Stellungnahme: 13-03


zum Antrag „Frauen verdienen mehr – Entgeltdiskriminierung von Frauen verhindern“, BT-Drs. 17/8897, und zum Entwurf eines Gesetzes zur Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebots für Frauen und Männer (Entgeltgleichheitsgesetz), BT-Drs. 17/9781

Stellungnahme vom

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) begrüßt sowohl den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, ein Gesetz zur Verhinde­rung von Entgeltdiskriminierung vorzulegen, als auch den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebots für Frauen und Männer.

Beide Initiativen verfolgen das wichtige Ziel, Regelungen zur Durchsetzung der schon seit Jahrzehnten gesetzlich vorgeschriebenen Gleichstellung von Frauen und Männern hinsichtlich des Arbeitsentgelts – bisher ein "Papiertiger" – zu schaffen. Der djb fordert seit Langem, dass der Gesetzgeber endlich seiner Verpflichtung nachkommt, die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen (z.B. djb-Stellungnahme 2009/01 zum Thema Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 28.1.2009).

Ausgangspunkt ist Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG. Danach muss der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirken.

Art. 23 der Grundrechtecharta der EU besagt, dass die Gleichheit von Männern und Frauen auch im Bereich des Entgelts sicherzustellen ist.

Art. 157 Abs. 1 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) verpflichtet jeden Mitgliedstaat, die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherzustellen.

Nach Art. 4 der Richtlinie 2006/54 EG müssen bei gleicher Arbeit oder einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, unmittelbare und mittelbare Diskriminierung aufgrund des Ge­schlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen beseitigt wer­den. Dies muss nach Art. 1 der Richtlinie2006/54 EG durch angemessene Verfahren sicher­gestellt werden.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vom August 2006 schreibt vor, dass Benachteiligungen wegen des Geschlechts in Bezug auf die Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt unzulässig sind und verhindert oder beseitigt werden müssen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG).

Der deutsche Gesetzgeber hat sich bisher darauf beschränkt, die einzelne Person, die von Entgeltdiskriminierung betroffen ist, auf ihr individuelles Beschwerde- und Klagerecht zu verweisen. Dieser individuelle Weg hat sich als ungeeignet erwiesen, um Ent­geltdiskriminierung zu verhindern oder zu beseitigen. Aktuell liegt in Deutschland das von Frauen erzielte Entgelt um 22 Prozent unter dem der Männer. Wir stehen damit an drittletzter Stelle im Vergleich aller 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

Auch das vom BMFSFJ zur Prüfung von Entgeltgleichheit propagierte Selbsttestinstrument Logib-D ist nicht geeignet, die Ungleichbehandlung von Frauen beim Arbeitsentgelt zu besei­tigen (dazu: „Logib-D – Verfehlte Hoffnungen auf Anzeige diskriminierungsverdächtiger Entgeltdifferenzen“, djb-Stellungnahme 2010/03 vom 9.3.2010).

Folge der Entgeltdiskriminierung ist, dass die durchschnittliche gesetzliche Rente von Frauen in Deutschland heute 645 Euro im Monat beträgt, die von Männern hingegen 1.595 Euro. Einer Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Februar 2012 zufolge beträgt damit die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern 59,6 Prozent.

Die zwar verbotene, aber tatsächlich existierende Ungleichbehandlung von Frauen und Männern beim Entgelt stellt ein gravierendes Unrecht dar, dem der Staat nicht länger tatenlos zusehen darf. Gesetzliche Vorgaben zur Durchsetzung des nationalen und europarecht­lichen Gebots des gleichen Entgelts für Frauen und Männer sind alternativlos.

 

Im Einzelnen:
Zu Ziff. 1 und 2 des Antrags, deren Inhalt auch der Gesetzentwurf behandelt

Die Durchsetzung von Entgeltgleichheit erfordert Transparenz:

  • Erstens über die Entlohnungspraxis
    Das Tabu, im Kollegenkreis über das eigene Entgelt zu sprechen, muss fallen und ersetzt werden durch einen Auskunftsanspruch über die betriebliche Entlohnung – sonst bliebe es dem Zufall überlassen, Entgeltdiskriminierung zu erkennen.
    Eine arbeitsvertragliche Klausel, die Beschäftigten Stillschweigen über ihr Entgelt vorschreibt, ist natürlich unwirksam(so auch: Urteil LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 21.10.2009, 2 Sa 237/09).
  • Zweitens über die Bewertungsmaßstäbe für gleichwertige Arbeit
    Insoweit schließt der djb sich den Ausführungen der Sachverständigen Dr. Karin Tondorf an.

Um diese Transparenz herzustellen, sind richtigerweise die Arbeitgeber zu verpflichten, ihre Entlohnungspraxis zu überprüfen und zwar unter Anwendung geeigneter Prüfungsverfahren; es erscheint sinnvoll, nur solche Verfahren als geeignet anzusehen, die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) entsprechend zertifiziert werden. Es ist richtig, in diese betrieblichen Prüfungsverfahren die Betriebsräte, Personalräte und Gleichstellungsbeauftragen einzubeziehen, denn es handelt sich um kollektive Tatbestände. Ohne die im Entwurf vorgesehene Verpflichtung zur Veröffentlichung der Prüfungsergebnisse im Betrieb würde der Sinn des Verfahrens allerdings nicht erreicht.

Wurde bei der betrieblichen Prüfung Entgeltdiskriminierung festgestellt, soll gem. § 9 des Gesetzentwurfs eine Einigungsstelle für Entgeltgleichheit zur Beseitigung dieser Entgeltdiskriminierung gebildet werden. Dies ist ein sehr kluger Vorschlag, da betriebliche Einigungsstellenverfahren sich sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst seit Jahrzehnten bewährt haben, um betriebliche Konflikte, also solche mit kollektivrechtlichem Bezug, zu lösen.

Soll ein Entgeltgleichheitsgesetz nicht ebenfalls wirkungslos bleiben, ist die in § 17 des Gesetzentwurfs vorgesehene Möglichkeit, Verstöße gegen das Gesetz durch spürbare Geldbußen zu ahnden, unverzichtbar.

Stellt sich bei der betrieblichen Prüfung heraus, dass die Entgeltdiskriminierung auf tarifvertraglichen Regelungen beruht, die gleichwertige Arbeit unterschiedlich bewerten, sind zur Änderung dieser Regelungen wegen der verfassungsrechtlich gewährleisteten Tarifautonomie nur die Tarifvertragsparteien selbst befugt. Die Beachtung des Entgeltgleichheitsgebots richtet sich inhaltlich uneingeschränkt auch an die Tarifvertragsparteien. Nur wie dieses umgesetzt werden soll, unterliegt der autonomen Gestaltung.

Allerdings kann der Gesetzgeber sich nicht auf die Tarifautonomie zurückziehen, sondern ist verpflichtet, eine Regelung zu schaffen, die tatsächlich geeignet ist, auch im Bereich der Tarifverträge das Gebot der Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern wirksam durchzusetzen (wirksame staatliche Durchsetzungsgarantie, EuGH, 25.10.1988, NJW 1989, 3086). Bis die Tarifvertragsparteien die diskriminierenden Regelungen durch diskriminierungsfreie ersetzt haben, kann dem Gebot der Entgeltgleichheit nur dadurch entsprochen werden, dass, wie in § 10 Abs. 3 des Gesetzentwurfs vorgesehen, die benachteiligte Gruppe die gleichen tariflichen Ansprüche hat wie die übrigen Beschäftigten. Sowohl der Europäische Gerichtshof (EuGH 10.4.1984, C-14/83 [Colson und Kamann], Slg. 1984, 1891 Rn. 23; 8.11.1990, C-177/88 [Dekker], Slg. 1990, I-3941 Rn. 23) als auch das Bundesarbeitsgericht (BAG 20.3.2012, 9 AZR 529/10, NZA 2012, 803 Rn. 29; 10.11.2011, 6 AZR 148/09, NZA 2012, 161 Rn. 18) verurteilen in derartigen Fällen zur "Anpassung nach oben", solange die Tarifvertragsparteien nicht tätig werden.

Das Ergebnis der – eigenverantwortlichen – Überprüfung der Tarifverträge durch die Tarifvertragsparteien muss natürlich einer inhaltlichen Kontrolle unterzogen werden. Es bietet sich an, in § 27 AGG eine entsprechende Befugnis der ADS aufzunehmen, verbunden selbstverständlich mit einer entsprechenden Aufstockung ihrer Mittel.

Zu Ziff. 3 des Antrags

Um effektiven Rechtsschutz zu gewähren, ist bei Klagen wegen Entgeltdiskriminierung un­bedingt ein Verbandsklagerechteinzuführen, denn bei der Entgeltdiskriminierung handelt es sich um eine strukturelle Benachteiligung von Frauen, nicht um Einzelschicksale. Ein Verbandsklagerecht ist dem deutschen Recht auch nicht fremd, es funktioniert beispielsweise problemlos im Bereich des Umweltschutzes. Ein solches Verbandsklagerecht könnte in § 23 AGG eingefügt werden.

Der Forderung, die Frist in § 15 Abs. 4 AGG für die schriftliche Geltendmachung von Scha­densersatzansprüchen bzw. des Entschädigungsanspruchs von zwei auf sechs Monate anzuheben, ist zuzustimmen. Ebenso muss die in § 61b ArbGG "versteckte" Klagefrist für den Entschädigungsanspruch von drei auf sechs Monate nach der schriftlichen Geltendmachung angehoben werden. Außerdem ist diese Klagefrist zumindest in § 15 AGG durch Verweis auf § 61b ArbGG bekannt zu machen.

Zu Ziff. 4 des Antrags

Da Frauen an den gering vergüteten Tätigkeiten einen überproportional hohen Anteil haben, würden Mindestlöhne insbesondere ihnen zugutekommen. Voraussetzung wäre ein flächendeckender Mindestlohn für alle Branchen, nicht nur für die Bereiche, in denen überwiegend Männer arbeiten (vgl. djb-Stellungnahme 2009/01 zum Thema Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am 28.1.2009). Weiterhin muss aber eine gerechte Bewertung gleichwertiger Arbeiten vorangetrieben werden.

Ramona Pisal                        
Präsidentin                            

Gisela Ludewig
Stellv. Vorsitzende der Kommission Arbeits-, Gleichstellungs- und Wirtschaftsrecht