in den einzelnen Mitgliedstaaten zu gewährleisten (Stichwort Griechenland, Italien), noch hat sie die sich immer wieder vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielenden Katastrophen mit ungezählten Todesopfern im Mittelmeer verhindern können.

Dabei sind von den prekären Aufnahmebedingungen immer auch in besonderem Maße Frauen und ganz besonders Frauen mit Kindern betroffen. Diese sind in den Flüchtlingslagern Nordafrikas beträchtlich von sexueller Gewalt und Ausbeutung bedroht; auf den Schiffen im Mittelmeer zählen sie zu den Schwächsten, was sich – sollten sie die Grenzen Europas überschreiten können – in den Flüchtlingslagern vor Ort fortsetzt. In den großen Flüchtlingslagern der Hauptherkunftsregionen (Nord- bzw. Ostafrika, Syrien/Jordanien) sind Frauen und Mädchen nach Berichten von Flüchtlingsorganisationen einer alltäglichen sexuellen Gewalt ausgesetzt; sie werden häufig zur Prostitution gezwungen und laufen Gefahr, Opfer von Menschenhandel zu werden. Die Gefahren einer Einreise in die „Festung Europa“ macht es gerade Frauen und Minderjährigen als schwächster Personengruppe schwer, den Bedingungen in derartigen Lagern zu entfliehen; je hürdenreicher und gefährlicher es ist, sichere Aufnahmeregionen zu erreichen, desto stärker werden die Chancen von Frauen, Kindern und Minderjährigen vermindert, sich auf die Flucht zu begeben und letztendlich angemessenen Schutz zu finden.

Der djb sieht daher erheblichen Handlungsbedarf in folgenden Bereichen:

  • Die Europäische Union ist angesichts der sich im Mittelmeer abspielenden Katastrophen aufgerufen, das System des Flüchtlingsschutzes der Gemeinschaft neu auszurichten, wobei die Politik der immer höher wachsenden Grenzzäune sowie des effektiveren Zurückdrängens der Flüchtlingsboote durch Frontex keine dem Migrationsdruck der Flüchtenden angemessenen und ausreichenden Maßnahmen darstellen.
  • Ohne Blick auf die Verhältnisse in den nordafrikanischen Flüchtlingslagern und den Migrationsdruck aus den Herkunftsländern werden sich immer wieder Flüchtlinge auf den gefährlichen Weg über die Grenzzäune oder das offene Meer begeben.
  • Frontex darf nicht die Kompetenz zugeschrieben werden, pauschal auf hoher See zu entscheiden, wer in Europa um Flüchtlingsschutz nachsuchen darf und wer nicht. Es ist klarzustellen, dass Frontex-Einsatzkräfte nicht über die Entscheidungsgewalt verfügen, Flüchtlinge vom Zugang zu einem Asylverfahren innerhalb der Gemeinschaft abzuhalten.
  • Fischern, die in Seenot geratene Flüchtlinge retten und an Land bringen, darf nicht der Prozess wegen Schleuserei gemacht werden.
  • Die Gemeinschaftspolitik an den Außengrenzen und insbesondere die Arbeit von Frontex und EUROSUR muss neben dem Schutz der Grenzen konsequent auf den Schutz von Flüchtlingen, insbesondere der Verletzlichsten unter ihnen – Frauen, Kinder und unbegleitete Minderjährige – ausgerichtet werden. Die Rettung dieser Menschen aus Gefahrensituationen und ihre Unterstützung bei der Geltendmachung ihres Rechts auf Zugang zu einem fairen Asylverfahren muss – im Einklang mit den menschenrechtlichen Werten der Gemeinschaft – oberstes Ziel jeglicher Aktivitäten der EU sein.
  • Vereinbarungen mit Drittstaaten wie derzeit der Türkei hinsichtlich der Rücknahme von Migranten dürfen nicht dazu führen, dass diese an der Geltendmachung ihrer Schutzrechte gehindert werden.
  • Der sichere Zugang zum Gebiet der Gemeinschaft muss Schwerpunkt der künftigen Migrationspolitik der EU sein.
  • Nicht nachlassenden Flüchtlingsströmen aus Krisen- und Armutsregionen in die EU kann durch eine Verlagerung der Prüfung, ob die Betroffenen zu einem Asylverfahren auf dem Territorium eines Mitgliedstaates Zugang erhalten sollen, hin zu Visaverfahren auf dem Gebiet der Heimat- bzw. Fluchttransitstaaten angemessen Rechnung getragen werden. Insofern sollten Konzepte der geschützten Einreise insbesondere von besonders vulnerablen Personen, die eine Beantragung von Asyl auch von außerhalb der EU ermöglichen, entwickelt und erprobt werden (vgl. Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 04.12.2013 – IP/13/1199; ebd. sowie Kommission, Communication v. 04.12.2013 – COM(2013) 869 final).
  • Bei der Prüfung, welche Personen regulär und sicher zur Aufnahme in ein Asylverfahren innerhalb der Gemeinschaft einreisen dürfen, ist den besonderen frauenspezifischen Fluchtgründen der sexuellen Ausbeutung sowie der erhöhten Schutzbedürftigkeit von Frauen und Minderjährigen auf ihrem Fluchtweg durch eine Priorität für diese Personengruppen angemessen Rechnung zu tragen.
  • Hinsichtlich der Bestimmung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaates muss sich Europa ein an den Grundsätzen der Solidarität, der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Achtung der Menschenrechte orientiertes Verteilungssystem schaffen, das sich von den Unzulänglichkeiten des bestehenden Dublin II bzw. III Systems verabschiedet.
  • Für alle Flüchtlinge, insbesondere aber auch für Frauen mit Kindern oder Minderjährige, ist es wichtig, an einen sie unterstützenden Kontext anknüpfen zu können, so dass es auch der Zielsetzung einer gelingenden ökonomischen und gesellschaftlichen Integration von MigrantInnen entgegenkommt, ihnen so weit wie es die Belastungsgleichheit der Mitgliedstaaten erlaubt, den Aufenthalt an dem Ort ihrer Wahl zu ermöglichen.
  • Soweit dies aus innereuropäischen Lastenverteilungsgesichtspunkten möglich erscheint, sollte entsprechend dem unter den Ländern der Bundesrepublik Deutschland praktizierten System (Königsteiner Schlüssel, siehe Untersuchung Prof. Dr. Thym) ein solidarischer Ausgleich unter den Mitgliedstaaten der EU nach einem Verteilungsschlüssel angestrebt werden, der die Finanzkraft und Landesgröße berücksichtigt. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass eine finanzielle Lastenverteilung nicht mit einer Änderung des Aufenthaltsortes der Flüchtlinge einhergehen muss.

 

2. Integration und Familiennachzug von Migrantinnen und Minderjährigen

Zu der geplanten Reform der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) hat der djb eine ausführliche Stellungnahme vom 1. März 2012 abgegeben (vgl. www.djb.de/Kom/K5/st12-1/), die inhaltlich weiterhin Bestand hat. Zusammenfassend ist der djb der Auffassung, dass Anforderungen im Hinblick auf eine verbesserte Integration von Familienangehörigen im Aufnahmestaat nicht in Form rechtlicher Einreisevoraussetzungen, sondern durch Maßnahmen nach der Einreise errichtet und insbesondere durch ausreichende Förderangebote unterlegt werden sollten. Weiterhin setzt sich der djb für eine konsequente und strikte Angleichung der rechtlichen Situation der laut der Qualifikationsrichtlinie subsidiär Schutzberechtigten an diejenige der Flüchtlinge ein sowie für die Einbeziehung weiterer Familienangehöriger (jenseits der Kernfamilie) in die Regelungen der Familienzusammenführung.

 

3. Verbesserung der Situation besonders Schutzbedürftiger in ihrer Herkunftsregion

Die Eindämmung der Fluchtursachen und der Ursachen von Armutsmigration sollte eine vorrangige Priorität bei allen Kooperationsprogrammen und -abkommen der EU mit Drittländern erhalten. Bei der Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitdrittländern innerhalb des Rahmens des Global Approach to Migration and Mobility (GAMM) der EU sind alle Mittel auszuschöpfen, um die Entwicklungsbedingungen und die Einkommenssituation vor Ort u.a. durch die Förderung einkommenserzeugender Projekte mit spezifischem Schwerpunkt auf einer nachhaltigen Verbesserung der Situation von Frauen zu fördern. Es ist nicht nur effektiver, sondern auch unter humanitären Aspekten geboten, den Schwerpunkt der von der EU aufgewendeten Mittel im Zusammenhang mit Migration in die EU auf die Bereiche der Armutsbekämpfung und in diesem Kontext der Förderung von Frauen, die den Unterhalt für sich und ihrer Familien erwirtschaften, zu verlagern. Der djb begrüßt die Ankündigung der Kommission, im Rahmen ihrer humanitären Hilfe den Schutz von Frauen und Mädchen in Drittländern gegen Ausbeutung und Gewalt auszuweiten und diese besonders schutzbedürftigen Personen auch bei der Hilfe für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien besonders in den Fokus der Hilfe der EU zu rücken (vgl. Kommission, MEMO/13/82 v. 09.10.2013).

 

4. Aufenthaltsrecht und Opfer von Menschenhandel

Die Situation von Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, ist besonders in den Blick zu nehmen. Es ist darauf zu dringen, dass die Mitgliedstaaten alle hierzu erlassenen Richtlinien zeitnah umsetzen und insbesondere gewährleisten, dass Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, ausreichende Schutzprogramme zur Seite gestellt werden und sie gesicherte Aufenthaltsrechte erhalten. Nach Auffassung des djb sollte zeitnah evaluiert werden, ob die auf den Weg gebrachten Richtlinien ausreichend sind, um den betroffenen Frauen genügend Schutz zu gewähren.

 

Ramona Pisal
Präsidentin

Sabine Overkämping
Vorsitzende der Kommission Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht