djbZ


Editorial 2021/1

30 Jahre Deutsche Einheit

 

In diesem Heft schauen wir zurück auf 30 Jahre deutsche Einheit und auf die gemeinsame Geschichte der Frauen und Frauenrechte in Ost und West. Die Umbruchzeit nach 1989 und die strukturellen Ungleichheiten, die daraus noch immer folgen[1], das teilweise Unverständnis, aber auch Annäherungen und Solidarität unter Frauen[2], sowie von Juristinnen in Ost und West – all das ist auch Teil unserer Verbandsgeschichte und der Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, wie das Interview mit Almuth Kollmorgen vor Augen führt.[3]

Die Beiträge dieses Heftes richten den Blick auf das Erbe der Frauenrechte in der DDR, die theoretischen Grundlagen der Frau im Sozialismus[4], auf die Jahre nach der Wende und den Beitritt der DDR, auf Recht und Unrecht in der Justiz der DDR[5], kleine Geschichten und große Debatten bis hin zur Änderung des Grundgesetzes im Sinne der Frauen. Wie immer saßen djb-Frauen auch bei diesen entscheidenden Momenten der Geschichte prägend mit am Tisch, wie der Abschlussbericht der djb-Verfassungskommission aus dem Jahr 1993 von der Kommissionsvorsitzenden Antje Sedemund-Treiber eindrücklich zeigt.[6] Nicht alle Forderungen haben wir durchsetzen können – beispielsweise die Forderung nach dem straflosen Schwangerschaftsabbruch für die Frau, die der djb 1991 ins Spiel brachte, woran Professorin Ulrike Lembke in diesem Heft lesenswert erinnert.[7]

Für mich sind die letzten 30 Jahre natürlich auch Teil meiner ganz privaten Lebensgeschichte. Ich war mit meiner Mutter nach dem Klavierunterricht auf Montagsdemonstrationen. Das Jurastudium und viele andere Chancen in meinem Leben wären mir ohne die „Wende“ mit Sicherheit verwehrt geblieben. Daran muss ich natürlich denken, wenn Jubiläen gefeiert werden und ich frage mich, ob und wie ich mich hätte arrangieren können mit einem Staat, in dem die Menschen nicht in Freiheit lebten und der meinen Eltern in entscheidenden Jahren ihres Lebens alle Entwicklungsmöglichkeiten vorenthielt.

Gleichzeitig bin ich der Überzeugung, dass die Aspekte von Gleichberechtigung, die für Frauen in der DDR eine Selbstverständlichkeit waren, nach 1990 einen enormen Modernisierungsschub in den Geschlechterverhältnissen unseres Landes erreicht haben. Gerade im Hinblick auf ökonomische Unabhängigkeit, Erwerbsarbeit von Frauen und die Verfügbarkeit öffentlicher Kinderbetreuungsinfrastrukturen, war der Osten deutlich progressiver als der Westen. Eine kritische Bestandsaufnahme der sozialen Rechte von Frauen in der DDR nehmen in diesem Heft Christine Fuchsloch, Susanne Hüttmann Stoll[8] und Doris Armbruster[9] vor.

Wenn ich mir eine Sache wünschen darf, als Präsidentin dieses Verbandes mit einer Ost-Biografie: Streichen wir den Begriff der „neuen Länder“ aus dem politischen Wortschatz. Der einzige Maßstab der Zeitmessung, der für uns als Menschen irgendeinen Sinn macht, ist der Bezug zu den Jahren unserer eigenen Lebensspanne. Und aus dieser Perspektive muss ich feststellen: Wenn man 30 Jahre irgendwo lebt, dann ist man nicht mehr „neu“, dann gehört man dazu, selbstverständlich und gleichberechtigt.

 

Prof. Dr. Maria Wersig


Präsidentin

 


[1] Siehe S. 31-35.

[2] Siehe S. 25-26.

[3] Siehe S. 26-28.

[4] Siehe S. 15-18.

[5] Siehe S. 21-25.

[6] Siehe S. 18-21.

[7] Siehe S. 9-12.

[8] Siehe S. 1-5.

[9] Siehe S. 5-9.