Istanbul-Konvention


Am 1. Februar 2018 ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) in Deutschland in Kraft getreten. Aus Anlass des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November 2019 mahnt der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) die vollständige Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) in Deutschland an. In 14 Themenpapieren erläutert der djb exemplarisch Umsetzungsdefizite und Handlungsbedarfe in folgenden Bereichen: Femizide und Trennungstötungen, Frauenschutzhäuser und deren Finanzierung, Verbot von Zwangssterilisationen, Strafverfolgung von sexualisierter Gewalt sowie Strafzumessung und Unterstützung der Betroffenen:

Themenpapiere:

  1. Femizide in Deutschland: Strafverfolgung und angemessene Bestrafung von sogenannten Trennungstötungen (25.11.2019)
  2. Umsetzungsdefizite bei Frauenschutzhäusern und Fachberatungsstellen (26.11.2019)
  3. Finanzierung von Schutzunterkünften und Fachberatungsstellen (27.11.2019)
  4. Strafbarkeit von Zwangssterilisationen (28.11.2019)
  5. Effektive Strafverfolgung von sexualisierter Gewalt (29.11.2019)
  6. Strafzumessung bei sexualisierter Gewalt durch (Ex-)Partner (2.12.2019)
  7. Unterstützung und Schutz der Betroffenen von sexualisierter Gewalt: Krisenzentren für Opfer von Vergewaltigung sowie Verfahrensbeistand und psychosoziale Prozessbegleitung (3.12.2019)
  8. Monitoring, Forschung und Datenerhebung zu geschlechtsspezifischer Gewalt (31.1.2020)
  9. Berücksichtigung vorheriger Gewalt in Sorge- und Umgangsverfahren (3.2.2020)
  10. Unterbindung geschlechtszuweisender Operationen an Kindern (5.2.2020)
  11. Entschädigung Betroffener bei psychischer Gewalt mit schweren Folgen (7.2.2020)
  12. Haftung des Staates für Unterlassen geeigneter Maßnahmen (10.2.2020)
  13. Effektiver Rechtszugang gewaltbetroffener Frauen (12.2.2020)
  14. Rücknahme des Vorbehalts zu Artikel 59 der Konvention (13.2.2020)


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Einführung

Geschlechtsspezifische Gewalt ist eine schwer wiegende Menschenrechtsverletzung.[1] Sie hindert insbesondere Frauen und Mädchen daran, ihre Rechte und Freiheiten gleichberechtigt zu genießen und aktiv wahrzunehmen. Seit den 1990er Jahren hat sich im internationalen Diskurs ein entsprechendes Problembewusstsein entwickelt, wesentlich vorangetrieben durch den Ausschuss für die UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW), die Vierte Weltfrauenkonferenz und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und es wurden zunehmend Anforderungen an den effektiven staatlichen Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt formuliert. Als wesentliches Resultat dieser Entwicklungen hat der Europarat 2011 mit dem Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (sog. Istanbul-Konvention) ein umfassendes und verbindliches völkerrechtliches Regelwerk mit nationalen Handlungspflichten vorgelegt, welches am 1. August 2014 völkerrechtlich und für Deutschland am 1. Februar 2018 in Kraft trat. Die Verbindung von internationalen Menschenrechtsstandards und konkreten Handlungspflichten bedingt den besonderen Charakter der Konvention.[2]

Die Istanbul-Konvention enthält einige grundsätzliche Entscheidungen. Sie definiert Geschlecht als gesellschaftlich geprägt und Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und eine Form von Diskriminierung. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen ist Gewalt, die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betrifft.[3] Erfasst sind alle Handlungen, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können. Häusliche Gewalt sind alle Handlungen körperlicher, sexueller, psychischer oder wirtschaftlicher Gewalt, die innerhalb der Familie oder des Haushalts oder zwischen früheren oder derzeitigen (Ehe-)Partner*innen vorkommen, von der grundsätzlich auch Männer betroffen sein können. Ziel der Konvention ist die Verhütung, Verfolgung und Beseitigung geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt, die umfassende Unterstützung der Betroffenen und die Förderung substantieller Gleichheit zwischen den Geschlechtern. Hierfür enthält die Konvention zahlreiche konkrete Anforderungen und Handlungsaufträge.

Mit dem Gewaltschutzgesetz von 2002 sowie den begleitenden Regelungen und Praktiken trägt die Bundesrepublik bereits wesentlich zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt bei, auch sind durchaus etliche andere der konkreten Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention umgesetzt. Insgesamt ist die Unterstützung und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen jedoch unzureichend gesichert. Es fehlt vielfach an Strukturen, rechtlichen Gewaltschutz tatsächlich wirksam zu machen. Wissen über Ausmaß und Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt sowie die Voraussetzungen ihrer effektiven Unterbindung wird kaum generiert. Das Ausmaß etwa häuslicher Gewalt – nach der kriminalstatistischen Auswertung von Partnerschaftsgewalt für 2017 sind 82% der Opfer Frauen, und davon waren 364 Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten[4] – ist nicht im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert. Es besteht eine Schieflage bei der Bereitschaft, Gewalt gegen Frauen zu erkennen, zu ächten und wirksam zu unterbinden: Gesellschaftlich wird sie eher als Problem anerkannt, wenn sie sich (vermeintlich exklusiv) bei religiösen oder ethnischen Minderheiten verorten lassen.

Handlungspflichten, die sich aus der Istanbul-Konvention für die Vertragsparteien und damit auch die Bundesrepublik Deutschland ergeben, müssen dem völkerrechtlichen due diligence Standard entsprechen. Die Maßnahmen müssen effektiv sein und dürfen einen bestimmten Mindeststandard nicht unterschreiten.[5] Vor diesem Hintergrund sind mehrere Umsetzungsdefizite und Handlungsbedarfe zu identifizieren, welche aus Anlass des Internationalen Tags gegen Gewalt gegen Frauen am 25. November 2019 in zunächst sieben Kurzpapieren exemplarisch angesprochen werden.


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Anmerkungen

[1] Grundlegend Sarah Elsuni, Geschlechtsbezogene Gewalt und Menschenrechte, 2011. Siehe auch CEDAW Committee, General Recommendation No. 19 on violence against women, 1992, Rn. 6; Fourth World Conference on Women, Beijing Declaration and Platform for Action, 1995; UNGA, Declaration on the Elimination of Violence against Women, 20 December 1993, 1993, UN Doc. A/Res/48/104, Rn. 6; UNGA, In-Depth-Study on All Forms of Violence Against Women: Report of the Secretary-General, 2006, 2006, UN Doc. A/61/122/Add.1; UNHRC, Report of the Special Rapporteur on violence against women, its causes and consequences, Rashida Manjoo, 2 May 2011, 2011, A/HRC/17/26; UN Women, Commission on the Status of Women, Agreed Conclusions on the prevention and elimination of violence against women and girls 2013, 15 March 2013, 2013, E/CN/6/2013/11, and the 1994 Inter-American Convention on the Prevention, Punishment and Eradication of Violence against Women (Convention of Belém do Pará).

[2] Zu Geschichte und konzeptioneller Einzigartigkeit der Konvention Kevät Nousiainen & Christine Chinkin, Legal implications of EU accession to the Istanbul Convention, 2015, S. 37ff.

[3] Die Definition der Istanbul-Konvention entspricht damit der Definition von CEDAW, General Recommendation No. 19 (1992), para 6.

[4] Bundeskriminalamt (Hg.), Partnerschaftsgewalt. Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2017.

[5] UN Special Rapporteur on violence against women, its causes and consequences, Yakin Ertürk, The Due Diligence Standard as a Tool for the Elimination of Violence against Women, UN-Document E/CN.4/2006/61.