Stellungnahme: 16-16


Zum Gesetzentwurf zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung

Stellungnahme vom

Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung:  

Öffentliche Anhörung des Bundestagsausschusses für Recht und Verbraucherschutz am 1. Juni 2016

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Einladung zur Anhörung und die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Grundlage der Anhörung war zunächst der Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (BT-Drucksache 18/8210). Zu diesem Entwurf hat der djb inhaltlich bereits am 18. Februar 2016 auf der Basis des Referentenentwurfs des BMJV Stellung genommen[1] und dabei deutlich gemacht, dass der zur Schließung von Schutzlücken im 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches im Juli 2015 bereits von Bundesminister Maas vorgelegte Referentenentwurf ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist, zur vollständigen Umsetzung von Art. 36 der Istanbul-Konvention des Europarats indessen nicht ausreicht.

Anlässlich des Gesetzentwurfs zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (BT-Drucksache 18/8210) haben am Mittwoch, den 27. April 2016, Mitglieder der Gruppe der Frauen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gemeinsam mit den weiblichen Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion ein Expert_innengespräch zur Reform des Sexualstrafrechts geführt. In diesem Gespräch hat der djb ausdrücklich begrüßt, dass nunmehr der Deutsche Bundestag die Chance erhält, das Sexualstrafrecht und die Notwendigkeit seiner Reform zu diskutieren und zu beschließen. Denn die Ereignisse der letzten Monate haben gezeigt, wie sehr die Thematik die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland unabhängig von Herkunft und Nationalität bewegt und wie weit die Überzeugung in unserer Gesellschaft verbreitet ist, dass das „Nein!“ einer Person ausreicht, um bei Fortsetzung sexueller Handlungen an ihr diese als Straftat zu qualifizieren.

Nicht allein Schutzlücken schließen, sondern Wertewandel zum modernen Sexualstrafrecht umsetzen

Die Diskussionen in Medien und Foren wie auch unter Fachleuten haben in den Jahren seit 2014 aber auch die Überzeugung untermauert, dass das geltende Sexualstrafrecht dieser Überzeugung nicht entspricht und dass eine Ratifizierung der Istanbul-Konvention, wie sie zu recht von Deutschland angestrebt wird, eine Reform des Sexualstrafrechts erfordert. Der djb hat hierzu nunmehr bereits drei Stellungnahmen[2] vorgelegt. Ein Teil der in diesen Stellungnahmen, aber auch von anderen Verbänden wie bff und DIMR beschriebenen Schutzlücken wird durch den vorgelegten Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen geschlossen. Das ist ein wichtiger und richtiger Schritt hin zur Umsetzung der Istanbul-Konvention, bildet jedoch die Anforderungen des in Art. 36 dieser Konvention enthaltenen Gebots, alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen, nur unvollständig ab.

Dabei geht es nicht lediglich um das Schließen vereinzelter, durch die Argumentation in den Diskussionen identifizierter einzelner Schutzlücken. Die mehrheitliche gesellschaftliche Überzeugung belegt, dass Grundlage hier eine Wertediskussion mit einem notwendigen Paradigmenwechsel hin zum Schutz des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung als Teil der jedem Menschen gebührenden Würde nach Art. 1 GG sein muss. Wie andere grundrechtlich geschützte Werte, z.B. das Recht auf Eigentum, auf körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (APR), muss auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung eines jeden Menschen voraussetzungslos geschützt werden.

In unseren Gesetzen muss deutlich werden, dass die sexuelle Selbstbestimmung einer Person ebenso voraussetzungslos geschützt ist wie ihr Portemonnaie auf dem Tisch. Die Zeiten, in denen die sexuelle Selbstbestimmung der einen Person, nämlich der (Ehe)Frau, im Recht gesetzlich dem Recht einer anderen Person, nämlich dem (Ehe)Mann untergeordnet war, wie es im Familienrecht des BGB bis über die Mitte des letzten Jahrhunderts hinaus der Fall war, sind in den letzten 30 Jahren mühsam und in kleinen Schritten überwunden worden. Die Diskussionen hierzu reichten von der Streichung der Erfüllung ehelicher Pflichten über die Einführung der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe zu dem Paradigmenwechsel, dass Gewalt in der Ehe und in Paarbeziehungen nicht (mehr) Privatsache, sondern von der Gesellschaft missbilligt und strafbar ist.

In der Folge ist es konsequente Umsetzung der Menschen- und Grundrechte, dass eine Person selbst entscheidet, ob, wann und mit wem sie welche sexuelle Handlung austauschen will und dass jeder diese Entscheidung verletzende Übergriff durch das Strafrecht geschützt wird. Das bedeutet: Wenn eine Person - in welcher Weise auch immer - zu erkennen gibt, dass sie die ihr angetragene sexuelle Handlung nicht will, hat eine Fortsetzung sexueller Handlungen zu unterbleiben. Auch aus dem neutralen Verhalten einer Person kann nicht geschlossen werden, dass sie grundsätzlich mit sexuellen Handlungen einverstanden wäre. Dieser Paradigmenwechsel wird mit dem vorgelegten Gesetzentwurf jedoch nicht vollzogen.

Umsetzung des Prinzips „Nein heißt Nein!“ ist keine Frage des Könnens, sondern des Wollens

Dass eine Umsetzung des „Nein-heißt-Nein!“-Prinzips gesetzgeberisch möglich ist, ist bereits mehrfach belegt: So hat Frau Prof. Dr. Tatjana Hörnle in dem von ihr vorgelegten Gutachten[3] als Grundtatbestand formuliert:

Wer gegen den erklärten Willen einer anderen Person oder unter Umständen, in denen fehlende Zustimmung offensichtlich ist, sexuelle Handlungen an dieser vornimmt …

Abgesehen davon, dass dieser Entwurf die Idee von Grundtatbestand, Qualifikationstatbeständen und Verschärfungen konkret umsetzt, wie sie vom djb in der Stellungnahme aus Juli 2014 als Diskussionsentwurf aufgezeigt wurde, ist damit die Autonomie jeder Person im Kontext ihrer sexuellen Kontakte dem Menschenrecht des Art. 1 GG entsprechend gewahrt.

Auch die im Rahmen der Länderbeteiligung zum Gesetzentwurf aus Niedersachsen vorgeschlagene Ergänzung zeigt, dass eine Umsetzung möglich ist, wenn neben Umstellungen als Ergänzung in den Änderungen des § 179 StGB-E formuliert wird:

㤠179 - Sexueller Missbrauch

(1)…

1….

2.

Wer sexuelle Handlungen gegen den nach außen erkennbaren Willen einer anderen Person an dieser vornimmt oder von ihr an sich vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder mit einem Dritten bestimmt, wird …“

Auch dieser Formulierungsvorschlag setzt den autonomen Willen einer Person zur Entscheidung über ihre gewünschten sexuellen Kontakte an erste Stelle. Zugleich erfordern sowohl der Entwurf von Prof. Hörnle als auch der niedersächsische Vorschlag eine Kommunikation der Beteiligten, wie sie im alltäglichen Leben in unserer aus freien und gleichberechtigten Individuen zusammengesetzten Gesellschaft selbstverständlich sein sollte.

Es ist eben gerade nicht mehr üblich, dass eine Person ungefragt und straflos die (Grund-)Rechte einer anderen Person verletzt. Wir leben nicht in einer Gesellschaft, in der der Stärkere sich „sein“ vermeintliches Recht nimmt, sondern in einem demokratischen Rechtsstaat, in dem der Schwächere vor derartigen Eigenmächtigkeiten des Stärkeren geschützt wird, in letzter Konsequenz und als ultima ratio auch durch das Strafrecht.

Der Vorschlag, den der djb in seiner Stellungnahme vom 25. Juli 2014 vorgelegt hat, bildet den erforderlichen Paradigmenwechsel noch klarer als die genannten Formulierungsvorschläge ab:

Wer ohne Einverständnis einer anderen Person

a) sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von der Person vornehmen lässt oder

b) diese Person zur Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung an oder mit einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

Diesem mit dem Wortlaut der Istanbul-Konvention übereinstimmenden djb-Entwurf liegt die gesellschaftlich getragene Feststellung zugrunde, dass auch eine Person, die keinen erkennbaren entgegenstehenden Willen gefasst und sich nicht nach außen wahrnehmbar ablehnend verhalten hat, die sich vielmehr völlig neutral verhält, nicht grundsätzlich sexuell verfügbar ist. Im Diskussionsentwurf des djb wurde dieser Vorschlag als Grundtatbestand formuliert und um eine Legaldefinition des Einverständnisses ergänzt.

Schließlich hat auch Österreich 2015 sein Sexualstrafrecht reformiert. Dort gilt nun:

Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung

§ 205a. (1) Wer mit einer Person gegen deren Willen, unter Ausnützung einer Zwangslage oder nach vorangegangener Einschüchterung den Beischlaf oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vornimmt, ist, wenn die Tat nicht nach einer anderen Bestimmung mit strengerer Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zu bestrafen.

(2) …

Damit ist das Prinzip „Nein heißt Nein!“ in einem Staat gesetzlich umgesetzt, dessen Rechtssystem dem unseren in wesentlichen Punkten entspricht. Das zeigt: die Umsetzung ist nicht eine Frage des Könnens, sondern des Wollens. Nach den Diskussionen der letzten Monate und den zu Tage getretenen Rechtsauffassungen zu den Wertvorstellungen in weit überwiegenden Teilen der Gesellschaft erscheint es nicht (mehr) vorstellbar, mit welcher Begründung der Bevölkerung eine Nicht-Umsetzung dieses Prinzips erklärt werden könnte.

Dies belegen auch die weiteren, zur Anhörung vorgelegten Gesetzentwürfe:

  • Gesetzentwurf der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Cornelia Möhring, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Entwurf eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes zur Änderung des Sexualstrafrechts (BT-Drucksache 18/7719)

und

  • Gesetzentwurf der Abgeordneten Katja Keul, Ulle Schauws, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches zur Verbesserung des Schutzes vor sexueller Misshandlung und Vergewaltigung (BT-Drucksache 18/5384)

Als Maßstab für eine Umsetzung des Prinzips „Nein-heißt-Nein!“ und eine umfassende Reform des Sexualstrafrechts lassen sich folgende Punkte festhalten:

  1. Das Rechtsgut „Recht auf sexuelle Selbstbestimmung“ muss als Teil der Würde eines jeden Menschen und damit als Menschenrecht und Grundrecht gem. Art. 1 GG voraussetzungslos geschützt werden.
  2. Zum Schutz des Rechtsguts „Recht auf sexuelle Selbstbestimmung“ ist ein Paradigmenwechsel im deutschen Sexualstrafrecht erforderlich, der Art. 36 Istanbul-Konvention (Strafbarkeit der nicht einverständlichen sexuellen Handlungen) umsetzt und auf eine wehrhafte Verteidigung dieses Rechtsgutes als Voraussetzung einer Strafbarkeit verzichtet.
  3. Die Grundprinzipien des Strafverfahrens, insbesondere die Unschuldsvermutung, der Zweifelsgrundsatz („in dubio pro reo“) und die Pflicht, einem Verdächtigen die Tat nachweisen zu müssen, bleiben unangetastet.
  4. Der Grundtatbestand wird als Vergehen ausgestaltet und umfasst alle denkbaren Fallgruppen ausgehend von der Bildung des freien Willens der betroffenen Person, ob, mit wem, wann, wo und welche sexuelle Handlungen sie vornehmen oder dulden möchte.
  5. Die Fallgruppen unterscheiden sich nach denjenigen Betroffenen, die in der Lage sind, einen freien Willen zu bilden und (verbal oder nonverbal) zu äußern, denjenigen, die in der Bildung oder Äußerung eines freien Willens erheblich eingeschränkt sind, denjenigen, die aus körperlichen oder psychischen Gründen nicht in der Lage sind, einen freien Willen zu bilden oder zu äußern, und denjenigen, die durch den Täter in ihrer freien Willensbildung oder Willensäußerung beeinträchtigt sind.
  6. Auf dem Grundtatbestand bauen verschiedene Qualifikationen für Tatkonstellationen mit erhöhtem Tatunrecht und dementsprechend erhöhtem Strafrahmen auf.

Diesem Maßstab werden die vorgelegten Gesetzentwürfe mit unterschiedlichen Formulierungen gerecht. Diese Gesetzentwürfe gehen jeweils von einem Grundtatbestand aus, der das Prinzip des „Nein-heißt-Nein!“ umsetzt, und bauen darauf Strafschärfungen für verschiedene Fallkonstellationen mit darüber hinausgehendem Unrechtsgehalt auf, dem mit entsprechend erhöhten Strafrahmen Rechnung getragen wird.

Das Prinzip „Nein-heißt-Nein!“ wird in den Entwürfen in unterschiedlichen Formulierungen umgesetzt:

  • Der Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE legt „gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person“ als Tatbestandsmerkmal zugrunde.
  • Der Gesetzentwurf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN knüpft an das Tatbestandsmerkmal „der entgegenstehende Wille des Opfers erkennbar zum Ausdruck gebracht“ an.
  • Prof. Dr. Tatjana Hörnle hat in ihrem Entwurf aus dem Jahr 2015 das Tatbestandsmerkmal „gegen den erklärten Willen oder unter Umständen, in denen fehlende Zustimmung offensichtlich ist“ benannt.

Wesentliches Element, an das alle Vorschläge anknüpfen, ist, wie von der Istanbul-Konvention gefordert, der frei gebildete Wille der betroffenen Person.

Denkbar wäre auch eine Formulierung „gegen den erklärten Willen“. Allerdings erscheint dies im Wortsinne zu einschränkend, stellt es doch auf eine ausdrückliche Erklärung ab ohne das konkludent oder nonverbal eindeutige Zum-Ausdruck-Bringen des Willens klar mit einzubeziehen. Bei einer solchen Formulierung ist deshalb ein entsprechender Zusatz wie im Vorschlag Hörnle 2015 unverzichtbar.

Die Ausgestaltung des Grundtatbestandes als Vergehen ist in den vorgelegten Gesetzentwürfen ebenso wie im Entwurf Hörnle 2015 einheitlich und erscheint wegen der in diesem Kontext auch erfassten, in der Intensität der sexuellen Handlung zum größeren Teil geringeren Tathandlungen angemessen. Sie erlaubt eine an der individuellen Schuld ausgerichtete Strafzumessung durch die Gerichte. Dabei erscheint allerdings eine Mindeststrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe zu hoch, da sie zur Regelung eines minderschweren Falles drängt um bei geringerer individueller Schuld auf eine Geldstrafe übergehen zu können. Dies ließe sich über § 47 StGB bei einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten auch ohne Einführung eines minderschweren Falles für den Grundtatbestand erreichen.

Die Erfahrung in der Praxis hat gezeigt, dass ein Schwerpunkt des Verteidigungsverhaltens in diesem Deliktsbereich ist zu versuchen, zur Annahme eines minderschweren Falles zu kommen. Dies kann die Schuldzuweisung über moralische, die Lebensweise, Lebensumstände und Verhaltensweisen des Opfers betreffende Vorwürfe mit einschließen, was für die betroffenen Opfer besonders belastend sein und durch die neue, durch das 3. ORRG eingeführte Regelung in § 48 Absatz 3 Nr. 3 StPO nur bedingt abgefangen werden kann. Von der Einführung eines minderschweren Falles für den Grundtatbestand sollte deshalb im Interesse des Opferschutzes abgesehen und die Mindeststrafe im oben genannten Bereich von drei Monaten bemessen werden.

Die Abstufungen in den Strafrahmen der Fallkonstellationen mit erhöhtem Unrechtsgehalt erscheinen dagegen vertretbar.

Es droht keine Einbeziehung nicht strafwürdiger sexueller Handlungen in die Strafbarkeit

Die von manchen geäußerte Sorge, es würden nicht strafwürdige sexuelle Handlungen in die Strafbarkeit des Sexualstrafrechts einbezogen, ist nicht begründet.

Hierzu wird in Zusammenhang mit überraschender Begehungsweise als Beispiel genannt, dass der eine Partner überraschend sexuelle Handlungen am anderen vornimmt, um diesen zu weiteren, einvernehmlichen sexuellen Handlungen zu stimulieren. Für die Begehungsweise der sexuellen Handlung ist neben den objektiven Tatbestandsmerkmalen stets auch mindestens bedingter Vorsatz erforderlich, der bei dem beschriebenen Beispiel indessen nicht nachweisbar ist. Bringt jedoch der andere Partner zum Ausdruck, dass er die Annäherung nicht wünscht, ist ab diesem Zeitpunkt dolus eventualis gegeben, wenn die sexuellen Handlungen gleichwohl fortgesetzt werden.

In gleicher Weise verhält es sich mit dem Tatbestandsmerkmal des vom Opfer subjektiv befürchteten Übels. Ein befürchtetes Übel, dessen Kenntnis dem Angreifenden nicht nachzuweisen ist, kann von seinem Vorsatz auch nicht umfasst sein.

Einführung einer Strafbarkeit der sexuellen Belästigung

Nicht erst die Diskussionen um die Vorfälle in Köln und anderen Orten haben gezeigt, dass sexuelle Belästigung in der Gesellschaft als strafwürdiges Verhalten empfunden wird. Der Gesetzentwurf lässt Fälle noch immer straflos, die bislang nicht als Sexualdelikt geahndet wurden, weil die sexuelle Handlung – wie beispielsweise ein Griff zwischen die Beine – als nicht „erheblich“ im Sinne des § 184 h Abs. 1 StGB erachtet wird. Dies könnte auch auf einige der Taten zutreffen, die als sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht 2015 aus Köln und anderen Städten berichtet wurden. Zwar wird die Unzulänglichkeit der Ahndung solcher Handlungsweisen als Angriff auf die Geschlechtsehre im Rahmen des § 185 StGB in der Begründung des vorliegenden Gesetzentwurfs angesprochen. In den meisten der betreffenden Fälle dürfte selbst eine Ahndung im Rahmen des bestehenden § 185 StGB jedoch überhaupt nicht in Betracht kommen, weil höchstrichterlich seit 1989 bezugnehmend auf BGHSt 36, 145 (149) immer wieder ausgeführt wird:

„§ 185 StGB ist insbesondere kein »Auffangtatbestand«, der es erlauben würde, Handlungen allein deshalb zu bestrafen, weil sie der Tatbestandsverwirklichung eines Sittlichkeitsdelikts nahekommen. Zu einer Änderung dieser Rechtslage ist allein der Gesetzgeber befugt“ (so zuletzt OLG Nürnberg 1 St OLG Ss 219/10 vom 3. November 2010).

Eine diese Gesichtspunkte konsequent berücksichtigende Änderung des StGB müsste nach Auffassung des djb wegen des betroffenen Rechtsguts der freien sexuellen Selbstbestimmung einen Tatbestand der tätlichen sexuellen Belästigung im 13. Abschnitt mit einem dem Unrechtsgehalt dieser Übergriffe angemessenen Strafrahmen ausweisen; er könnte - unabhängig von einer Nummerierung - wie folgt gefasst werden:

§ 179a StGB-E Tätliche sexuelle Belästigung

(1) Wer eine tätliche sexuelle Belästigung an einer Person vornimmt, wird mit Geldstrafe

oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft, wenn die Tat nicht in anderen

Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.

(2) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt.

Eine so gefasste Norm greift die Definition aus dem AGG auf und vermeidet den Zusammenhang mit § 185 StGB, der hier – wie im Entwurf zu Recht ausgeführt – wegen des betroffenen Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung nicht passt. Der Rückgriff auf das AGG eröffnet die Chance, die Rechtsprechung zum AGG in diesem Zusammenhang zur Orientierung für denkbare Fallkonstellationen heranzuziehen. Zudem wird die Pönalisierung rein verbaler Belästigungen – die zum Ehrbegriff des § 185 StGB gehören – vermieden. Schließlich wahrt eine solche Regelung die Opferautonomie, weil die Strafbarkeit an das Erfordernis eines Strafantrags der betroffenen Person gebunden und der Tatbestand als echtes Antragsdelikt gestaltet wird.

 

 

Ramona Pisal                                                                  
Präsidentin                                                          

Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Kommission Strafrecht

 


[1] djb-st16-03 vom 18.2.2016,https://www.djb.de/Kom/K3/st16-03/.

[2] st14-07 vom 9.5.2014, https://www.djb.de/Kom/K3/st14-07/; st14-14 vom 25.7.2014, https://www.djb.de/Kom/K3/14-14/ und st16-03 vom 18.2.2016, https://www.djb.de/Kom/K3/st16-03/.

[3] Menschenrechtliche Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention. Ein Gutachten zur Reform des § 177 StGB. Prof. Dr. jur. Tatjana Hörnle, Deutsches Institut für Menschenrechte 2015.