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Editorial 2020/4

Corona: Mit Abstand zur Geschlechtergerechtigkeit

 

„Covid-19 - Beschleuniger der Ungleichheit“ titelt Zeit Online treffend im Mai 2020.[1] Denn wenngleich alle Menschen sich mit Covid-19 anstecken können, treffen sowohl das Virus selbst als auch seine Folgen nicht alle in gleicher Weise. Aufgrund von diskriminierenden Arbeitsmarktstrukturen, der ungleichen Verteilung von Sorgearbeit und den für Frauen höheren Risiken häuslicher und sexualisierter Gewalt verschärfen sich insbesondere geschlechtsbezogene Benachteiligungen im Zuge der Pandemie. Die Krise zeigt eindringlich, dass diese intersektional mit sozio-ökonomischen sowie herkunftsbasierten Ungleichheiten, verwoben sind. So waren - während Vermögen von Milliardär*innen auf Rekordwerte anstiegen[2] - die Auswirkungen der Corona-Krise für Frauen in ohnehin ökonomisch benachteiligten Situationen, die z.B. alleinerziehend sind und/oder in Geflüchtetenunterkünften leben, vielmals existenziell.

Der Artikel „Soziale (Ab-)Sicherung für Frauen in Zeiten von Corona: Lockdown für die Gleichstellung?! “ von Prof. Dr. Susanne Dern, Prof. Dr. Dorothee Frings und Dr. Ulrike Spangenberg beschäftigt sich vor diesem Hintergrund mit der politischen Handhabung der Krise und beleuchtet, inwieweit die Maßnahmen der Bundesregierung zur Absicherung in sozialen Notlagen strukturellen Ungleichheiten entgegensteuern, wie beispielsweise das Kurzarbeitergeld oder Entschädigungszahlungen bei Verdienstausfällen.

Dass in der Corona-Zeit bei vielen Arbeitsstellen die Möglichkeit zum Homeoffice ausgebaut wurde, ist in diesem Jahr vielfach medial als feministische Errungenschaft des Lockdowns thematisiert worden. Es heißt, im Homeoffice lassen sich Beruf und Familie leichter vereinbaren – sowohl während der Krise als auch darüber hinaus. Dies bestätigte u.a. eine Studie des Deutschen Instituts für Wissenschaftsforschung, die Ende Juli 2020 zu dem Ergebnis kam, dass die Arbeits- und Lebenszufriedenheit sich bei Erwerbstätigen mit Kindern, insbesondere Müttern, die im Homeoffice arbeiteten,  erhöhte.[3] Gleichwohl profitieren von dieser Entwicklung lediglich 57 Prozent der Haushalte mit zwei erwerbstätigen Eltern. Unter erwerbstätigen Alleinerziehenden üben nur 35 Prozent Berufe mit sog. Home-Office-Potential aus.[4] Der Frage, unter welchen Bedingungen mehr Homeoffice dennoch aus genderpolitischer Sicht erstrebenswert ist und inwieweit bestehende Ungleichheiten damit überwundern werden können, geht Vanessa von Wulfen nach.

Neben (oder vielmehr verknüpft mit) ihren sozialen Auswirkungen hat die Corona-Krise auch diskriminierende Strukturen in der Wissenschaft zu Tage gefördert. „Während die zusätzlichen Betreuungsaufgaben während des „Lockdowns“ und im Homeoffice überwiegend von Frauen übernommen wurden, sitzen an den entscheidenden Stellen in Politik und Wissenschaft nach wie vor überwiegend Männer.“, so kritisieren Sarah Cichon und Dr. Ruth Weber mit Bezug auf die fast ausschließlich männlich besetzte Expert*innengruppe der Leopoldina, der nationalen Akademie der Wissenschaften. In ihrem Beitrag nehmen Chichon und Weber eine quantitative Untersuchung der Veränderungen von wissenschaftlichen Publikationen im Bereich der Rechtswissenschaft vor. Sie beleuchten, ob Frauen tatsächlich weniger veröffentlicht haben als vor der Pandemie.

Doch nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in Europa und weltweit, hat dieCorona-Krise gravierende geschlechtsspezifische. Mit besonderer Härte sind geflüchtete Frauen an den Außengrenzen der Europäischen Union, allen voran in Griechenland, betroffen. Die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis im Hinblick auf den europäischen Menschenrechtsschutz von Geflüchteten wird im Zuge der Krise besonders sichtbar, wie Anne Pertsch in ihrem Artikel auf Seite 171 erläutert.

Katharina Miller nimmt ebenfalls eine europäische Perspektive ein. Sie richtet ihren Blick u.a. auf die Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Pflegebereich, die Zunahme häuslicher Gewalt, die Auswirkungen der Ausgangssperren auf feminisierte Wirtschaftssektoren sowie den Zugang zu Dienstleistungen im Bereich der Mutterschaft.

Auch am Anfang globaler Wertschöpfungsketten verschärft sich die Menschenrechtslage im Zuge der Corona-Krise. Die Lasten der wirtschaftlichen Einbußen werden vielfach auf die Arbeiter*innen im globalen Süden abgewälzt. Dadurch gewinnt die aktuelle politische Debatte um ein Lieferkettengesetz zusätzliche Brisanz. Der Beitrag auf Seite 176 erörtert in diesem Kontext, wie ein gendergerechtes Lieferkettengesetz aussehen könnte und welche Herausforderungen sich dabei hinsichtlich der Rolle der Unternehmen ergeben.

 

Ruth Luisa Meding

Referentin djb-Bundesgeschäftsstelle, Berlin


[1] Klingst, Martin: Fünf vor acht / Covid-19: Beschleuniger der Ungleichheit, 20.5.2020. Online: https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-05/covid-19-ungleichheit-diskriminierung-rassismus-minderheiten-corona-5vor8 (Zugriff: 9.11.2020).

[2]www.pwc.ch/en/publications/2020/UBS-PwC-Billionaires-Report-2020.pdf

[3]Huebener, Mathias; Spieß, C. Katharina; Siegel, Nico A. und Wagner,Gert G., „Wohlbefinden von Familien in Zeiten von Corona: Eltern mit jungen Kindern am stärksten beeinträchtigt“, DIW Wochenbericht, Nr. 30+31/2020, abgerufen am 30.9.2020 unter: www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.794108.de/20-30-1.pdf.

[4] DIW,  www.diw.de/de/diw_01.c.787888.de/publikationen/wochenberichte/2020_19_1/corona-krise_erschwert_vereinbarkeit_von_beruf_und_familie_v___r_muetter_____erwerbstaetige_eltern_sollten_entlastet_werden.html