Pressemitteilung: 20-37


Paritätsgesetz in Thüringen: Urteil des Verfassungsgerichtshofs verlängert den Weg zur Parität in Parlamenten

Pressemitteilung vom

„Die verfassungsrechtliche Debatte ist damit nicht beendet. Politisch bleibt der Handlungsbedarf für die gleiche Teilhabe von Frauen in Parlamenten und politischen Ämtern unverändert bestehen.“, kommentierte die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds e.V. (djb), Prof. Dr. Maria Wersig, die Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs zur Nichtigkeit des Siebten Gesetzes zur Änderung des Thüringer Landeswahlgesetzes – Einführung der paritätischen Quotierung – (Paritätsgesetz) vom 30. Juli 2019 (GVBl 2019, S. 322). Es handelt sich bei dem Urteil um die erste gerichtliche Entscheidung über eine konkrete Regelung zu Parität von Männern und Frauen in Parlamenten in Deutschland. Das Paritätsgesetz in Thüringen war nach dem brandenburgischen Paritätsgesetz erst das zweite Gesetz in Deutschland, mit dem eine solche Regelung im Wahlrecht getroffen wurde.

Der Verfassungsgerichtshof entschied im Normenkontrollverfahren auf Antrag einer rechten Fraktion. Im Ergebnis sah die Mehrheit von sechs Richtern des aus neun Mitgliedern bestehenden Gremiums in der Verpflichtung der politischen Parteien zur paritätischen Listenaufstellung eine Beeinträchtigung des Rechts auf Freiheit und Gleichheit der Wahl (Art. 46 Abs. 1 ThürVerf) sowie das Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und Chancengleichheit der Parteien (Art. 21 Abs. 1 GG) verletzt.

Hiergegen überzeugen mit guten Argumenten die Sondervoten von drei Richter*innen. Sie vermissen in der Entscheidung der Mehrheit eine angemessene Auseinandersetzung mit dem Verfassungsauftrag in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Thüringer Verfassung (entsprechend Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG). Sie führen vielfältige Belege für die strukturelle Benachteiligung von Frauen, gerade in der Politik, an. Gegen diese Benachteiligung sei die Paritätsregelung ein nach der Thüringer Verfassung zulässiges Förderinstrument, durch das Chancen-, wenn auch nicht Ergebnisgleichheit erzeugt werde. Die Mehrheitsmeinung setze sich nicht ausreichend mit der Eingriffsintensität gegen die genannten Freiheiten, insbesondere des Wahlrechts, auseinander. Bei anderen als zulässig anerkannten Regelungen sei der Eingriff deutlich stärker, z. B. bei der Sperrklausel, den Überhangmandaten oder dem Mindestwahlalter.

„In den überzeugenden Argumenten der Sondervoten sehen wir eine Signalwirkung für die anstehende Diskussion und baldige Entscheidung in Brandenburg. Die Verfassung lebt und eine geschichtsbewusste Interpretation des Frauenfördergebots des Art. 3 Abs. 2 GG kann mit guten Gründen zu dem Ergebnis gelangen, dass Paritätsregelungen unter den gegebenen gesellschaftlichen Umständen vertretbar und verhältnismäßig sind. Und auch das inzwischen sogar paritätisch besetzte Bundesverfassungsgericht wird früher oder später zu diesem Thema entscheiden.“ so Wersig weiter.