Editorial 2021/2
Familienformen im Wandel – Reformbedarf im Erbrecht?
Zeiten ändern sich und damit auch Lebensformen. Die klassische Kernfamilie, Vater – Mutter – Kind, entspricht immer weniger der Lebenswirklichkeit.
Familie ist vielmehr dort anzutreffen, wo Kinder sind, gleichgültig, ob es sich um leibliche Kinder, um Adoptivkinder, Stief- oder Pflegekinder oder um nichteheliche Kinder handelt und auch unabhängig davon, ob sie aus einer oder mehreren Ehen oder nichtehelichen Lebenspartnerschaften hervorgegangen sind.
Neben der rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung, der Mehrelternschaft oder auch der häufig als diskriminierend empfundenen Stiefkindadoption in gleichgeschlechtlichen Ehen, gibt es noch einige andere „Baustellen“, die der Gesetzgeber in den Blick nehmen sollte, so insbesondere das Erbrecht.
Das aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert stammende Bürgerliche Gesetzbuch hat gerade im Erbrecht kaum Reformen durchlaufen und hält für die beschriebenen Familienformen und Kontexte keine adäquaten Lösungen im Erbfall bereit. Hatte im vergangenen Jahrhundert die Absicherung und Ausbildung der Kinder Priorität, stellen sich aktuell eher andere Fragen, so beispielsweise, ob der*die überlebende Ehepartner*in, wegen der statistisch höheren Lebenserwartung in der Regel noch immer die Ehefrau, im Erbfall ausreichend geschützt ist.
Von besonderer Bedeutung ist in diesen Veränderungen unterliegenden Lebensformen das Erbrecht der Ehefrau, und zwar im Hinblick auf das Erb- und Pflichtteilsrecht der (jeweiligen) Kinder. Das beschriebene Spannungsverhältnis stand im Fokus der Veranstaltung, die im Kontext einer Diskussion den rechtsvergleichenden Blick nach Österreich, Italien, Frankreich und Belgien öffnete.
Deutlich wurde, dass der Güterstand einen nicht unerheblichen Einfluss sowohl auf das Erbrecht der Ehefrau wie auch auf den möglichen Verbleib beispielsweise im Familienheim hat. Die europäischen Nachbarländer haben zum Teil Lösungsansätze verwirklicht, die dem*der überlebenden Ehepartner*in einen dauerhaften Verbleib in der Familienwohnung sichern, ggf. mit einer Abfindungslösung bei vorzeitigem „Räumen“.
Der nationale Gesetzgeber kann diese Gestaltungsmöglichkeiten jedoch nicht unreflektiert im Verhältnis 1:1 übernehmen, wie im Verlauf der Veranstaltung deutlich wurde. Denn zum einen ist der gesetzliche Güterstand in Deutschland die Zugewinn- und (gerade) nicht die Errungenschaftsgemeinschaft und zum anderen ist es ratsam, das Steuerrecht im Blick zu behalten, da es echte „Fallstricke“ beinhaltet.
Ob unabhängig vom Erbrecht der Ehepartner*innen das Pflichtteilsrecht in seiner geltenden Fassung noch zeitgemäß ist, ist ebenso lebhaft wie kontrovers diskutiert worden. Die Diskussion wurde dabei in „zwei Richtungen“ geführt. So ist zum einen kritisch hinterfragt worden, ob ein Pflichtteilsrecht der Eltern angesichts der Lebenszuschnitte (noch) notwendig ist und zum anderen, ob das Pflichtteilsrecht der Kinder im Fall des Kontaktabbruchs eingeschränkt werden sollte. Allerdings wird in diesem Zusammenhang dann auch über (Folge-)Änderungen im Hinblick auf den Anspruch auf Elternunterhalt nachzudenken sein.
Das Programm abgerundet hat eine verfahrensrechtliche Fragestellung, nämlich ob ein „Großes Nachlassgericht“ nicht überfällig sei. Denn seit dem 68. Deutschen Juristentag (2010) ist mit Ausnahme einer Initiativstellungnahme des Deutschen Anwaltvereins (2017) der Gedanke weder von der Fachwelt noch vom Gesetzgeber wieder aufgegriffen worden.
Ein Resümee zu ziehen ist angesichts der Vielschichtigkeit der Problemstellungen schwierig. Länderübergreifend wird Reformbedarf gesehen, insbesondere im Hinblick auf langjährige, nichtehelichen Partnerschaften und deren Absicherung im Erbfall. National gesehen ist sicherlich das Pflichtteilsrecht „sanierungsbedürftig“, um im Bild zu bleiben. Reformüberlegungen sollten hier zeitnah angestellt werden. Eine Absicherung überlebender Ehepartner*innen ist bezogen auf das Familienheim dringend notwendig, jedoch nicht ohne begleitende steuerrechtliche Änderungen.
Ein besonderer Dank gilt abschließend den Mitarbeiter*innen des Lehrstuhls, die für einen technisch reibungslosen Ablauf der virtuellen Veranstaltung gesorgt haben.
Brigitte Meyer-Wehage
Vorsitzende der Kommission für Zivil-, Familien- und Erbrecht,
Recht anderer Lebensgemeinschaften
Prof. Dr. Katharina Lugani
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf