Stellungnahme: 15-09


zum Referentenentwurf des BMJV: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zu weiteren Änderungen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Stand: 29.5.2015)

Stellungnahme vom

I. Einleitung

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) dankt für die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zu weiteren Änderungen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

In der Praxis der Familiengerichte spielen familienpsychologische Gutachten in Sorge- und Umgangsverfahren eine bedeutende Rolle. Das Kindeswohl steht zwar im Vordergrund, die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Eltern gehören jedoch mit zum zu begutachtenden Geschehen. Auftraggeber sind die Familiengerichte, wobei die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen vom Amts wegen zu ermitteln sind (§ 26 FamFG). Die Beweisaufnahme erfolgt regelmäßig durch die Anordnung einer schriftlichen Begutachtung und ist damit eine förmliche, für die über § 30 FamFG die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend gelten.

Davon ausgehend bestimmt das Gericht Inhalt und Umfang der Beauftragung. In Verfahren, die eine Kindeswohlgefährdung zum Gegenstand haben (§ 1666 BGB), ist die Einholung eines Gutachtens die Regel, in den Zuordnungsstreitigkeiten zwischen Trennungseltern dagegen nicht, sie wird aber häufig durch die Eltern – auch im Rahmen des § 1626a BGB – angeregt/beantragt. Seit geraumer Zeit ist ein Anstieg von solchen Anträgen auf Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens zu beobachten, weil gerade im Zuordnungskonflikt der in Trennung lebenden Eltern/Lebenspartner sich diese von einem Gutachten eine für die eigene Person und die eigenen Bedürfnisse günstige Prognose erhoffen. Sie meinen, ihr Kind zu kennen und erwarten eine Bestätigung dieser Kenntnis durch eine fachkundige Vermessung der kindlichen Perspektiven und Wünsche.

Dem Gutachten kommt in der forensischen Praxis eine hohe Bedeutung zu, denn in der ganz überwiegenden Anzahl der Fälle folgen die Familiengerichte den Empfehlungen der Sachverständigen. Das erzeugt vielfach den Eindruck, dass statt des dazu berufenen Familiengerichts die oder der Sachverständige entscheidet, bei wem das Kind lebt oder ob das Kind aus der Herkunftsfamilie herausgenommen wird. Der Ruf nach einer Qualitätskontrolle bei den ausgewählten Sachverständigen, die die berufliche Qualifikation und die Standards der Begutachtung festlegen sollen, wird vermehrt erhoben. Spätestens seit im Frühjahr 2014 eine vom Land Nordrhein-Westfalen unterstützte Studie zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Mehrheit der eingeholten Sachverständigengutachten unter gravierenden Mängeln leiden, ist eine zum Teil heftige Diskussion um die Qualitätsanforderungen für die Sachverständigengutachten entbrannt. Das Vertrauen darauf, dass derartige Gutachten eine valide Grundlage für die richterliche Entscheidung bieten können, ist erschüttert, auch wenn diese Studie – zum Teil zu Recht – als wenig repräsentativ und methodisch zweifelhaft angesehen worden ist (siehe nur: Dr. Uwe Jopt, Dr. Katharina Behrend, Stellungnahme des Fachverbandes systemisch-lösungsorientierter Sachverständiger im Familienrecht v. 13.10.2014).

Das Anliegen, die Regelungen zur Einholung von Sachverständigengutachten zu ergänzen und zu konkretisieren, ist nicht zu verkennen und im Grundsatz zu begrüßen.

II. Im Einzelnen

Artikel 1

Gegenstand des Referentenentwurfs sind u.a. Änderungen der Zivilprozessordnung (ZPO) zu den §§ 402 ff. ZPO, gegen die es inhaltlich – mit Einschränkungen (s.u.) – wenig zu erinnern gibt. Soweit § 404 Absatz 1 ZPO um die Anhörung der Parteien vor der Bestellung eines Sachverständigen ergänzt wird, ist damit eine bisher schon geübte Praxis gesetzlich geregelt worden.

Die beabsichtigte Regelung zur Anzeigepflicht des Sachverständigen gemäß § 407a Absatz 2 ZPO-E sollte einer Überprüfung unterzogen werden, da ihre systematische Stellung im Sachverständigenrecht nicht deutlich wird, auch nicht mit Hilfe der Begründung. Denn die Formulierung „Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen“ ist angelehnt an § 42 Absatz 2 ZPO. Sofern damit also primär Gründe gemeint sein sollten, die eine Befangenheit annehmen lassen, entspricht die Vorschrift in ihrem Regelungsgehalt dann (eher) § 48 ZPO, der aber eine Entscheidung erfordert und nicht einen (bloßen) Austausch der Person genügen lässt, die hier offenbar angedacht ist. Der Gesetzgeber sollte für eine Klarstellung sorgen, auch in Abgrenzung zu § 406 ZPO.

Artikel 2

1) zu Nummer 2 (§ 145 FamFG-E)

Die beabsichtigte Neuregelung des § 145 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) trägt einem praktischen Bedürfnis nach Rechtssicherheit im Bereich der besonders grundrechtssensiblen Statusfragen Rechnung. Nach der bisherigen Rechtslage kann ein richtig erteilter Rechtskraftvermerk, der auf die  Möglichkeit der Ehegatten abstellt, sich selbst mit Rechtsmitteln gegen den Scheidungsausspruch zu wenden, unrichtig werden, wenn ein Versorgungsträger gegen den Ausspruch zum Versorgungsausgleich Rechtsmittel führt. Da es für die Zulässigkeit des Rechtsmittels des Versorgungsträgers allein darauf ankommt, wann diesem die Entscheidung zugestellt wird, kann dessen Rechtsmittel zeitlich deutlich später eingelegt werden. Wenn bei der Zustellung der Entscheidung zum Versorgungsausgleich Versorgungsträger versehentlich übergangen werden, kann es sogar zu einer Verzögerung von bis zu sechs Monate kommen. Denn gemäß § 63 Abs. 3 S. 2 FamFG beginnt die Einlegungsfrist erst fünf Monate nach Erlass des Beschlusses.

Sind Versorgungsträger unbeabsichtigt übergangen worden, wird häufig Beschwerde eingelegt. In der Praxis von Bedeutung sind die Fallkonstellationen, in denen vergessen worden ist, die Entscheidung dem im laufenden Verfahren hinzugetretenen Zielversorgungsträger zuzustellen; zusätzlich auch die Versorgungsanrechte, deren Existenz die beteiligten Eheleute nicht bedacht haben. So kommt es z.B. immer wieder vor, dass der gesetzliche Rentenversicherungsträger bei der angeordneten Teilung eines Anrechts durch Übertragung in ein noch zu begründendes Konto feststellt, dass bereits ein – ungeklärtes – Konto des begünstigten Ehegatten besteht. In diesen Fällen wird das Rechtsmittel eingelegt, um die Klärung des Kontos im Beschwerdeverfahren zu erreichen.

In all den beschriebenen Konstellationen steht den beteiligten Eheleuten nach Einlegung des Hauptrechtsmittels durch den Versorgungsträger gemäß § 145 ZPO das Recht zu, ein Anschlussrechtsmittel auch bezüglich des Scheidungsausspruchs zu führen. Davon machen sie zwar in der Regel keinen Gebrauch – aber die Rechtskraft des Scheidungsausspruchs kann dennoch (nach geltendem Recht) nicht eintreten. Ist die Zustellung an einen Versorgungsträger übersehen worden, ist der erteilte Rechtskraftvermerk daher immer unrichtig. Das birgt nicht nur die Gefahr der Schließung unbeabsichtigter Doppelehen, sondern führt auch dazu, dass der Einsatzzeitpunkt für die Zahlung nachehelichen Ehegattenunterhalts zu früh angenommen worden ist. Fällt der nacheheliche Ehegattenunterhalt höher aus als der zuvor geleistete Trennungsunterhalt, erleidet der bedürftige Ehegatte einen Nachteil.

Diese Rechtsunsicherheiten beseitigt die Einschränkung der Anschlussrechtsmittel in der geplanten Änderung des § 145 FamFG.

Soweit gegen die Einschränkung der Anschlussrechtsmittel geltend gemacht wird, dass z.B. der unterhaltsbedürftige Ehegatte (in der Regel noch immer die Frau) rechtlos gestellt ist, kann dem mit Blick auf § 246 FamFG nicht beigetreten werden.

2) zu Nummer 3 (§ 163 FamFG-E)

Das Kernanliegen des Entwurfs ist die Änderung des § 163 FamFG. Hintergrund ist – wie eingangs erwähnt – ein Untersuchungsbericht der Fernuniversität Hagen über die Qualitätsstandards in der Familienrechtspsychologischen Begutachtung, der von Prof. Dr. Salewski und Prof. Dr. Stürmer im vergangenen Jahr erstellt worden ist. Übergeordnetes Ziel war, an einer repräsentativen Stichprobe festzustellen, ob und inwieweit familienrechtspsychologische Gutachten wissenschaftlichen Mindestanforderungen genügen. Die Stichprobe umfasst 116 Gutachten aus den Jahren 2010 und 2011, die aus Vollerhebungen an vier Amtsgerichten im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm stammen.

Nach der Studie wurden 91,4 Prozent der Gutachten von Diplom- oder M.Sc.-Psychologen verfasst.

Zusammengefasst kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass zwischen einem Drittel und mehr als 50 Prozent der Gutachten als mängelbehaftet zu bezeichnen sind.

Die Studie ist nicht ohne Kritik geblieben. Der Erstellung bzw. Erarbeitung wissenschaftlicher Mindeststandards hat sich ein Arbeitskreis unter Beteiligung der Berufsverbände angenommen.

Ob die beabsichtigte Regelung – die Aufnahme bestimmter beruflicher (Grund-)
Qualifikationen erscheint sachgerecht und entspricht mit Blick auf die Beauftragung von Sachverständigen bereits gängiger Praxis – der Fehlervermeidung dient, darf allerdings bezweifelt werden.

Auch eine Begründung der Beweisanordnung (§ 163 Absatz 1 Satz 2 FamFG-E) wird kritisch gesehen. Denn sie führt zu Wertungswidersprüchen im Verfahrensrecht.

In § 359 ZPO, der über § 30 FamFG in den hier einschlägigen (Kindschafts-)Verfahren zur Anwendung kommt, ist der Inhalt eines Beweisbeschlusses klar geregelt. Die streitigen Tatsachen und Beweismittel sind zu nennen (§ 359 Nr. 1 und 2 ZPO), die Sachverständigenauswahl, sofern nicht im FamFG gesondert geregelt (vgl. § 167), richtet sich nach § 404 ZPO.

Erläuterungen des Gerichts zur Auswahl eines Beweismittels sind in der Zivilprozessordnung und im FamFG nicht vorgesehen, da eine Überprüfung der Beweiserhebung und Beweiswürdigung allein im Rechtsmittelzug stattfindet.

Da von dem erwähnten Grundsatz – auch hier – nicht abgewichen werden soll (folgerichtig mit Blick auf die fehlende Anfechtbarkeit von Zwischenentscheidungen), erschließt sich die beabsichtigte Regelung zum einen bereits unter systematischen Gesichtspunkten nicht. Allein das Informationsinteresse der Beteiligten rechtfertigt die Begründungspflicht nicht. Denn Sachverständigengutachten werden regelmäßig erst nach einer mündlichen Erörterung der (Kindschafts-)Sache in Auftrag gegeben; ein informatorischer Austausch über Ziel und Zweck einer Begutachtung findet mithin auch nach bestehender Gesetzeslage schon statt.

Zum anderen wird zu bedenken gegeben, das selbst bei einer Begründung der Auswahlentscheidung nicht (immer) die Qualität gesichert ist. Denn wie die eingangs erwähnte Studie anschaulich belegt, ist die „Fehlerquote“ häufig unabhängig von der Profession, d.h. Mängel bei der Begutachtung treten auch bei psychiatrisch und psychologisch ausgebildeten Sachverständigen auf.

Sinnvoller erscheint es, die zuständigen Richterinnen und Richter über Fortbildungsmaßnahmen – ggf. im Sinne einer Fortbildungspflicht – zu schulen, damit etwaige Fehler nicht nur erkannt, sondern schon bei der Bestellung und – zuvor – bei der Formulierung der Beweisfragen vermieden werden. Diese Anregung gilt für die am Verfahren weiter Beteiligten, insbesondere die Anwaltschaft, entsprechend.

Dokumentationspflichten des Gerichts sind in diesem Zusammenhang weniger zielfördernd, sondern können sogar dazu führen, dass in erster Instanz von der Einholung eines Gutachtens abgesehen wird und sich die Problematik in die Rechtsmittelinstanz verlagert.

Soweit der Gesetzgeber die Beschleunigung des Verfahrens durch die Verpflichtung des Gerichts zur Fristsetzung anstrebt ist zu berücksichtigen, dass die fristgerechte Erstattung des Gutachtens nur teilweise auf eine verzögerte Bearbeitung des Sachverständigen zurückzuführen ist. Denn häufig sind es (eher) die schwer zu koordinierenden Terminwünsche der Beteiligten, die eine zeitnahe Befassung mit den Beweisthemen verhindern. Die Konsequenz ist, dass eine „Missachtung“ der Fristsetzung durch den Sachverständigen nicht vorliegt und Ordnungsmittel nicht verhängt werden können. Auch darf gerade in Kindschaftssachen eine beschleunigte Gutachtenerstattung nicht einen Verlust an Qualität mit sich bringen.

Die beabsichtigte Verschärfung des Sanktionensystems birgt zudem die Gefahr einer Verzögerung des Verfahrens, wenn gute und deswegen viel gefragte Sachverständige die Begutachtung aus Sorge vor der Verhängung empfindlicher Ordnungsgelder ablehnen, ohne dass gleichzeitig eine konkrete Aussicht darauf besteht, vergleichbar qualifizierte Sachverständige statt ihrer zu bestellen.

 

Ramona Pisal                                  
Präsidentin   

Brigitte Meyer-Wehage
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht,
Recht anderer Lebensgemeinschaften