djbZ


Editorial 2018/1

 

Im Sommer 2017 versuchte eine Journalistin des Tagesspiegels, die Positionen von fünfzig großen Frauenverbänden zu Kopftuchverboten zu erheben. Die Recherche erwies sich als schwierig. Öffentliche Beschlüsse der Frauenverbände gab es eigentlich nicht, die Presseanfrage wurde überwiegend mit dem dürren Hinweis auf eine fehlende Beschlusslage beantwortet. Doch etliche Vertreterinnen erläuterten auch (oft anonym), dass eine Diskussion über Kopftuchverbote aus ihrer Sicht zu tiefen Spaltungen im Verband führen würde, weil die Ablehnung des Kopftuchs als patriarchales Symbol einerseits und die Ablehnung der Diskriminierung von Frauen auf Grund ihrer religiösen Kleidung andererseits zu un­versöhnlichen und letztlich unauflöslichen Konflikten führten.

In der Tat ist in der öffentlichen Debatte eine hohe Emotionalität oder gar Aggression zu beobachten, sobald es um die Fragen von Religion, Gesellschaft und Staat geht, und auch offensichtlich ist eine Fokussierung auf muslimische Religionen. Insbesondere auf Landesebene wurde mit muslimischen Bekleidungsvorschriften erfolgreich Wahlkampf betrieben und Politik gemacht, was jedenfalls im Tonfall auch auf rechtliche Diskurse ausstrahlte. So hatte der Bundesgesetzgeber (BGBl.2017 I, S. 1570ff) im Frühjahr 2017 die Frage der Verhüllung im öffentlichen Raum und im öffentlichen Dienst abschließend und unter Ausschöpfung des verfassungsrechtlich Zulässigen geregelt. Eine Flut weitergehender Gesetzentwürfe und Forderungen verhinderte dies jedoch nicht. Auch erzwang die zweite Entscheidung des BVerfG (1 BvR 471/10, 1181/10) zu religiösen Symbolen und Bekleidung im Schuldienst im Jahr 2015 Änderungen an etlichen der sog. Neutralitätsgesetze der Länder. Diese sind nicht erfolgt, man wartet lieber auf weitere Aufforderungen durch die Landesgerichte (siehe nur die Mahnung durch LAG Bln-Bbg vom 09.02.2017, Az. 14 Sa 1038/16). Das Ausspielen der Landes- gegen die Bundesebene und von Parlamenten gegen Gerichte ist nicht als positive Entwicklung zu werten. Zugleich nehmen in juristischen Diskussionen um das muslimische Kopftuch beide Seiten für sich in Anspruch, für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung zu kämpfen.

Auch im djb gab es zum Zeitpunkt der Recherche durch den Tagesspiegel keine Beschlusslage zu religiöser Kleidung im Berufsleben und Staatsdienst. Dann erreichte uns nahezu zeitgleich die Aufforderung des BVerfG zur Stellungnahme im Verfassungsbeschwerdeverfahren einer hessischen Rechtsreferendarin, welche sich gegen Einschränkungen auf Grund des von ihr getragenen muslimischen Kopftuchs wendete. Mit dem Kopftuch dürfen Referendarinnen in Hessen während Gerichtsverhandlungen nicht auf der Richter­bank sitzen, keine Verhandlungen leiten oder Beweisaufnahmen durchführen, keine Sitzungsvertretung für die Staatsanwaltschaft übernehmen und keine Anhörungsausschusssitzung leiten.

Nach eingehender Diskussion entschied der neue Bundesvor­stand im Herbst 2017, dass die innerverbandliche Willensbildung zu diesem kontroversen Thema nicht hinreichend fortgeschrit­ten war, um eine Stellungnahme vor dem BVerfG abzugeben. Vielmehr sollte eben diese verbandsinterne Diskussion durch einen möglichst pluralen Schwerpunkt in der djbZ angestoßenwerden. Wir haben jeweils drei Stimmen für die Pro- und die Contra-Position für eine notwendig verknappte, zugespitzte Stellungnahme zum Kopftuch der Rechtsreferendarin resp. Richterin gewinnen können. Zudem haben die Autorinnen sich nach Abgabe ihres eigenen und Lektüre aller Texte noch zu einem Interview bereit erklärt, in dem eigene Ausführungen ergänzt und Gegenargumente adressiert werden konnten.

Die Fragen des Verhältnisses von Religion und Staat werden uns - gerade auch als Juristinnen - noch lange beschäftigen. Solche Diskussionen werden derzeit in vielen Ländern Europas geführt. Dabei ist zu beachten, dass Religionsverfassungsrecht und darauf bezogenes Antidiskriminierungsrecht national historisch gewachsene und kontingente Rechtsdiskurse darstellen. Uns geläufige Phänomene wie die Kirchensteuer oder das kirchliche Arbeitsrecht (anhängig vorm EuGH unter C-414/16, C-68/17) sind in nord- und westeuropäischen Staaten unvorstellbar. Umgekehrt trifft ein Verbot religiöser Kleidung im öffentlichen Dienst in Deutschland im Gegensatz zu bspw. Großbritannien (wo auf Grund der Ko­lonialgeschichte u.a. der Turban der Sikhs eine wesentliche Rolle spielt) faktisch fast ausschließlich muslimische Frauen mit Kopf­tuch. Nicht umsonst ist von einem „Kopftuchverbot" die Rede, auch wenn es formal um allgemeine Bekleidungsregeln gehen soll. Vor dem Hintergrund der Rechtsfigur faktischer oder mittelbarer Diskriminierung stellt sich in Deutschland daher anders die Frage nach der bereits in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierten Gleichheit der Religionen, aber auch den rechtlichen Folgerungen aus der besonderen Betroffenheit einer Gruppe von Frauen.

Diese besondere Betroffenheit von (muslimischen) Frauen und nicht nur die Beschreibung des Kopftuchs als patriarchales Symbol machen religiöse Bekleidungsregeln im öffentlichen Dienst zu einer genuinen Angelegenheit von Frauenverbänden. Wie beide Perspektiven und die daraus resultierenden rechtlichen Folgerungen zusammenkommen können, ist derzeit noch äußerst unklar. Wir hoffen aber auf eine plurale, respektvolle und sich wohltuend von der vielerorts zu beobachtenden Polemik und Emotionalität abhebende djb-interne Diskussion, welche zu einer rechtlichen Position führt, die von allen Mitgliedern, wenn nicht geteilt, so doch respektiert werden kann. Den Auftakt zu dieser Debatte haben auch schon djb-Veranstaltungen auf Landesebene (Berlin, Schleswig-Holstein) gegeben, welche die Argumente und Fallstricke erstmals ausgelotet haben.

Den Auftakt für die Diskussion im Gesamtverband geben die acht Autorinnen dieses Schwerpunktes. Wir sind Marion Eckertz-Höfer, Ina Anne Frost, Christine Fuchsloch, Anna Katharina Mangold, Ute Sacksofsky, Nahed Samour, Simone Szczerbak und Noreen von Schwanenflug zu überaus großem Dank verpflichtet. Sie haben sich bereit erklärt, in sehr kurzer Zeit neben ande­ren drängenden Verpflichtungen zu einem höchst kontroversen Thema kundig und pointiert öffentlich Stellung zu beziehen. Damit geben sie die Standards rechtlicher Argumentation wie kollegialer Diskussion für unsere gemeinsame Willensbildung vor - die Messlatte liegt hoch!

Prof. Dr. Ulrike Lembke

Vorsitzende der djb-Kommission Europa- und Völkerrecht