Editorial 2020/1
Das Referendariat aus gleichstellungsrechtlicher Perspektive
Die juristische Ausbildung hält viele Herausforderungen für junge Juristinnen bereit. Kaum ist das anfangs so unbezwingbar wirkende erste Staatsexamen geschafft, beginnt für viele der Juristische Vorbereitungsdienst. Auch diese Zeit ist herausfordernd. Wo soll das Referendariat absolviert werden? In welche Berufsfelder soll hineingeschnuppert werden? Diese ganz praktischen Fragen beschäftigen viele Junge Juristinnen. Daneben sind auch längst ausgebildete Mitglieder des Deutschen Juristinnenbunds e.V. (djb) – in ihrer Rolle als Ausbilderinnen und Prüferinnen – mit dem Referendariat befasst. Doch für den djb als rechtspolitischen Akteur ist das Referendariat nicht nur eine Ausbildungsstufe, die viele von uns durchlaufen bzw. mitgestalten, sondern vor allem ein Thema mit großer frauenpolitischer Relevanz, das auf unsere Agenda gehört.
Gleichstellung ist in der juristischen Ausbildung und in den juristischen Staatsprüfungen noch nicht erreicht. Selma Gather, Vorsitzende des djb-Arbeitsstabs Ausbildung und Beruf, erläutert im ersten Teil des Fokus, weshalb die juristischen Staatsprüfungen ein Thema für den djb sind. Eine Studie hat kürzlich Geschlechtseffekte in den mündlichen Prüfungen nachgewiesen und gezeigt, dass Frauen unter vergleichbaren Voraussetzungen schlechter abschneiden als ihre männlichen Mitprüflinge. Nora Wienfort hat dazu Prof. Dr. Emanuel Towfigh, einen der Autoren dieser Studie, befragt. Zu den Ursachen solcher Geschlechtseffekte und allgemein zur Prüfungsforschung interviewte Selma Gather Prof. Dr. JudithBrockmann, die in Hamburg unter anderem zum rechtswissenschaftlichen Prüfungswesen forscht. Schließlich berichtet Susanne Walter, Richterin am Hamburgischen Oberverwaltungsgericht, aus ihrer langjährigen Erfahrung als Prüferin in beiden Staatsprüfungen.
Den zu Beginn formulierten Fragen widmet sich der zweite Teil des Fokus. Im Referendariat findet nicht nur die praktische juristische Ausbildung statt. Manch eine Juristin konkretisiert durch eine glückliche Stationswahl auch ihren Berufswunsch. Umso wichtiger ist, dass auch Referendarinnen aus einer großen Bandbreite an möglichen Stationen wählen können. Schon seit Jahren ist der djb bemüht, jungen Juristinnen eine Referendariatsstation in einer EU-Institution zu ermöglichen. Das Projekt „Junge Juristinnen in die EU-Institutionen“ wird von Daniela Kreuls und Natalie Zehner vorgestellt, die beide als Referendarinnen in der EU-Kommission waren. Davor wird außerdem kurz der Bewerbungsprozess nachgezeichnet. Jennifer Seyderhelm interviewt im Anschluss MargareteHofman, Direktorin beim Europäischen Betrugsbekämpfungsamt (OLAF), die die djb-Bewerberinnen seit Jahren mit großem Erfolg in die verschiedenen EU-Institutionen vermittelt.
Schließlich stellen neun Junge Juristinnen eine ihrer Referendariatsstationen vor, die vielleicht nicht jeder Referendarin sofort in den Sinn kommen. Alle haben sich außerdem in ihrer Station mit Themen oder Institutionen auseinandergesetzt, die auch den djb in seiner Verbandsarbeit beschäftigen. Diese Schlaglichter sollen junge Juristinnen für die (auch inhaltliche) Gestaltung ihres Referendariats inspirieren. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass es für manche der Stationen Zugangshindernisse gibt. Ein temporärer Umzug in eine andere Stadt oder gar ein anderes Land kann teuer sein. Manche potentielle Ausbildungsstation fordert Noten, die nur eine geringe Zahl von Jurist*innen vorweisen können. Gleichwohl sollen die Schlaglichter künftigen Referendarinnen Mut zur kreativen Auswahl der Stationen geben.
Um Mut geht es auch im dritten Teil des Fokus, der sich dem Thema „Referendariat mit Care-Verantwortung“ widmet. Alicia Pointer berichtet darin aus ihrer ganz persönlichen Sicht von den Herausforderungen, die sich Referendarinnen mit Kindern stellen. Ihr Beitrag ist aber nicht nur ein Plädoyer für mehr Mut, sondern vor allem ein Aufruf an Entscheidungsträger*innen, die nötigen institutionellen Voraussetzungen zu schaffen, damit Care-Verantwortung und Referendariat besser miteinander vereinbar sind.
Mit diesem Fokus wollen wir das Thema Referendariat von verschiedenen Seiten beleuchten und zeigen, dass der Juristische Vorbereitungsdienst auch mit Blick auf gleichstellungsrechtliche und -politische Aspekte nicht zu unterschätzen ist. Wir danken allen Autorinnen und Mitwirkenden herzlich für ihre Unterstützung.
Kerstin Geppert
Vertreterin für Mitglieder in der Ausbildung, Mitglied der Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht, Gleichstellung
Tanja Altunjan
Vertreterin für Mitglieder in der Ausbildung, Mitglied des Arbeitsstabs Ausbildung und Beruf