Stellungnahme: 20-02


zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Grundrente für langjährig in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherte mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Alterseinkommen

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) unterstützt das Ziel einer verbesserten Alterssicherung von Menschen mit geringen Einkommen, bei denen es sich häufig um Frauen handelt. Auch das Ziel der Anerkennung langjähriger Lebensleistung ist grundsätzlich zu begrüßen, vor allem wenn dabei die Biographien von Frauen angemessen berücksichtigt werden. Dazu gehört etwa die anwartschaftsbegründende Einbeziehung von Pflegetätigkeiten und Kindererziehung, da unbezahlte Sorgearbeit nach wie vor überwiegend von Frauen geleistet wird.

Der in dem Referentenentwurf vorgeschlagenen Grundrente steht der djb dennoch kritisch gegenüber. Aufgrund der extrem kurz bemessenen Frist von Donnerstagnachmittag bis Montag für die Abgabe der Stellungnahme ist eine umfassende rechtliche und gleichstellungsorientierte Auseinandersetzung nicht möglich. Dies betrifft Verbände wie den djb mit einem starken Schwerpunkt in der ehrenamtlichen rechtspolitischen Arbeit – allerdings auch die gesamte Zivilgesellschaft, Verbände und NGOs, deren Arbeit auf demokratischen Meinungsbildungsprozessen basiert. Es drängt sich somit der Eindruck auf, auf die zivilgesellschaftliche Beteiligung und Stimmen der Fachwelt werde kein Wert gelegt.

Bereits ohne vertiefte Prüfung wird jedoch bereits deutlich, dass den gleichstellungsrelevanten Belangen mit dem Entwurf nicht ausreichend Rechnung getragen wird.

I. Nichtberücksichtigung von Zeiten sogenannter Minijobs inkonsistent

Gemäß eigener Zielsetzung soll die Grundrente die Biografien von Frauen in besonderem Maße berücksichtigen. Ein Anspruch auf die Grundrente soll jedoch nur dann bestehen, wenn ein Entgelt von mindestens 30 Prozent des Durchschnittsentgelts versichert worden ist. Damit werden Zeiten geringfügiger Beschäftigung, sog. Minijobs, die – u.a. bedingt durch steuer- und sozialrechtliche Anreize – in der Mehrzahl von (verheirateten) Frauen ausgeübt werden, explizit ausgenommen, da sie “lediglich die Bedeutung eines ergänzenden Einkommens hatten” (S. 2 Ref-E). Für verheiratete Frauen im Westen Deutschlands stellt die geringfügige Beschäftigung seit Jahrzehnten ein gefördertes und gesellschaftlich akzeptiertes (sowie wegen fehlender öffentlicher Kinderbetreuung vielfach alternativloses) Erwerbsmodell dar. Für Frauen in Ostdeutschland wurde es aufgrund der Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt nach 1990 ein häufig unfreiwilliges Erwerbsmodell. Es erscheint daher höchst problematisch, die Folgen dieses Modells in der Alterssicherung nunmehr erneut auszublenden und auf eine angebliche Zuverdienstfunktion dieser Erwerbsform zu verweisen. Damit widerspricht die derzeitige Ausgestaltung der Grundrente nicht nur ihrer Zielsetzung. Sie konterkariert auch die 2013 eingeführte Rentenversicherungspflicht (mit Befreiungsmöglichkeit, sog. Opt-Out Regelung) für Minijobs, die gerade Frauen zur Beitragszahlung in der gesetzlichen Rentenversicherung anhalten soll.

II. Geschlechterdifferenzierte Gesetzesfolgenabschätzung unzureichend

Dem Referentenentwurf zufolge werden Frauen in besonderem Maße von der Grundrente und den parallel dazu eingeführten Freibetragsleistungen im Sozialhilferecht profitieren. Konkret sollen im Einführungsjahr sogar 70 Prozent der rund 1,4 Mio. Menschen, die von der Grundrente profitieren, Frauen sein. Offen bleibt, wie diese Zahl zustande kommt. Die pauschalen Aussagen zu den gleichstellungsbezogenen Wirkungen der Grundrente genügen der in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung vorgesehenen Pflicht zur Gesetzesfolgenabschätzung im Hinblick auf die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht. Vielmehr sind die Auswirkungen von Gesetzesvorschlägen auf Frauen und Männer differenziert zu prüfen und die Ergebnisse im Gesetzentwurf darzustellen. Demzufolge wäre u.a. zu prüfen und darzustellen, wie viele Frauen die anspruchsbegründenden 33 bzw. 35 Jahre Grundsicherungszeiten überhaupt erreichen, wie sich die Anrechnung des Partnereinkommens für Frauen auswirkt und in welchem finanziellen Umfang Frauen und Männer von der Grundrente tatsächlich profitieren.

 

Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin                                 

Dr. Ulrike Spangenberg
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich