Stellungnahme: 14-03


zu dem Normenkontrollantrag des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg auf Feststellung der Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz und der Nichtigkeit des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes – 1 BvF 2/13 –

Stellungnahme vom

Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2015

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme. Er hält das Gesetz zur Einführung des Betreuungsgeldes mit dem vorlegenden Land Hamburg für kompetenzwidrig, weil es für eine bundeseinheitliche Regelung keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage gibt. Darüber verstößt das Betreuungsgeld gegen das Gleichberechtigungsgebot aus Art. 3 Abs. 2 GG, da es einseitig tradierte Rollenverteilungen in der Familie befördert und faktisch einen finanziellen Anreiz gegen die Erwerbstätigkeit von Müttern von Kleinkindern setzt. Schließlich liegt auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 6 Abs. 1 GG vor, weil die Anknüpfung einer Leistung an die Nichtinanspruchnahme einer staatlichen Infrastruktureinrichtung sachwidrig ist und kein nachvollziehbares Kriterium für eine Maßnahme der Familienförderung darstellt.

I. Keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes

In dem Normenkontrollantrag ist ausführlich und zutreffend ausgeführt, dass es keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Betreuungsgeldgesetz gibt. Es gehört nicht zum „Recht der Fürsorge“ gemäß Art. 74 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 GG, weil das Betreuungsgeld keine Fürsorgeleistung darstellt, die in ihren Voraussetzungen an einen konkreten Fürsorge- oder Unterstützungsbedarf einer bestimmten Gruppe anknüpft. Der Gesetzgeber verfolgt nach der Gesetzesbegründung mit dem Betreuungsgeld das Schließen einer „Förderlücke“ (BT-Drs. 17/9917, S. 1), die in dem Fehlen einer Geldleistung für Eltern gesehen wird, die in den ersten drei Lebensjahren des Kindes auf öffentlich geförderte Kindertagesbetreuung verzichten. Durch die neue Leistung für diese Gruppe von Familien soll „Wahlfreiheit“ zwischen Betreuungsformen gefördert und Anerkennung für die Erziehungsleistung gezollt werden.[1] Der Umstand, dass andere Eltern eine staatliche Leistung in Anspruch nehmen, begründet aber bei denen, die diese Leistung aus welchen Gründen auch immer nicht in Anspruch nehmen, keinen eigenen fürsorgerechtlichen Bedarf.

Die Förderung öffentlicher Betreuungsangebote als institutionelle Förderung ist nicht gleichzusetzen mit einer direkten finanziellen Förderung derjenigen, die diese Angebote nutzen. Darüber hinaus werden für Betreuungsplätze je nach Ausgestaltung im Land oft nach Elterneinkommen unterschiedlich hohe Eigenbeiträge gezahlt, was das Argument der staatlichen Förderung weiter relativiert. Eine Zuständigkeit des Bundes liegt darüber hinaus für das Recht der Fürsorge nur vor, wenn die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung des Betreuungsgeldes erfordert (Art. 72 Abs. 2 GG). Diese Erforderlichkeit ist konkret beim Betreuungsgeld – anders als bei der bundeseinheitlichen Regelung des Rechtsanspruches auf einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz – nicht gegeben. Ein aus Sicht von Eltern und Arbeitgebern verlässliches und durch individuelle Rechtsansprüche gestütztes Angebot an öffentlicher Betreuung ist bundeseinheitlich notwendig, um die Erwerbsintegration von Eltern zu ermöglichen und ihre Mobilität im Bundesgebiet zu gewährleisten.

Die konkrete Ausgestaltung dieser Angebote obliegt jedoch Ländern und Kommunen, die die Gegebenheiten vor Ort kennen und gestalten. In Bezug auf Geldleistungen, die im zweiten und dritten Lebensjahr des Kindes zur Verfügung gestellt werden, existiert bereits jetzt ein breites Spektrum von landesgesetzlichen Regelungen, die ebenfalls auf diese Gegebenheiten abgestimmt sind. Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung der wirtschaftlichen Einheit oder eine Gefahr des Auseinanderdriftens der sozialen Gegebenheiten trägt der Gesetzentwurf nicht vor. Jedenfalls ist das Argument der unterschiedlichen Verfügbarkeit der öffentlich geförderten Kinderbetreuung in Ost und West nicht überzeugend, weil diesen Unterschieden durch das Betreuungsgeld nicht abgeholfen wird. Es ist im Gegenteil zu erwarten, dass die Unterschiede in der Kinderbetreuungsinfrastruktur zwischen ost- und westdeutschen Bundesländern noch verfestigt werden und vor allem Länder mit schlechter Betreuungsinfrastruktur indirekt besonders von der Leistung profitieren, da die Nachfrage nach Kitaplätzen künstlich verringert wird. Einheitliche Lebensverhältnisse im Bundesgebiet erfordern einen forcierten Ausbau der öffentlichen Kinderbetreuung, aber keine Verschleierung bestehender Unterversorgungen durch ein bundesweites und in den Ländern unterschiedlich beanspruchtes Betreuungsgeld.

II. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG

Die Ausgestaltung des Betreuungsgeldes widerspricht außerdem dem an den Staat gerichteten Gebot zur Durchsetzung der tatsächlichen Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und dem Verbot der faktischen Benachteiligung aus Art. 3 Abs. 2 GG.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geht seit Jahrzehnten davon aus, dass der Gesetzgeber nicht berechtigt ist, Regelungen zu treffen, die das Ziel haben, Frauen von der Erwerbstätigkeit fernzuhalten.[2] Darüber hinaus richtet die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Blick nicht nur auf formale Gleichheit, sondern prüft Regelungen auch auf ihre faktisch benachteiligenden Wirkungen für Frauen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit.[3] Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber außerdem, Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer Durchsetzung der Gleichstellung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit beitragen. Der Verfassungsauftrag will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen.[4] Dies verpflichtet den Gesetzgeber auch dazu, „einer Verfestigung überkommener Rollenverteilung zwischen Mutter und Vater in der Familie zu begegnen“[5] und berechtigt zur Ausgestaltung entsprechender Maßnahmen, wie beispielsweise der Partnermonate beim Elterngeld. Bei der Frage, wie der Gesetzgeber dem Gebot des Art. 3 Abs. 2 GG nachkommt, steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu. Die Art und Weise, wie der Staat seine Verpflichtung erfüllt, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, obliegen seiner Ausgestaltungsbefugnis. Er muss jedoch faktische Benachteiligungen, die sich als Folge seiner Regelungen ergeben, so weit wie möglich vermeiden.[6]

Aus diesem Grunde hat das Bundesverfassungsgericht Regelungen zur Finanzierung des Mutterschutzes, die die tatsächlichen Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern können, indem sie auf das Verhalten von Arbeitgebern einwirken, als unvereinbar mit dem Gleichberechtigungsgebot bewertet.[7] Aus der Sicht des Juristinnenbundes ist dieser Aspekt auch auf Regelungen zu übertragen, die auf die familiäre Aufgabenverteilung der Eltern in der Weise einwirken, dass ein langer Berufsausstieg von Müttern finanziell gefördert wird. Es ist sozialwissenschaftlich belegt, dass lange Erwerbsunterbrechungen von Müttern ihre Arbeitsmarktchancen nach der Rückkehr erheblich verschlechtern und lebenslange Einkommenseinbußen bedeuten.

Der Staat wird daher den Anforderungen aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG nicht gerecht, wenn finanzielle Anreizsysteme geschaffen werden, die die Nichterwerbstätigkeit von Müttern finanziell belohnen und zur Verfestigung traditioneller Rollenbilder in einer für Väter und Mütter wichtigen Lebensphase führen. Der mit der Leistung honorierte Verzicht auf öffentlich geförderte Kinderbetreuung bedeutet zwar nicht, dass nur Frauen ihre Erwerbstätigkeit (länger) unterbrechen und nicht beispielsweise in Teilzeitarbeit in den bisherigen Beruf zurückkehren. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die sich auch in der nach wie vor deutlich unterschiedlichen Inanspruchnahme des Elterngeldes[8] und der Elternzeit ausdrückt, werden jedoch vor allem die Mütter und nicht die Väter ihre Erwerbstätigkeit länger unterbrechen, wenn ein finanzielles System die eigene Kinderbetreuung zu Hause unterstützt und die Wahl der teilweisen Betreuung in öffentlicher Kinderbetreuung finanziell bestraft. Auswirkungen des Betreuungsgeldes auf die Erwerbstätigkeit von Vätern sind demgegenüber eher unwahrscheinlich, weil die soziale Rolle von Männern gesellschaftlich immer noch stark mit dem Ernährerstatus verknüpft ist und das Betreuungsgeld durch seine Ausgestaltung diese Rollenverteilung auch nicht in Frage stellt. Die Auswirkungen dieser Rechtskonstruktion auf die Betreuungsarrangements von Eltern können damit nur als re-traditionalisierend bezeichnet werden. Somit werden die Ziele der Förderung einer partnerschaftlichen Verteilung der Betreuungsarbeit in der Kleinkindphase, die das Bundeselterngeld verfolgt, konterkariert.

Rechtswirkungsforschung zu den Auswirkungen des von 2006 bis 2010 in seiner Ausgestaltung vergleichbaren Betreuungsgeldes in Thüringen spricht eine deutliche Sprache[9]: Der Anteil der in öffentlicher Kinderbetreuung betreuten Zweijährigen ging um etwa 25 Prozent zurück. Anstelle einer Zunahme informeller Betreuungsarrangements zwischen Verwandten, Nachbarn oder Freunden war eine Zunahme der ausschließlichen Betreuung im Elternhaushalt zu verzeichnen. Gleichzeitig sank die Erwerbstätigkeit von Müttern zweijähriger Kinder um 20 Prozent. Erfahrungen aus Norwegen[10] und Finnland[11] belegen ebenfalls einen Rückgang der Müttererwerbstätigkeit in Zusammenhang mit „cash for care“-Leistungen. Diese Erfahrungen sind allerdings nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragbar, da die Kinderbetreuung flächendeckend besser ausgebaut und die Frauenerwerbstätigkeit gesellschaftlich selbstverständlicher ist.

Die Entscheidungen über die Verteilung der Betreuungsarbeit innerhalb von Paarbeziehungen hängen von einer Vielzahl ökonomischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ab, von denen das Betreuungsgeld natürlich nur einen Teilaspekt darstellt. Es muss aber berücksichtigt werden, dass das Betreuungsgeld nicht auf geschlechterpolitisch neutralen Boden fällt, sondern in Zusammenhang mit anderen Faktoren wirkt. Dazu gehören: Gesellschaftlich relevante Unterschiede innerhalb von Paaren (zum Beispiel in Bezug auf beruflichen Status, Qualifikationsniveau und Einkommenshöhe), Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern, die vertikale und horizontale Segregation des Arbeitsmarktes, Verfügbarkeit und Kosten von Kinderbetreuung sowie gesellschaftliche Anschauungen über Geschlechterrollen und Elternschaft.

Das Betreuungsgeld knüpft zwar nicht an die Kategorie Geschlecht an und bedient sich auch nicht des Kriteriums einer fehlenden Erwerbstätigkeit eines Elternteiles als Anspruchsvoraussetzung. Aufgrund der sozialen Rollenverteilung der Geschlechter und der trotz der durch das Elterngeld vorangebrachten Fortschritte immer noch vorhandenen Hauptzuständigkeit der Mütter für die Kinderbetreuung,[12] läuft dieses Konzept darauf hinaus, Mütter zu einer Einschränkung ihrer Erwerbstätigkeit im zweiten Lebensjahr des Kindes zu bewegen bzw. den Wiedereinstieg in den Beruf auf später zu verschieben. Je nachdem, welche Zielgruppe der Mütter betrachtet wird (Frauen mit hohen Einkommen und guter Erwerbsintegration, Frauen mit niedrigen Einkommen) werden diese Effekte unterschiedlich stark ausfallen.[13] In Bundesländern, in denen darüber hinaus ein Landeserziehungsgeld gezahlt wird, würden diese Effekte allerdings wiederum noch verstärkt. Im Lebensverlauf sind die Entscheidungen für lange Betreuungszeiten mit hohen individuellen Kosten und ökonomischen Nachteilen verbunden, wie auch der 1. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung herausgearbeitet hat.[14] Zu diesem Ergebnis kommt ferner ein OECD- Vergleich,[15] der aufzeigt, dass die Familiengründungsphase eine entscheidende Rolle für die Entstehung der unterschiedlichen Erwerbsverläufe von Frauen und Männern spielt. Das Betreuungsgeld wird somit die Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern auf Dauer weiter verfestigen.[16] Die ökonomischen Nachteile von Frauen, die sich für die traditionelle Rolle entscheiden, werden weder derzeit noch absehbar zukünftig in adäquater Weise durch staatliche Leistungen oder individuelle Unterstützung auf Basis von Unterhaltsansprüchen kompensiert. Aus diesen Gründen schafft das Betreuungsgeld keine Wahlfreiheit, sondern schränkt Entscheidungsspielräume im Lebensverlauf ein.

Staatliche Leistungen, die faktisch eine re-traditionalisierende Wirkung haben, widersprechen dem Verfassungsauftrag der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung. Zwar darf der Gesetzgeber finanzielle Anreizsysteme wie die Partnermonate beim Elterngeld schaffen, die Einfluss auf die private Aufgabenverteilung von Eltern bei der Kindererziehung haben, wenn es darum geht, überkommene Rollenstereotype aufzubrechen und sowohl eine partnerschaftliche Erziehung von Müttern und Vätern wie auch eine gleichberechtigte Teilhabe im Erwerbsleben zu befördern. Das Gegenteil ist ihm jedoch verwehrt. Das im Jahr 2013 eingeführte Betreuungsgeld befördert indes durch ein finanzielles Anreizsystem einen längeren Berufsausstieg von Müttern und verfestigt die Kindererziehung in herkömmlichen Familienstrukturen. Es widerspricht demnach dem zukunftsbezogenen Verfassungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG.

III. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 6 Abs. 1 GG

Ferner liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 6 Abs. 1 GG vor, weil die Anknüpfung einer Leistung an die Nichtinanspruchnahme einer staatlichen Infrastruktureinrichtung durch Familien sachwidrig ist und kein nachvollziehbares Kriterium für eine Maßnahme der Familienförderung darstellt.

Der Gesetzgeber hat zwar grundsätzlich einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Familienförderung und ist verfassungsrechtlich insbesondere nicht zur Einführung konkreter Familienleistungen oder zum Ausgleich aller entstehenden Kosten von Familien verpflichtet.[17] Dieser Gestaltungsspielraum findet allerdings seine Grenzen in der freiheitsrechtlichen und der wertentscheidenden Dimension des Art. 6 Abs. 1 GG sowie im Grundsatz der Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung. Insofern sind Zielsetzung und konkrete Ausgestaltung der Leistung an verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zu messen.

Zu diskutieren ist aus Sicht des djb, ob die Anknüpfung des Betreuungsgeldes an ein Negativum – die Nichtinanspruchnahme der öffentlich geförderten Kinderbetreuungsinfrastruktur – einen Eingriff in die freiheitsrechtliche Dimension des Grundrechts bedeutet. Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet (ebenso wie Art. 6 Abs. 2 GG) nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das „Recht der Eltern, ihr familiäres Leben nach ihren Vorstellungen zu planen und zu verwirklichen und insbesondere in ihrer Erziehungsverantwortung zu entscheiden, ob und in welchem Entwicklungsstadium das Kind überwiegend von einem Elternteil allein, von beiden Eltern in wechselseitiger Ergänzung oder von einem Dritten betreut werden soll“[18]. Das Betreuungsgeld steuert und bewertet diese Entscheidungen zumindest dahingehend, dass eine Betreuungsform seinen Bezug ausschließt.

Somit bedeutet das Abstellen auf dieses Kriterium eine staatliche Bewertung von Betreuungsformen, indem der Verzicht auf öffentliche Betreuung als besonders anzuerkennen und förderbedürftig herausgehoben wird. Das Betreuungsgeld gewährt eine staatliche Leistung für eine bestimmte Gruppe von Eltern, die durch ein Merkmal verbunden sind – den Verzicht auf öffentliche Betreuungsangebote – und steht allen anderen Eltern nicht zur Verfügung. Eine Rechtfertigung dieser sachlichen Differenzierung, die Art. 3 Abs. 1 iVm Art. 6 Abs. 1 GG erfordert, ist nicht ersichtlich. Alle Eltern betreuen ihre Kinder selbst und verdienen Anerkennung für diese Leistung, ganz gleich, welche sonstigen Betreuungsformen sie wählen.

Das Betreuungsgeld schafft keine „Wahlfreiheit“, denn es fördert die Wahlmöglichkeiten junger Eltern nur selektiv. Es zwingt Eltern die Wahl zwischen privater und öffentlich geförderter Betreuung im Sinne eines Entweder – Oder auf, denn selbst eine kurzzeitige Betreuung von wenigen Stunden in der Woche in einem öffentlich geförderten Angebot lässt den Anspruch entfallen. Gestaltungsmöglichkeiten erweitert das Betreuungsgeld also nicht. Es knüpft die Leistungsgewährung auch nicht an einen besonderen Förderbedarf der Familien, die keine staatlich geförderte Kinderbetreuung nutzen. Diese Gruppe ist heterogen zusammengesetzt und teilt keine besondere Bedürftigkeit. Das Betreuungsgeld subventioniert einkommensstarke, berufstätige Eltern, die sich jede Form der Kinderbetreuung leisten können. Einkommensschwachen Eltern bleibt es hingegen (anders als das frühere Bundeserziehungsgeld im zweiten Lebensjahr des Kindes) versagt, weil das Betreuungsgeld beim Bezug von Grundsicherungsleistungen angerechnet wird. In der mittleren Einkommensgruppe wirkt es einer frühen Erwerbstätigkeit von verheirateten Müttern entgegen, denn zusammen mit Ehegattensplitting, beitragsfreier Ehegattenmitversicherung und Privilegierung geringfügiger Beschäftigung fördert es traditionelle Rollenbilder. Alleinerziehende Eltern – in der Mehrzahl nach wie vor Mütter – werden hingegen vom Betreuungsgeld kaum profitieren, da sie häufig auf eigene Erwerbstätigkeit und die schnelle Rückkehr in den Beruf angewiesen sind.

IV. Ergebnis

Die Konzeption des Betreuungsgeldes geht von einer „Förderlücke“ bei Eltern aus, die (aus welchen Gründen auch immer) ihr Kind ausschließlich privat betreuen. Der djb sieht in der so eröffneten Vergleichslogik zwischen privater Betreuung und öffentlich geförderter Betreuung das grundlegende Problem der Leistung. Das Betreuungsgeldgesetz hält verfassungsrechtlichen Anforderungen im Ergebnis, wie dargelegt, nicht stand.

 

Ramona Pisal
Präsidentin

Dr. Maria Wersig
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen
Sicherung, Familienlastenausgleich

 

 


[1] BT-Drs. 17/9917, S. 1.

[2] Grundsätzlich bereits 1957: BVerfGE 6, 55 „Zur Gleichberechtigung der Frau gehört, daß sie die Möglichkeit hat, mit gleichen rechtlichen Chancen marktwirtschaftliches Einkommen zu erzielen wie jeder männliche Staatsbürger.“

[3] Vgl. BVerfGE 92, 91, 112 f.; 114, 357, 370 f.; BVerfGE 85, 191, 207; 87, 1, 42; 87, 234, 258.

[4] BVerfGE 85, 191, 207, m.w.N.

[5] BVerfG v. 19. August 2011, Az: 1 BvL 15/11, juris-Rn. 17 ff.

[6] BVerfG, Beschluss vom 18. November 2003 – 1 BvR 302/96 –, BVerfGE 109, 64-96.

[7] BVerfG, Beschluss vom 18. November 2003 – 1 BvR 302/96 –, BVerfGE 109, 64-96.

[8] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 176 vom 27. Mai 2013 zeigt, dass 77 Prozent der Väter von im Jahr 2011 geborenen Kindern Elterngeld für maximal zwei Monate bezogen, sieben Prozent der Väter bezogen Elterngeld für zwölf Monate. Neun von zehn Müttern bezogen Elterngeld für zwölf Monate.

[9] Gathmann/Sass (2012), Taxing Childcare: Effects on Family Labor Supply and Children, IZA Diskussionspapier Nr. 6440, www.iza.org/de/webcontent/publications/papers/viewAbstract; deutschsprachige Zusammenfassung: www.uni-heidelberg.de/md/awi/professuren/amnpoe/studiebetreuungsgeld_deutschekurzfassung.pdf.

[10] Hardoy/Schøne (2008), Incentives to Work: Labour Supply Effects of a Cash-for-Care Subsidy for Non-Western Female Immigrants, Institute for Social Research, Oslo.; Naz (2004), The impact of cash-benefit reform on parents’ labour force participation, Journal of Population Economics, S. 369-383; Schøne (2004), Labour supply effects of a cash-for-care subsidy, Journal of Population Economics, S. 703-727.

[11] Ilmakunnas (1997), Public Policy and Child Care Choices, in: Persson/Jonung (Hrsg), Economics of the Family and Family Policies, London, S. 178–193; Sipilä/Korpinen (1998), Cash versus Child Care Services in Finland, Social Policy and Administration, S. 263-277; Rønsen/Sundström (2002), Family policy and after-birth employment among new mothers – A comparison of Finland, Norway and Sweden, European Journal of Population, S. 121-152.

[12] Nach Informationen des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2011 44 Prozent der Mütter mit Kindern unter drei Jahren nicht erwerbstätig und suchten auch keine Arbeit. Die nicht erwerbstätigen Mütter mit Kindern unter drei Jahren gaben am häufigsten an, aufgrund von Betreuungsaufgaben keine Arbeit zu suchen (69 Prozent). Zeitbudgetstudien belegen ebenfalls dieses Bild.

[13] Vgl. Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (2009): Fiskalische sowie arbeitsmarkt- und verteilungspolitische Effekte der Einführung eines Betreuungsgeldes für Kinder unter 3 Jahren. Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen, Endbericht, wo davon ausgegangen wird, dass Frauen mit hohem Einkommen und guter Erwerbsintegration ihre Entscheidung am geringsten von einem Betreuungsgeld beeinflussen lassen würden. Steuerungseffekte würden demnach eher für teilzeitarbeitende Mütter eintreten und bei Frauen, die ohnehin keine Erwerbsneigung im zweiten Lebensjahr ihres Kindes haben, Mitnahmeeffekte eintreten. Eine Unterscheidung zwischen Steuerungs- und Mitnahmeeffekten ist aus Sicht des djb schwierig, wenn es um die Bewertung des Ergebnisses der Nichterwerbstätigkeit von Müttern geht. Siehe auch Boll/Reich (2012), Das Betreuungsgeld – Eine kritische ökonomische Analyse, Wirtschaftsdienst, S. 125 zu den Auswirkungen auf unterschiedliche Gruppen von Müttern und die Prognose, dass durch ein Betreuungsgeld die Frauenerwerbstätigkeit insgesamt zurückgehen würde.

[14] BT-Drs. 17/6240, S. 223 ff.

[15] OECD (2007), Babies and Bosses. Reconciling Work and Family Life. A synthesis of findings for OECD countries, S. 49 ff.

[16] Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (2009): Fiskalische sowie arbeitsmarkt- und verteilungspolitische Effekte der Einführung eines Betreuungsgeldes für Kinder unter 3 Jahren. Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen, Endbericht, S. 83.

[17] BVerfG v. 7.2.2012, Az. 1 BvL 14/07, juris, Rn. 38.

[18] BVerfG v. 7. Februar 2012, Az: 1 BvL 14/07, juris-Rn. 37.