Stellungnahme: 16-02


zum Diskussionsentwurf zur Schaffung eines präventiven Rechtsbehelfs bei überlangen Verfahren in bestimmten Kindschaftssachen

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) bedankt sich für die Gelegenheit, bereits zum Diskussionsentwurf Stellung nehmen zu können.

Der Entwurf soll dazu beitragen, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in der Sache Kuppinger geforderte Einführung eines Rechtsbehelfs gegen lang dauernde Verfahren umzusetzen, mit dem nicht nur eine Entschädigung in Geld beantragt werden, sondern wirksam auch eine Beschleunigung der Verfahren vor den (Familien-)Gerichten herbeigeführt werden kann.

Soweit die Regierung in der Sache Kuppinger darauf hingewiesen habe, dass § 155 FamFG, der die Familiengerichte verpflichtet, Umgangsverfahren vorrangig und beschleunigt durchzuführen, nur eine Empfehlung sei und keine Schnelligkeit auf alle Kosten verlange, behaupte sie (damit) selbst nicht, dass die Vorschrift als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK dienen könne. Folglich sei – so der EGMR – Art. 13 iVm Art. 8 EMRK verletzt (EGMR (V. Sektion), Urteil vom 15. Januar 2015 – 62198/11, NJW 2015, 1433 Rn. 138-145 mit Anm. Steinbeiß-Winkelmann). Denn die positive Verpflichtung, angemessene Maßnahmen zur Gewährleistung des Rechts auf Achtung des Familienlebens zu treffen, würde illusorisch, wenn für die Betroffenen nur ein Rechtsbehelf zur Verfügung stünde, mit dem sie nachträglich eine Entschädigung in Geld erhalten können (Rn. 137).

Zur Diskussion steht mithin allein ein präventiver Rechtsbehelf. Der vorgelegte Entwurf geht darüber hinaus und widerspricht in seiner Ausgestaltung – teilweise – dem Regelungsgefüge des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).

 

Im Einzelnen ist Folgendes anzumerken:

 

Zu § 88 Abs. 3 FamFG-E

Die in Aussicht genommene Ergänzung des § 88 FamFG soll nach der Entwurfsbegründung der Beschleunigung des Vollstreckungsverfahrens dienen. Die Änderung hat einen flankierenden Charakter. Sie dient nicht der Umsetzung der Entscheidung des EGMR. Denn der Gerichtshof hat gegen das Verfahren als solches nichts eingewandt (Rn. 116, 117), sondern vor dem Hintergrund des § 89 Abs. 3 FamFG, der die Festsetzung eines Ordnungsgeldes bis zu 25.000 Euro ermöglicht, nur den im Instanzenzug festgesetzten Betrag (300 Euro) nicht für zwingend gehalten.

Eine praktische Notwendigkeit wird für die Änderung nicht gesehen, weil die Verfahren in Vollstreckungssachen zum einen zeitnah entschieden werden. Zum anderen ist zu bedenken, dass eine schuldhafte Zuwiderhandlung festzustellen (§ 890 ZPO) und die Gewährung rechtlichen Gehörs zwingend ist.

Für den Fall, dass der Beschleunigungsgrundsatz im Vollstreckungsverfahren gleichwohl verankert werden soll, ist er dort nicht richtig verortet. Denn § 88 FamFG betrifft nur die örtliche Zuständigkeit (Keidel-Giers, FamFG, 18. Aufl., § 88 Rn. 4 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung) und die Unterstützungspflicht des Jugendamtes (Abs. 2).

 

Zu § 155b FamFG-E

Der Diskussionsentwurf sieht einen Rechtsbehelf vor, der im Rahmen einer (Selbst-)
Überprüfung des mit der Sache befassten Gerichts dazu beitragen soll, eine zu lange Verfahrensdauer zu erkennen. Er zeigt zudem Maßnahmen auf, wie nach erhobener Rüge zu verfahren ist.

Die Umsetzung der Entscheidung des EGMR ist von solch komplexer Struktur, dass sie sich den Rechtsanwender_innen in ihrer Bedeutung erst auf den zweiten Blick erschließt. Dies gilt insbesondere für die der Rüge zukommende "Doppelfunktion".

Über eine qualifiziert eingelegte Rüge ist immer durch Beschluss zu entscheiden (Abs. 1). Hält das Gericht die Rüge für begründet, hat es zudem unverzüglich Maßnahmen anzuordnen (Abs. 2). Wird hingegen die Rüge für unbegründet erachtet, hat das Gericht im Beschluss im Einzelnen darzulegen, inwieweit der Verfahrensablauf den Voraussetzungen des § 155 Abs. 1 FamFG entspricht.

Hält das Gericht die Rüge für nicht qualifiziert erhoben (hierzu sogleich), soll diese zu den Akten genommen und (ausschließlich) als Rüge gemäß § 198 GVG verstanden werden (Abs. 4) mit der Folge, dass ein Beschluss unterbleibt.

Die beschriebene und nach der (Gesetzes-)Begründung auch beabsichtigte "Doppelfunktion" einer qualifiziert eingelegten Rüge lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift so nicht entnehmen. Ob der Rügeführer, der in den betroffenen Verfahren häufig anwaltlich nicht vertreten ist, dies überhaupt beabsichtigt, darf zudem bezweifelt werden.

Wenn das Gericht die Rüge nicht für qualifiziert eingelegt hält, wird es den rügeführenden Verfahrensbeteiligten zudem darauf hinzuweisen und ggf. auf eine Behebung hinzuwirken haben (§ 28 FamFG).

Deutlich macht Vorstehendes andererseits auch, dass die Umsetzung der Entscheidung des EGMR es erfordert, einen Rechtsbehelf zu schaffen, der in seinen Voraussetzungen und Folgen verständlich gefasst und in seiner Umsetzung effektiv ist.

Wie erwähnt, sieht der Diskussionsentwurf zwar vor, dass die Tatsachen, aus denen sich eine unangemessene Verfahrensdauer ergeben soll, darzulegen sind; er regelt aber nicht, in welcher Form. Die einschlägige Kommentierung zu § 198 GVG empfiehlt zur Sicherung des Entschädigungsanspruchs nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG, die Verzögerungsrüge in einem gesonderten Schriftsatz zu erheben und auch mit einiger Klarheit als solche zu benennen (Lückemann, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2015, Rn. 9 zu § 198 GVG; a. A. Zimmermann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl. 2013, Rn. 57-58 zu § 198 GVG). Dies mag als Orientierung dienen.

Die Rüge kann nach dem Wortlaut der Vorschrift z.B. unverzüglich nach Ablauf der Monatsfrist des § 155 Abs. 2 FamFG erhoben werden, wobei zur Begründung allein der Hinweis auf den Fristablauf genügt. Ist Termin bestimmt, kann die Rüge dennoch nicht zu den Akten genommen werden (s. o.), da das Verfahren nicht den Vorgaben des § 155 Abs. 1 FamFG entspricht. Das beschriebene Procedere führt also im Ergebnis nicht zu der gewünschten Beschleunigung, sondern – im Gegenteil – zu einer Verfahrensverzögerung mit Rücksicht auf
§ 155b Abs. 3 FamFG-E.

Das Beispiel veranschaulicht außerdem, dass die Rüge in Umgangsverfahren, wenn z. B. ein Umgangsausschluss angeregt und verfolgt wird, ggf. sogar zweckwidrig eingesetzt werden kann.

Die in § 198 Abs. 3 S. 2 2. HS GVG enthaltene Regelung zur zulässigen Wiederholung der Verzögerungsrüge, auf die in der Entwurfsbegründung verwiesen wird, findet nachvollziehbar keine Berücksichtigung in § 155b FamFG-E. Sollte der Entwurf in der beabsichtigten Fassung aufrechterhalten werden, wird er entsprechend zu ergänzen sein.

Die inhaltlichen Anforderungen, die der Entwurf schließlich an einen ablehnenden Beschluss stellt (Abs. 3), sind angesichts der wenig konkreten Vorgaben des (allein) in Bezug genommenen § 155 Abs. 1 FamFG kaum geeignet, befriedend zu wirken, insbesondere nicht in den Fällen, in denen über zulässige Vertagungsanträge und/oder Befangenheitsanträge die Verfahrensdauer maßgeblich beeinflusst ist. Die Problematik wird sich mithin in das Rechtsmittel verlagern und damit wiederum ein negativ wirkender "Zeitfaktor" werden.

 

Zu § 155c FamFG-E

Neben der Verzögerungsrüge ist eine Verzögerungsbeschwerde vorgesehen, die in ihrem Regelungsgehalt mit geltendem (Verfahrens-)Recht nicht korrespondiert.

Denn mit § 155c FamFG-E wird – unabhängig von der Untätigkeitsbeschwerde (Abs. 3) – die Anfechtung einer Zwischenentscheidung geregelt, die dem Verfahrensrecht fremd ist. So hat noch der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zu weiteren Änderungen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit von einem solchen „Wertungwiderspruch“ abgesehen und den Grundsatz ausdrücklich beibehalten.

Dies vorausgeschickt hält der djb den konzeptionellen Ansatz der Vorschrift insgesamt für überarbeitungsbedürftig.

 

Im Einzelnen:

1) Nach dem Wortlaut der beabsichtigten Regelung sind alle Entscheidungen gemäß § 155b Abs. 1 FamFG-E anfechtbar. Dies erscheint bei einem der Rüge stattgebendem Beschluss nicht zwingend.

Problematisch ist zudem, dass die Verzögerungsbeschwerde an den Gang des Beschwerdeverfahrens gemäß den §§ 64 ff. FamFG angelehnt wird, was einerseits folgerichtig ist, aber andererseits unberücksichtigt lässt, dass das Verfahren in erster Instanz anhängig bleibt.

Unabhängig von der – unklaren – Beschwerdebefugnis (s.o.), ist daher die Übernahme des § 68 Abs. 1 Satz 2 FamFG (keine Abhilfe) mit Blick auf den verfolgten Zweck, überlange Verfahren zu vermeiden, in der Sache nicht zielführend.

Die zulassungsfreie Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs soll hier nicht näher beleuchtet werden, da der Widerspruch zum geltenden Recht offenkundig ist und sich die Forderung nach einer Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde damit erneut stellt.

2) Überdies ist vorgesehen, dass das Beschwerdegericht in der Sache eine einstweilige Anordnung erlassen kann (Abs. 2 Satz 4). Eine solche Befugnis ist mit den Grundsätzen des FamFG unvereinbar. Denn sie würde – in ihrer Konsequenz – zu einem Auseinanderfallen richterlicher Entscheidungsbefugnis in der Hauptsache und im einstweiligen Anordnungsverfahren führen. Damit widerspricht sie den Regelungen der §§ 50, 54 FamFG, denn die Verfahrensgegenstände entsprechen sich (zu der Problematik: Zöller-Feskorn, ZPO, 31. Aufl., § 50 Rz. 3).

Für den Fall, dass das verzögerte Verfahren den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Umgangssachen betrifft, wird zu bedenken sein, dass die vorgesehene Regelung im Zwischenverfahren die Entscheidungskompetenz des Oberlandesgerichts über die (Verzögerungs-)Beschwerde eröffnet, obwohl die Entscheidung in der Sache unanfechtbar ist (§ 57 Abs. 1 S. 1 FamFG).

Zu berücksichtigen ist schließlich, dass die Dauer der Wirksamkeit der einstweiligen Anordnung des Beschwerdegerichts ungeklärt ist. Nach § 56 Abs. 1 S. 1 FamFG tritt die einstweilige Anordnung bei Wirksamkeit einer anderen Entscheidung außer Kraft. Ist das von der Verzögerungsrüge betroffene Verfahren ein Eilverfahren, dann kann mit Blick auf § 54 Abs. 1 und 3 FamFG sogar eine parallele Zuständigkeit des Familiengerichts einerseits und des Beschwerdegerichts andererseits begründet werden.

3) Der Diskussionsentwurf regelt im Übrigen eine Untätigkeitsbeschwerde (Abs. 3), die an die Verzögerungsrüge anknüpft, sofern nicht gemäß § 155b Abs. 1 FamFG-E über diese Rüge eine Entscheidung innerhalb eines Monats ergeht.

Die eingangs angeführten Bedenken zur "Doppelfunktion" der Rüge werden hier virulent. Genügt die Verzögerungsrüge nicht den Form- und Begründungserfordernissen des § 155b FamFG-E (zu der wenig konkreten Regelung s.o.), ist sie – ohne Entscheidung – zu den Akten zu nehmen. Nach dem Wortlaut des § 155c Abs. 3 FamFG-E wäre in diesen Fallkonstellationen aber die Untätigkeitsbeschwerde eröffnet, was mit Blick auf die notwendige Aktenversendung und Entscheidung durch das Beschwerdegericht erneut eine Verzögerung des Verfahrens bewirkt statt sie zu verhindern.

Zusammenfassend ist festzuhalten: Sollte es bei dem konzeptionellen Ansatz des Verfahrens verbleiben, müssten die Anforderungen nicht nur in Bezug auf die Erhebung der Verzögerungsrüge, sondern auch bezüglich der Untätigkeitsbeschwerde überarbeitet und konkreter gefasst werden, um unnötigen zeitlichen Verzögerungen bei der Bearbeitung im Instanzenzug entgegenzuwirken.

 

Gegen die Änderung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes bestehen keine grundsätzlichen Bedenken.

 

Fazit

Der Entwurf wird der Forderung des EGMR nach einem wirksamen präventiven Rechtsbehelf nicht gerecht. Er ist in der Sache zu komplex und damit ineffizient. Im Übrigen zeigt er Wertungswidersprüche zum geltenden Recht auf, um nur einige Aspekte herauszugreifen.

Der djb hält andere Vorschläge für diskussionswürdiger, so z. B. den Fristsetzungsantrag nach § 91 des Österreichischen Gerichtsorganisationsgesetzes (vgl. auch Weber, Der EGMR als Motor der effektiven Durchsetzung von Umgangsrechten, NZFam 2015, 337 ff. 340 und Peschel-Gutzeit, Noch immer keine Untätigkeitsbeschwerde in Kindschaftssachen – Erneute Kritik des EGMR, ZRP 2015, 170 ff.). Die genannte Vorschrift ist vom EGMR in einer älteren Entscheidung als wirksamer Rechtbehelf angesehen worden (EGMR, Urteil vom 30.1.2001 – 23459/94, ECHR 2001-I, S. 176 Rn. 25 – zitiert nach dem Fundstellenverzeichnis des EGMR).

Um eine vergleichbare Regelung könnte § 155 FamFG "angereichert" werden (zur Änderung dieser Vorschrift: Steinbeiß-Winkelmann a.a.O.).

 

Ramona Pisal                                  
Präsidentin   

Brigitte Meyer-Wehage
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht,
Recht anderer Lebensgemeinschaften