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Editorial 2024: 1

Eine feministische Sicht auf das Wohnen 

 

Raum und städtische öffentliche Räume sind nie neutral – diese Erkenntnis hat sich in der Stadtforschung früh durchgesetzt.[1] Gleichzeitig kommt gerade der Raumkategorie Wohnung eine hervorgehobene Bedeutung für das menschliche Dasein zu. Das Bundesverfassungsgericht betrachtet die Wohnung als „Mittelpunkt der menschlichen Existenz“[2], welcher der einzelnen Person im Hinblick auf ihre Menschenwürde nicht nur als elementarer Lebensraum dienen, sondern auch ihre freie Entfaltung gewährleisten soll.[3] Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für die Lage der Wohnung, etwa in Bezug auf die Entfernung zu kulturellen Einrichtungen, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten und Naherholungsgebieten oder die Erreichbarkeit mit öffentlichem Nahverkehr.[4]

Vor diesem Hintergrund ist es geboten, Räume genderspezifisch zu betrachten und die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit von gesetzlichen Bestimmungen aufzuwerfen, die das Wohnen und unsere städtischen Räume prägen. Im ersten Beitrag des Fokus zeichnen Pia Lange, Cara Röhner und ich daher ein Panorama dieser vielfältigen Rechtslandschaft. Mary Dellenbaugh-Losse vertieft im Interview die Gender-Dimension der Bauleitplanung und zeigt Möglichkeiten auf, dem Sicherheitsempfinden von Frauen im öffentlichen Raum Rechnung zu tragen und damit mehr Teilhabe am öffentlichen Raum zu ermöglichen. Intersektionale Dimensionen des Wohnens und der Wohnungslosigkeit werden von Banu Çıtlak und Claudia Steckelberg ausgeleuchtet: Ihre Beiträge thematisieren die besonderen Bedürfnisse von Frauen mit sogenanntem Migrationshintergrund sowie insbesondere die Bedürfnisse queerer Frauen, die von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht sind. Im Interview macht Julia Preidel vom Bundesverband alleinerziehender Mütter und Väter schließlich darauf aufmerksam, welche besonderen Wohnbedürfnisse Alleinerziehende haben und wie diesen verstärkt Rechnung getragen werden kann.

Das Ziel einer geschlechtergerechten Gesellschaft werden wir nur erreichen, wenn wir alle Dimensionen unseres privaten, beruflichen und gesellschaftlichen (Zusammen)Lebens durchleuchten und auch die zugrundeliegenden rechtlichen Regelungen auf verfestigte, mitunter nicht gleich erkennbare Stereotype prüfen. Die Debatte über die Genderdimension des Wohnens, die in anderen Disziplinen wie der Stadtplanung bereits vertieft geführt wird, auch rechtspolitisch anzustoßen, ist deshalb das Anliegen des nachfolgenden Fokus. Auf die weitere Debatte ist der djb gespannt. Eines ist sicher: Egal ob gläserne Decken oder solche aus Beton – der djb wird Benachteiligungen von Frauen auch im Jahr 2024 klar benennen und sich mit Nachdruck für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen.                                                                                                   

In der Rubrik „Berichte“ können wir uns mit der Festrede von Prof. Dr. Elisabeth Holzleithner zunächst noch einmal an den 45. djb-Bundeskongress zurückerinnern. Antonia Vehrkamp erklärt, warum wir im djb den Begriff der „schwangeren Person“ verwenden und Sylvia Cleff Le Divellec und Hannah Donner erklären, wie die Freiheit, einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu lassen, in die französische Verfassung kam. Darauf folgen gleich drei Rezensionen von Jaqueline Sittig, Nora Tuchelt und Toni Meiswinkel.

Berufswege zeigen nicht nur Armine Usojan und Anna-Julia Saiger auf, die in der Rubrik „Ausbildung“ von ihren Erfahrungen als junge Juristinnen in den EU-Institutionen berichten – im „Porträt“ erzählt Inken Gallner von ihrem Weg an die Spitze des Bundesarbeitsgericht.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!

 

Dr. Jana Schollmeier
Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich

 


[1] Vgl. DBZ 70 Jahre, 71. Jg. 2023, Architektur und Sorgearbeit, S. 76.

[2] BVerfGE 18, 121 (131 f.).

[3] BVerfGE 42, 212 (219); BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18.07.2019 – 1 BvL 1/18 –, juris, Rn. 82.

[4] BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 18.07.2019 – 1 BvL 1/18 –, juris, Rn. 82.