Stellungnahme: 14-21


zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz, Umsetzung der Richtlinie 2012/29/EU)

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. ORRG).

Die zur Umsetzung der Richtlinie 2012/29/EU im 3. ORRG-E vorgesehenen Regelungen entsprechen weitgehend den Vorgaben der Richtlinie.

In sieben Punkten erscheinen jedoch noch Veränderungen angeraten:

1. In der Begründung des 3.ORRG-E wird erläutert, weshalb von einer Definition des Begriffs "Opfer" in der StPO abgesehen werden soll. Dies erscheint nicht zwingend.

So ist in Österreich bereits seit längerer Zeit eine Definition in die Strafprozessordnung aufgenommen, die u.a. die Vorläufigkeit des Opferstatus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens klarstellt und damit Diskussionen hierzu vermeidet:

§ 65: Im Sinne dieses Gesetzes ist

1. "Opfer"
a. jede Person, die durch eine vorsätzlich begangene Straftat Gewalt oder gefährlicher Drohung ausgesetzt oder in ihrer sexuellen Integrität beeinträchtigt worden sein könnte.
b. der Ehegatte, der eingetragene Partner, der Lebensgefährte, die Verwandten in gerader Linie, der Bruder oder die Schwester einer Person, deren Tod durch eine Straftat herbeigeführt worden sein könnte, oder andere Angehörige, die Zeugen der Tat waren,
c. jede andere Person, die durch eine Straftat einen Schaden erlitten haben oder sonst in ihren strafrechtlich geschützten Rechtsgütern beeinträchtigt worden sein könnte,

2. "Privatbeteiligter" jedes Opfer, das erklärt, sich am Verfahren zu beteiligen, um Ersatz für den erlittenen Schaden oder die erlittene Beeinträchtigung zu begehren,

3. "Privatankläger" jede Person, die eine Anklage oder einen anderen Antrag auf Einleitung des Hauptverfahrens wegen einer nicht von Amts wegen zu verfolgenden Straftat bei Gericht einbringt (§ 71),

4. "Subsidiarankläger" jeder Privatbeteiligte, der eine von der Staatsanwaltschaft zurückgezogene Anklage aufrecht hält.

Entsprechend dem österreichischen Recht ist es empfehlenswert, im Hinblick auf die Unschuldsvermutung die Vorläufigkeit der Stellung des Opfers im Strafverfahren klarzustellen. Die Definition sollte dem Standard der Richtlinie angepasst werden und insbesondere körperliche, geistige und seelische Schädigungen sowie einen wirtschaftlichen Verlust umfassen.

2. Die Umsetzung des Art. 3 der Richtlinie ist zwar durch die Ergänzung  von §§ 171 und 397 III bereits vorgesehen.

In diesem Zusammenhang sollte aber eine Bezugnahme auch für hör-, sprach- und sehbehinderte Personen auf §§ 186 und 191a GVG geprüft werden.[1]

3. Die vorgesehene Hinweispflicht auf Untersützung und Hilfe durch Opferhilfeeinrichtungen sollte, da sie ein die Opfer von Beginn an betreffendes zentrales Recht benennt, in dem neu vorgesehenen §406j nicht als Nr. 5, sondern als Nr. 1 aufgeführt werden.[2]

4. Die in Art. 5 bei Anzeigeerstattung vorgesehene Information für Opfer ist als Ergänzung in § 158 umgesetzt, jedoch an einen Antrag gebunden. Dies dürfte unnötigen bürokratischen Aufwand verursachen. Von der Bindung an einen Antrag sollte abgesehen werden.

Bereits jetzt erhalten die Anzeigeerstatter bei der Polizei eine schriftliche Anzeigebestätigung. Der Mehraufwand, hierin auch den Feststellungsbericht zum Sachverhalt aufzunehmen, dürfte nicht wesentlich ins Gewicht fallen, wird aber Art. 5 eher gerecht. Zugleich wäre in diesem Zusammenhang Art. 4 Abs. 1 i) Rechnung zu tragen, wonach dem Opfer unverzüglich Kontaktangaben für den Fall betreffende Mitteilungen zur Verfügung gestellt werden müssen. Viele Opfer von Straftaten wissen nach der Anzeigeerstattung nicht, an wen sie sich bei Rückfragen und weiter notwendig werdenden Mitteilungen wenden können. Dies gilt insbesondere für Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt, die weit überwiegend Frauen und Mädchen sind. Werden sie nach der Anzeigeerstattung erneut von dem oder den Beschuldigten oder diesen nahestehenden Personen in bedrohlicher Weise kontaktiert, benötigen sie einen schnell aufzufindenden Ansprechpartner oder Ansprechpartnerin. Diese Informationspflicht sollte deshalb in § 158 ausdrücklich vorgesehen werden.

5. Die in Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b vorgesehene Information über Zeit und Ort der Hauptverhandlung ist im 3.ORRG-E in § 406d Abs. 1 eingefügt. Hier scheint aus strukturellen Gründen eine Verortung in § 406d Abs. 2 als Nr. 1 sinnvoller.

6. § 48 3.ORRG-E sieht eine Ergänzung bezüglich der Bedürfnisse besonders belasteter Opfer vor. Der Intention der Richtlinie folgend sollte die Einschätzung der besonderen Schutzbedürftigkeit von Beginn an gewährleistet werden. Deshalb sollte der erste Satz des § 48 Abs. 3 3.ORRG-E wie folgt ergänzt werden:

"Ist der Zeuge zugleich der Verletzte, so sind vom ersten Kontakt an die ihn betreffenden Verhandlungen, Vernehmungen und sonstigen Untersuchungshandlungen stets unter Berücksichtigung einer besonderen Schutzbedürftigkeit durchzuführen."

Zu den psychosozial besonders belasteten Opfern, bei denen es sich um die in Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie genannten Opfer handeln dürfte, zählen überwiegend Frauen. Die Berücksichtigung von Stellungnahmen einer Opfereinrichtung sollte als Soll-Vorschrift ausgestaltet werden:

"Hinweise auf eine besondere Schutzbedürftigkeit in Stellungnahmen einer Opferhilfeeinrichtung sollen berücksichtigt werden."

7. Die neu eingefügte Regelung der psychosozialen Prozessbegleitung ist aus Sicht des djb eine Errungenschaft, die lange überfällig war und insbesondere den verletzten Frauen und Kindern zugute kommen wird, die die Richtlinie als zu schützende Opfergruppe ebenso definiert wie die sog. Istanbul-Konvention. Allerdings ist nach Sinn und Zweck dieser Maßnahme, die nach Maßgabe des § 406g Abs. 2 3.ORRG-E grundsätzlich zu Recht allen Verletzten zur Verfügung gestellt werden soll, aus Sicht des djb in Absatz 5 Satz 2 des § 406 h neu ebenfalls eine Soll-Vorschrift für die Fallkonstellationen des § 397a Abs. 1 Nr. 1 bis 3 notwendig. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die psychosoziale Prozessbegleitung für die Opfer schwerster Sexualdelikte, des Menschenhandels, der versuchten und vollendeten Tötung oder der in § 397a Abs1. Nr. 3 benannten schweren Straftaten nicht zur Verfügung stehen soll. Der besondere Schutz- und Unterstützungsbedarf dieser überwiegend weiblichen Opfer ergibt sich aus Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie.

Die Bezugnahme auf die von der Justizministerkonferenz gebilligten Standards der psychosozialen Prozessbegleitung entspricht langjährigen Forderungen des djb. Insbesondere durch das Trennungsgebot von Beratung und psychosozialer Prozessbegleitung ist die Akzeptanz dieser Opferunterstützung bei der Justiz gewährleistet, weil auf diese Weise einer suggestiven Beeinflussung der geschädigten Zeugen entgegen gewirkt wird. Ein Aussageverweigerungsrecht ist gerade auch aus Gründen dieses Trennungsgebotes nicht erforderlich.

 

Ramona Pisal
Präsidentin

Dagmar Freudenberg
Vorsitzende der Kommission Strafrecht

 


[1] I 1. b) S. 10 3.ORRG-E.

[2] I 1. b) S. 11 3.ORRG-E.