Stellungnahme: 15-01


in dem Verfahren des Bundesverfassungsgerichts 1 BvR 1227/14 - Adoptionsrecht

Stellungnahme vom

Urteil des BVerfG vom 8. Juni 2015


Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) dankt für die Gelegenheit, zu der Verfassungsbeschwerde vom 5. Mai 2014 gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 12. März 2014 (XII ZB 504/12) Stellung nehmen zu können.

 

I.   Vorbemerkungen

Die Verfassungsbeschwerde befasst sich zum einen mit der Frage, ob die Möglichkeit der Aufhebung der Volladoption allein für die Zeit der Minderjährigkeit eine nicht verfassungskonforme Ungleichbehandlung darstellt und zum anderen mit der Frage einer Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem nach Art. 2 GG geschützten Persönlichkeitsrecht durch diese Einschränkung der Aufhebbarkeit eines Adoptionsverhältnisses.

Der Gesetzgeber hat im geltenden Adoptionsrecht die Möglichkeit geschaffen, zu einem Kind ein elterliches Verwandtschaftsverhältnis zu begründen, das in jeder Hinsicht der natürlichen Elternschaft entspricht. Das Adoptionsgesetz von 1976 (BGBl. I 1749) hat die sog. einfache Adoption durch die sog. Volladoption ersetzt und damit das Ziel umgesetzt, durch die Adoption dem Kind die vollständige Eingliederung in einen neuen Familienverband mit neuen Eltern zu ermöglichen. Während das bis zum Jahr 1977 geltende Adoptionsrecht überwiegend vermögensrechtliche und namensrechtliche Schwerpunkte verfolgte, sollte nun „einem Kind, das ein gesundes Zuhause entbehren muss, eine Familie gegeben werden“ (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 7/3061, S. 1). Nach Auffassung des Gesetzgebers verfehlte das bisherige Recht diese Zielsetzung, weil es dem Kind nicht die sichere Geborgenheit in der neuen Familie gewährleistete. Denn der privatrechtliche Vertrag, mit dem bis zur Einführung des Dekretsystems das Annahmeverhältnis begründet wurde, konnte mangelhaft sein und war wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung anfechtbar (BT-Drucks. 7/3061, S. 24). Außerdem entsprach die familienrechtliche Stellung des Kindes nicht der eines eigenen Kindes, weil das Kind Mitglied seiner Ursprungsfamilie blieb.

Der Gesetzgeber entschied daher, dass das Kind mit allen Rechtswirkungen als eigenes Kind in die neue Familie aufgenommen, die alten Verwandtschaftsverhältnisse erlöschen und dass das neue Eltern-Kind-Verhältnis – wie das „auf Geburt beruhende“ – praktisch nicht mehr auflösbar sein sollte. Der Regierungsentwurf (BT-Drucksache 7/3061, S. 25) führte in seiner Begründung aus:

„Der Entwurf geht davon aus, dass die Aufhebung des Annahmeverhältnisses grundsätzlich nicht erfolgen soll. Er befindet sich damit in Übereinstimmung mit dem Europäischen Adoptionsübereinkommen (Artikel 13). Mit der Annahme eines minderjährigen Kindes wird, anders als bei der Annahme an Kindes Statt des geltenden Rechts (§ 1764 BGB), das Familienband zwischen dem Kind und seinen Verwandten der aufsteigenden Linie durchschnitten (§ 1755 BGB-E). Würde das Annahmeverhältnis aufgehoben, stünde das Kind ohne Familienbindung da. Das Gesetz kann zwar bestimmen, daß die Beziehungen zur alten Familie wieder aufleben. Die Verbindungen zur alten Familie werden jedoch rechtlich und in der Regel auch tatsächlich völlig gelöst. Insbesondere wenn seit der Begründung des Annahmeverhältnisses längere Zeit verstrichen ist, wird die alte Familie kaum je bereit und in der Lage sein, das Kind in ein Eltern-Kind-Verhältnis aufzunehmen, das dem Wohl des Kindes entspricht. In der Regel wird das Kind nicht mehr zu seinen leiblichen Eltern zurückkehren können. Die Gefahr, daß das Kind mit der Aufhebung des Annahmeverhältnisses zum „Niemandskind" würde (Engler, Auf dem Weg zu einem neuen Adoptionsrecht, S. 87) wäre groß, die Lage des Kindes wäre schlechter als vor der Begründung des Annahmeverhältnisses. Auch die Vollwertigkeit des durch Annahme begründeten Familienbandes wäre beeinträchtigt, wenn es leicht zu lösen wäre. Alle Beteiligten sollen das Bewußtsein haben, daß das neue Familienverhältnis auf Dauer begründet wird.“

Die neuen Eltern und das Kind erhielten deswegen mit dem Adoptionsgesetz die Sicherheit, die für ein gedeihliches Familienleben notwendig ist. Ein ausländisches Kind erwarb die deutsche Staatsangehörigkeit (BT-Drucksache 7/3061, S. 1, 19). Gleichzeitig beschränkte der Gesetzgeber die Aufhebbarkeit der Volladoption; sie konnte nun nur noch während der Minderjährigkeit des Kindes erfolgen und war nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gerechtfertigt. Zusätzlich musste die Eingliederung des minderjährigen Kindes in einen Familienverband gewährleistet sein.

Diese mit der Einführung des reformierten Adoptionsrechts verbundenen Einschränkungen der Aufhebbarkeit sind direkt nach Inkrafttreten Gegenstand heftiger Kritik gewesen. Insbesondere F.W. Bosch hat dem Gesetzgeber vorgeworfen, entgegen schon im Gesetzgebungsverfahren vorgebrachten Einwänden, die im nun abgeschafften Vertragssystem begründete Gegenseitigkeit des Aufhebungsbegehrens übernommen zu haben; nach seiner Auffassung hatte der Gesetzgeber völlig übersehen, dass nach Eintritt der Volljährigkeit ein wichtiger Grund im Sinne des § 1763 BGB die Aufhebung des Annahmeverhältnisses nicht mehr rechtfertigen konnte (vgl. Bosch, in: FamRZ 1978, 656/ 663). Hier hat Bosch eine Regelungslücke gesehen, die durch eine analoge Anwendung des § 1763 BGB geschlossen werden könnte (vgl. Bosch, in: FamRZ 1978, 656/664). Die absolut fehlende Aufhebbarkeit des nicht durch Realakt, sondern durch Recht geschaffenen Verwandtschaftsverhältnisses kennzeichnete er dabei als eine der Rechtsordnung widersprechende, durch das Dekretsystem nicht zu rechtfertigende Normierung des Adoptionsrechts.

Seit Inkrafttreten des Adoptionsgesetzes im Jahr 1977 sind durch die erweiterten Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin die hier sichtbaren Vorgaben der „natürlichen Elternschaft aufgrund Geburt“ sachlich leicht verändert; es ist heute mehr als 1977 nicht ganz richtig, dass die Elternschaft durch Geburt begründet wird: Für die Mutter gab die technische Möglichkeit einer Ersatzmutterschaft Anlass dazu, im Jahr 1998 durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz festzuschreiben, dass Mutter immer die Frau ist, die das Kind geboren hat (§ 1591 BGB; Entwurf des KindRG, BT-Drucks. 13/4899 S. 82). Seither ist ein Auseinanderfallen von genetischer und rechtlicher Mutterschaft zwar denkbar, aber führt in keinem Fall zu einer Anerkennung der genetischen Mutter.

Rechtlicher Vater wird ein Mann durch Ehe, Anerkenntnis oder richterliche Feststellung (§ 1592 BGB). Nur bei richterlicher Feststellung entspricht die Vaterschaft (nach Einholung eines Gutachtens, § 177 Abs. 2 FamFG) der genetischen Vaterschaft, in den anderen Fällen kann es zum Auseinanderfallen der biologischen zur rechtlichen Vaterschaft kommen.

Vorstehendes erhellt, dass das Adoptionsrecht mithin (nur) einen weiteren denkbaren, durch einen „Rechtsakt“ eröffneten Weg aufzeigt, ohne das Vorliegen einer biologischen Vaterschaft die rechtliche Vaterschaft für ein Kind zu erlangen. Damit erschließen sich in den Auswirkungen auf die Beteiligten deutlich Parallelen zum Abstammungsrecht.

Durch die Adoption entstehen wie bei den in §1592 BGB geregelten Fällen der (allein) rechtlichen Vaterschaft Verwandtschaftsverhältnisse. Die Auflösung dieses rechtlichen Bands kann ein Anliegen der beteiligten Eltern und Kinder sein, wenn sie in dem Fortbestehen eine unzumutbare Lage erkennen, die ihre Rechtfertigung nicht in der biologischen Abstammung findet. Die vom Gesetzgeber in beiden Fällen gewünschte oder tolerierte Verwandtschaft wirkt gleich: Das angenommene und das anerkannte Kind wird rechtlich in jeder Hinsicht so behandelt, als sei der betroffene Mann sein Vater. Es ist daher durch die Aufrechterhaltung des rechtlichen Bandes in beiden Situationen gleich betroffen; wie bei Abstammungsfragen hebt sich die Betroffenheit des Einzelnen besonders plastisch hervor.

Abstammungsfragen betreffen den Menschen in seiner individuellen, persönlichen Sphäre. Das Abstammungsrecht ist daher unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wiederholt Gegenstand von Verfassungsbeschwerden gewesen. Das Bundesverfassungsgericht hat unter dem Gesichtspunkt des hohen Stellenwertes der Kenntnis eigener Abstammung den Gesetzgeber in einigen Fällen zur verfassungskonformen Novellierung einzelner Normen aufgefordert (so etwa in BVerfG vom 13. Februar 2007 1 BvR 421/05 – Pflicht des Gesetzgebers, ein rechtsförmiges Verfahren allein zur Feststellung der Vaterschaft bereitzustellen). Auf der Ebene der Grundrechtsbetroffenheit kann dem Recht, eine Abstammung klären zu lassen, spiegelbildlich das Recht auf Aufhebung einer verwandtschaftlichen Beziehung gegenüberstehen.

In welchen unterschiedlichen Situationen eine Aufhebung eines einmal entstandenen Eltern-Kind-Verhältnisses rechtlich in Betracht kommt, ist – soweit hier von Bedeutung – dem Abstammungs- und Adoptionsrecht zu entnehmen. Hier gilt zusammengefasst folgendes:

a) Der Status der Frau, die ein Kind geboren hat, als Mutter eines Kindes ist absolut geschützt; hier scheidet eine Aufhebung des verwandtschaftlichen Verhältnisses aus (Wellenhofer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, Rn. 1 zu § 1591 BGB). Lediglich eine Adoption kann die rechtliche Mutterschaft beseitigen (§ 1755 BGB).

b) Der Status des Mannes als rechtlicher Vater eines Kindes ist weniger intensiv geschützt. Der Mann selbst, die Mutter und das Kind können – dies allerdings allein bei einem Auseinanderfallen von biologischer und rechtlicher Vaterschaft – unter Einhaltung der Fristen in § 1600 b BGB eine Beseitigung durch Anfechtung bewirken. Für die rechtlichen Eltern gilt daher, dass sie einseitig nach Ablauf der durch § 1600 b Abs. 2 Abs. 2 BGB möglicherweise verlängerten Zweijahresfrist gemäß § 1600 b Abs. 1 BGB die Vaterschaft anfechten können. Nach Ablauf der materiellen Ausschlussfristen ist eine Aufhebung auf ihren Antrag nicht mehr möglich. Für das Kind, das während der Minderjährigkeit faktisch nur vertreten durch seine Eltern eine Anfechtung durchführen könnte, gilt nach § 1600 b Abs. 3 BGB, dass die zweijährige Anfechtungsfrist nicht vor Eintritt der Volljährigkeit beginnt. § 1600 b Abs. 6 BGB (bis zum 1. August 2008 § 1600 b Abs. 5 BGB) enthält allerdings eine Ausnahmeregelung. Hier heißt es:

„Erlangt das Kind Kenntnis von Umständen, auf Grund derer die Folgen der Vaterschaft für es unzumutbar werden, so beginnt für das Kind mit diesem Zeitpunkt die Frist des Absatzes 1 S. 1 erneut.“

Der Gesetzgeber hat mit der Einführung dieser Vorschrift eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1989 (BVerfG vom 31. Januar 1989, 1 BvL 17/87, BVerfGE 79, 256) umgesetzt, die sich mit dem Recht eines volljährigen Kindes auf Abstammungsklärung, insbesondere der damals noch erforderlichen Ehelichkeitsanfechtung auseinandersetzte. Mit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz wurde die – nur von der Einhaltung der Zweijahresfrist abhängige – Anfechtung durch volljährige Kinder geschaffen, allerdings auch die zeitlich unbegrenzte Anfechtung wegen Unzumutbarkeit beibehalten. Nach der Entscheidung vom 31. Januar 1989 (BVerfGE 79,256) fehlte die verfassungsrechtliche Rechtfertigung für eine Beschränkung der Anfechtung, wenn eine Gefährdung der Ehe oder des Familienfriedens nicht zu erwarten war und deshalb der Schutz von Ehe und Familie den Ausschluss des Anfechtungsrechts selbst bei Berücksichtigung eines abstrakten Gefährdungsprinzips nicht tragen konnte. Deswegen sei für das volljährige Kind ohne die Erfüllung weiterer Voraussetzungen ein Anfechtungsrecht gegeben.

Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem in seiner Entscheidung vom 26. April 1994 einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht darin erkannt, dass ein Kind auch dann nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach Erlangen der Volljährigkeit die Vaterschaft anfechten konnte, wenn es von den die Zweifel an der Vaterschaft begründenden Umständen keine Kenntnis hatte (BVerfG, Beschluss vom 26. April 1994 zu Aktenzeichen: 1 BvR 1299/89, 1 BvL 6/90). Das führte zur Einfügung des § 1600 b Abs. 3 BGB. Der Gesetzgeber hielt dieses erweiterte Anfechtungsrecht für verfassungsrechtlich geboten, da nur die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft den Weg zu einer Klärung der Abstammung eröffnete (kritisch dazu Gaul FamRZ 1997, 1441, 1458 f., 1460). Nach Ablauf der Zweijahresfrist ab Volljährigkeit blieb dem volljährigen Kind jedoch die Berufung auf einen besonderen Grund im Sinne des § 1596 Abs. 1 Nr. 2-5 BGB aF (BT-Drucksache 13/ 4899, S. 56 f.). Danach war bis zum Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetz die Anfechtung unbefristet möglich, wenn sie wegen ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandels des Mannes, einer schweren Verfehlung des Mannes gegen das Kind (§ 1596 Abs. 1 Nr. 4 aF) oder wegen einer schweren Erbkrankheit des Mannes (§ 1596 Abs. 1 Nr. 5 BGB aF) sittlich gerechtfertigt war.

Vereinzelt wurde in den Fällen des § 1596 Abs. 1 Nr 2 und 3 BGB aF eine Unzumutbarkeit der entstandenen Situation auch bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe und bei dauerhafter Trennung der Ehegatten oder nichtehelichen Lebensgefährten bejaht, da mit der Auflösung der sozialen Familie der Grund für das bisherige Absehen von einer Anfechtung – Rücksichtnahme auf den Familienfrieden – entfiel (BT-Drucks 13/4899 S 56; OLG Celle JAmt 2006, 143).

§ 1600 b Abs. 6 BGB erweitert nun – ohne Auftrag durch das Bundesverfassungsgericht – das Anfechtungsrecht des Kindes, das sich von seinem rechtlichen Vater lösen will, über Abs. 3 hinaus auf die Fälle, in denen die Folgen der Vaterschaft unzumutbar geworden sind Maßstab für die Aufhebbarkeit ist die persönliche Unzumutbarkeit einer Aufrechterhaltung der Vaterschaftszuordnung. Die Anfechtungsfrist von zwei Jahren beginnt mit Kenntnis der Umstände, welche die unzumutbare Situation begründen.

c) Eine Elternschaft, die durch Adoption begründet worden ist, kann nur durch gerichtliche Aufhebung des Adoptionsverhältnisses beseitigt werden (§§ 1764, 1763, 1771 BGB).

Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen der sog. schwachen Adoption bereits volljähriger Menschen nach §§ 1767 ff. BGB und der Volladoption, die im Regelfall minderjährige Kinder betrifft (§ 1741 ff. BGB), aber bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen auch bei Volljährigen durchgeführt werden kann (§ 1772 BGB). Die Volladoption beseitigt in der Regel verwandtschaftliche Beziehungen zur Ursprungsfamilie und stellt daher einen vollständigen Ersatz für die durch Geburt / Ehe begründete vorhergehende Elternschaft her. Diese Folgen auf die verwandtschaftlichen Verhältnisse stellten ein wesentliches Reformziel dar; dem Bestandsschutz des Annahmeverhältnisses trug der Gesetzgeber durch die erschwerte Aufhebbarkeit Rechnung (Frank, in: Staudinger, 2007, Vorbem. Zu §§ 1741 ff BGB, Rn. 10,11).

Der Gesetzgeber hat – als einzige Ausnahme – die Aufhebung einer Volladoption dann vorgesehen, wenn die Adoption schon zu Zeiten scheitert, in denen das Kind noch minderjährig ist, § 1763 BGB. Wird ein minderjährig adoptiertes Kind volljährig, greift § 1763 BGB nicht mehr und das Adoptionsverhältnis kann nicht mehr aufgehoben werden (herrschende Meinung, Bayerisches Oberstes Landesgericht vom 24. August 1990 zu BReg 1 a Z 46/89, BayObLG; FamRZ 1991, 227, 228 f.; zitiert nach Juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19. November 1985 zu Aktenzeichen: 3 W 213/85; zitiert nach Juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 20. Januar 1997, zu 3 W 173/96, FamRZ 1997, 577-578; zitiert nach Juris, Rn. 12ff, zweifelnd an der Verfassungsmäßigkeit bei krassen Ausnahmefällen, unter Verweis auf: OLG Hamm, NJW 1981, 2762 f.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1986, 300; BayObLG, FamRZ 1991, 227, 228 = NJW-RR 1991, 1220; OLG Karlsruhe, FamRZ 1996, 434, 435; Staudinger/Frank, BGB 12. Aufl. § 1763 Rdnr. 4 u. § 1771 Rdnr. 5; Lüderitz, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl. § 1763 Rdnr. 11 u. 1771 Rdnr. 8 a; Palandt/Diederichsen, BGB 56. Aufl. § 1763 Rdnr. 2 u. 1771 Rdnr. 1; a.A. Bosch; Anmerkung zur Senatsentscheidung vom 19. November 1985 in FamRZ 1986, 1149 f.; Holzhauser, in: Erman, BGB 9. Aufl. § 1759 Rdnr. 6).

Grund für diese Unaufhebbarkeit ist der gesetzgeberische Wunsch, gleich der natürlichen Elternschaft eine Unaufhebbarkeit des Status, der weitgreifende Folgen auch auf das Erbrecht hat, herbeizuführen. Wie erwähnt, war Kernziel der Adoptionsrechtsreform 1976 die Eingliederung des adoptierten minderjährigen Kindes in die neue Familie mit allen Rechten der Beteiligten wie aus der Elternschaft nach Geburt. Die Herauslösung aus dem Verband der Ursprungsfamilie sollte wie die Eingliederung in den neuen Familienverband vollständig erfolgen. Auf die der Volladoption eigene absolute Gleichstellung mit der natürlichen Elternschaft hat der Gesetzgeber zurückgeführt, dass eine Unaufhebbarkeit des Annahmeverhältnisses für Volljährige Angenommene gelten muss (vgl. dazu Rainer Frank, in: Staudinger, BGB – Neubearbeitung 2007, Rn. 8 zu § 1772 BGB). Dazu führte der Regierungsentwurf aus (BT-Drucksache 7/3061, S. 27):

„Die Annahme als Kind dient nicht nur der Erziehung und Betreuung des Minderjährigen. Vielmehr soll das angenommene Kind auf Dauer, also auch nachdem es volljährig geworden ist, der neuen Familie zugeordnet bleiben. Der Zweck der Annahme ist also nicht dann erfüllt, wenn das Kind nicht mehr erziehungsbedürftig ist. Die Familienbindung und die Zugehörigkeit zu einem Familienverband hat auch für den Erwachsenen eine erhebliche Bedeutung. Das geltende Recht kennt auch bei einem auf Geburt beruhenden Eltern-Kind-Verhältnis keine Einschränkung, nachdem das Kind volljährig geworden ist. Der Entwurf sieht deshalb keine vertragliche oder sonst erleichterte Möglichkeit der Aufhebung des Annahmeverhältnisses vor, wenn der Angenommene volljährig geworden ist.“

Die Aufhebung einer Adoption war im Übrigen nur im Interesse und auf Antrag des Angenommenen denkbar.

Der Schutz, den der Gesetzgeber hier den neu entstandenen Verwandtschaftsverhältnissen zukommen ließ, unterschied sich von dem Schutz, den der Gesetzgeber bei sog. „schwachen“ Adoptionen Volljähriger vorsah. Zum Verständnis ist es hier notwendig, kursorisch die Auswirkungen des unterschiedlichen Adoptionen auf Verwandtschaftsverhältnisse darzustellen: Der Gesetzgeber differenziert im Zusammenhang mit den durch die Adoption verursachten Veränderungen der verwandtschaftlichen Verhältnisse zwischen einer „Volladoption“ und einer „schwachen“ Adoption. Zur Verdeutlichung der Folgen einer Adoption ist der Stellungnahme eine Übersicht beigefügt, wobei an dieser Stelle ergänzend hervorzuheben ist, dass bei einer Aufhebung der Adoption mit der Verwandtschaft außerdem die Erbrechte wiederaufleben und demzufolge von einer Aufhebung auch die Angehörigen des (ursprünglichen) Familienbandes betroffen sind.

Vorstehendes erhellt, dass der einzige – neben den Antrags- oder Einwilligungsmängeln nach § 1760 BGB – bestehende Aufhebungsgrund (wichtiger Grund i.S.d. § 1763 BGB, der wie bei § 1666 BGB von Amts wegen zu prüfen ist) im Kindeswohl begründet ist. Folgerichtig kann nach § 1763 BGB eine Adoption nur aufgehoben werden, wenn dies aus schwerwiegenden Gründen zum Wohl des Kindes erforderlich ist und gleichzeitig sichergestellt wird, dass das Kind weiterhin der Pflege und Erziehung eines Elternteiles anvertraut bleibt (§ 1763 Abs. 3 lit. a) BGB; BT-Drucks. 7/3061, S. 24).

Da der Gesetzgeber die Reform des Adoptionsrechts mit der Zielsetzung verbunden hat, vor allem minderjährigen Kindern die einschränkungslose Eingliederung in eine neue Familie, in den dortigen Rahmen von Geborgenheit und Fürsorge zu ermöglichen, ist der (einzige) Aufhebungsgrund also letztlich darin gesehen worden, dass die fehlgeschlagene Adoption nicht dazu beitragen darf, dem Kind eine gelungene Eingliederung in den (nächsten) Familienverband zu erschweren. Diese Entscheidung wird verständlich, wenn das Verbot der Kettenadoption gedanklich miteinbezogen wird. Denn die volle Eingliederung eines Kindes in einen neuen Familienverband kann nur gelingen, wenn dieser neue Familienverband das Kind erneut adoptieren dar. Das ist indes ausschließlich dann möglich, wenn die erste dieses minderjährige Kind betreffende Adoption aufgehoben wird (§ 1742 BGB). Für die Volladoption Volljähriger gilt § 1742 BGB nicht (vgl. dazu Maurer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, Rn. 2 zu § 1742 BGB).

Dem minderjährigen Kind ein Aufwachsen in einem funktionierenden Familienverband zu ermöglichen ist mithin das (einzige) Motiv des Gesetzgebers, der Grund für eine Aufhebung der Volladoption also nur bis zur Volljährigkeit eines Kindes denkbar. Mit Eintritt der Volljährigkeit darf das Adoptionsverhältnis nicht mehr aufgehoben werden (vgl. die bereits zitierte herrschende Meinung, Bayerisches Oberstes Landesgericht vom 24. August 1990 zu BReg 1 a Z 46/89, BayObLG; FamRZ 1991, 227, 228 f.; zitiert nach Juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19. November 1985 zu Aktenzeichen: 3 W 213/85; zitiert nach Juris; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 20. Januar 1997, zu 3 W 173/96, FamRZ 1997, 577-578; zitiert nach Juris, Rn. 12ff, zweifelnd an der Verfassungsmäßigkeit bei krassen Ausnahmefällen, unter Verweis auf: OLG Hamm, NJW 1981, 2762 f.; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1986, 300; BayObLG, FamRZ 1991, 227, 228 = NJW-RR 1991, 1220; OLG Karlsruhe, FamRZ 1996, 434, 435; Staudinger/Frank, BGB 12. Aufl. § 1763 Rdnr. 4 u. § 1771 Rdnr. 5; Lüderitz, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl. § 1763 Rdnr. 11 u. 1771 Rdnr. 8 a; Palandt/Diederichsen, BGB 56. Aufl. § 1763 Rdnr. 2 u. 1771 Rdnr. 1; a.A. Bosch; Anmerkung zur Senatsentscheidung vom 19. November 1985 in FamRZ 1986, 1149 f.; Holzhauser, in: Erman, BGB 9. Aufl. § 1759 Rdnr. 6). Die Aufhebung mit dem Ziel, das Kind einem anderen Familienverband zur Pflege und Erziehung anzuvertrauen, ist nämlich begriffsnotwendig bei einem volljährigen Kind nicht mehr denkbar.
 

II. Zur Verfassungsbeschwerde

Der zugrunde liegende Fall kann als Ausnahmefall des Scheiterns einer Volladoption bezeichnet werden. Die Beschwerdeführerin ist im Wege der Stiefkindadoption im Alter von zwei Jahren adoptiert worden und wurde von ihrem 6. bis zu ihrem 17. Lebensjahr von dem Adoptivvater sexuell missbraucht. Die Beschwerdeführerin ist der Meinung, der Gesetzgeber müsse wenigstens für krasse Fälle eine – weitere – Ausnahme von der Unaufhebbarkeit der Adoption zulassen.

Wäre die Beschwerdeführerin noch minderjährig, wäre dieses Verhalten des Adoptivvaters mit großer Gewissheit ein wichtiger Grund im Sinne des § 1763 Abs. 1 BGB; in einer sehr ähnlich gelagerten Konstellation hat das AG Hechingen (Beschluss vom 10. September 1992 zu XVI 9/92, zitiert nach Juris) eine Adoption des Kindes, das Opfer eines sexuellen Missbrauchs des Adoptivvaters geworden war, nach § 1763 BGB aufgehoben.

Während bei Volljährigen, die als Volljährige adoptiert worden sind, eine Aufhebung der Adoption gemäß § 1771 BGB bei beiderseitigem Antrag und Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich ist, beschränkt der Gesetzgeber die Aufhebung der Minderjährigenadoption auf die Zeit der Minderjährigkeit. Die Verfassungsbeschwerde hält die Regelung (§ 1763 BGB) nicht für verfassungsgerecht und nimmt zunächst in den Blick, dass einheitliche Lebenssachverhalte im Sinne des Art. 3 GG ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt werden. Außerdem stelle es einen Verstoß gegen das in Art. 2 GG verbürgte Recht der freien Persönlichkeitsentfaltung dar, dass die Aufhebung des Annahmeverhältnisses nach Eintritt der Volljährigkeit ausnahmslos nicht mehr möglich sei.

Die Frage, ob die gesetzgeberische Entscheidung für eine Unaufhebbarkeit einer Volladoption verfassungsgemäß ist, hat in der Vergangenheit bereits mehrfach die Gerichte beschäftigt. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat mit Beschluss vom 24. August 1990 (BReg. 1a Z 46/89, FamRZ 1991 – Seite 229) eine Vorlage im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle abgelehnt und sich in diesem Zusammenhang der Meinung angeschlossen, wonach weder eine Ungleichbehandlung gleicher Lebenssachverhalte vorliegt, die einen Verstoß gegen Art. 3 GG nahelegt, noch die Grundrechte der Beteiligten aus Art. 6 oder 2 GG beeinträchtigt sind. Die Entscheidung über die von dem angenommenen Kind offenbar erfolglos eingelegte Verfassungsbeschwerde (1 BvR 1186/90) ist – soweit hier ersichtlich – nicht veröffentlicht worden.

Das Landgericht Düsseldorf (LG Düsseldorf, Beschluss v. 26. Mai 2000 – 19 T 136/00, ihm folgend das OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. September 2000 – 25 Wx 76/00) hat sich im Jahr 2000 mit der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Unaufhebbarkeit einer Volladoption wegen Eintritts der Volljährigkeit beschäftigt; im Ausgangsfall wünschte der Angenommene nach dem Tod des Adoptivvaters die Re-Adoption durch den leiblichen, ehemals rechtlichen Vater. Das Landgericht hat weder auf einen Verstoß gegen Art. 6 GG erkannt, noch auf einen verfassungsrechtlich zu beanstandenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

Soweit teilweise vorgeschlagen wird, in Fällen katastrophalen Scheiterns der Adoption eine analoge Anwendung des § 1763 BGB oder § 1771 BGB zuzulassen (Bosch, FamRZ 1978, 656 [664], Erman, BGB, 9. Aufl., § 1759 Rdnr. 6; Soergel/Liermann, BGB, 12. Aufl., § 1771 Rdnr. 10; OLG Zweibrücken 3. Beschluss vom 20. Januar 1997 zu 3 W 173/96, zitiert nach Juris, Rn. 12-14), lehnt die herrschende Meinung dies unter Berufung auf die Unauflösbarkeit der „natürlichen“ Elternschaft und wegen Fehlens einer Regelungslücke mit Recht ab (vgl. nur LG Düsseldorf, LG Düsseldorf; Beschluss vom 26. Mai 2000 – 19 T 136/00, a.a.O.; Franke, in: Staudinger, 12. Aufl., Rn. 14 zu § 1771 BGB).


1.  Prüfungsmaßstab des Art. 2 GG

Nach Auffassung des djb kann sich die Beschwerdeführerin nicht erfolgreich auf eine Verletzung des nach Art. 2 GG geschützten Persönlichkeitsrechts berufen.

Art. 2 GG schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die allgemeine Handlungsfreiheit des Menschen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin kann dadurch verletzt sein, dass sie – als nunmehr Volljährige – keine Möglichkeit mehr hat, das durch die Stiefkindadoption geknüpfte verwandtschaftliche Band zu ihrem Adoptivvater wieder zu lösen, obwohl er sie durch sein vorwerfbares Verhalten erheblich geschädigt und seine väterlichen Fürsorgepflichten in besonders krasser Weise verletzt hat.

Geschützt ist über Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG ein autonomer Bereich privater Lebensgestaltung, in dem die eigene Individualität entwickelt und bewahrt werden kann (BVerfGE 35, 202, 220). Verständnis und Entfaltung der Individualität sind etwa mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbunden; zu diesen zählt neben anderen die Abstammung (BVerfGE 79, 256, 268; Lang, in: Beck’scher online Kommentar, Art. 2 Rn.42; Leibholz/Rink, Grundgesetz, Rn. 154 zu Art. 2 GG).

Die Beschwerdeführerin ist in Ihrem Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung betroffen, da sie durch die gesetzlich normierte Unaufhebbarkeit des Adoptionsverhältnisses in der Rechtsbeziehung zu ihrem Adoptivvater befangen bleibt. Betroffen ist die Privatsphäre der Beschwerdeführerin. Mit der fehlenden Aufhebbarkeit der Adoptionsvaterschaft ist ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin verbunden, denn die Möglichkeit, sich als Individuum nicht nur sozial, sondern auch genealogisch in eine Beziehung zu einem anderen zu setzen – oder nicht zu setzen – wird vom Schutz des Persönlichkeitsrecht mit umfasst (vgl. Leibholz/Rink, Grundgesetz, Rn. 158 zu Art. 2 GG).

Dieser Eingriff stellt sich dann als verfassungsgemäß dar, wenn der Gesetzgeber ein verfassungskonformes Ziel verfolgt, d.h. die Zumutbarkeit für die Beschwerdeführerin gegeben ist. Letzteres erscheint bedenklich, weil der Gesetzgeber den denkbaren Konstellationen, die mit einem besonders schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Beschwerdeführerin und anderer betroffener Kinder oder Eltern einhergehen können, keinen Raum gibt.

Grundsätzlich kann der Gesetzgeber das allgemeine Persönlichkeitsrecht einschränken, der Eingriff muss sich indes – verglichen mit dem verfolgten Ziel – an den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit orientieren (allg. Meinung, vgl. nur Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Lieferung 66, Oktober 2014, Rn. 38 zu Art. 2 GG). Das Ziel des Gesetzgebers war die vollständige Integration des Kindes in den Familienverband, verbunden mit einem Bestandsschutz für den neuen Familienverband.

Gemessen an den hier beteiligten Interessen ist kein Verstoß gegen Art. 2 GG zu erkennen.

Soweit geltend gemacht wird, dass Art. 2 GG durch die Absolutheit der Unauflösbarkeit der Verwandtschaft tangiert ist, kann dem vor Allem nach einem Blick auf die natürliche Elternschaft nicht gefolgt werden. Denn das Scheitern einer Elternschaft ist auch dann allein dem persönlichen Bereich zuzuordnen, wenn leibliche Eltern versagen. Auch hierfür ist kein Aufhebungsgrund gegeben. Der Gesetzgeber kann sich mithin legitim dafür entscheiden, Elternschaft durch Adoption entstehen zu lassen. Es kann zudem nicht beanstandet werden, wenn er die Aufhebbarkeit dieser besonderen Elternschaft ebenso wenig zulässt wie die Aufhebung einer „natürlichen“ Elternschaft. Der Bundesgerichtshof hat in der zugrundeliegenden Entscheidung richtig ausgeführt, dass hier vor allem die einfachgesetzlichen Möglichkeiten, die aktuellen Konsequenzen der bestehenden Verwandtschaft zum Adoptivvater auf ein Mindestmaß zu beschränken, bei der Bewertung der Zumutbarkeit zu beachten sind. So wird sich die Beschwerdeführerin bei Geltendmachung von Elternunterhalt auf eine Verwirkung des Unterhaltsrechts nach § 1611 BGB berufen können (vgl. dazu Reinken, in: Bamberger/Roth, Stand: 1. November 2014, Rn. 4 zu § 1611 BGB); die Kappung des Namensbandes zum Adoptivvater ist nach § 3 NamÄndG möglich, das Erbrecht nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB ausgeschlossen. Da sie im Hinblick auf ihre Abstammung nicht in Ungewissheit lebt, sondern im Gegenteil ihren biologischen Vater spätestens durch Einsichtnahme in die Adoptionsakten ermitteln kann, ist sie auch in ihrem Recht auf Kenntnis von der eigenen Abstammung nicht betroffen (vgl. nur Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Lieferung 66, Oktober 2014, Rn. 154, 202 zu Art. 2 GG; Lorenz, in: Bonner Kommentar, Stand Oktober 2014, Rn. 242-243 zu Art. 2 GG).


2.  Prüfungsmaßstab des Art. 3 GG

Nach Art. 3 GG ist es dem Gesetzgeber untersagt, gleiche Sachverhalte ungleich oder ungleiche gleich zu behandeln, es sei denn, ein abweichendes Vorgehen wäre sachlich gerechtfertigt (Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Lieferung 66, Oktober 2014, Rn. 59 zu Art. 3 GG). Kernfrage ist angesichts des Umstandes, dass wesentlich gleiche Sachverhalte im Detail Unterschiedlichkeiten zeigen werden, stets, ob die (Un-)Gleichbehandlung in ihrem Gewicht durch entsprechende sachliche Gründe aufgewogen wird. Dabei variiert das erforderliche Maß der Rechtfertigung im Hinblick auf die materielle Schwere der Ungleichbehandlung und kann von einer einfachen Willkürprüfung bis zur Prüfung nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten reichen (Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Lieferung 66, Oktober 2014, Rn. 64 zu Art. 3 GG; Kischel, in: Beck’scher Online-Kommentar GG, vor Rn. 1 zu Art. 3 GG; Rüfner, in: Bonner Kommentar, Stand Oktober 2014, Rn. 16,17 zu Art. 3 Abs. 1 GG).

Die Verletzung des Art. 3 GG setzt voraus, dass in einem ersten Schritt überprüft wird, ob wesentlich gleiche Sachverhalte vorliegen und dass sie in einem zweiten Schritt ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt werden. Drittens muss die Beschwerdeführerin von der Ungleichbehandlung betroffen sein.

Die Verfassungsbeschwerde geht davon aus, dass als anderer, wesentlich gleicher Lebenssachverhalt die Aufhebbarkeit der Adoption für Volljährige Kinder zu behandeln ist (a). Nach Auffassung des djb ist aber zu überprüfen, ob nicht auch ein wesentlich gleicher Sachverhalt betroffen sein kann im Hinblick auf die Herstellung eines verwandtschaftlichen Verhältnisses ohne biologische Abstammung durch die Anerkennung eines Kindes bzw. dessen Geburt in einer Ehe (b).

a)  Ungleichbehandlung mit Volljährigen Adoptierten

Ein Volljähriger kann die Adoption aufheben lassen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt und er und der Annehmende darauf antragen; im Übrigen auch unter den Voraussetzungen des § 1760 Abs. 1–5 BGB, die überwiegend formale Aspekte aufgreifen. Die Aufhebung einer Adoption kann ein volljähriger Angenommener allerdings dann nicht erreichen, wenn eine Volladoption vorliegt. Das ist in zwei Fallgruppen denkbar: Zum einen kann ein volljähriger Angenommener bereits zur Zeit der Minderjährigkeit angenommen worden sein; zum anderen kann er als Volljähriger unter den Voraussetzungen des § 1772 BGB mit den Wirkungen der Minderjährigenadoption angenommen worden sein.

Die Verfassungsbeschwerde geht daher zu Unrecht davon aus, dass der Gesetzgeber Gleiches ungleich behandelt, weil sie die Vergleichsgruppe nicht sachgerecht bildet. Auch die Annahme eines Volljährigen kann – wenn es sich um eine Volladoption handelt – unaufhebbar sein. Damit liegt bereits keine Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte vor, denn Volladoptionen sind grundsätzlich nur für minderjährige Personen während ihrer Minderjährigkeit aufhebbar. Das gesetzgeberische Ziel ist hier die Wiedereingliederung des Kindes in einen neuen Familienverband, der ihm die ausschließlich für Minderjährige notwendige Pflege und Erziehung (erneut) angedeihen lassen kann.

b) Ungleichbehandlung mit volljährigen Kindern, die von einer rechtlichen Vaterschaft eines nicht biologischen Vaters betroffen sind

Entsteht ein Verwandtschaftsverhältnisse zum Vater durch Anerkennung (§ 1592 Nr. 2 BGB) oder nach Geburt in eine Ehe hinein (§ 1592 Nr. 1 BGB), obwohl es an der biologischen Vaterschaft des Vaters fehlt, dann ist die Anfechtung der Vaterschaft auch für das volljährig gewordene Kind noch über einen Zeitraum von zwei Jahren möglich, wenn das Fortbestehen des verwandtschaftlichen Bandes unzumutbar ist. Mit Blick auf die Abstammung kann das (volljährige) Kind binnen der Fristen des § 1600 b BGB anfechten, also zwei Jahre nach Bekanntwerden des Anfechtungsgrundes, wobei die Unzumutbarkeit nach § 1600 b Abs. 6 BGB eine weitere Frist in Gang setzen kann. Von einer Unzumutbarkeit ist unter anderem dann auszugehen, wenn sich der Annehmende eines schweren Verbrechens zu Lasten des Anzunehmenden schuldig gemacht hat.

Zu prüfen bleibt daher, ob die Sachverhalte Adoption und Vaterschaft aufgrund fehlerhaften Anerkenntnisses oder Ehe im Sinne des Art. 3 GG wesensgleich sind.

Wie auch bei der Adoption kommt es zu einer Vaterschaft mit allen rechtlichen Konsequenzen, einschließlich des Nichtvorhandenseins erbrechtlicher und unterhaltsrechtlicher Bezüge zur eigentlichen Herkunftsfamilie und zur Herstellung solcher Bezüge zum Scheinvater und dessen Familie. Die Aufnahme in den Haushalt ist für das minderjährige Kind möglich und gewährleistet, da es dem nicht biologischen Vater zur Pflege und Erziehung ebenso anvertraut sein kann wie im Falle einer Adoption. Insoweit liegt nach Auffassung des djb ein wesentlich gleicher Sachverhalt vor.

Die Gleichartigkeit der Lebenssachverhalte wird vor allem in den Fällen der unbewusst falschen Anerkenntnisse deutlich. Denn bewusst unrichtige Vaterschaftsanerkenntnisse (gelegentlich „kalte Adoption“ [Zugriff: 26.1.2015] genannt) werden von den neuen Partnern der Mütter der Kinder bei Ungewissheit über den rechtlichen Vater zur Umgehung des als kompliziert empfundenen Adoptionsverfahrens nicht selten genutzt (vgl. die Sachverhalte bei LG Karlsruhe, Beschluss vom 14. Februar 2003 zu Aktenzeichen 11 T 551/02, zitiert nach Juris; BGH Senat für Anwaltssachen, Beschluss vom 29. Januar 1996 zu Aktenzeichen AnwZ [B] 53/95, zitiert nach Juris, Rn. 4; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 4. Mai 1992 zu Aktenzeichen BReg 1 Z 6/90; zitiert nach juris). Da die Kenntnis von der fehlenden eigenen Vaterschaft nicht einmal das eigene Anfechtungsrecht aushebelt, ist dies außerdem ein Weg, der eine gewünschte Aufhebung deutlich einfacher ermöglicht als bei einer regelgerechten Adoption.

Der Unterschied zwischen Adoption und Vaterschaft aufgrund § 1592 BGB, die ohne biologische Vaterschaft entstanden ist, besteht in jedem Fall darin, dass bei einer Adoption der leibliche Vater in der Regel Kenntnis davon haben kann, dass er Vater ist; er wird im Verfahren angehört und muss in die Adoption einwilligen (§ 1747 BGB). Dies ist bei einer Anerkennung entgegen der biologischen Vaterschaft nicht der Fall, wobei der Gesetzgeber in der jüngeren Vergangenheit die Rechte eines biologischen Vaters, erheblich gestärkt hat (§ 1747 Abs. 1 S. 2; 1600 Abs. 1 Nr. 2; § 1686 a BGB).

Durch die Anfechtung einer Vaterschaft sind im Übrigen wie beim Wiederaufleben der Verwandtschaftsverhältnisse nach einer Adoption auch die biologischen Väter der Kinder betroffen. Die Aufhebung der rechtlichen Vaterschaft durch Anfechtung birgt zwar keinen Automatismus für das Wiederaufleben der alten Verwandtschaftsverhältnisse, sondern ermöglicht nur ein Feststellungsverfahren für die Vaterschaft, das den biologischen Vater betrifft. Dies stellt aber keine relevante Ungleichheit her, weil der Schutz der Verwandten oder des alten Familienverbandes nicht das Kernziel des Gesetzgebers im Anfechtungs- und Adoptionsrecht ist.

Eine Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte ist gegeben. Denn das Anfechtungsrecht eines volljährigen Kindes besteht, sogar ohne absolute Frist Der Gesetzgeber geht hier davon aus, dass der geschützte Rahmen im Familienfrieden zu sehen ist; dieser kann es aber nicht mehr rechtfertigen, die Anfechtbarkeit zu begrenzen, wenn infolge der Volljährigkeit kein enger Familienverband mehr gelebt wird. Deswegen wird im Anfechtungsrecht dem nachvollziehbaren Interesse eines durch eine schwere Verfehlung betroffenen Kindes Rechnung getragen.

Ob diese Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist, scheint äußerst zweifelhaft. Der Gesetzgeber ist zwar nur gehalten, wesentlich Gleiches nicht willkürlich unterschiedlich zu behandeln (Rüfner, in: Bonner Kommentar, Stand Oktober 2014, Rn. 16 zu Art. 3 GG). Nachdem dem Gesetzgeber eine vorsätzlich willkürliche Ungleichbehandlung in den seltensten Fällen wird vorgeworfen werden können, ist gelegentlich eine unbewusste Ungleichbehandlung Anlass für den Willkürvorwurf, der hier nicht als moralischer Vorwurf missverstanden werden darf (Rüfner, in: Bonner Kommentar, Stand Oktober 2014, Rn. 18 zu Art. 3). Ein solcher Fall unerkannter Ungleichbehandlung scheint hier vorzuliegen, denn soweit ersichtlich ist die wesentliche Gleichheit der hier verglichenen Konstellationen weder im Gesetzgebungsverfahren zum Adoptionsgesetz noch zum Kindschaftsrechtsreformgesetz so gesehen worden.

Die Beschwerdeführerin ist von einer Ungleichbehandlung betroffen, denn sie kann das verwandtschaftliche Band zum Adoptivvater nicht lösen, während ein (volljähriges) Kind eines Mannes, der durch Anerkennung oder Eheband rechtlicher Vater geworden ist, die Anfechtung durchführen könnte. Denn die erforderliche Unzumutbarkeit im Sinne des § 1600 Abs. 6 BGB liegt – auf den Fall bezogen – zweifelsohne vor. In dem jahrelangen schweren sexuellen Missbrauch durch den Adoptivvater ist eine schwere Verfehlung zu sehen, sodass die Beschwerdeführerin für den Fall, dass der Täter nicht ihr Adoptivvater, sondern ein durch Anerkenntnis oder Ehe als rechtlicher (aber nicht biologischer) Vater bestimmter Mann wäre, die Vaterschaft anfechten könnte.

3.

Die Verfassungswidrigkeit der bestehenden Gesetzeslage könnte sich daher aus einem Vergleich der Gesetzeslage für adoptierte Kinder und Kinder, die im Wege einer unrichtigen rechtlichen Vaterschaft Verwandtschaftsverhältnisse vorfinden, im Sinne eines Verstoßes gegen Art. 3 GG ergeben.

 

Ramona Pisal                                  
Präsidentin   

Brigitte Meyer-Wehage
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien- und Erbrecht,
Recht anderer Lebensgemeinschaften

 

Anhang: Übersicht über das geltende Adoptionsrecht

 

Annahme als

Folgen für das Verwandtschaftsverhältnis zur Ursprungsfamilie

Aufhebbarkeit

Folgen der Aufhebung auf Verwandtschaftsverhältnisse

Minderjähriges Kind, Adoption durch nicht blutsverwandte Erwachsene

§ 1741

(Volladoption)

§ 1755
alle Verwandtschafts-verhältnisse zur Ursprungsfamilie erlöschen

1.Von Amts wegen gemäß § 1763 BGB, wenn schwerwiegende Gründe zum Wohl des Kindes dies erfordern;

2.Bei Vorliegen der besonderen Gründe des § 1760 BGB (Antragsmängel)

§ 1764 BGB
Aufhebung für Zukunft

Durch Adoption begründete Verwandtschaften erlöschen.

Verwandtschaft zu den „alten“ Verwandten lebt wieder auf
 

Minderjähriges Kind, Adoption durch verwandte Erwachsene

§ 1741

§§ 1755, 1756 I
die Verwandtschafts-verhältnisse zu den leiblichen Eltern erlöschen;
iÜ bleibt es bei den Verwandtschaften

Wie vor

Wie vor

Minderjähriges Kind, Adoption durch Stiefvater/Stiefmutter, beide Eltern leben noch

§ 1741

§ 1755, 1756 II:

Nur die Verwandtschafts-verhältnisse zum abgebenden Elternteil und dessen Verwandten erlöschen

Wie vor

Wie vor

Minderjähriges Kind, Adoption durch Stiefvater/Stiefmutter, der ersetzte Elternteil ist verstorben

§ 1741 Abs. 2

(Volladoption)

§§ 1755, 1756 Abs. 2

Die Verwandtschafts-verhältnisse zu der Familie des verstorbenen Elternteils bleiben unverändert bestehen

Wie vor

Wie vor

Volljähriges Kind, das als minderjähriges Kind in den Haushalt aufgenommen worden ist

mit den Wirkungen nach §§ 1767 , 1772

(Volladoption)

§ 1755, 1772 Abs. 1 S. 1

 

alle Verwandtschafts-verhältnisse zur Ursprungsfamilie erlöschen

§1772 Abs. 2
 

Nur bei Vorliegen der besonderen Gründe des § 1760 (Antragsmängel)
 

§ 1764 findet über 1767 Abs. 2 Anwendung

Wirkungen nur für Zukunft, durch Adoption begründete Verwandtschaften erlöschen,

Verwandtschaft zu den „alten“ Verwandten lebt wieder auf

Volljähriges Kind (schwache Adoption)

§§ 1771, 1767

§ 1770 BGB:
kein Verwandtschaftsver-hältnis zu den Verwandten des Annehmenden

Keine Wegfall der Verwandtschafts-verhältnisse zu den Verwandten des Angenommenen

§ 1771 BGB:
beiderseitiger Antrag und wichtiger Grund

oder

§ 1771 Abs 2 BGB iVm § 1760 BGB (Antragsmängel)
 

Unverändert,

Wegfall der Adoption und der daraus resultierenden Erbrechte