Stellungnahme: 14-06


zur Unterrichtung durch die Bundesregierung Nationales Reformprogramm 2014 (BR-Drucks. 138/14): Eigenständige Existenzsicherung von Frauen erfordert Abbau von Fehlanreizen

Stellungnahme vom

Das Bundeskabinett hat am 8. April 2014 das Nationale Reformprogramm (NRP) 2014 beschlossen. Das NRP ist Teil der Europa 2020 Strategie und skizziert die für 2014 geplanten wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen, die ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und einen soliden Haushalt gewährleisten sollen. Das jeweils im April bei der Europäischen Kommission vorzulegende NRP bildet die Basis für konkrete länderspezifische Empfehlungen des Rates der Europäischen Union, die dann bei der Aufstellung des Bundeshaushalts berücksichtigt werden sollen.

Der Europäische Rat hat Deutschland im Rahmen dieser länderspezifischen Empfehlungen bereits wiederholt aufgefordert, die Umwandlung von atypischen Beschäftigungsverhältnissen wie Minijobs in nachhaltigere Beschäftigungsverhältnisse zu erleichtern. Außerdem hat der Rat ebenfalls mehrfach darauf hingewiesen, dass Maßnahmen zu ergreifen sind, um die Arbeitsanreize und die Vermittelbarkeit von Arbeitnehmerinnen, insbesondere für Zweit- und Geringverdienende, zu verbessern. Zu diesem Zweck sollen Fehlanreize für Zweitverdienende abgeschafft und die Verfügbarkeit der Ganztagskindertagesstätten und -schulen weiter erhöht werden.

In dem nun vorliegenden Entwurf zum Nationalen Reformprogramm 2014 kann Deutschland zwar Fortschritte beim Ausbau der Kinderbetreuung verzeichnen. Im Übrigen werden Fehlanreize für die überwiegend weiblichen Zweitverdienenden jedoch nur unzureichend aufgegriffen, obwohl diese Themen in ähnlicher Form bereits seit 1998 angemahnt werden.

a) Im Steuerrecht wird beispielsweise allein eine Vereinfachung des sog. Faktorverfahrens angekündigt. Das Faktorverfahren wurde bereits 2010 als Alternative zu der seit langem kritisierten Lohnsteuerklassenkombination III/V konzipiert, die vor allem für Frauen erhebliche Nachteile beim monatlichen Netto und bei nettolohnabhängigen Lohnersatzleistungen mit sich bringt. Das Verfahren ist jedoch wenig bekannt. Die Bundesregierung plant zwar, das Faktorverfahren bekannter zu machen, im Übrigen beschränken sich die Veränderungen jedoch darauf, das Faktorverfahren nicht mehr jedes Jahr, sondern nur noch jedes zweite Jahr beim Finanzamt beantragen zu müssen. Die Entscheidung für das Faktorverfahren setzt jedoch zumindest voraus, dass die Partner/innen über ihre individuelle Steuerschuld und daran anknüpfende Lohnersatzleistungen informiert sind. Gerade Frauen, aber auch Männer wissen jedoch wenig über die finanziellen Verhältnisse bzw. Rechte innerhalb der Partnerschaft und beziehen bei ihrer Entscheidung die sozialrechtlichen Folgen der Lohnsteuerklassenwahl zu häufig nicht mit ein. Damit ist das Faktorverfahren zwar gleichstellungspolitisch positiv zu bewerten, wirkt sich aber kaum aus.

Es ist aus Sicht des Deutschen Juristinnenbundes e.V. (djb) fraglich, ob das Faktorverfahren als sinnvolle Alternative zur Lohnsteuerklassenkombination III/V ohne deren Abschaffung wirklich etabliert werden kann. Außerdem bleiben die negativen Effekte des Ehegattensplittings bestehen. Das Faktorverfahren regelt lediglich die unterjährige Aufteilung der Lohnsteuer und betrifft damit nur das Abzugsverfahren für die monatlich zu zahlende Einkommensteuer beim Arbeitgeber. Die Berechnung der Einkommensteuer für das gesamte Jahr verändert sich nicht.

b) Änderungen bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen (sogenannte Minijobs) plant die Bundesregierung nach ihrem Bekunden ebenfalls nicht. Zwar ist geplant, geringfügig Beschäftigte besser über ihre Rechte aufzuklären und die Übergänge in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu erleichtern. Die Bekämpfung von Verletzungen von Rechten der Beschäftigten – im Bereich der geringfügigen Beschäftigung ein bekanntes Problem – ist zwar zu begrüßen. Sie ändert aber nichts an dem Grundproblem der sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Privilegierung der geringfügigen Beschäftigung. Ohne Reformen, die an dieser Stelle Abhilfe schaffen, besteht diese Beschäftigungsform als Anreiz für vor allem verheiratete Frauen fort, mit einem steuer- und sozialversicherungsfreien, aber alles andere als existenzsichernden Nebenjob einen „Zuverdienst“ zum Familieneinkommen zu erwirtschaften. Die Abgabenprivilegierung geringfügiger Beschäftigung im Sozial- und Steuerrecht begründet also im Zusammenwirken mit der Institution der Ehe das Rollenmodell des verheirateten Familienernährers und der geringfügig hinzuverdienenden Ehefrau. Die Rechtswirkungsforschung hat gezeigt, dass diese Möglichkeit gerade von verheirateten Frauen häufig in Anspruch genommen wird und die Übergänge in reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung kaum gelingen. Aus diesem Grund empfiehlt auch das Sachverständigengutachten im 1. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung eine Reform der geringfügigen Beschäftigung (BT-Drs. 17/6240, S. 81).

Der djb hat bereits mit Schreiben vom 18. Februar 2014 die Empfehlung des Rates zum Nationalen Reformprogramm Deutschlands 2013 zum Anlass genommen, sich in den Prozess der Erstellung des Nationalen Reformprogramms 2014 einzubringen. Den vorgetragenen Bedenken in Bezug auf Ehegattensplitting und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse ist die Bundesregierung nicht gefolgt. Die Nachteile für Frauen werden vernachlässigt, obwohl schon das Sachverständigengutachten im 1. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung aufgezeigt hat, dass an den zentralen Stellschrauben der Schnittstellen von Sozialrecht, Steuerrecht und Familienrecht eine grundlegende Umsteuerung notwendig ist. Die Zusammenveranlagung mit Splittingtarif, die Lohnsteuerklassenkombination III/V, die sozialversicherungsrechtliche und die steuerrechtliche Privilegierung der geringfügigen Beschäftigung sowie die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten Anreize für verheiratete Frauen, ihre Erwerbstätigkeit zu beschränken. Sie stehen in eklatantem Widerspruch zu den Wertungen des Unterhaltsrechts, das nach der Scheidung die Eigenverantwortung beider Partner, auch des bislang wirtschaftlich abhängigen, verlangt, und des Grundsicherungsrechts, das nur in Ausnahmefällen wie der Betreuung junger Kinder keine Erwerbstätigkeit verlangt. Es darf im Steuer- und Sozialversicherungsrecht nicht mehr unterstellt werden, die Ehe begründe immer noch eine langjährige Sicherung der materiellen Existenz für einen Ehepartner, der zugunsten der Ehe und/oder der Betreuung von Kindern auf eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit verzichtet.

Der djb fordert vor diesem Hintergrund:

 

  • Die Abschaffung der sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Privilegierung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse,
  • die Ablösung des Ehegattensplittings durch eine Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag und gleichzeitig eine angemessene Berücksichtigung des Tatbestands „Kind/er“ im Einkommensteuer- bzw. Kindergeldrecht,
  • in einem ersten Schritt jedoch zumindest die Abschaffung der Steuerklasse V im Lohnsteuerverfahren,
  • die beitragsfreie Mitversicherung von Eheleuten nach § 10 SGB V durch eine zeitlich befristete beitragsfreie Versicherung von Eltern in der gesetzlichen Krankenversicherung abzulösen und eine anschließende Versicherungsmöglichkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung auf freiwilliger Basis vorzusehen.

Der Abschied von diesen Regelungen, die auf dem „männlichen Ernährermodell“ beruhen, erfordert außerdem ein neues Konzept der tätigkeitsbezogenen statt statusbezogenen sozialen Sicherung, die rechtliche Durchsetzung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern und Regelungen, die mehr Arbeitszeitautonomie für Erwerbstätige schaffen. Der djb empfiehlt daher, dem Thema Fehlanreize für überwiegend weibliche Zweitverdienende in Zukunft verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen und Reformen zu ihrem Abbau auf den Weg zu bringen

Ramona Pisal
Präsidentin

Dr. Maria Wersig
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung, Familienlastenausgleich