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Editorial 2018/3

100 Jahre Frauenwahlrecht

 

Das Frauenwahlrecht in Deutschland feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Jubiläum. Am 12. November 1918 schuf der Rat der Volksbeauftragten im „Aufruf an das deutsche Volk“ die Grundlage dafür. Mit Verabschiedung des Reichswahlgesetzes am 30. November 1918 wurde das Frauenwahlrecht bestätigt. Die politische Partizipation und die damit einhergehende Einbindung von Frauen in die politische Entscheidungsfindung war nicht nur ein Meilenstein für die Demokratie, sondern ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern.

Anders in ersten Jahren und sogar Jahrzehten nach der Einführung des Wahlrechts ist die Repräsentanz von Frauen in der Politik zwar heute keine Ausnahme mehr. Gleichwohl war das deutsche Parlament noch nie paritätisch besetzt und ein stetig wachsender Frauenanteil ist keinesfalls eine Selbstverständlichkeit. Während er seit Zusammentritt des 1. Bundestags im Jahr 1949 von damals lediglich 6,8 Prozent zunächst kontinuierlich anstieg, stagnierte er in den vergangenen Jahren und ist nun sogar rückläufig. So fällt der 19. Bundestag mit einem Frauenanteil von 30,9 Prozent auf den Stand des 14. Bundestages von 1998 zurück. Noch geringer – wenngleich regional variierend – ist der Frauenanteil in der Kommunalpolitik, wie der Beitrag von Franziska Schnuch zeigt. In den Vertretungsorganen und vor allem als Bürgermeisterinnen sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Auch die internationale Perspektive, die Sina Fontana einnimmt, zeigt ein ähnliches Bild. Zwar ist mittlerweile die Gleichheit der Wahl ohne Diskriminierung unter anderem aufgrund des Geschlechts als Menschenrecht universell anerkannt und seit der Einführung des Frauenwahlrechts in Saudi-Arabien im Jahr 2015 sind Frauen nun auch in allen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen wahlberechtigt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind die Parlamente und sonstige politische Ämter jedoch trotz formaler Wahlrechtsgleichheit nicht paritätisch besetzt.

So ist das Jubiläum nicht nur Grund zu feiern, sondern auch eine willkommener Anlass, die bisherige Politik des Abwartens zu überdenken, wenn nicht nur die formale Gleichstellung im Wahlrecht, sondern auch eine dem Bevölkerungsanteil entsprechende Repräsentanz von Frauen im Parlament angestrebt werden soll. Für Letzteres spricht die besondere Relevanz des Rechts und damit auch der Rechtsetzung für die Verwirklichung der Gleichberechtigung. Prägt und gestaltet das Recht doch die Gesellschaft, indem es Frauen und Männern (gleiche) Rechte und Pflichten zuweist und darüber hinaus Rollenbilder akzentuiert. Hier erinnert Marion Röwekamp an das Familienrecht, das – nicht zuletzt durch den maßgeblichen Einfluss von Art. 3 Abs. 2 GG und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – erst seit den grundlegenden Reformen in den 1970er Jahren die Vorstellung einer gleichberechtigten Partnerschaft auch rechtlich verankert. Zu verdanken ist das nicht zuletzt den Frauen, die ihre Gleichberechtigung seit jeher selbst einfordern mussten. Sie zeigen einmal mehr auf, wie wichtig es ist, dass sich Frauen – vor 100 Jahren ebenso wie heute – gleichberechtigt an der politischen Willensbildung beteiligen.

Trotz aller Errungenschaften muss die Gleichstellung von Mann und Frau weiterhin ein wichtiges Thema auf der politischen Agenda sein und hat als „eine Frage der Gerechtigkeit“ Einzug in den Koalitionsvertrag gefunden, wobei auch eine gleichberechtigte politische Teilhabe von Frauen und Männer angestrebt wird. Zu eruieren sind nun die Ursachen für die Unterrepräsentanz von Frauen im Parlament sowie mögliche Lösungswege, die sich im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben bewegen. Hierin liegt – so Maria Wersig – eine der zentralen Zielsetzungen des djb, der die Debatte um Parité mitgestaltet und auf verschiedenen Ebenen den Raum für die rechtsdogmatischen und rechtspolitischen sowie die gesellschaftlichen Fragen schafft. Eine Betrachtung der Parteienlandschaft zeigt, dass sich freiwillige innerparteiliche Quoten als effektives Mittel zur Frauenförderung erwiesen haben. Dies bietet damit einen Ansatz für weitere Überlegungen zur Einführung verpflichtender Quoten. Neben direkt im Wahl- oder Parteienrecht verankerten Instrumenten auch an mittelbare Fördermaßnahmen zu denken, also solche, die dazu beitragen die Hemmnisse für die gleichberechtigte politische Partizipation von Frauen wie ungleich verteilte Care-Arbeit oder stereotype Rollenbilder zu überwinden. Stets sind neben den (verfassungs-) rechtlichen auch die politischen, historischen und gesellschaftlichen Faktoren in die Betrachtung einzubeziehen. Instrumente, die sich in anderen Staaten als effektiv erwiesenen haben, lassen sich daher nicht immer ohne weiteres auf die deutsche Rechtslage übertragen, können aber wichtige Impulse setzen.

Zugleich lädt das Jubiläum dazu ein, zurück zu blicken auf die Errungenschaften und diejenigen, die für sie gekämpft haben. Wie vor allem der Beitrag von Sheyda Weinrich zeigt, musste die politische Partizipation von Frauen erst eingefordert werden – vielfach entgegen immenser Widerstände. Vorreiterinnen wie Olympe de Gouges, als Verfasserin der Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin, die Frauenrechtlerin Anita Augspurg, portraitiert von Kerstin Geppert, oder Elisabeth Selbert, Helene Weber, Frieda Nadig und Helene Wessel, als Mütter des Grundgesetzes, und viele andere Frauen und Frauenverbände sind für das Frauenwahlrecht und für die Gleichberechtigung von Mann und Frau eingetreten. Diese Frauen können uns heute als Vorbild dienen und dazu motivieren, die nach wie vor bestehende Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik nicht als gegeben hinzunehmen, sondern den Weg für die gleiche Teilhabe an der Entscheidungsfindung zu ebnen.

 

Kerstin Geppert
Mitglied der Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht, Gleichstellung, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Helmut-Schmidt-Universität


Dr. Sina Fontana (MLE)
Mitglied der Kommission Verfassungsrecht, Öffentliches Recht, Gleichstellung, Akademische Rätin a.Z. Georg-August-Universität Göttingen