Stellungnahme: 10-10


zu der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 918/10 (Verfassungsmäßigkeit der "Drittelmethode" bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts)

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund (djb) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde 1 BvR 918/10, in deren Zentrum die Frage steht, ob die sogenannte Drittelmethode bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts in Übereinstimmung mit dem geltenden Verfassungsrecht steht. Der djb vertritt die Auffassung, dass das dieser Berechnungsmethode zugrunde liegende Verständnis der ehelichen Lebensverhältnisse mit dem geltenden Verfassungsrecht nicht konform geht und insbesondere auch dem verbindlichen Maßstab des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB widerspricht. Die Drittelmethode führt zu einer nicht gerechtfertigten Schlechterstellung des ehemaligen Ehegatten und einer Besserstellung der neuen Ehe.


I. Die Drittelmethode nach der Rechtsprechung des BGH

Die Drittelmethode beruht auf der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den wandelbaren ehelichen Lebensverhältnissen. Nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung seien bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts spätere Veränderungen des verfügbaren Einkommens – ohne Fixierung auf einen Stichtag – grundsätzlich zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Verminderungen oder Verbesserungen handele. Denn das Recht des nachehelichen Unterhalts begründe keine die früheren ehelichen Lebensverhältnisse unverändert fortschreibende Lebensstandardgarantie. Eine Begrenzung dieser Wandelbarkeit finde lediglich nach dem Zweck des nachehelichen Unterhalts einerseits und der fortwirkenden ehelichen Solidarität andererseits statt. Nur wenn diese Solidarität in unterhaltsrechtlich vorwerfbarer Weise verletzt werde, könne abweichend von den tatsächlichen Verhältnissen etwas anderes gelten. Deshalb wirke sich auch das Hinzutreten weiterer Unterhaltsberechtigter auf den Unterhaltsbedarf eines geschiedenen Ehegatten aus, ohne dass es auf den Rang der Unterhaltsansprüche ankomme. Denn wenn ein Unterhaltspflichtiger eine neue Familie gründe, stelle das kein unterhaltsrechtlich vorwerfbares Verhalten dar. Sei der Unterhaltspflichtige aber einem geschiedenen und einem neuen Ehegatten unterhaltspflichtig, könne dem bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs zu beachtenden Grundsatz der Halbteilung nicht entnommen werden, dass dem Pflichtigen die Hälfte seines Einkommens verbleiben müsse, während die Unterhaltsberechtigten sich die andere Hälfte teilen müssten. Richtig verstanden führe der Halbteilungsgrundsatz vielmehr dazu, dass dem Unterhaltspflichtigen ein Drittel seines unterhaltsrelevanten Einkommens verbleiben müsse und für die unterhaltsberechtigten Ehegatten ebenfalls jeweils ein Bedarf von einem Drittel des Einkommens anzusetzen sei. Eine Dreiteilung des verfügbaren Einkommens sei auch dann geboten, wenn einer oder beide Ehegatten über eigene Einkünfte verfügten. In einem solchen Fall bemesse sich der Unterhaltsbedarf der Berechtigten aus einem Drittel aller verfügbaren Mittel. Auf diese Weise könne dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sich die Unterhaltsansprüche eines geschiedenen und eines neuen Ehegatten wechselseitig beeinflussten.

 

II. Die Auslegung des Begriffs der ehelichen Lebensverhältnisse

1. Der Drittelmethode liegt ein geändertes Verständnis der ehelichen Lebensverhältnisse zugrunde, nach denen sich das Maß des Unterhalts bestimmt (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Gesetz definiert den Begriff der ehelichen Lebensverhältnisse nicht; es nennt auch keinen Zeitpunkt, auf den bei deren Bemessung abzustellen ist. Nach ständiger früherer Rechtsprechung werden die ehelichen Lebensverhältnisse durch die während der Ehe nachhaltig erzielten Einkünfte der Ehegatten geprägt, soweit diese dazu bestimmt sind, den laufenden Lebensbedarf zu decken. An diese prägenden Einkünfte wurde für die Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse – auch hinsichtlich etwaiger Abzüge – angeknüpft. Dies geschah nicht uneingeschränkt stichtagsbezogen, sondern wurde zu Recht insofern gelockert, als es um Veränderungen ging, die auch bei Fortsetzung der Ehe eingetreten und deshalb von dem Unterhaltsberechtigten mitzutragen gewesen wären. Deshalb ist Veränderungen des Einkommens, etwa durch Krankheit, Alter oder unvermeidbare Arbeitslosigkeit, schon bei der Bedarfsbemessung Rechnung getragen worden (BGH FamRZ 2003, 590, 591 f.). Ob der Unterhaltspflichtige unter Berücksichtigung seines eigenen angemessenen Unterhalts und seiner sonstigen Verpflichtungen für den so ermittelten Bedarf aufkommen konnte, war dagegen der gesonderten Prüfung der Leistungsfähigkeit (§ 1581 BGB) vorbehalten.

2. Von der zweistufigen Prüfung (Bedarf einerseits, Leistungsfähigkeit andererseits) ist der BGH auch bei Anwendung der §§ 58, 59 EheG (i. d. F. vom 20. 2. 1946) ausgegangen. Er ist der in der Kommentarliteratur überwiegend vertretenen Auffassung, der Betrag des angemessenen Unterhalts im Sinne des § 58 EheG richte sich von vornherein nach der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten und § 59 EheG regele nur den Sonderfall, dass die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten infolge zusätzlicher Verbindlichkeiten eingeschränkt sei, entgegen getreten. § 59 EheG sei vielmehr als umfassende Regelung des Einflusses der eingeschränkten Leistungsfähigkeit auf den Unterhaltsanspruch zu sehen; § 58 EheG bestimme demgegenüber das Maß des angemessenen Unterhalts objektiv nach dem ehelichen Lebensstandard (BGH FamRZ 1979, 692, 693).

3. Die Auslegung des Begriffs der ehelichen Lebensverhältnisse beruhte somit auf langjähriger, gefestigter Rechtsprechung, die für sich in Anspruch nehmen konnte, den gesetzlich vorgegebenen Bezug der Bedarfsbemessung umzusetzen und eine Einschränkung der Unterhaltspflicht erst auf der Stufe der Leistungsfähigkeit vorzunehmen.

 

III. Das Unterhaltsänderungsgesetz 2007

1. Das Unterhaltsänderungsgesetz sollte das Unterhaltsrecht an die geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse und den eingetretenen Wertewandel anpassen. Es sollten u.a. die steigenden Scheidungszahlen, die vermehrte Gründung von „Zweitfamilien“ mit Kindern nach einer ersten Ehe und die geänderte Rollenverteilung in der Ehe berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund wurden drei Ziele verfolgt: die Stärkung des Kindeswohls, die Betonung des Grundsatzes der Eigenverantwortung nach der Ehe und die Vereinfachung des Unterhaltsrechts (BT-Drucks. 16/1830, S. 1).

2. Der Förderung des Kindeswohls dient u.a. die Änderung der Rangfolge im Mangelfall: Dem Kindesunterhalt soll nunmehr Vorrang vor allen anderen Unterhaltsansprüchen zukommen. Unter den erwachsenen Unterhaltsberechtigten soll im Interesse des Kindeswohls allen Kinder betreuenden Elternteilen der Vorrang zustehen; diese befinden sich deshalb im zweiten Rang. Damit werden erster und zweiter Ehegatte, soweit sie Kinder zu betreuen haben, sowie nicht verheiratete Elternteile gleich behandelt. Für ebenso schutzwürdig sind Ehegatten bei langer Ehedauer gehalten worden, da über Jahre hinweg Vertrauen in die eheliche Solidarität gewachsen sei. Dieses Vertrauen wirke auch nach der Scheidung fort und bedürfe eines besonderen Schutzes. Deshalb sollen sich auch diese Ansprüche im zweiten Rang finden (BT-Drucks. 16/1830, S. 13).

3. Zur Stärkung der Eigenverantwortung nach der Ehe ist dieser schon früher geltende Grundsatz sowie die Erwerbstätigkeit als Obliegenheit ausgestaltet worden. Außerdem ist eine neue, für alle Unterhaltstatbestände geltende Beschränkungsmöglichkeit in Form einer Billigkeitsregelung geschaffen worden. Dabei hält das Gesetz zwar daran fest, dass die während der Ehe erbrachten Leistungen der Ehegatten gleichwertig seien und sie deshalb grundsätzlich „gleiche Teilhabe am gemeinsam Erwirtschafteten“ beanspruchen könnten, was die unterhaltsrechtliche Beziehung der Ehegatten in besonderer Weise bestimme. Der Teilhabeanspruch bedeute aber nicht von vornherein eine Lebensstandardgarantie im Sinne einer zeitlich unbegrenzten und der Höhe nach nicht abänderbaren Teilhabe nach der Scheidung. Die fortwirkende Verantwortung für den unterhaltsbedürftigen Partner erfordere vor allem einen Ausgleich ehebedingter Nachteile. Je geringer solche Nachteile seien, umso eher sei eine Beschränkung des Unterhaltsanspruchs geboten (BT-Drucks. 16/1830, S. 18).

4. Der Vereinfachung des Unterhaltsrechts dienen vor allem die Regelung der unterhaltsrechtlichen Rangfolge, die Konzentration der Begrenzungsregelungen auf eine Norm sowie weitere Änderungen, die sich maßgeblich im Rahmen des Kindesunterhalts auswirken (BT-Drucks. 16/1830, S. 14).

5. Durch diese punktuellen Änderungen des Unterhaltsrechts ist § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB als Maßstab der Unterhaltsbemessung nicht berührt worden. Die Gesetzesbegründung betont vielmehr ausdrücklich, dass § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB unverändert regelt, dass sich das Maß des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt (BT-Drucks. 16/1830, S. 18).

 

IV. Unzutreffende Prämissen der Rechtsprechung zur Drittelmethode

1. Der BGH geht davon aus, dass das Unterhaltsrecht in der Form des Unterhaltsänderungsgesetzes von dem Unterhaltspflichtigen nicht mehr verlange, dass er sich bei Eingehung einer zweiten Ehe über die damit verbundenen Einbußen beim Lebensstandard hinaus zusätzlich einschränke, um den Unterhalt der geschiedenen Ehefrau auf einen Stand zu heben, der ihm selbst nicht mehr zur Verfügung stehe (BGH FamRZ 2010, 111 Tz. 30 ff.).

Damit kann indessen die Berücksichtigung nach der Scheidung entstandener Unterhaltspflichten schon auf der Bedarfsebene nicht gerechtfertigt werden. Der BGH verweist in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen, die sich in der Gesetzesbegründung zu § 1609 BGB, also zum Rang, finden. Nur in diesem Kontext hält die Gesetzesbegründung eine Privilegierung des ersten Ehegatten heute nicht mehr für zu rechtfertigen. Diese Aussage wird im Folgenden auch unmittelbar in den Zusammenhang einer Konkurrenz zwischen mehreren Ehegatten und die dann ggf. vorzunehmende Mangelverteilung gestellt (BT-Drucks. 16/1830, S. 23, 24). Daraus ergibt sich ohne jeden Zweifel, dass nicht die Bedarfsbemessung in Rede steht, sondern die die Leistungsfähigkeit betreffende Frage des unterhaltsrechtlichen Rangs. Von dieser Bedeutung des Rangs geht grundsätzlich auch der BGH aus (BGH FamRZ 2008, 1911 Tz. 45).

2. Der BGH nimmt weiter an, mit der Anknüpfung des Bedarfs an die ehelichen Lebensverhältnisse leite das Gesetz den Bedarf aus der Lebensstellung des Unterhaltspflichtigen ab (BGH FamRZ 2010, 111 Tz. 23). Diese Beurteilung steht in Widerspruch zu der gesetzlich vorgegebenen Differenzierung zwischen Bedarf (§ 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB) und Leistungsfähigkeit (§ 1581 BGB). Der Bedarf ist zunächst unabhängig von der Leistungsfähigkeit zu bestimmen; die Lebensstellung der Unterhaltspflichtigen erlangt erst auf der Ebene der Leistungsfähigkeit Bedeutung.

3. Der BGH bezeichnet die Bedarfsbemessung nach Maßgabe der ehelichen Lebensverhältnisse – weil an einen früheren, tatsächlich nicht mehr bestehenden Zustand anknüpfend – als Fiktion. Eine Einkommensfiktion sei angebracht, wenn es um vorwerfbares Verhalten des Unterhaltspflichtigen gehe, nicht dagegen im Falle einer (dem Unterhaltspflichtigen nicht vorzuwerfenden) Wiederverheiratung (BGH FamRZ 2010, 111 Tz. 25 ff.).

Diese Begründung ist nicht stichhaltig. Es trifft zwar zu, dass es die Lebensverhältnisse der beendeten Ehe real nicht mehr gibt. Selbst wenn man daraus eine Fiktion herleiten wollte, hat das aber nicht zur Folge, dass ein vorwerfbares Verhalten des Unterhaltspflichtigen zu fordern wäre. (Das Fehlen eines vorwerfbaren Verhaltens hält den BGH auch nicht davon ab, von einem fiktiven Einkommen der zweiten Ehefrau auszugehen, a. a. O. Tz. 44 ff.). Vielmehr gibt das Gesetz diese „Fiktion“ für die Bedarfsmesssung mit § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB vor.

4. Nach Auffassung des BGH ist ein Vertrauen des Unterhaltsberechtigten in die Fortgeltung der früheren Verhältnisse nicht geschützt; eine Lebensstandardgarantie werde nicht gewährt (BGH FamRZ 2009, 23 Tz. 25). Dem ist entgegenzuhalten: Dem Unterhaltsrechtsänderungsgesetz liegt zwar die Annahme zugrunde, der „Teilhabegedanke“ bedeute nicht von vornherein eine „Lebensstandardgarantie“. Das Gesetz will einer solchen Garantie aber nicht im Wege einer veränderten Bedarfsbemessung nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB begegnen. Bei diesem Maßstab soll es vielmehr bleiben. Als Mittel, durch die die Teilhabe begrenzt werden kann, nennt das Gesetz die Stärkung der Eigenverantwortung, die Verschlechterung im Rang sowie die Begrenzung und Befristung des Unterhalts nach § 1578b BGB unter Berücksichtigung der dort genannten Kriterien, also nach umfassender Billigkeitsabwägung.

5. Demgemäß geht es bei der Bedarfsbemessung auch nicht darum, eine gleichmäßige „Teilhabe“ der geschiedenen und der neuen Ehefrau des Unterhaltspflichtigen zu erreichen (anders: BGH FamRZ 2010, 111 Tz. 41). Ein solches Verständnis geht am Gesetz und an der Gesetzbegründung vorbei. In Letzterer wird erklärtermaßen am Teilhabegedanken in Bezug auf die geschiedene Ehe festgehalten; es werden allein Begrenzungen der Teilhabe vorgesehen, wenn und soweit die Voraussetzungen des § 1578b BGB vorliegen (BT-Drucks. 16/1830, S. 18).

6. Mangels Änderung des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB erfordert die Berücksichtigung von Veränderungen der für die Bedarfsbemessung maßgeblichen Umstände deshalb nach wie vor deren Bezug zu den ehelichen Lebensverhältnissen (anders: BGH FamRZ 2009, 23 Tz. 23). Ein solcher fehlt hinsichtlich nachehelich entstandener Unterhaltspflichten, insbesondere solchen gegenüber einem neuen Ehegatten. Würde die Ehe weiter bestehen, könnte es keinen neuen Ehegatten geben. Es wäre auch schon wegen der Dauerhaftigkeit, die die Ehe grundsätzlich auszeichnet, unzulässig, wenn man unterstellen wollte, mit einer eingegangenen Ehe sei zugleich deren mögliches Scheitern sowie eine darauf folgende neue Ehe mitgedacht und würde die Einkommensverhältnisse der Ehegatten prägen (BVerfG FamRZ 2003, 1821, 1824).

 

V. Auswirkungen des geänderten Verständnisses der ehelichen Lebensverhältnisse

1. Die geänderte Auslegung des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB wirkt sich unmittelbar auf die Bedarfsbemessung aus. Der Unterhaltsbedarf ist nicht mehr unabhängig von späteren Unterhaltspflichten zu bestimmen, sondern bezieht diese ein. Dadurch werden, wie die Verfassungsbeschwerde aufzeigt, dem Unterhaltsberechtigten die aus einer neuen Ehe des Unterhaltspflichtigen erwachsenen finanziellen Nachteile ebenfalls zugewiesen.

2. Die Auswirkungen beschränken sich aber nicht hierauf. Der Unterhaltsbedarf kann auch dann von Bedeutung sein, wenn es um die Einsatzzeitpunkte der Unterhaltstatbestände geht. Besteht zu einem Einsatzzeitpunkt kein Anspruch, so kann auch kein Anschlussunterhalt, etwa wegen Alters oder Krankheit (§§ 1571, 1572 BGB), verlangt werden. Dieser Fall ist umso wahrscheinlicher, je niedriger der Unterhalt ausfällt, z.B. weil in Höhe des – nach geänderter Rechtsprechung ermittelten Bedarfs – Erwerbseinkommen des Unterhaltsberechtigten vorhanden ist. Von der Höhe des Bedarfs hängt auch die Anwendung der §§ 1577, 1578b und 1579 BGB ab. Die Billigkeitsabwägung im Rahmen des § 1578b BGB kann z.B. nur dann zutreffend vorgenommen werden, wenn der richtig ermittelte Unterhalt „in die Waagschale“ gelangt. Im Übrigen muss es ein Anliegen jeder Begrenzung und Befristung des Unterhalts sein, dass der Unterhaltsberechtigte den vollen Unterhalt erlangt, bevor diese Beschränkungen eingreifen, damit die späteren Beschneidungen besser verkraftet werden können.

 

VI. Vertrauensschutz

1. Eine Bedarfsbemessung nach der Drittelmethode entspricht danach weder der gesetzlichen Systematik, die zwischen Bedarf und Leistungsfähigkeit unterscheidet, noch dem Maßstab des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB sowie dem Willen des Gesetzgebers des Unterhaltsänderungsgesetzes. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass die mit der Drittelmethode einhergehende Beschneidung der Unterhaltsansprüche des Berechtigten durch die Berücksichtigung von Umständen, die der geschiedenen Ehe nicht zuzurechnen sind, nicht beabsichtigt war, sondern gerade vermieden werden sollte.

2. Das Unterhaltsänderungsgesetz enthält keine Übergangsregelung, weshalb das neue Recht ab dem 1. Januar 2008 auch auf zuvor geschlossene Ehen Anwendung findet, soweit es um Unterhaltsansprüche für die Zeit ab Januar 2008 geht. Ein gewisser Vertrauensschutz findet über § 36 Nr. 1 EGZPO in den Fällen statt, in denen über den Unterhaltsanspruch vor dem 1. Januar 2008 ein Titel geschaffen worden ist. In allen anderen, den Ehegattenunterhalt betreffenden Fällen ist übergangslos das neue Recht anzuwenden. Daraus folgt, dass Ehegatten, auch wenn sie in der Vergangenheit auf eine unterhaltsrechtliche Absicherung vertrauen konnten und in diesem Vertrauen Haushaltsführung und Kinderbetreuung übernommen haben, nunmehr gewärtigen müssen, verstärkt in ihre Eigenverantwortung genommen zu werden, sich nicht mehr mit minderjährigen Kindern den Rang teilen zu können, sondern sich im zweiten oder dritten Rang wiederfinden und sich schließlich einer Begrenzung und Befristung des Unterhalts ausgesetzt sehen.

3. In dieser Situation wollte der Gesetzgeber eine behutsame, dem Einzelfall gerecht werdende Anpassung an das neue Recht (BT-Drucks. 16/1830, S. 2). Diese Absicht beschränkt sich nicht auf die von § 36 Nr. 1 EGZPO erfassten Fälle, sondern ist nach Sinn und Zweck der Ausführungen umfassend zu verstehen. So wollte der Gesetzgeber die Altehen von langer Dauer besonders schützen und hat für sie deshalb den zweiten Rang vorgesehen (§ 1609 Nr. 2 BGB; vgl. BT-Drucks. 16/1830, S. 24 f.; einschränkend allerdings BGH FamRZ 2008, 1911 Tz. 66: nur wenn ehebedingte Nachteile vorliegen). Er hat auch im Rahmen des § 1574 BGB dem Vertrauen des Unterhaltsberechtigten Rechnung getragen, um einen unangemessenen sozialen Abstieg zu verhindern (BT-Drucks. 16/1830, S. 17). Gewollt ist eine Lebensstandardgarantie zwar nicht mehr; der Weg, auf dem dieses Ziel zu erreichen ist, wird aber eindeutig vorgegeben. Er führt nicht zu einer eingeschränkten Bemessung des Unterhaltsbedarfs. Vielmehr sollte weiterhin dem Grundsatz der „gleichen Teilhabe am gemeinsam Erwirtschafteten“ Rechnung getragen werden. Begrenzungen ermöglicht allein § 1578b BGB.

4. Wenn zusätzlich der Bedarfsmaßstab verändert worden wäre, könnte ein angemessenes Maß von Vertrauensschutz für Altehen nicht mehr gewährleistet werden: Die betreffenden Ehegatten sähen sich nicht nur stärker in der Eigenverantwortung, müssten sich mit einem schlechteren Rang begnügen und mit einer Begrenzung rechnen, sondern ihnen käme von vornherein nicht das Maß des Unterhalts zu, mit dem sie rechnen und auf das sie bei ihrer Lebensplanung vertrauen konnten. Vor diesem Hintergrund muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB bewusst nicht geändert hat, sondern seine Auslegung und Anwendung nach den von der Rechtsprechung langjährig entwickelten Grundsätzen beibehalten wissen wollte. Denn anderenfalls wäre der Schutz der Altfamilie nicht nur deutlich geschwächt, sondern diese Auswirkung übergangslos in einer Weise verstärkt worden, dass die Teilhabegerechtigkeit „auf der Strecke geblieben“ wäre. Gerade wegen der in diesem Fall begründeten, auch verfassungsrechtlichen Bedenken hat der Gesetzgeber § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB bewusst aufrechterhalten. Ein Verständnis dieser Bestimmung, das nacheheliche Entwicklungen ohne jeden Bezug zur Ehe in die ehelichen Lebensverhältnisse einbezieht, wird daher auch den Anforderungen des Unterhaltsänderungsgesetzes nicht gerecht; es widerspricht ihnen eklatant.

 

VII. Verfassungsrechtliche Auswirkungen

1. Art. 6 Abs. 1 GG begründet die Pflicht des Staates, die Ehe zu schützen und zu fördern, nicht nur für die bestehende Ehe, sondern auch als Folgewirkung einer geschiedenen Ehe. Der Gesetzgeber kann grundsätzlich selbst bestimmen, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz der Ehe unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ehekonstellationen verwirklichen will. Zu prüfen ist lediglich, ob es für eine Verschiedenbehandlung von Ehen hinreichende Gründe gibt. Da Art. 6 Abs. 1 GG auch der geschiedenen Ehe Schutz zukommen lässt, der sich auf Unterhaltsansprüche nach der Scheidung als Folgewirkung der personalen Verantwortung der Ehegatten füreinander erstreckt, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber beim Aufeinandertreffen von Unterhaltsansprüchen aus der geschiedenen und der neuen Ehe eines Unterhaltspflichtigen dem geschiedenen Unterhaltsberechtigten einen Vorrang einräumt. Ebenso kann er aber auch einen Gleichrang der Unterhaltsansprüche vorsehen und den Bedarf der geschiedenen Ehefrau günstiger bemessen als den der neuen Ehefrau und dadurch dem Umstand Rechnung tragen, dass die neuen Ehepartner von der wirtschaftlichen Last aus der ersten Ehe gewusst haben, als sie die Ehe schlossen. Dies stellt nach wie vor einen hinreichenden Grund dar, die unterschiedliche unterhaltsrechtliche Behandlung zu rechtfertigen, zumal wenn zugleich anderweitige Möglichkeiten vorgegeben werden, durch die die Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten wiederum begrenzt werden können.

2. Differenziert der Gesetzgeber insofern zwischen geschiedenen und bestehenden Ehen und gewährt ihnen unterschiedliche Vorteile oder legt ihnen unterschiedliche Belastungen auf, mit denen er ihrer jeweiligen Bedarfslage gerecht werden will, haben die Gerichte dies bei ihren Entscheidungen zu beachten. Das folgt aus dem Gebot des Art. 6 Abs. 1 GG, jeder Ehe den Schutz zukommen zu lassen, der in der jeweiligen gesetzlichen Ausformung eine Konkretisierung findet (BVerfG FamRZ 2003, 1821, 1823 f.). Eine solche Ausgestaltung ist auch bei der Auslegung von § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB zu beachten. Da die vom Oberlandesgericht Saarbrücken angewandte Drittelmethode den Maßstab der vorgenannten Bestimmung grundlegend verkennt, weil gerade nicht zwischen der geschiedenen und der neuen Ehe des Unterhaltspflichtigen differenziert wird, ist der geschiedenen Ehe der ihr zugedachte Schutz entzogen worden. Die Entscheidung dürfte deshalb nicht mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar sein.

3. Überdies hat das Oberlandesgericht den dem Tatrichter zustehenden Interpretationsspielraum bei der Auslegung des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB überschritten, indem es sich die der Drittelmethode zugrunde liegenden Erwägungen zu eigen gemacht hat. Da der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen geschiedener und neuer Ehe durch im Einzelnen aufeinander abgestimmte Vorschriften geregelt hat und damit auch einen – wenn auch eingeschränkten – Schutz der geschiedenen Ehe erreichen wollte, steht es den Gerichten nicht zu, sich hierüber hinwegzusetzen und die Bedarfsbemessung generell nach eigenen, vom Gesetz abweichenden Billigkeitsüberlegungen auszurichten. Dies dürfte mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht in Einklang stehen.

Jutta Wagner
Präsidentin

Dr. Angelika Nake
Vorsitzende der Kommission Zivil-, Familien-
und Erbrecht, Recht anderer Lebensgemeinschaften