Hintergrundpapier: 17-10


zur Zulässigkeit von Information und Werbung bei öffentlichen Hinweisen durch Ärzte und Ärztinnen auf die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen und bestehende Reformoptionen

Hintergrundpapier vom

1. Ist eine Reform oder die Abschaffung des § 219a StGB verfassungsrechtlich zulässig oder gar geboten?

§ 219a Strafgesetzbuch (StGB) wurde zuletzt durch das Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom 27. Juli 1992 geändert. Er ist Bestandteil des strafrechtlich abgesicherten Lebensschutzkonzeptes im Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche. Der Gesetzgeber war nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gehalten, bundesrechtlich einheitliche umfassende Regelungen zur Verwirklichung des Schutzkonzeptes zu schaffen.[1] Zweck der Vorschrift nach den Gesetzesmaterialien ist es zu verhindern, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas Normales dargestellt und kommerzialisiert wird.[2] Dem staatlichen Schutzkonzept genügt es auch, wenn unangemessene Werbung, nicht aber die reine Information über „eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung“ unzulässig ist.

Die Zulässigkeit von sachlichen Informationen der Ärzte und Ärztinnen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, widerspricht dem Schutzkonzept nicht. So hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt: „Wenn die Rechtsordnung Wege zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen durch Ärzte eröffnet, muss es dem Arzt auch ohne negative Folgen für ihn möglich sein, darauf hinzuweisen, dass Patientinnen seine Dienste in Anspruch nehmen können.“[3]

Daher stellt sich vielmehr die Frage, ob die Strafbarkeit der sachlichen Information über Schwangerschaftsabbrüche durch Ärztinnen und Ärzte nicht einen verfassungswidrigen Eingriff in ihre Berufsfreiheit aus Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz darstellt. Das Bundesverfassungsgericht hat explizit festgestellt, dass die ärztliche Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen den gesetzlich geregelten Bedingungen der Berufsfreiheit unterfällt.[4] Von der Berufsfreiheit ist ferner zunächst auch die ärztliche Werbung erfasst.[5] Die Berufsfreiheit kann zwar durch Gesetze oder auf Grund von Gesetzen eingeschränkt werden, diese müssen aber ihrerseits verfassungskonform sein. Ein die Berufsfreiheit einschränkendes Gesetz ist verfassungskonform, wenn es in geeigneter Weise ein legitimes Ziel verfolgt und kein milderes Mittel zur Erreichung dieses Zieles ersichtlich ist. Die Verhinderung der Kommerzialisierung des Schwangerschaftsabbruchs durch das Verbot unangemessener Werbung ist ein legitimes Ziel. Soweit § 219a StGB auch reine Sachinformationen kriminalisiert, geht es weit über dieses legitime Ziel hinaus und ist deshalb als unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit zu bewerten. Auch wird dieses Ziel bereits durch berufsrechtliche Regelungen für Ärztinnen und Ärzte (dazu sogleich) erreicht. Im Vergleich zum Strafrecht als ultima ratio stellen berufsrechtliche Regelungen ein milderes Mittel dar.

Diese Rechtslage bedarf der Korrektur, wofür es verschiedene Wege gibt. Die herrschende Auffassung lehnt eine einschränkende Auslegung von § 219a StGB derzeit ab. Daher könnte zum einen in § 219a StGB selbst klargestellt werden, dass die Vorschrift keine Anwendung findet, wenn Ärzte und Ärztinnen auf ihre Schwangerschaftsabbrüche umfassenden ärztlichen Dienste hinweisen und darüber informieren. Auch eine Neufassung des § 219a StGB mit entsprechender Zielsetzung käme in Betracht. Eine weitere Möglichkeit wäre es, die Vorschrift des § 219a StGB zu streichen.

Gegenüber dem Vorschlag einer Streichung von § 219a StGB wird hin und wieder die Befürchtung geäußert, dass es dann zu diversen Formen unangemessener Werbung kommen könne, weil es an einschränkenden Regelungen fehle. Dies entspricht nicht der Rechtslage. Auf die ärztliche Dienstleistung des Schwangerschaftsabbruchs würden dann vielmehr die allgemeinen Vorschriften Anwendung finden.[6] Diese begrenzen auch nach derzeitiger Rechtslage die Werbung durch Ärztinnen und Ärzte, wie im Folgenden dargestellt wird.

2. Bestehende landesrechtliche Regelungen des ärztlichen Berufsrechts zu ärztlicher Information und Werbung

Es gelten die allgemeinen Vorschriften des ärztlichen Berufsrechts. Die landesrechtlichen Regelungen der ärztlichen Berufsordnungen sehen Beschränkungen der ärztlichen Information und Werbung vor. So gestatten die weitgehend mit den entsprechenden Vorschriften der Länder übereinstimmenden Regelungen der Musterberufsordnung sachliche berufsbezogene Informationen, untersagen allerdings berufswidrige Werbung, insbesondere anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung.[7] Dies würde auch für die Schwangerschaftsabbrüche umfassende ärztliche Tätigkeit gelten.

Der Hintergrund für die berufsrechtliche Beschränkung der ärztlichen Werbung ist das Ziel, dass Patientinnen darauf vertrauen können sollen, dass sich Ärzte und Ärztinnen nicht von kommerziellen Interessen leiten lassen.[8] Die Werbung ist zwar nicht auf die bloße Mitteilung nüchterner Fakten beschränkt, muss aber stets sachlich und angemessen sein. Das Gebot der Sachlichkeit erfordert inhaltlich zutreffende und allgemeinverständliche Informationen. Dies gilt auch für die Außenwerbung. Die ärztlichen Pflichten sind berufsrechtlich sanktioniert. Die Überwachung ihrer Einhaltung erfolgt durch die Landesärztekammern.

Wird eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung der bisher in § 219a StGB geregelten Materie für erforderlich gehalten, bedarf es zusätzlich einer bundesrechtlichen Regelung. Dies gilt auch, soweit jede Werbung jenseits der zulässigen Sachinformation weiterhin ausgeschlossen sein soll. Eine entsprechende Änderung von § 219a StGB sieht sich mit der Frage der (fehlenden) Verfassungskonformität strafrechtlicher Sanktionierung ärztlicher Information und Werbung konfrontiert. Näher läge eine bundesrechtliche Regelung außerhalb des Strafrechts, bspw. durch Ergänzung des Heilmittelwerbegesetzes.

3. Möglichkeit einer bundeseinheitlichen Regelung – Ergänzung des Heilmittelwerbegesetzes

Das bundesrechtliche Heilmittelwerbegesetz bestimmt u.a. in § 3 ein Verbot von irreführender Werbung und regelt in § 10 die Beschränkung der Werbung für bestimmte Produkte auf damit befasste Berufsgruppen.

Ob Schwangerschaftsabbrüche und hierzu verwendete Verfahren, Mittel und Arzneimittel unter die Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes in ihrer derzeitigen Fassung fallen, ist allerdings im Hinblick auf die in § 1 Abs. 1 Heilmittelwerbegesetz verwendeten Formulierungen zweifelhaft.[9]

Es bietet sich daher an, ergänzende Regelungen zur Anwendbarkeit in § 1 Heilmittelwerbegesetz zu treffen. Ergänzende weitere Regelungen könnten auch darauf abzielen, dass Informationen über die Schwangerschaftsabbrüche umfassende ärztliche Tätigkeit erlaubt sind, während weitergehende Werbung unzulässig ist. Ein entsprechendes Werbeverbot wurde z.B. in der Vergangenheit für die sogenannte Notfallkontrazeption in § 10 Abs. 2 S. 2 Heilmittelwerbegesetz aufgenommen.

Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin                           

Prof. Dr. Ulrike Lembke
Vorsitzende der Kommission Europa- und Völkerrecht
Vorsitzende des Arbeitsstabs Reproduktive Rechte

Dr. Leonie Steinl, LL.M. (Columbia)
Vorsitzende der Kommission Strafrecht

Dr. Ulrike Spangenberg
Vorsitzende der Kommission Recht der sozialen Sicherung,
Familienlastenausgleich

Marion Eckertz-Höfer
Vorsitzende der Kommission Verfassungsrecht,
Öffentliches Recht, Gleichstellung

 

Relevante Normen:

§ 27 Absatz 1-3 der Muster-Berufsordnung für Ärztinnen und Ärzte (MBO-Ä): Erlaubte Information und berufswidrige Werbung

1) Zweck der nachstehenden Vorschriften der Berufsordnung ist die Gewährleistung des Patientenschutzes durch sachgerechte und angemessene Information und die Vermeidung einer dem Selbstverständnis der Ärztin oder des Arztes zuwiderlaufenden Kommerzialisierung des Arztberufs.

(2) Auf dieser Grundlage sind Ärztinnen und Ärzte sachliche berufsbezogene Informationen gestattet.

(3) Berufswidrige Werbung ist Ärztinnen und Ärzten untersagt. Berufswidrig ist insbesondere eine anpreisende, irrefu?hrende oder vergleichende Werbung. Ärztinnen und Ärzte dürfen eine solche Werbung durch andere weder veranlassen noch dulden. Eine Werbung für eigene oder fremde gewerbliche Tätigkeiten oder Produkte im Zusammenhang mit der ärztlichen Tätigkeit ist unzulässig. Werbeverbote aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen bleiben unberührt. 

§ 1 Absatz 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG)

(1) Dieses Gesetz findet Anwendung auf die Werbung für

1. Arzneimittel im Sinne des § 2 des Arzneimittelgesetzes,

1a. Medizinprodukte im Sinne des § 3 des Medizinproduktegesetzes,

2. andere Mittel, Verfahren, Behandlungen und Gegenstände, soweit sich die Werbeaussage auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bei Mensch oder Tier bezieht, sowie operative plastisch-chirurgische Eingriffe, soweit sich die Werbeaussage auf die
Veränderung des menschlichen Körpers ohne medizinische Notwendigkeit bezieht.

§ 10 Absatz 2 HWG

(2) Für Arzneimittel, die psychotrope Wirkstoffe mit der Gefahr der Abhängigkeit enthalten und die dazu bestimmt sind, bei Menschen die Schlaflosigkeit oder psychische Störungen zu beseitigen oder die Stimmungslage zu beeinflussen, darf außerhalb der Fachkreise nicht geworben werden. Dies gilt auch für Arzneimittel, die zur Notfallkontrazeption zugelassen sind.

 

[1] Vgl. BVerfG vom 27.10.1998 – 1 BvR 2306/96 u.a. – BVerfGE 98, 265ff.

[2] Bericht, BT-Drucksache 7/1981 (neu), 17.

[3] BVerfG vom 24.05.2006 – 1 BvR 1060/02 – BVerfGK 8, 107-118.

[4] BVerfG vom 27.10.1998 – 1 BvR 2306/96 u.a. – BVerfGE 98, 265ff.

[5] Siehe nur BVerfG vom 11.02.1992 – 1 BvR 1531/90 – BVerfGE 85, 248ff.

[6] In Bezug auf nicht-ärztliche Dritte würden ebenfalls allgemeine Regelungen aus dem Wettbewerbsrecht und im Rahmen von §§ 218ff StGB Anwendung finden; wer die Tätigkeit profitorientierter Vermittlungen befürchtet, könnte über die Schaffung eines entsprechenden Ordnungswidrigkeitentatbestandes nachdenken.

[7]§ 27 der Muster-Berufsordnung fu?r die in Deutschland ta?tigen A?rztinnen und A?rzte – MBO-A? 1997 in der zur Zeit geltenden Fassung des Beschlusses des 118. Deutschen A?rztetages 2015 in Frankfurt am Main – Deutsches Ärzteblatt 2015 A 1, abgedruckt im Anschluss an den Text.

[8] Vgl. zum Ganzen die Empfehlung der Bundesärztekammer vom 17.2.2017 – Deutsches Ärzteblatt 2017 S. 1, Download:http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Recht/Arzt-Werbung-Oeffentlichkeit.pdf.

[9] Siehe Abdruck der einschlägigen Normen im Anschluss an den Text.