Editorial 2022/3
Ein Jubiläum mit Auftrag für die Zukunft
Vor 100 Jahren, am 11. Juli 1922, beseitigte das „Gesetz über die Zulassung der Frauen zu den Ämtern und Berufen in der Rechtspflege“ (Reichsgesetzblatt 1922 I, S. 573) endlich die formalen Hindernisse, gewährte Frauen Zugang zu den Staatsexamina und somit endlich auch zu den juristischen Berufen. Damit wurde ein Hauptziel unseres 1914 gegründeten Vorgängerinnenvereins, dem Deutschen Juristinnen-Verein e.V. (DJV) erreicht und das wichtige Fundament für unsere bis heute andauernde Arbeit gelegt. 2022 blicken wir mit der Kampagne „100 Jahre Frauen in juristischen Berufen“, finanziell gefördert vom Bundesministerium der Justiz (BMJ), auf unsere Vorkämpferinnen zurück, ziehen nach 100 Jahren Frauen in juristischen Berufen Bilanz und setzen uns damit auseinander, welche Fragen uns heute und in Zukunft am stärksten beschäftigen werden.
Am 11. Juli 2022, dem Jahrestag des Gesetzes, haben wir dies im Rahmen der Festveranstaltung im BMJ getan. Der Fokus dieser Ausgabe bildet diesen Festakt ab. In ihrer Begrüßung (Seite 106) legt Staatssekretärin Dr. Angelika Schlunck einen Fokus auf die Gleichberechtigung in den juristischen Berufen und darüber hinaus als Errungenschaft und Pfeiler unseres Rechtsstaats. In meiner Begrüßung (Seite 107) blicke ich auf die ersten Juristinnen und das ehrwürdige Jubiläum zurück, um daraus unseren Auftrag für die Gegenwart und Zukunft abzuleiten.
Professorin Dr. Marion Röwekamp, die die Kampagne als Rechtshistorikerin wissenschaftlich begleitet und berät, zeigt in ihrem Statement zu „100 Jahre Frauen in juristischen Berufen“ (Seite 109) auf, wie wichtig der Kampf der ersten Juristinnen war und wie groß und nachhaltig ihr Erfolg war.
Dabei zeichnet sie aber auch nach, wie kurz die Zeit der ersten Juristinnen mit Blick auf die Jahre zwischen 1933 und 1945 war. Da sich die Kampagne im Besonderen an junge Jurist*innen wendet, freue ich mich sehr, dass Lucie Schultz, von Juli bis Ende September 2022 Referendarin in der djb-Geschäftsstelle in Berlin, fünf Punkte zusammengefasst hat, die sie aus der Diskussion für ihren beruflichen und frauenrechtspolitischen Weg mitgenommen hat (Seite 111).
Weiterhin finden im Rahmen der Kampagne zehn Veranstaltungen an historisch-relevanten Universitäten statt. Am 2. Juni 2022 lud der Lehrstuhl von Professorin Dr. Ute Sacksofsky unter dem Titel „100 Jahre Frauen in juristischen Berufen: Formale Gleichheit und materielle Ausschlüsse“ Interessierte an die Universität Frankfurt ein. Dr. Sibylla Flügge, Professorin im Ruhestand, hielt in diesem Rahmen einen fundierten Vortrag (Seite 112), der Grundlage für eine fruchtbare Paneldiskussion bot.
Ein Ziel der Kampagne ist es, die ersten Juristinnen zu würdigen, die in bis dahin in Deutschland reine Männerdomänen vorgedrungen sind. Zu diesen zählt zum Beispiel Dr. Marie Munk, die erste Beschäftigte im preußischen Justizdienst und Mitgründerin unseres Vorgängervereins. Die Kampagne wirft auch Schlaglichter auf Professorin Dr. Magdalene Schoch, die erste rechtswissenschaftliche Habilitandin und die erste Richterin am Bundesverfassungsgericht Dr. Erna Scheffler. Wir gedenken der vielen jüdischen Kolleginnen, die verfolgt und ermordet wurden. Wir zeigen aber auch, dass es unter den ersten Juristinnen Täterinnen gab. Unsere Vorgängerinnen verdienen und verlangen einen differenzierten Blick. Das gilt auch für die erste deutsche (und weltweite) Justizministerin Hilde Benjamin. Mit der schwierigen Erinnerung an sie befasst sich der Text „Hilde Benjamin – die erste Justizministerin der Welt“ (Seite 116) von Amelie Schillinger, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit der djb-Geschäftsstelle, Berlin.
Juristinnen haben sich in den letzten 100 Jahren gegen viele Widerstände durchgesetzt. Wie weit wir bereits gekommen sind, verdanken wir diesem Willen zum Widerspruch, im Großen und im Kleinen. Ein Beispiel dafür ist der mutige Redebeitrag unserer Kollegin Helga Achatzi beim Deutschen Juristentag 1974 (Seite 121). Auf den Schultern unserer Vorgängerinnen stehend bleibt für uns viel zu tun.
Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin des djb