Editorial 2018/4
Die Istanbul-Konvention ist nach ihrer Ratifikation im Jahr 2017 mit Wirkung zum 1. Februar 2018 in Kraft getreten. Fast sieben Jahre nach ihrer Verabschiedung durch die Staaten des Europarats gilt sie damit nun auch in Deutschland.
Die Konvention verpflichtet Deutschland, umfassende Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu treffen und die Betroffenen wirksam zu schützen und zu unterstützen. Die in den 81 Artikeln enthaltenen Vorgaben betreffen zahlreiche Bereiche, wie etwa das System der Unterstützung und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen, das Umgangsrecht, den Opferschutz, das Strafrecht, das Aufenthaltsrecht, Entschädigungen und Prävention, Staatshaftungsrecht, Fortbildungen und öffentliche Sensibilisierung, den wirksamen Zugang zum Recht für Gewaltbetroffene, Koordination und Monitoring. Gleichzeitig hat die Bundesrepublik mit der Ratifikation ausdrücklich anerkannt, dass Gewalt gegen Frauen Ausdruck historisch gewachsener ungleicher Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern ist, durch die Frauen beherrscht und diskriminiert und so daran gehindert werden, selbstbestimmt und gleichberechtigt zu leben.
In einer umfassenden Stellungnahme zur Umsetzung der Istanbul-Konvention hat der djb bereits zu Beginn des Jahres anhand ausgewählter Beispiele dringenden Umsetzungsbedarf identifiziert und konkrete Lösungsvorschläge aufgezeigt. Dass die Expertise des djb in diesem Zusammenhang besonders gefragt ist, zeigen uns die zahlreichen Vortrags- und Interviewanfragen von anderen Verbänden, Gleichstellungsstellen, politischen Gremien und Journalist*innen. Wir werden als Verband die Umsetzung der Konvention auch in Zukunft intensiv begleiten, denn noch gibt es Einiges zu tun. Als erste Schritte für eine wirksame Implementierung der unterschiedlichen Vorgaben erwarten wir detaillierte Aktionspläne von Bund und Ländern. Nur so kann Deutschland dem ganzheitlichen Ansatz der Konvention gerecht werden.
Das zeigt auch das vorliegende Schwerpunktheft, das die Konvention aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Praktikerinnen und Wissenschaftlerinnen aus der Kommission Strafrecht, der Kommission Recht der sozialen Sicherung und Familienlastenausgleich sowie der Kommission Europa- und Völkerrecht analysieren in den nachfolgenden Beiträgen ganz unterschiedliche Aspekte der Istanbul-Konvention. Nach einem einführenden Beitrag schreibt Jutta Henneberger über den Gewaltbegriff der Istanbul-Konvention. Eine wesentliche Herausforderung für den wirksamen Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt ist die Heterogenität der betroffenen Frauen – dieser Herausforderung widmen sich aus unterschiedlichen Perspektiven die Beiträge von Prof. Dr. Julia Zinsmeister sowie von Prof. Dr. Dorothee Frings und Anne Pertsch. Anschließend befasst sich Dr. Anne-Katrin Wolf mit dem Thema Opferschutz in Strafverfahren wegen geschlechtsspezifischer Gewalt. Ein Interview mit dem Mitglied der djb-Strafrechtskommission Sabine Kräuter-Stockton über ihre Arbeit als neu gewähltes Mitglied der Expert*innengruppe des Europarates für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen (GREVIO) rundet das Heft ab.
Die Beiträge verdeutlichen dabei nicht nur den ganzheitlichen Ansatz der Konvention, sondern zeigen exemplarisch (und keineswegs erschöpfend), welch wertvollen Beitrag unser Verband im Rahmen dieser wichtigen rechtspolitischen Diskussion zu leisten vermag. Unser besonderer Dank gilt daher allen Autorinnen des Schwerpunkthefts für ihre Arbeit. Eine anregende Lektüre wünschen
Prof. Dr. Ulrike Lembke
Vorsitzende der djb-Kommission Europa- und Völkerrecht, Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin
Dr. Leonie Steinl, LL.M. (Columbia)
Vorsitzende der djb-Kommission Strafrecht, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Juristische Zeitgeschichte an der Universität Hamburg