Editorial 2022/1
44. djb-Bundeskongress: Gleichstellung & Demokratie
Treffend hat unsere Präsidentin Prof. Dr. Maria Wersig in ihrer Eröffnungsrede zum 44. Bundeskongress zu „Gleichstellung und Demokratie“ darauf hingewiesen, dass die paritätische Verteilung von Macht – nicht nur in der Politik, sondern in allen Bereichen unserer Gesellschaft – für eine Welt ohne Diskriminierung und der gleichen Chancen unerlässlich ist. Mit seiner thematischen Ausrichtung ist der Bundeskongress ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Hälfte der Macht, den sich Frauen – darauf haben auch Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Doris König in ihrem Festvortrag und die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz sowie Familien, Senioren, Frauen und Jugend Christine Lambrecht in ihrem Grußwort hingewiesen – immer wieder erstreiten müssen.
Ausgegangen ist der Bundeskongress von der Annahme, dass Demokratie Partizipation gebietet und die Möglichkeit zur Partizipation allen Geschlechtern gleichermaßen eröffnet sein muss. Daraus folgt insbesondere, dass Frauen die gleichen Chancen haben müssen wie Männer, an Entscheidungen mitzuwirken und Macht ausüben. Das gilt zunächst für die Parlamente als zentrale Organe demokratischer Macht, aber auch für Justiz und Verwaltung sowie wesentliche Schaltstellen der Gesellschaft wie Wirtschaft, Kultur und Sport, wo ebenfalls Macht ausgeübt wird. Dass die immer noch vorherrschende ungleiche Verteilung von Macht auch in Hinblick auf Art. 3 Abs. 2 GG ein Zustand ist, der überwunden gehört, war Konsens auf dem Panel „Gleiche Verteilung von Macht“. Bei der Erörterung effektiver gesetzlicher Maßnahmen wurde neben Paritätsgesetzen und Quoten Fragen der Vereinbarkeit eine große Bedeutung beigemessen.
Einen wichtigen Beitrag in der Demokratie leistet die Zivilgesellschaft, zu der auch wir als Deutscher Juristinnenbund e.V. gehören. In den letzten Jahren lässt sich auch aus globaler Perspektive eine zunehmende Einschränkung zivilgesellschaftlicher Handlungsspielräume verzeichnen, die vor allem im internationalen Rechtskontext als „Shrinking Spaces“ bezeichnet wird. Die Einschränkungen greifen in fundamentale (Menschen-)rechte wie die Versammlungs-, Meinungs- und Pressefreiheit ein und zeigen sich sowohl in gesetzlichen und administrativen Hürden, aber auch in mittelbaren Einschränkungen durch eine sich polarisierende Gesellschaft. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Frauen und feministische Gruppierungen oft an der Spitze zivilgesellschaftlicher Bewegungen stehen und dadurch ungleich stärker von Repressionen und Regressionstendenzen betroffen sind, insbesondere wenn sie mehrere Identitätsachsen aufweisen. Diesen „Shrinking Spaces“ sind wir mit dem „Panel Opening Spaces – Räume für eine feministische Zivilgesellschaft“ entgegengetreten und konnten sehen, wie sich innerhalb der Zivilgesellschaft ein immenses emanzipatorisches Potenzial entfaltet.
Dieses wird leider bedroht durch Demokratiegefährdungen in Gestalt von rechtsradikalen Einstellungen und Aktivitäten von bzw. für Frauen, die sich zu Lasten einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen auswirken, und schwerwiegenden Angriffen auf die Persönlichkeitsrechte von Frauen. Die Öffentlichkeit und insbesondere das Internet als „Radikalisierungsmaschine“ mit seiner Anonymität sind kein sicherer Raum für Frauen, deren außerparlamentarische demokratische Teilhabe daher beeinträchtigt wird. Auf dem Panel „Feminismus im Kampf um Demokratie - Gefahren und Potenziale“ wurden all diese Demokratiegefährdungen sichtbar gemacht und Defizite bei ihrer Bekämpfung angemahnt, zugleich aber auch das emanzipatorische Potenzial des Rechts fruchtbar gemacht.
Durch all die vielfältigen hochkarätigen und inspirierenden Beiträge konnten wir unsere Perspektiven erweitern, neue Impulse für unsere Arbeit gewinnen sowie unsere rechtspolitischen Forderungen präziseren, erweitern und fortentwickeln. In diesem Heft sollen die Diskussionen und Erkenntnisse des Kongresses vermittelt und in Hinblick auf die zukünftige rechtpolitische Arbeit furchtbar gemacht werden. Nach einer Einführung von Prof. Dr. Margarete Schuler-Harms zum Spannungsfeld von Gleichberechtigung und Demokratie sowie der verfassungsrechtlichen Debatte werden die Themen Demokratische Inklusion durch Recht, Ressourcen für die Zivilgesellschaft, Bekämpfung von Diskriminierung als essentieller Bestandteil von Krisenprävention, Strategische Prozessführung als Mittel zur Öffnung von Räumen und die gemeinsame Umwandlung von „Shrinking Spaces“ für eine feministische Zivilgesellschaft in „Opening Spaces diskutiert. Ich wünsche Ihnen eine interessante und erkenntnisreiche Lektüre der sehr inspirierenden Beiträge.
PD Dr. Sina Fontana, MLE
Vorsitzende der Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht, Gleichstellung