Editorial 2019/1
Seit über einem Jahr können gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Dennoch hat ein Kind, das in eine lesbische Ehe hineingeboren wird, qua Geburt nur ein Elternteil. Eine Co-Mutterschaft ist de lege lata (§ 1592 BGB) ausgeschlossen. Die Ehefrau der Mutter kann also nur über eine Stiefkindadoption als zweites Elternteil anerkannt werden.
Am 22. und 23. Juni 2018 fand an der FernUniversität in Hagen, Lehrstuhl für Gender im Recht, Prof. Dr. Ulrike Lembke, ein Kolloquium „Von der Eizellspende bis zur Elternverantwortung – Reformbedarf im Familien- und Abstammungsrecht“ in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Juristinnenbund e.V. (djb) – Kommission für Zivil-, Familien- und Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften – statt. Die gut besuchte Veranstaltung beleuchtete, anknüpfend an den 42. Bundeskongress des djb in Stuttgart im Jahr 2017, vorrangig die familienrechtlichen Aspekte des Abstammungsrechts unter Berücksichtigung fortschreitender Medizintechnik und geänderter Lebensformen und Lebensverläufe.
Es diskutierten Vertreterinnen der Wissenschaft und der Praxis über das geltende Recht im Hinblick auf die Eltern-Kind-Zuordnung und die damit zusammenhängenden Probleme gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Ob die derzeitigen Regelungen eine verfassungsrechtlich bedenkliche Benachteiligung der Frau darstellen und wie Lösungsansätze aussehen könnten, wurde mit den Teilnehmer*innen lebhaft und engagiert erörtert. Der Diskurs wurde offen geführt und nicht nur vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), das einen Vertreter aus dem zuständigen Fachreferat entsandt hatte, mit Interesse verfolgt. Der Reformbedarf ist seit der Veröffentlichung des Abschlussberichtes des Arbeitskreises Abstammungsrecht des BMJV aus dem Jahr 2017 nicht zu verkennen. Die sogenannte zweite Elternstelle steht dabei besonders im Fokus.
Ob in dieser Legislaturperiode noch mit einem Entwurf oder einem Diskussionspapier aus dem BMJV zu rechnen ist oder es bei dem „Prüfauftrag“ aus dem Koalitionsvertrag verbleibt, kann nicht sicher prognostiziert werden. Allerdings drängt die Praxis auf eine Umsetzung der Empfehlungen des Arbeitskreises. Daneben gilt es über den „Tellerrand“ zu schauen und die Schnittstellen außerhalb des Familienrechts zu beachten und darüber zu informieren. Regenbogen- und Patchworkfamilien haben schon heute einen erheblichen Beratungsbedarf, wie im „Praxisgespräch“ zum Ausdruck gekommen ist. Die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die mit einer Adoption verbunden oder im Erb- und Pflichtteilsrecht zu bedenken sind, sind nur exemplarisch neben dem Unterhaltsrecht zu nennen.
Die Komplexität der Rechtsmaterie können die nachfolgenden Beiträge nur annähernd wiedergeben. Die Praxis sucht nach Lösungen, die auf ergänzenden gesetzgeberischen Handlungsbedarf schließen lassen. Rechtliche Folgeprobleme wie die Anerkennung ausländischer Entscheidungen im Inland oder der Umgang mit sozialer Elternschaft schließen sich an. Dass die „Ehe für alle“ nicht die Lösung der (Rechts-)Probleme ist, wird in einem gesonderten Beitrag im Einzelnen dargelegt.
Bei alldem darf eines unter keinen Umständen aus dem Blick geraten: Reformüberlegungen sind immer (auch) am Kindeswohl auszurichten. Keine leichte Aufgabe!
Brigitte Meyer-Wehage
Vorsitzende der djb-Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften