Stellungnahme: 15-06


des djb-Arbeitskreises zur Reform der Wahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter

Stellungnahme vom

Ausgangslage

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) sieht gravierende Mängel im Wahlverfahren zur Berufung von Richterinnen und Richtern an die obersten Bundesgerichte:

  • Es liegt eine strukturelle Benachteili­gung von Frauen vor, die sich insbesondere an der geringen Repräsentanz von Frauen an den obersten Bundesgerichten und – vorgelagert – an der geringen Zahl von für die Wahl zu diesen Gerichten vorgeschlagenen Richterinnen zeigt.
     
  • Das Verfahren ist intransparent. Nur vereinzelt wird über das Wahlverfahren, die jährlich zu besetzenden Stellen und die Anforderungen an die Kandidatinnen und Kandidaten informiert. Die Auswahlkriterien sind unklar; die Beachtung des Prinzips der Bestenauswahl ist zweifelhaft.
     
  • Die zunehmende Zahl an Konkurrentenklagen, mehr noch deren Dauer, beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit der obersten Bundesgerichte und beschädigt das Ansehen der Justiz.

 

Ziele

Der djb hält deshalb eine Reform des Wahlverfahrens zu den obersten Bundesgerichten dringend für geboten. Mit folgenden Eckpunkten möchte er sowohl Chancengleichheit für potentielle künftige Bundesrichterinnen herstellen als auch mehr Transparenz schaffen, die Leistungs- und Funktionsfähigkeit der obersten Bundes­gerichte sichern sowie die Akzeptanz des Verfahrens bei der Richterschaft stärken und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Qualität der Rechtsprechung bewahren.

  • Der Benachteiligung von Frauen wirken vor allem die Einführung quotierter Wahl­vorschläge, die Beteiligung von Gleichstellungsbeauftragten und regelmäßige Berichtspflichten entgegen.
     
  • Transparenz kann durch Bekanntgabe von Auswahlkriterien, Informationspflichten der Länderministerien und die weitere Vereinheitlichung der Präsidialratsverfahren bei den obersten Bundesgerichten erreicht werden.
     
  • Frauen haben größere Chancen vorgeschlagen zu werden, wenn die Mitglieder des Wahlausschusses (also die zuständigen Ministerinnen und Minister und die vom Bundestag gewählten Personen) sich schon bei den Wahlvorschlägen konsequent an den Grundsatz der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung – ungeachtet kaum vermeidbarer unterschiedlicher Beurteilungsmaßstäbe – halten.
     
  • Die ausweislich des Artikels 95 Abs. 2 GG eigenständige Funktion der zuständigen Bundesministerinnen und -minister, die zwar den Vorsitz im Wahlausschuss führen, aber kein Stimmrecht haben, sollte mehr als bisher genutzt werden, um die Auswahl nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu fördern.
     
  • Ebenso sollte die Mitwirkung der Gleichstellungsbeauftragten des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), in deren Geschäftsbereichen die obersten Bundesgerichte ressortieren, vorgesehen werden, um - wie bei anderen Beförderungsverfahren auch - die Chancengleichheit vorgeschlagener Frauen zu sichern.
     
  • Für Konkurrentenklagen, die aufgrund der Rechtsschutzgarantie des Artikels 19 Abs. 4 GG nicht generell auszuschließen sind, ist ein spezieller, die beschleunigte Beendigung solcher Verfahren sichernder Rechtszug vorzusehen. Denn die Leistungsfähigkeit der obersten Bundesgerichte hängt von einer schnellen Nachbesetzung offener Stellen ab.

 

Eckpunkte zur Reform der Wahl der Bundesrichterinnen und -richter

I. Rechtliche Einordnung des Wahlverfahrens

Die Berufung an die obersten Bundesgerichte ist gemäß Artikel 95 Abs. 2 GG – anders als die Wahl der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts, für welches als Verfassungsorgan besondere Regeln gelten – nicht nur, aber auch eine politische Wahl. Sie ist aufgrund der Einbindung des Wahlausschusses auch keine „normale“ Beförderungsentscheidung. Selbst wenn die Auswahlentscheidung des Wahlausschusses nach dem derzeitigen Stand der Meinungen materiell durch die Gerichte im Einzelnen nicht überprüfbar ist, so ist sie dennoch durch das Grundgesetz gesteuert. Denn sie muss neben Artikel 95 Abs. 2 GG (politisches Auswahlermessen) auch Artikel 33 Abs. 2 GG (Bestenauswahl) und Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG (Frauenförderung) beachten und diesen verfassungsrechtlichen Vorschriften im Sinne praktischer Konkordanz jeweils zur Wirksamkeit verhelfen. Dies sicherzustellen ist die Pflicht der - ausweislich des Artikels 95 Abs. 2 GG mit eigenständiger Entscheidungsbefugnis – beteiligten Bundesministerinnen und -minister. Die Stellungnahmen der Präsidialräte unterstützen diesen Entscheidungsprozess. Sie ersetzen die Entscheidungsrechte von Wahlausschuss und jeweils zuständiger Ministerin bzw. zuständigem Minister jedoch nicht.

 

Auf etwaige Auswahlentscheidungen der Landesministerinnen und -minister sind Artikel 33 Abs. 2 und Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG uneingeschränkt anwendbar.

 

II. Aufstellen der Wahlvorschläge – Ergänzung des bisherigen Verfahrens

  1. Verbindliches Grundanforderungsprofil für alle obersten Bundesgerichte mit hoher (Mindest-)Kernqualifikation wie beispielsweise:
    • sehr gute, breit angelegte und vertiefte Fachkenntnisse
    • wissenschaftliche Befähigung bei deutlicher Praxisorientierung
    • Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen
    • überzeugende Motivation und Verantwortungsbereitschaft.

    Zu erstellen wäre das Anforderungsprofil von BMJV und BMAS in Abstimmung mit den obersten Bundesgerichten unter Beteiligung der zuständigen Gleichstellungsbeauftragten.
  1. Informationspflichten der jeweils für Wahlvorschläge zuständigen Ministerien in Bund und Ländern vor jedem Aufstellen von Wahlvorschlägen, und zwar über
    • das Verfahren,
    • die zur maßgeblichen Wahl nach zu besetzenden Stellen und
    • die Anforderungen an die Kandidatinnen und Kandidaten.

    Interessenbekundungsverfahren verbleiben im Ermessen der Länder.
  1. Mitwirkung der für Beförderungsentscheidungen der Richter- oder Beamtenschaft zuständigen Gleichstellungsbeauftragten bei der Aufstellung der Wahlvorschläge auf allen Ebenen (wie bei sonstigen Personalentscheidungen iSd. § 25 Abs. 2 Nr. 2 BGleiG nF und entsprechenden Regelungen in den Landesgleichstellungsgesetzen).
  1. Verpflichtung der Länder und der Bundesministerinnen und -minister zu quotierten Wahlvorschlägen (wie beim EGMR) in Form eines Doppelvorschlags für jede zu besetzende Stelle. Länder und Bund sind gehalten, zumindest bei ihren eigenen Vorschlägen für einen 50-prozentigen Frauenanteil zu sorgen.

    Ausnahmen sind zuzulassen, sofern Vorschläge nur aus dem unterrepräsentierten Geschlecht bestehen oder besondere, im Einzelnen dargelegte Umstände vorliegen, die einen Doppelvorschlag nicht ermöglichen, und die Gleichstellungsbeauftragte hierzu beteiligt wurde.
  1. Bei einer Auswahlentscheidung sind das Prinzip der Bestenauswahl und Artikel 3 Abs. 2 S. 2 GG wie bei sonstigen Beförderungsentscheidungen zu beachten.

 

III. Prüfung der persönlichen und fachlichen Eignung der Vorgeschlagenen

  1. Die Einbindung der Präsidialräte in das Wahlverfahren ist zur Sicherung der Leistungsfähigkeit der obersten Bundesgerichte und der Qualität ihrer Rechtsprechung unerlässlich. Die Vorgeschlagenen unterliegen zum einen den divergierenden Beurteilungssystemen der Länder mit unterschiedlichen Anforderungsprofilen und -maßstäben; zum anderen haben sie verschiedene Laufbahnen eingeschlagen und bekleiden zum Teil Ämter in unterschiedlichen Beförderungsstufen. Die Vergleichbarkeit der Vorgeschlagenen als Grundlage für die Bestenauswahl im Sinne von Artikel 33 Abs. 2 GG ist daher nicht ohne weiteres gegeben. Die Präsidialratsverfahren dienen vor allem dazu, die höchst unterschiedlichen Beurteilungsmaßstäbe der jeweiligen Anlass- und sonstigen Beurteilungen zu vereinheitlichen und eine Prognose dazu abzugeben, ob und wie gut die oder der Vorgeschlagene voraussichtlich in der Lage sein wird, die komplexen Anforderungen des angestrebten Amtes zu erfüllen.

    Da die Stellungnahmen der Präsidialräte zur Eignung der Vorgeschlagenen keine Beurteilung im üblichen Sinne sind – sie dienen dem Wahlausschuss als Hilfsmittel der Meinungsbildung –, sollte gesetzlich klar gestellt werden, dass sie nur mit Zustimmung der Vorgeschlagenen zu deren Personalakten genommen werden.
  1. Eine weitere Vereinheitlichung des Präsidialratsverfahrens bei den fünf obersten Bundesgerichten ist anzustreben. Die derzeitige gestufte Bewertung durch die Präsidialräte (hervorragend geeignet, gut geeignet, geeignet, nicht geeignet) ist angesichts der bereits geschilderten eingeschränkten Vergleichbarkeit der sich aus den Personalakten ergebenden Qualifikation der Vorgeschlagenen erforderlich und sinnvoll.

 

IV. Wahl

  1. Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten des BMJV und BMAS am Wahlverfahren.
  1. Verantwortung der jeweils zuständigen Bundesministerinnen bzw. -minister als Vorsitzende des Wahlausschusses und in ihrer darüber hinaus gehenden Funktion nach Artikel 95 Abs. 2 GG für die Rechtmäßigkeit und Transparenz des Wahlverfahrens.
  1. (Aus)Wahl unter den Höchstqualifizierten: Der Wahlausschuss ist rechtlich an die Stellungnahmen der Präsidialräte und die dort getroffenen Differenzierungen nicht gebunden. Er hat sich eigenständig eine Meinung zur Qualifikation der Vorgeschlagenen zu bilden und hat hierbei – auch wenn dies gerichtlich nicht im Einzelnen nachprüfbar ist – die Anfor­derungen von Artikel 33 Abs. 2 und Artikel 3 Abs. 2 Satz 2 GG zu beachten. 

 

V. Rahmenbedingungen

Es ist haushaltsrechtlich sicherzustellen, dass Bundesrichterinnen und -richter jederzeit aus familiären Gründen Teilzeit arbeiten können. Die Wahl von zwei Vorgeschlagenen hälftig auf eine Stelle kommt hingegen nicht in Betracht, da die Möglichkeit des Übergangs auf eine Vollzeitstelle gegeben sein muss. Im Haus­halt der obersten Bundesgerichte sind für solche Fälle deshalb "Reservestellen" vorzusehen. 

 

VI. Rechtsschutz

  1. Für etwaige Klagen gegen die Auswahlentscheidung der zuständigen Landesministerien empfiehlt sich eine erstinstanzliche Zuständigkeit des OVG bzw. VGH des jeweiligen Landes.
  1. Für Klagen gegen den zuständigen Bundesminister bzw. die zuständige Bundesministerin sollte ein einziges oberes Landesgericht für Verwaltungssachen erstinstanzlich zuständig werden.

 

VII. Berichtspflicht des BMJV/BMAS

Jährliche Veröffentlichung der Frauenquoten an den obersten Bundesgerichten. Darüber hinaus Aufnahme der Wahlergebnisse und der Veränderung des Richterinnenanteils an den obersten Bundesgerichten in den Gleichstellungs­bericht der Bundesregierung nach § 39 BGleiG n.F.

 

 

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) hat im Rahmen seiner Initiative „Frauen in die Roten Roben“ einen Arbeitskreis zur Reform der Wahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter eingerichtet, dem im Wesentlichen Richterinnen an allen fünf obersten Bundesgerichten angehören. Für Auskünfte zu dem Eckpunktepapier des Arbeitskreises steht Bundesanwältin beim BGH Eva Schübel zur Verfügung.

Eva Schübel
Vizepräsidentin des djb
Gleichstellungsbeauftragte des Generalbundesanwalts