Editorial 2019/3
Gerechte Staatlichkeit, gerechte Teilhabe in den Parlamenten!
Die Diskussion über eine paritätische Teilhabe von Frauen in den Parlamenten hat Fahrt aufgenommen. Der Schock der Bundestagswahl von 2017 und weiterer Landtagswahlen sitzt tief. Das Narrativ, der Frauenanteil im Bundestag und in den Landtagen werde – quasi naturwüchsig – langsam aber doch stetig immer weiter ansteigen, hat sich als falsch erwiesen. Politikerinnen in fast allen Parteien sind ebenso wie Frauenverbände und ein großer Teil der engagierten Zivilgesellschaft zunehmend davon überzeugt, dass ohne rechtliche Regelungen der Frauenanteil in den Parlamenten sich nicht nachhaltig erhöhen lässt. Die Jubiläen der Frauenpolitik des Jahres 2019 – 100 Jahre Frauenstimmrecht, 70 Jahre Art. 3 Abs. 2 GG, 25 Jahre klarstellende Ergänzung des Art. 3 Abs. 2 GG – ließ Frauen Bilanz ziehen: Von welchen Positionen aus können Frauen Einfluss auf die Gestaltung unser aller Zukunft nehmen? Lässt sich hier von der Gleichberechtigung der Geschlechter sprechen? Nein, die Bilanz fällt bemerkenswert schlecht aus. In politischen Führungspositionen, im Bundestag und in den Landtagen – die Frauen sind seit den letzten Wahlen zahlenmäßig noch weniger vertreten als zuvor. Mit der Wahl 2017 war der Frauenanteil im Bundestag auf 30,9 Prozent gefallen. In 6 Bundesländern liegt der Frauenanteil bei deutlich unter 30 Prozent (aufsteigend vom geringsten Frauenanteil: Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen – Stand März 2019). In den Kommunen sieht es noch schlechter aus. Bei großen regionalen Unterschieden finden sich in den Gemeinde-, Stadt- und Kreisräten im Durchschnitt kaum mehr als 25 Prozent Frauen. Bei den Bürgermeister*innen und Landrät*innen sind es um die 10 %.
Immerhin: Die parteiinternen Quoten bei den Grünen und der SPD ab Mitte der 1980er Jahre und bei der Linken ab den 1990er Jahren haben zu deutlichen Verbesserungen der Teilhabe von Frauen in den politischen Vertretungskörperschaften und bei den politischen Spitzenpositionen geführt. Aber CDU/CSU und FDP verweigern sich weiterhin verbindlichen Quoten oder anderen wirksamen Mitteln zur Erhöhung des Frauenanteils. Mit der AFD ist zudem eine Partei hinzugekommen, die Rückschritte für die Gleichberechtigung von Frauen zum Programm erhebt. Was tun?
Das Land Brandenburg ist vorangegangen: Im Januar 2019 beschloss es ein Parité-Gesetz. Danach haben ab dem 30. Juni 2020 die Parteien oder politischen Vereinigungen ihre Wahllisten zur Landtagswahl abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen. In anderen Bundesländern wird Vergleichbares diskutiert. Weltweit sind solche Regelungen selbstverständlicher als in Deutschland: Mehr als 50 Länder verfügen über Quoten in ihrer Verfassung oder in Wahlgesetzen, über 20 haben Frauen vorbehaltene Sitze und in vielen weiteren gibt es freiwillige Quoten von Parteien für die Kandidatenaufstellung (www.quotaproject.org). Die Vereinten Nationen mahnen Deutschland: Im aktuellen Staatenberichtsverfahren zur UN-Frauenrechtskonvention wird auf strukturelle Barrieren und Geschlechterstereotype als Ursachen für die geringe Partizipation von Frauen am öffentlichen Leben und bei politischen Entscheidungen hingewiesen. Deutschland wird aufgefordert, Maßnahmen zur Verwirklichung der gleichen Teilhabe von Frauen zu ergreifen.
Die deutsche Staatsrechtslehre – mit wenigen Ausnahmen – blockiert: Es werden Einwände aus Art. 38, 21 und dem Demokratieprinzip erhoben. Es wird behauptet, dass dann anderen „Gruppen“ vergleichbare Rechte zu gewähren seien. Dies in Verkennung dessen, dass Frauen weder eine partikulare Gruppe sind noch einen „Stand“ repräsentieren, sondern Teil aller Schichten und Gruppen der Bevölkerung sind. Es wird übersehen, dass eine „gerechte Staatlichkeit“ (Cara Röhner) auch eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen entscheidungserheblichen Bereichen von Politik und Gesellschaft verlangt.
Schon lange werden im Deutschen Juristinnenbund e.V. (djb) Maßnahmen zur Verbesserung der Partizipation von Frauen in der Politik, insbesondere zur Erhöhung des Frauenanteils in den Parlamenten diskutiert. In unserem Forderungspapier von Januar 2019 werden niedrigschwellige Maßnahmen genannt, um Diskussionsprozesse in Parteien ohne verbindliche Quoten zu befördern. Doch wir wollen Ergebnisse. Es gilt, die strukturellen Hemmnisse für Frauen, in politische Ämter zu gelangen, zu beseitigen. Das Verhalten der Parteien ohne eigene Quotenregelung macht deutlich: Ohne normative Unterstützung geht es nicht. Unser Ziel ist, dass Paritätsgesetze nicht vor den Verfassungsgerichten scheitern und wir in der Lage sind, dafür professionelle Unterstützung zu gewährleisten. Der Schwerpunkt „Parität“ in diesem Heft soll sich verschiedenen verfassungsrechtlichen Aspekten paritätischer Regelungen widmen, bestehende Vorschläge und Diskussionen präsentieren und Argumente für Lösungen auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Beteiligung von Frauen in den Parlamenten aufzeigen. Fest steht: Im 21. Jahrhundert ist eine gerechte Staatlichkeit ohne angemessene Frauenbeteiligung auch in den Schaltstellen der Macht nicht mehr vorstellbar. Die Zukunft kann nur von Frauen und Männern gleichberechtigt gestaltet werden.
Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin des djb
Marion Eckertz-Höfer
Vorsitzende der djb-Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht und Gleichstellung