Femizide in Deutschland: Strafverfolgung und angemessene Bestrafung von sogenannten Trennungstötungen
Themenpapier 1: Die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland
Stellungnahme vom 25.11.2019
Was die Istanbul-Konvention verlangt: Artikel 43 der Istanbul-Konvention fordert die Anwendung des Strafrechts auf von der Konvention erfasste Taten unabhängig von der Täter-Opfer-Beziehung. Artikel 46(a) fordert die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei der Strafzumessung als erschwerend berücksichtigt werden kann, wenn die Tatbegehung durch den (Ex‑)Ehemann oder (Ex‑)Partner erfolgte.
Aktuelle Situation und Rechtslage: In Deutschland ist durchschnittlich jeden Tag eine Frau von einem versuchten oder vollendeten Tötungsdelikt durch den eigenen Ehemann, Partner oder Ex-Partner betroffen.[1] Jede Woche sterben dabei drei Frauen. Motiv ist fast immer die Trennungsabsicht der Frau oder eine bereits erfolgte Trennung, welche der Ex-Partner nicht akzeptieren will. Die Trennungstötung ist also der Standardfall männlicher Tötungsdelikte in Beziehungen. Die Motivation, der Ex-Partnerin kein eigenständiges Leben zuzugestehen, wird im Rechtsdiskurs weiterhin ganz unterschiedlich bewertet.
Sogenannte Ehrenmorde von türkisch- oder arabischstämmigen Tätern werden inzwischen durchgängig als Mord aus niedrigen Beweggründen bestraft, einen kulturellen Bonus gibt es nicht, sondern eher eine bedenkliche Verkürzung der Prüfung des Mordmerkmals.[2] Umso ausführlicher und kritischer wird dagegen das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe geprüft, wenn ein Mann seine (Ex‑)Partnerin tötet, weil sie ihn verlassen will oder verlassen hat. Grundlegend hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Tötung nicht als niedrig zu bewerten ist, wenn „die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will“.[3] Dies wird auch von den Untergerichten gern geprüft. Dabei stellt das Eingehen auf die Frage, ob die Trennung vom Tatopfer ausging, eine massiv opferbeschuldigende Entlastung des Täters dar. Und die Überlegung, dass der Täter das Objekt seiner Beherrschungswünsche durch die Tötung endgültig verliert, bezieht sich strafmildernd auf patriarchale Besitzkonstruktionen, nach denen die Frau besser tot als allein und frei sei, was ganz zu Recht bei sog. Ehrenmorden nicht als juristisch relevant[4] angesehen wird (obwohl sich faktisch auch dort Täter um die Tochter oder Schwester bringen, die sie häufig eigentlich nicht verlieren wollten).
Der Wunsch des Täters, das Opfer möge nach seinen Vorstellungen leben, wird bei sog. Ehrenmorden als freiheitsbeschränkender patriarchaler Herrschaftsanspruch und bei Trennungstötungen überwiegend[5] als vulnerabler emotionaler Zustand interpretiert. Wie tief solch gewaltverharmlosende und damit gewaltlegitimierende Muster verankert sind, zeigt auch die mediale Aufbereitung von Trennungstötungen oder die weit verbreitete Bezeichnung als „Drama“ oder „Familientragödie“ jener Fälle, in denen ein Mann seine Familie auslöscht, indem er Frau und Kinder tötet, weil er meint, dass sie ohne ihn nicht leben könnten bzw. sollten.[6] Dramatisch ist höchstens, dass diese Fälle weder als mehrfacher Mord beschrieben noch ihre geschlechtsspezifischen Ursachen analysiert und Maßnahmen zur Prävention ergriffen werden.
Handlungsoptionen: Um solcher Verharmlosung von geschlechtsbezogener Gewalt zu begegnen, wird angeregt, Trennungstötungen als eine Form von Femiziden zu erkennen.[7] Femizid meint, dass Frauen auf Grund ihres Geschlechts getötet werden. Dies trifft auf Trennungstötungen zu. Umgekehrt müssen Männer, die sich von ihrer Partnerin trennen, kaum jemals befürchten, dass sie deswegen sterben werden. Für Frauen ist es aber eine reale Gefahr, getötet oder schwer verletzt zu werden, wenn sie ihr Leben nicht mehr mit dem bisherigen Partner verbringen wollen. Dieser geschlechtsspezifischen Gewalt dürfen weder Justiz noch gesellschaftliches Umfeld mit Nachsicht, Verständnis oder Strafmilderungen begegnen.
Artikel 46(a) der Istanbul-Konvention fordert Änderungen des nationalen Strafrechts, um bei der Strafzumessung erschwerend berücksichtigen zu können, dass die Begehung der Straftat gegen eine frühere oder derzeitige Ehefrau oder Partnerin (oder Ehemann/Partner) erfolgte. Zur Umsetzung von Artikel 12(5), 42(1) und 46(a) der Konvention ist bei allen Tötungen in Paarbeziehungen auf Grund der Trennung oder Trennungsabsicht der getöteten Person eine strafschärfende Berücksichtigung als Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe zu prüfen. Die derzeitige Rechtspraxis ist nicht konventionskonform, geboten ist daher ein Tätigwerden des Gesetzgebers sowie eine Änderung der Rechtsprechung, welche Besitzansprüche an Frauen nicht strafmildernd berücksichtigen darf. Ferner sollte mit Fortbildungen für Justizpersonal und allgemeiner Öffentlichkeitsarbeit der Verharmlosung von Trennungstötungen bzw. Femiziden entgegengewirkt werden.
Forderungen:
Tötungsdelikte auf Grund der Trennung oder Trennungsabsicht der Partnerin (Trennungstötungen) sind effektiv zu verfolgen und angemessen zu bestrafen. Es sind alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, damit die Verharmlosung als „Familiendrama“ und das befremdliche Verständnis für die Täter sich nicht weiter auf die zutreffende Einordnung als manifeste geschlechtsspezifische Gewalt sowie die Effektivität der Strafverfolgung auswirken können. Eine mögliche Strafschärfung wegen der Tatbegehung durch den (Ex-)Partner ist in jedem Einzelfall zu prüfen.
Prof. Dr. Maria Wersig
Präsidentin
Prof Dr. Ulrike Lembke
Vorsitzende der Kommission Europa- und Völkerrecht
Dr. Leonie Steinl, LL.M. (Columbia)
Vorsitzende der Kommission Strafrecht
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Anmerkungen
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